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Re: [ox] 7 Thesen zum "Krieg gegen Amerika"



Hi Horst,

mir sind zwei Argumentationsfiguren ins Auge gesprungen, die du
mir-nichts-dir-nichts in deiner Wut reproduzierst, die ich aber sehr
grundsätzlich für fatal halte:

1. Antiamerikanismus=Antisemitismus vs. Zivilisation - kulminierend in
der Forderung (nicht bei dir), im Zweifel, den Kapitalismus mit Bomben
zu verteidigen: Das ist sozusagen nicht der grüne Weg zu den Bombem,
sondern der "linksradikale".

2. Wer über Gründe nachdenkt, rechtfertigt die Tat - kulminierend in
Zuschreibungen wie "Identifikation mit den Tätern", "verborgener
Antisemitismus" etc.: Das führt zu (letztlich moralisch:-(( gegründeten)
Diskursverboten.

Diese Argumentionsstruktur ist die von Bush und Bin-Laden: Bist du nicht
für uns, bist du gegen uns; das Gute gegen das Böse; usw. Dieser
Denkdualismus nutzt nicht nur gar nichts (kein Lernen möglich), sondern
er reproduziert die Denklogiken, die uns dahin hindern, Emanzipation zu
denken.

Dazu gibt es einen, wie ich finde, sehr schlauen Debattenbeitrag, der über die Krisis-Liste ging (kennst ihn also vermutlich) und sich mit solchen "antideutschen" Logiken beschäftigt. Da er nicht so lang ist, poste ich ihn hier mal.

Ciao,
Stefan

+++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++

Thema:   Debattenbeitrag  zu den Antideutschen
From:   dorlekehren freenet.de (dorlekehren)

Bomben auf Kabul

Kritische Fragen an die antideutschen RealpolitikerInnen

Vor dem Hintergrund beginnender militärischer Aktionen im globalen
Anti-Terror-Kampf propagieren auch antideutsche Realpolitiker den
rücksichtslosen Krieg der westlichen Zivilisation gegen die
islamistische Barbarei.

Die erfahrenen Geostrategen der Bahamas-Redaktion fordern die
kategorische Unterstützung "US-amerikanischer Militärschläge gegen
islamische Zentren" überall auf der Welt und einen US-Gegenschlag gegen
Afghanistan, der "so konsequent wie möglich" erfolgen solle. Auch die
antideutsche Gruppe Wuppertal begrüßt in ihrem Kampf "für die
Zivilisation und den Kommunismus" US-Militärschläge. Antifaschistische
Gruppen aus NRW propagieren in ihrem Flugblatt "die Verteidigung der
westlichen Zivilisation und des ihr immanenten Glücksversprechens von
Emanzipation und Wohlstand" und fordern das "klerikalfaschistische
Terrorregime der Taliban zu beseitigen".

Warum werfen auf einmal deutsche Linksradikale sämtliche Ansätze
kritischer Theorie über Bord und werden zu begeisterten Anhängern des
von Samuel Huntington u.a. ausgerufenen "Kampfes der Kulturen"? Müssen
wir uns im "Kampf der Zivilisation gegen das Böse" tatsächlich gemeinsam
mit George Bush in vorderster Front am "Kreuzzug gegen den Terrorismus"
beteiligen?

Einen wichtigen Schlüssel für das Verständnis des antideutschen
Amoklaufes liefert die Interpretation der Attentate in den USA als "ein
faschistisches Massaker eliminatorischer Antisemiten" (Flugblatt
antifaschistischer Gruppen aus NRW). Ohne das bisher irgendein
eindeutiges Bekenntnis zu Motivation und Zielen des Anschlages vorliegt,
ist es für die Antideutschen völlig klar, dass das World Trade Center
und das Pentagon als "Hort der zionistischen Weltverschwörung" (ebd.)
angegriffen wurden. Die Einschränkung der möglichen Tatmotive auf den
Antisemitismus, ist also zumindest spekulativ und beinhaltet
wahrscheinlich eine unzulässige Reduktion der Komplexität der
tatsächlichen Konfliktlage.

Der Angriff auf das Pentagon und der wahrscheinlich geplante Angriff auf
das Weiße Haus zielte jedenfalls auf das politische und militärische
Machtzentrum der USA. Ob die USA also unmittelbar in ihrer Rolle als
politische und militärische Weltmacht oder primär in ihrer Rolle als
Schutzmacht Israels angegriffen wurden, ist keineswegs ausgemacht. Die
Politik der USA in der arabischen Region beschränkt sich zudem nicht auf
eine Unterstützung Israels.

