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Re: [ox] Die Säge der Benita Torres



Hi Christoph und Liste!

Besser hätte ich es gar nicht auf den Punkt bringen können. Danke!

3 days ago Yetipress wrote:
Benita Torres ist so etwas wie die Nationalheldin von Tomos. Sie war unter
den ersten EinwanderInnen, die nach Tomos kamen, weil sie von den anderen
Planeten die Schnauze voll hatten. Die Legende erzählt, Benita Torres habe
als Datentechnikerin in einem der schmuddeligen High-Tech-Sweatshops ihres
Heimatplaneten gearbeitet. Sie war gerade dabei, mit einer Hochleistungs-Säge
die Rückwand eines Datenspeichers zu öffnen - Benita konnte sich nie recht
abfinden mit der Philosophie des geplanten Verschleißes, wonach man kaputte
Geräte sofort wegzuwefen hat, damit die Wirtschaft floriert - als sie zu
ihrem Chef gerufen wurde. Der Chef eröffnete ihr, er schätze ihre
Arbeitsleistung wirklich außerordentlich, der Betrieb verdanke ihr viel, aber
die konjunkturelle Lage - die Gewinnmargen - die Konkurrenz - kurzum, sie sei
gefeuert.
Benita, in Latzhose und hochgekrempelten Ärmeln, die Säge immer noch in der
Hand, sah den Chef ruhig an. Sie hatte so etwas oft genug erlebt. Dann trat
sie an seinen Schreibtisch - eine wunderschöne, polierte Edelholzarbeit - und
sägte ihn mitten durch. Der Tisch mit all den Geräten und Papieren stürzte
mit ohrenbetäubendem Lärm zusammen. Benita nahm die kleinere Hälfte des
Schreibtischs, mitsamt den zwei Tischbeinen, die da noch dranhingen, sagte:
"Aber das gehört mir!", drehte sich um und ging.
Der Name des Chefs ist nicht überliefert. Es wird erzählt, seine Sekretärin
habe ihn Stunden später gefunden, wie er immer noch mit unverwandtem Blick
auf die offene Türe starrte, durch die Benita Torres hinausgegangen war.

Theoretisch gesprochen: Sozialdemokratismus pur. Die (un)fröhliche
Urständ der alten Arbeiterbewegung, die sich immer um ihren
"gerechten" Anteil an der Mehrwertproduktion sorgte - allerdings nicht
erst bei der Kündigung. Wo das historisch hingeführt hat, können wir
in den Nachrichten betrachten.

Immanent/Zweckmäßig gesprochen: Ja wäre die ChefIn TomistIn gewesen,
so hätte sie der ArbeiterIn das Haus bzw. die Wohnung entrissen mit
der einfachen Begründung "Aber das gehört mir!. Ich habe dir bisher
sowieso zuviel gezahlt. Ach so, und außerdem bist du gefeuert." Wäre
sie schlau gewesen, die ChefIn, so hätte sie das nur mit entsicherter
Waffe getan. Dann wäre auch der Zwischenfall mit dem Schreibtisch
nicht passiert.

Fundamental gesprochen: Beide sind nicht über den Deal hinausgekommen.
Daß die eine meint, die andere sei im Vorteil, macht das Problem in
keinster Weise kleiner - unabhängig davon, ob es nach irgendwelchen
Kriterien stimmt oder nicht. Beide standen in einem instrumentellen
Verhältnis zueinander und der Tomismus fördert genau das. Das schiere
Gegenteil von Selbstentfaltung.


						Mit Freien Grüßen

						Stefan

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Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


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