Message 03851 [Homepage] [Navigation]
Thread: oxdeT03832 Message: 15/22 L2 [In index]
[First in Thread] [Last in Thread] [Date Next] [Date Prev]
[Next in Thread] [Prev in Thread] [Next Thread] [Prev Thread]

Re: [ox] 7 Thesen zum "Krieg gegen Amerika"



[1  <text/plain; ISO-8859-1 (8bit)>]
Christoph Reuss schrieb:
Zum Thema "Anti-Deutsche" / Antisemitismus-Keule empfehle ich den Artikel
"Zionism and Anti-Semitism:  A Strange Alliance Through History"  von Allan
C. Brownfeld, Herausgeber des Journal of the American Council for Judaism:
http://www.washington-report.org/backissues/0798/9807048.html
Leider kann ich Englisch nicht gut genug.
Aber ich verstehe nicht ganz, wie Du aus Anlass meiner kritischen 
Randbemerkungen zu den 7 Thesen von C.S.(es sind ja immerhin nur Thesen,
also Einladungen zur Diskussion) auf das Thema 
"Anti-Deutsche"/Antisemitismus-Keule kommst.
Für das posten des Bahamas-Artikel habe ich mich umgehend entschuldigt
(obwohl das nicht so einfach gehen kann) und die Antisemitissmuskeule
will ich absolut nicht schwingen. Aber ein Tabu-Thema, wie momentan
im öffentlichen Diskurs (u. auch in den 7 Thesen), darf es auch nicht werden.
Ich muß feststellen, daß meine Meinung in Bezug auf diese abgrundtief 
unmenschlichen Attentate sozusagen noch "in Arbeit" ist.
Ich will da weder Keulen schwingen noch totschweigen.
Aber der Antisemitismis des Bin Laden und der Taliban geht 
schon aus deren eigenen Verlautbarungen ganz ungeschminkt hervor.  

Er zeigt (aus einer jüdischen anti-zionistischen Perspektive) auf,
wie unzulässig die Gleichsetzung von Zionismus-Kritik mit Anti-Semitismus/
Rassismus ist.  Diese Gleichsetzung, bzw. analog die Gleichsetzung von
Zionismus mit Judentum (wie sie von Zionisten [aber auch von Nazis]
gefordert/behauptet wird), ist schon deshalb unsinnig, weil damit eine
Ideologie mit einer ethnischen/religiösen Gruppe gleichgesetzt wird.

Die Texte der "Anti-Deutschen" offenbaren eine enorme historische
und politische Ignoranz/Verdummung derselben (vgl. auch den
"Bahamas"-Artikel früher auf dieser Liste). Diese selbsternannten
Anti-Rassisten verteidigen vorbehaltlos 
vorbehaltlos - bist Du da sicher? Auf jeden Fall verteidigen
sie das Existenzrecht Israels, was bitter nötig ist. Oder irre ich mich?
Mit ihren kriegstreiberischen Konsequenten liege ich übrigens sehr quer,
genau wie bin diesem 1.Bahamas-Artikel (mittlerweile sind aber
auch andere Töne vernehmbar)

einen Staat, in dem jemand
Kulturminister werden konnte, der die Palästinenser als "Läuse"
bezeichnete (das ist kein Einzelfall -- auch andere Exponenten setzten
Palästinenser mit diversen Tierarten wie z.B. Schlangen gleich), und
in dem Rassentrennung an der Tagesordnung ist.
Auch hier kann ich Dir nicht ganz folgen. Der Staat Israel wird
durch die von Dir zu recht angeprangerten "Exponenten" nicht umfassend
charakterisiert. Solche faschistischen "Exponenten" gibt es in allen
Staate und wie alle anderen ist auch Israel ein bürgerlicher Staat
und muß auch das selbe Existenzrecht genießen dürfen. Selbst
wenn es gänzlich faschistisch werden sollte wie damals Deutschland,
so würde wenigstens das Existenzrecht der Menschen dieses Staates
immer noch weiter existieren. Dieses nackte Existenzrecht wird aber
von Kamikaze und-Selbstmord-Attentätern grundsätzlich bestritten.
Und zwar nicht nur theoretisch! Das halte ich ganz konkret für
nackten mörderischen Antisemitismus. Und ich weigere mich,
in diese Untaten auch nur die Spur eines emanzipatorischen 
Potenzials hinein zu halizunieren. D.h. nicht, daß ich nicht nach
Ursachen suchen und diese auch schonungslos benennen will. 
(wie z.B. Günther Jacob in "Manhattan Transfer 
in Konkret es tut. siehe Anhang)
Eine Rechtfertigung, eine verständnisvolle gar, wird dabei aber nie und 
nimmer herausspringen. 