Der Konflikt mit Bin Ladens Netzwerk "Al Queda" - begann z.B. nach der
Stationierung amerikanischer Truppen in Saudi-Arabien im Zusammenhang
mit dem zweiten Golfkrieg. Bin Laden sah damals die heiligen Stätten der
Moslems in Mekka und Medina entweiht und entzweite sich darüber mit der
amerikatreuen korrupten Feudaloligarchie in Saudi-Arabien.

Auch der islamistische Kulturkampf gegen den "american way of life" und
die amerikanische Kultur als Inkarnation westlicher Dekadenz dürfte bei
den ideologischen Hintergründen der Attentate eine gewisse Rolle
spielen. Der Aspekt des Glaubenskrieges gegen die USA als Hauptmacht der
Ungläubigen muß ebenfalls ernst genommen werden. Der Angriff auf die USA
ist in diesem Kontext wohl in erster Linie als ein Kampf gegen das
Christentum zu verstehen.

Der Antisemitismus ist also nur eine Komponente im Konglomerat der
fundamentalistisch-islamistischen Ideologie und keineswegs das einzige
denkbare Motiv. Eine vorschnelle Reduktion der Analyse auf das Motiv des
"eliminatorischen Antisemitismus" läuft Gefahr, analog zum
antisemitischen Wahnbild einer "zionistischen Weltverschwörung", eine
ebenso halluzinatorische "antisemitische Weltverschwörung" zu konstruieren.

In Verbindung mit dem Begriff des "faschistischen Massakers" beinhaltet
die Rede vom "eliminatorischen Antisemitismus" im übrigen eine
gefährliche Relativierung der nationalsozialistischen
Vernichtungspolitik. Auch wenn die Angriffe auf die USA verheerende
Folgen hatten, handelt es sich bei ihnen keinesfalls um einen Genozid.
Mit der systematischen Ausrottung der europäischen Juden durch die Nazis
sind die Attentate auf keinen Fall vergleichbar.

Wenn nun die Bahamas den Koran mit Hitlers "Mein Kampf" gleichsetzt und
die palästinensischen Attentate gegen Israelis "auch auf qualitativer
Ebene mit dem nationalsozialistischen Vorbild" für vergleichbar hält,
dann begeben sich ausgerechnet Antideutsche, die bisher jede
Relativierung des Nationalsozialismus politisch bekämpft haben, auf das
Terrain eines üblen Geschichtsrevisionismus. Durch diese unhaltbaren
historischen Analogien wird suggeriert, dass gegen diesen fürchterlichen
und mächtigen Feind jedes Mittel zu seiner Bekämpfung gerechtfertigt
sei. Letztlich wird der Nationalsozialismus auf diese Weise für
tagespolitische Zwecke instrumentalisiert.

Als Konsequenz aus der Schmalspuranalyse und als antideutsche
Realpolitik wird dann die bedingungslose Solidarisierung mit den
konservativsten und aggressivsten Kräften der US-amerikanischen und
israelischen Politik eingefordert. Innergesellschaftliche Widersprüche
in diesen Ländern werden genauso wenig wahrgenommen, wie
unterschiedliche politische Strömungen und Strategien. Regierungen,
Parteien und Bevölkerungen werden zu einem einheitlichen Block
homogenisiert. Die konkreten politischen, sozialen und ökonomischen
Bedingungen bei den Adressaten ihrer Solidarität scheinen die
antideutschen Globalstrategen wenig zu interessieren. Fragen nach
möglichen Ursachen des in den Ländern des Südens weit verbreiteten
Hasses gegenüber der weltpolitischen Rolle der USA, werden als
Antiamerikanismus tabuisiert.

Letztlich wird das alte antiimperialistische Frontdenken unter
umgekehrten Vorzeichen reproduziert. Aus der bedingungslosen und
unkritischen Solidarisierung mit allen "Feinden des Imperialismus" in
den 70er und 80er Jahren, wird - bei z.T. denselben Akteuren - eine
genauso bedingungslose und unkritische Solidarisierung mit der
staatlichen Politik westlicher Groß- oder Regionalmächte.

Um diese Apologie herrschender Politik dann noch als antideutsche
Radikalität verkaufen zu können, muß krampfhaft ein unversöhnlicher
Antagonismus zwischen der aktuellen bundesdeutschen Politik und den
Interessen der USA oder Israels behauptet werden. Dabei ist den
antideutschen Politstrategen keine noch so absurde Verschwörungstheorie
zu blöd.