MfG,
Horst
[2 MUDSCH~1.DOC <application/octet-stream>]

[Das Word-Dokument habe ich durch die ASCII-Version ersetzt. Außer
einer fetten Überschrift war darin mal wieder *nichts*, was DOC
erfordert hätte...]

MUDSCHAHIDINS DES WERTS

Bomben für den Warenfetisch: Die aufklärerische Linke im letzten
Stadium der bürgerlichen Vernunft

Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, daß das Ende des 20.
Jahrhunderts mit dem Ende der Modernisierungsgeschichte zusammenfällt,
dann würde ihn der fortschreitende intellektuelle Verfall der Linken
liefern. Das kritische Bewußtsein verzweifelt an der Kritik, weil es
selber immer schon integraler Bestandteil jener Welt des modernen
warenproduzierenden Systems war, die sich nun schubweise aufzulösen
beginnt. Es gibt kein neues Stadium kapitalistischer Entwicklung mehr,
das noch einmal "fortschrittlich" besetzt werden könnte. Deshalb liegt
es anscheinend nahe, sich angesichts einer drohenden Vernichtung der
gemeinsamen Geschäftsgrundlagen dem Kapitalismus an den Hals zu
werfen. Bei jeder neuen Wende der katastrophischen Entwicklungen und
Ereignisse erleben wir auch eine neue Stampede von Restlinken, die zu
den Hütern des Systems überlaufen.

In einer Gemeinschaft des heulenden Elends, wie es sie in Jahrzehnten
westlichen Bombenregens auf größere Teile des Planeten nicht gegeben
hat, wird nach den barbarischen Kamikaze-Attentaten gegen die USA von
der bereits kriegsgestählten rotgrünen Regierung bis zu vor kurzem
noch linksradikalen Publikationen eine humane bürgerliche Zivilisation
beschworen, die es niemals gegeben hat. Plötzlich gilt es als
Obszönität, vom fundamentalistischen Terror der totalitären Ökonomie
zu sprechen. Wer die paranoiden Taten von New York und Washington aus
den Verhältnissen des vereinheitlichten kapitalistischen Weltsystems
erklärt, wird bezichtigt, sie zu rechtfertigen. Die frischgebackenen
Zivilisationsretter meinen, Kapitalismuskritik müsse jetzt einstweilen
zurückgestellt werden, und setzen den NATO-Stahlhelm auf wie ihre
diversen Vorgänger. Jeder Generation ihre Bellizisten.

Das inzwischen bis zur Unerträglichkeit ausgeleierte Muster dieser
gemeinsamen ideologischen Weltinterpretation von Aufklärungslinken und
offizieller Demokratenvernunft besteht darin, immer wieder die
Konstellation des Zweiten Weltkriegs zu repetieren wie eine
hängengebliebene CD. Der Grund dafür ist leicht erklärbar. Im
Unterschied zum Ersten Weltkrieg, in dem die Raubstaaten der
bürgerlichen Anti-Zivilisation sich in einer buchstäblich
zerfleischenden Konkurrenz gegenseitig abschlachteten, war der Kampf
gegen das Alptraumreich der Nazis der erste und einzige Fall, in dem
eine innerkapitalistische Konkurrenzposition praktisch damit
zusammenfiel, dem in der Wertvergesellschaftung als solcher angelegten
Todestrieb vorübergehend Einhalt zu gebieten. Nur in dieser einmaligen
Situation war es notwendig, mit dem Kapitalismus gegen den
Kapitalismus zu kämpfen, um die bloße Möglichkeit der Emanzipation zu
retten.

Die bürgerliche Vernunft selbst konnte sich weder dieser Konstellation
noch deren Singularität bewußt werden. Sie veräußerlichte die Nazis
ideologisch zu einer fremden, unvernünftigen, nichtkapitalistischen
Monstrosität, der gegenüber "Marktwirtschaft und Demokratie" als das
Reich des Guten in der aufklärerischen Tradition erschien. Dieses
Muster wurde legitimatorisch auf die späteren Großkonflikte
übertragen. Die Geschichte nach 1945 bildete sich im bürgerlichen
Bewußtsein als immer erbärmlichere Farce nach der Tragödie ab; es ging
nur noch darum, das außerdemokratische und außervernünftige "Reich des
Bösen" zu definieren.

Seitdem der staatskapitalistische Block mangels Existenz diesen Part
nicht mehr übernehmen kann, müssen in der fortschreitenden Weltkrise
seit Anfang der 90er Jahre immer abenteuerlichere Gestalten zwecks
weltdemokratischer Legitimation in die Rolle von "Hitler" schlüpfen:
zuerst mit Saddam Hussein ein abgetakelter Modernisierungsdiktator,
dann mit Milosevic der typische Krisenpotentat einer sich auflösenden
Nationalökonomie, schließlich mit Osama bin Laden eine mythisierte
Figur der postpolitischen Banden- und Sektenstrukturen in der über den
Wert rein negativ hergestellten Weltgesellschaft.

Konnte das bürgerliche Denken schon in der realen Konstellation des
Zweiten Weltkriegs die Nazis nicht als legitime Abkömmlinge seiner
eigenen Vernunft begreifen, so muß es bei den bloß noch illusorischen
Wiederholungen immer gewaltsamer Unvergleichbares gleichsetzen und so
den Nationalsozialismus in der Dimension seiner Taten verharmlosen.

Ethno-Nationalismus und religiöser Wahn in den vom Weltmarkt
sozialökonomisch verbrannten Regionen sind nicht dasselbe wie die
antisemitische Weltanschauung und Rassenlehre der Nazis;
auseinanderfallende Zusammenbruchs-Gesellschaften der Peripherie
bilden nicht dieselbe Grundlage wie die gleichgeschaltete Gesellschaft
einer auf Weltherrschaft ausgerichteten und dazu befähigten Macht des
kapitalistischen Zentrums; und militärische Abenteuer verwilderter
Regimes einer gescheiterten "nachholenden Modernisierung" oder gar
Selbstmordattentate religiöser Sekten und anderer Irrläufer der
globalen Fetischverhältnisse haben nicht dieselbe Qualität wie der
Generalangriff des als Industrieweltmacht hochgerüsteten
Nazideutschlands auf die Menschheit.

In demselben Maße, wie man die in rascher Folge einander ablösenden
Hitler-Stellvertreter in immer abgelegeneren Gegenden des globalen
Südens und Ostens lokalisiert, wird das ideologische Konstrukt immer
fadenscheiniger. Der vereinigte demokratische Sicherheits- und
Ausgrenzungsimperialismus kann in der reif gewordenen Weltkrise den
Todestrieb, wie er den Subjekten des Wertverhältnisses inhärent ist,
nicht noch einmal auf dem Boden dieses Verhältnisses aufhalten und
veräußerlichen wie beim Niederringen der Nazis. Die Reife des
kapitalistischen Selbstwiderspruchs zeigt sich auch daran, daß der aus
der globalen Krisenkonkurrenz freigesetzte Vernichtungs- und
Selbstvernichtungswunsch sich ebenso molekular zerstreut wie die
globalisierte Betriebswirtschaft. Deshalb ist es ein vergebliches
Unterfangen des kapitalistischen Zentrums, die von ihm selbst
erzeugten Zonen des Schreckens "draußen in der Barbarei der dritten
Welt" festzubannen und sich selber frei davon zu halten.

Die Selbstmordattentäter von New York und Washington waren negative
Weltbürger und hybride postmoderne Existenzen, die in den USA hätten
Karriere machen können. Ihre Geisteshaltung unterscheidet sich nicht
wesentlich von derjenigen des Oklahoma-Attentäters oder jenes biederen
Schweizers, der vor kurzem ein ganzes Kantonatsparlament
niedergemetzelt hat. Von jetzt an wird man unsicher sein müssen, ob
der unscheinbare Reisende in globaler Boss- oder Adidas-Einheitskluft
nicht womöglich die atomare Kofferbombe mit sich herumschleppt. Diese
Manifestationen des Todestriebs aus dem Inneren der universellen
negativen Weltgesellschaft können nicht mehr als äußere Gegenmacht
identifiziert und mit Flottenaufmärschen und Bombenhagel
niedergeschlagen werden.