Bei diesen Feststellungen geht es keineswegs um eine Rationalisierung
oder gar Rechtfertigung einer Politik der Selbstmordattentate. Diese
Attentate beinhalten keinerlei emanzipatorische Dimension. Die Täter
handeln menschenverachtend gegenüber den wahllos produzierten Opfern und
frönen einem widerlichen Märtyrerkult. Auch die Opfer von Ausbeutung,
Verelendung und Unterdrückung haben in der Tat eine Verantwortung für
ihr Handeln und keinen Freibrief zum Amoklauf.

Allerdings ist es infam, die offene Freude eines Horst Mahlers über die
Attentate mit der linken Nachfrage nach möglichen Hintergründen und
Ursachen der Anschläge gleichzusetzen. Hier geht es nicht mehr um eine
kritische Auseinandersetzung, sondern um pure Diffamierung und das
Festklopfen von Diskursverboten. Das Aufzeigen von möglichen Ursachen
und Zusammenhängen beinhaltet nicht automatisch eine Rechtfertigung der
Attentate.

Das Erstarken des Islamismus in Teilen der sog. "Dritten Welt" ist
jedenfalls nicht zu begreifen, ohne eine Analyse der sozialen Misere und
der Gründe des Scheiterns bisheriger emanzipatorischer
Entwicklungsperspektiven in den Ländern des Südens. Auch wenn die Kader
der islamistischen Gruppen in der Regel aus der Ober- und Mittelschicht
stammen, haben sie ihre soziale Basis doch in der verarmten städtischen
und ländlichen Unterklassen. Wird dieser Kontext ausgeblendet, dann
impliziert das auch den Verzicht auf jegliche linke Kritik an den
ungerechten Machtverhältnissen in der Weltpolitik und den
ausbeuterischen Austauschverhältnissen auf dem Weltmarkt.

Die Gleichsetzung jeglicher Antikriegsposition mit den "expliziten
Apologeten des islamistischen Terrors" in der antideutschen Polemik ist
entweder dumm oder zynisch. Nach wie vor gibt es gute Gründe für eine
Antikriegsposition. Bereits die Beantwortung von Terror durch Krieg ist
äußerst fragwürdig. Schon die Kriegsvorbereitungen gegen Afghanistan
führten zu unermesslichem Leid in der Zivilbevölkerung. Bereits vor
Kriegsbeginn waren 1,5 Millionen Menschen auf der Flucht und mehrere
Hunderttausend akut vom Hungertod bedroht. Auch dieser Krieg trifft also
zuerst die Menschen, die schon bisher am meisten unter dem
Taliban-Regime und dem jahrelangen Bürgerkrieg zu leiden hatten.

Das von den Antideutschen beschworene "Glücksversprechen von
Emanzipation und Wohlstand der westlichen Zivilisation" hat sich nie auf
diese Menschen bezogen. In ihren Ohren muß eine solche Argumentation als
blanker Hohn erscheinen. Die von Bahamas empfohlene "direkte
Unterwerfung unter den kapitalistischen Warenfetisch" rettet diese
Menschen keineswegs vor dem Hungertod.

Auch wenn ein Ende des Taliban-Regimes aus emanzipatorischer Perspektive
natürlich zu begrüßen wäre, muß die Frage nach den adäquaten Mitteln,
den möglichen Opfern und der politischen Perspektive einer solchen
Strategie erlaubt sein. Die jetzt von den USA und anderen Staaten
aufgerüstete "Nordallianz" - die z.T. von berüchtigten Kriegsverbrechern
befehligt wird - ist für die Menschen in Afghanistan jedenfalls keine
Alternative.

Wenn man allerdings Taliban-Regime und Bevökerung in Afghanistan zu
einer fanatischen Volksgemeinschaft homogenisiert, erscheinen einem
solche Einwände natürlich unerheblich. Die antideutsche Interpretation
der weltpolitischen Lage als Kulturkonflikt zwischen westlicher
Zivilisation und islamischer Barbarei, transportiert die
Kulturkampfthesen eines Huntington in den linken Diskurs. Eine sehr
gefährliche Debatte: denn das Szenario vom "Kampf der Kulturen" ist die
Hauptursache für die aktuelle Verschärfung des rassistischen Klimas in
nahezu allen westlichen Ländern. Eine Linke, die derartigen Thesen auf
den Leim geht, entwaffnet sich selbst im Kampf gegen die rassistische
Formierung und das verschärfte repressive Klima im eigenen Land. Und
auch für die Antideutschen stand hier doch einmal ihr Hauptfeind.

Autonome aus dem Ruhrgebiet/Bergisch Land            18.10.2001


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