Weil das Denken der aufklärerischen Linken ebenso in der Zeitschleife
der projektiv stets von neuem abgespulten Konstellation des Zweiten
Weltkriegs hängen geblieben ist wie die offizielle kapitalistische
Ideologie, konnte der in der "Dialektik der Aufklärung" vorgelegte
theoretische Versuch nie zu Ende geführt werden. Adorno und Horkheimer
hatten, obwohl sie bei ihrer Begründung radikaler Kritik in vieler
Hinsicht das aufklärerische Denkmuster noch nicht überwinden konnten,
dennoch die theoretische Kraft aufgebracht, die Nazis als Resultat
dieser Aufklärung selber statt als äußerliches "Reich des Bösen" zu
begreifen. Gleichzeitig zeigten sie, daß die Entwicklung der
gesellschaftlichen Strukturen sowohl im sowjetischen
Staatskapitalismus als auch in den westlichen Kernländern Elemente
derselben Tendenz enthielt, die in Deutschland zu den Nazis geführt
hatte. Weil sie zeitbedingt noch die arbeiterbewegungsmarxistische
Verkürzung der Kritik der politischen Ökonomie teilten, sprachen sie
dabei von einer "negativen Aufhebung des Kapitalismus" statt von einer
Entwicklungsstufe und Erscheinungsform des Kapitalismus selbst.

Die Enkel der kritischen Theorie in der radikalen Linken haben den
theoretischen Ansatz der "Dialektik der Aufklärung" nicht
weiterentwickelt, sondern verflacht. Während sie eine beweihräuchernde
Adorno-Orthodoxie pflegten, verfälschten die Adepten den Begriff einer
vermeintlichen "negativen Aufhebung des Kapitalismus", indem sie diese
Formel im Gegensatz zu Horkheimer und Adorno außschließlich auf
Nazi-Deutschland bezogen. Damit wurde es möglich, die Frage der
Emanzipation vom Wertverhältnis abstrakt und völlig unbestimmt für
sich in Anspruch zu nehmen, um sie in Wirklichkeit beiseite zu
schieben und sich auf einen ewig wiederholten Kampf zusammen mit dem
(westlichen) Kapitalismus gegen den (deutschen) angeblich "negativ
aufgehobenen Kapitalismus" zu orientieren.

Dieses Konstrukt als linksradikale Variante der gemeinbürgerlichen
Nachkriegsideologie bot über seine Protagonisten hinaus für ein linkes
Spektrum Anknüpfungspunkte, weil damit auch nach dem Ende des
Arbeiterbewegungsmarxismus eine intellektuelle Nische im Rahmen der
Wertvergesellschaftung gefunden schien. Daß es sich mit der wirklichen
Geschichte nach 1945 nicht im mindesten zusammenreimte, mußte es für
ein tatsachenresistentes innerideologisches Denken umso anziehender
machen.

Als radikaloppositionell konnte sich diese Position gegenüber der
offiziellen NATO-Vernunft nur dadurch imaginieren, daß sie die
zugeschriebene Nazi-Rolle lediglich anders besetzte, nämlich
halluzinatorisch mit dem angeblich wiedererwachten altdeutschen
Nationalimperialismus eines nach Weltmacht strebenden "Vierten
Reiches".

Den gelernten Analphabeten in der Kritik der politischen Ökonomie ist
der Charakter der dritten industriellen Revolution als erscheinende
innere Grenze des Systems ebenso entgangen wie der daraus
resultierende Prozeß der betriebswirtschaftlichen Globalisierung. So
konnten sie auch nicht realisieren, daß der nationalimperiale Kampf um
territoriale Annexionen gegenstandslos geworden ist. Während sich die
kapitalistische Macht unter dem Dach der Pax Americana und in der
politisch-militärischen Organisation der NATO längst zu einem
"ideellen Gesamtimperialismus" formiert hat, der heute mitsamt seiner
High-Tech-Militärmaschine die losgelassenen Dämonen seiner eigenen
Weltkrise in der Gestalt von Gotteskriegern, Schurkenstaaten und
Ethnobanditen nicht in die Flasche zurückprügeln kann, ließ eine
verballhornte kritische Theorie in einem miserablen Fantasy-Spiel die
BRD als Weltmachtkonkurrenten der USA überall dort aufmarschieren, wo
die Bundeswehr real in Kompaniestärke und schwerpunktmäßig mit
Sanitätsfahrzeugen agierte.

Die Auseinandersetzung mit der blutsnationalen "deutschen Ideologie"
und der antisemitischen Konstitution des deutschen Nationalstaats
wurde so ohne jeden ernsthaften realanalytischen Bezug auf die
veränderten Weltverhältnisse in einen völlig irrealen Kontext gestellt
und damit entwirklicht. Auch die beiden demokratischen
Weltordnungskriege der 90er Jahre nahmen die antideutschen
Geisterseher der Weltkriegsepoche ausschließlich durch die Brille
ihres anachronistischen Konstrukts wahr.

So wurde der Golfkrieg gegen den Irak einzig deswegen befürwortet,
weil die BRD nicht direkt (sondern nur finanziell) beteiligt war, und
daraus die originelle Schlußfolgerung gezogen, die Kohl-Regierung
rüste sich unter ideologischer Führung der Friedensbewegung zur
Wiederholung von Auschwitz durch ihren Strohmann Saddam Hussein. Auf
diese Weise gelang es mit traumwandlerischer Sicherheit, auch die
Kritik am tatsächlich aufkeimenden Linksnationalismus, völkischen
Denken und klammheimlichen Antisemitismus in der Friedensbewegung
grotesk zu entwirklichen. Von der offiziellen demokratischen Version
des Hitler-Spiels unterschied sich diese nur noch durch die Betonung
des angeblichen deutsch-nationalimperialen Hintermanns.

Umgekehrt genügte die subalterne militärische Beteiligung der BRD im
Kosovo-Krieg, um nicht nur plötzlich wieder Kriegsgegnerschaft zu
spielen, sondern auch den staatskapitalistischen Mafia-Paten Milosevic
zum Friedens-Staatsmann gegen den deutschen Imperialismus zu ernennen
und ebenso wie diverse Neonazis bierselig die faschistischen Cetniks
hochleben zu lassen. Diese völlige Verblendung führte dazu, allen
Ernstes den USA vorzuwerfen, sie führten auf der falschen Seite Krieg.
Es lohnt nicht, die verschwörungstheoretischen Ergüsse weiter zu
beleuchten, deren Höhepunkt schließlich darin bestand, in den
gottverlassenen Schluchten des südlichen Balkan den strategischen Show
Down zwischen der völkischen "Supermacht" Deutschland und den armen,
über den Tisch gezogenen, die aufklärerischen Ideale repräsentierenden
USA anzusiedeln.

Derart närrische Interpretationsleistungen von sonst intelligenten
Leuten rühren aus einer Art Kategorienfehler: Weil sie überhaupt
keinen Begriff der fetischistischen Konstitution von Gesellschaft
haben, die stets in blinde Objektivierung und subjektiv-ideologische
Repräsentation auseinanderfällt, verwechseln sie die Realität von
weiterwirkenden ideologischen Traditionen, Stimmungen und Verwerfungen
mit der anderen, wenngleich damit vermittelten Realität von
objektivierten Prozessen auf der Ebene der kapitalistischen Struktur
und ihres "automatischen Subjekts". Das antisemitische Stereotyp im
Kopf von deutschen Friedensbewegten wird dann kurzgeschlossen mit der
Entwicklung des Kapitalismus, die Entwicklung der Weltverhältnisse
genau verkehrt herum aus "Ideologiebildungen" abgeleitet (und damit
die angebliche Ideologiekritik selber in eine Ideologie verwandelt).
Hinter dem Denkfehler verbirgt sich allerdings ein bestimmter Reflex,
nämlich der panische Rückzug auf die kapitalistische Ontologie und
deren abgründig verlogene aufklärerische Legitimation, sobald die Lage
unübersichtlich und gefährlich wird.

Der zusammen mit der kapitalistischen Weltkrise reif gewordene
Realitätsverlust dieses Denkens fand nun Gelegenheit, anhand der
Ereignisse des 11. September 2001 seine wahre Natur zu offenbaren. Nur
noch nebenbei wird die bisherige Fantasy-Story weitergesponnen, wonach
natürlich die islamischen Kamikaze-Terroristen ausführende Organe des
deutschen völkischen Nationalimperialismus in seiner Götterschlacht
gegen die USA gewesen sein und letztere folglich Hamburg-Harburg samt
der dortigen Hochschule als Brutstätte des deutsch-islamischen
Terrorismus mit Cruise Missiles dem Erdboden gleichmachen müßten.

An dieser Stelle wird das ganze Konstrukt jedoch in seiner Absurdität
derart überdehnt, daß es wie eine Seifenblase platzt, um fast im
selben Atemzug einer ganz anderen, kaum weniger absurden Version zu
weichen: Plötzlich wird uns "der Islam" als die eigentliche Wiederkehr
des Nazi-Reiches aufgetischt, der Koran als die neue Lesart von "Mein
Kampf" entdeckt, der Kamikaze-Terrorakt mit Auschwitz analog gesetzt;
und die antisemitischen Deutschen sehen sich von allein in Frage
kommenden Haupttätern zu wankelmütigen Helfershelfern oder gar bloßen
Sympathisanten des neuen "Reiches des Bösen" heruntergestuft (wie man
den schrillen Erklärungen der "Bahamas"-Redaktion entnehmen kann). So
ganz nebenbei löschen die intellektuellen Amok-Flaneure alle
bisherigen Essentials über die Singularität der Nazis und ihres
Menschheitsverbrechens von ihrer ideologischen Festplatte.
Enzensberger übergipfelnd, der in Saddam Hussein den Wiedergänger
Hitlers zu sehen wähnte, hat man nun glücklich die deutsche Geschichte
in den Orient expediert.

Dazu paßt es, die Ereignisse nicht mehr im Licht der
Kapitalismuskritik zu betrachten, sondern im Gegenteil vom Standpunkt
eines Abfeierns der kapitalistischen Moderne gegen eine halluzinierte
"Vormodernität" des Islamismus, der ungefähr so mittelalterlich ist
wie die Propheten der New Economy. In einem übelriechenden Schwall
kommt der ganze Herrenmenschen-Rassismus eines Kant oder Hegel
zusammen mit dem irrationalen Haß der postmodernen Konsumfetischisten
gegen das Phantasma einer ruralen Bedürfnisarmut hoch, um die genuin
kapitalistisch-moderne Pest des Antisemitismus letztlich in einen
imaginären vormodernen Raum zu veräußerlichen. Während man in einem
Nebensatz noch vorgibt, von der Modernität des Terrors in der Einen
Welt des Kapitals zu wissen, verwandeln sich gleichzeitig die per
Internet kommunizierenden terroristischen Einser-Studenten in
Repräsentanten eines aufständischen globalen "Dorfdeppentums", dem der
Warenfetisch erst noch in die Köpfe gebombt werden müsse.

Die Simulanten der kritischen Theorie entpuppen sich als Mudschahidins
des Werts. Einerseits tun sie so, als wären die Taliban gerade dabei,
aus den Bergen Afghanistans im Westen einzumarschieren und ein
globales Schreckensreich nach dem Muster der Nazis zu errichten; und
als stünden die islamischen Heerscharen mit ihren Krummsäbeln bereits
kurz vor Berlin, wird die lächerliche Alternative aufgemacht, wir
müßten nun hierzulande dringend eine Entscheidung zwischen der
drohenden Herrschaft der Scharia und dem guten alten Kapitalismus
treffen, die dann natürlich aufatmend zugunsten des letzteren
ausfällt. Die von Wahnvorstellungen getriebenen Terroristen werden
plötzlich als dessen eigentliche "Feinde" deklariert, während die
abgeklärten jüngsten NATO-Linken sich nicht mehr so sehr als "Feinde
des Kapitalismus" fühlen.

Andererseits kommt es so heraus, daß den ungewaschenen Vormodernen,
die der Kapitalismus in Wirklichkeit höchstselbst in das
Taliban-Regime geschleudert und denen er keine schönen
Auswahlmöglichkeiten gelassen hat, erst mal kapitalistische Manieren
in die Seele geprügelt werden sollen. Man wünscht sich die
Wertkritiker, die es jetzt erst recht sein wollen, "nach Afghanistan",
damit sie mal sehen, wie lebensunwert eine Welt ohne TV ist. Den Rest
mag die US-Army erledigen. Wer mehr als ein halbes Jahrhundert nach
ihrem Erscheinen nicht über die "Dialektik der Aufklärung"
hinausgekommen ist, muß dahinter zurückfallen.

Während Adorno und Horkheimer in einer Situation, die wirklich eine
US-Uniform für die kritische Vernunft erforderte, dennoch die Wurzeln
des mörderischen Wahns in der aufklärerischen Ideologie nachwiesen,
möchten die über die Aufklärung unaufgeklärten sekundären Dorfdeppen
des Warenfetischs in der heutigen Situation, die für die kritische
Vernunft alles andere als eine US-Uniform erfordert, ganz platt mit
den bürgerlichen Illusionen des 18. Jahrhunderts ihre eigenen
Illusionen retten und noch einmal einen Kindergeburtstag jener
Aufklärung feiern, die nicht einmal mehr eine stinkende Leiche ist.

Am Ende der Modernisierungsgeschichte fallen Fortschritt und Reaktion,
Aufklärung und Gegenaufklärung in der zerbrechenden gemeinsamen Form
der Wertvergesellschaftung unmittelbar zusammen. Und es erweist sich,
daß "pursuit of happiness" nie etwas anderes gemeint hat als die
Erlaubnis, in der kapitalistischen Vernichtungskonkurrenz dem
Selbsterhaltungstrieb zu frönen, die Kantsche "reine Form apriori" nie
etwas anderes als ein Weltvernichtungsprogramm und sein "ewiger
Friede" nichts anderes als die Friedhofsruhe einer vom Wert
verwüsteten Welt. Das Transzendentalsubjekt studiert in
Hamburg-Harburg und anderswo High-Tech und den Koran oder die
"Bahamas"; sein kategorischer Imperativ ist das reale oder
intellektuelle Selbstmordattentat.

Mit der Projektion eines angeblich nie in der wunderbaren Modernität
angekommenen Islam als Reinkarnation der Nazis ist das linksradikale
ideologische Revival der Anti-Hitler-Koalition zwar nicht
intelligenter, dafür aber endlich deckungsgleich geworden mit der
gemeindemokratischen Version. Ein Unterschied besteht nur noch in der
Intensität des von Verdrängung eigener Widersprüche geprägten Willens
zum Losschlagen: Die Position der verkürzten Kritik ist umgeschlagen
in die Position von Hardlinern und Huntingtons hoch drei, die dem
Westen "Appeasement-Politik" und unverzeihliche Skrupel gegenüber dem
gesamtislamischen "Reich des Bösen" vorwerfen. Indem man den Deutschen
und der rotgrünen Regierung noch antisemitisch bedingtes Zögern
vorwirft, läßt man schon durchblicken, sie könnten sich durch die
Bombardierung der moslemischen Slums im Krisenbogen zwischen
Indonesien und Mauretanien womöglich von Auschwitz befreien.

Ohne es zuzugeben, ist die angebliche Ideologiekritik auf diese Weise
mit dem aktuellen Aggregatzustand der "deutschen Ideologie" durchaus
intim geworden. Im Bewußtsein der deutschen völkischen Weltbürger hat
sich nämlich das Moment des offenen oder versteckten Antisemitismus
längst widersprüchlich amalgamiert mit einem antiarabischen Rassismus.
Einerseits werden bekanntlich die Deutschen den Juden Auschwitz nie
verzeihen (sekundärer Antisemitismus). Weit davon entfernt, deswegen
mit irgendeinem Islamismus zu sympathisieren, pflegte andererseits das
deutsche Autofahrer-Bewußtsein schon zu Zeiten der Ölkrise seine Wut
auf "die Scheichs"; und es erkennt jetzt in jedem irgendwie
orientalisch aussehenden Zeitgenossen einen potentiellen
Kehlenaufschlitzer, ohne zu merken, daß es selbst am Rand des
Überschnappens steht. Volkes Stimme ist auch gegen "Appeasement". Am
besten die Atombombe drauf, damit die da unten endlich Ruhe geben und
weiter billigen Treibstoff für die kapitalistische Weltmaschine
liefern.

Das eher mittelständische und intellektuelle Bewußtsein von
"Marktwirtschaft und Demokratie" dagegen zaudert weniger wegen seiner
durchaus vorhandenen antisemitischen Ressentiments, sondern vielmehr
aus Angst vor einer unbeherrschbaren Eskalation der Krisenprozesse.
Obwohl man selber in der radikal-ökonomistischen Zurichtung aller
Lebensbereiche die Grenze zur Paranoia längst überschritten hat,
möchte man den galoppierenden Wahn der negativen Weltgesellschaft am
liebsten ausblenden und eine gutbürgerliche Normalität
wiederherstellen, die es schon nicht mehr gibt. Die grausame
Wirklichkeit soll sich wieder in einen "Film" zurückverwandeln, den
man anschauen kann oder auch nicht; die Realexistenz von Elend, Hass
und Todessucht ein folkloristisches Studienobjekt für Hauptseminare
und ein Gegenstand für NATO-Friedenstruppen bleiben, aber nicht als
fliegende Bombe in die eigene Lebenswelt einschlagen. Das
weltzerstörende, an sich selbst irrationale System der Wertverwertung
muß um jeden Preis erhalten werden, aber wir haben Verständnis für
alle Sorgen und Nöte und "Kulturen". Die Besinnungslosigekit selber
ist es, die nach "Besonnenheit" ruft.

Was die bellizistischen linken Spätaufklärer absondern, stellt
allerdings so ziemlich die dümmste und dumpfeste ideologische Reaktion
auf die akut drohende Weltbarbarei dar. Schon in der Vergangenheit
hatten sie die Reformulierung der Marxschen Krisentheorie abgewehrt
und überhaupt die konsequente Wertkritik als eine Art "ökonomistisches
Spezialistentum" bewußt mißverstanden, um die eigene theoretische
Befangenheit in der Subjektform des Warenfetischs und in der
dazugehörigen aufklärerischen Geschichtsmetaphysik unangetastet zu
lassen. Jede Kritik an der kapitalistischen Form des Reichtums wurde
denunziatorisch mit einer Propaganda für konservativen Konsumverzicht
gleichgesetzt. Jetzt holt der dramatische Zerfall der bürgerlichen
Subjekt- und Politikform eine schon immer bloß halbe und deshalb
unwahre Kritik ein.

Den wenigsten, die auf dieser schiefen Bahn eines
Identitätszusammenbruchs mit davongewirbelt werden, ist wohl bewußt,
daß sie sich von der Kritik bereits verabschiedet haben. Alle, die
jetzt für den Krieg gegen die angeblich "vormodernen,
außerkapitalistischen Barbaren" stimmen, werden nie mehr unbefangen
gegen die brutalisierte Ausländer- und Asylpolitik des demokratischen
Sicherheits- und Ausgrenzungsimperialismus auftreten können.

Für radikale Kritik kommt es jetzt darauf an, sich von der eigenen
unreflektierten Angst nicht kriegshetzerisch machen zu lassen. Es war
von Anfang an richtig, in den Weltordnungskriegen seit Beginn der 90er
Jahre jede positive Parteinahme zu verweigern. Auch wenn die
Möglichkeit einer gesellschaftlichen Wirksamkeit als schwach
erscheint, gilt es dennoch, gegen die falschen Alternativen dieser an
ihren Selbstwidersprüchen zugrunde gehenden Welt von "Marktwirtschaft
und Demokratie" eine eigenständige wertkritische Position zu behaupten
und weiterzuentwickeln.

Kritische Vernunft weiß schon längst, daß die Erniedrigten und
Beleidigten nicht die besseren Menschen sind, und daß das
"automatische Subjekt" der Moderne nicht mit seinen persönlichen
Repräsentanten verwechselt werden darf. Erst recht, daß es kein Zurück
hinter die warenproduzierende Moderne geben kann, sondern nur die
Transformation über ihre destruktive Form hinaus. Gerade weil wir
Produkte der Aufklärung sind, müssen wir die emanzipatorische Kritik
der Aufklärungsideologie angesichts ihrer verheerenden Resultate zu
Ende führen. Deshalb: Mitgefühl ohne den Beigeschmack des
Ressentiments für alle Opfer; für die unter den Trümmern des World
Trade Center begrabene Brokerin ebenso wie für den von NATO-Bomben
zerfetzten Namenlosen. Und nicht das kleinste Zugeständnis an dieses
System.
________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


[English translation]
Thread: oxdeT03832 Message: 15/22 L2 [In index]
Message 03851 [Homepage] [Navigation]