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Re: [ox] WOS2 -- Wohlstand



Hallo ihr Ungläubigen :)

eigentlich wollte ich auf die letzte Mail, 

On Sun, 28 Oct 2001, Stefan Meretz wrote:


Hi Gregor und alle,

da ich einige Zeit offline war, erst jetzt meine Antwort.

Gregor Zeitlinger wrote:
 >>Begriff selbst. Wenn du VWL studierst, dann steht der Ökonomiebegriff
 >>vermutlich nicht zur Disposition, er wird vermutlich eher die
 >>Grundlage der VWL sein.
 >>
 > VWL heißt ja Volkswirtschatfslehre, eine Definitions (wohlgemerkt
 > _eine_) dazu habe ich mal aus einem Einführungbuch (Economics von
 > Samuelson/Nordhaus) rausgesucht:
 >
 > Volkswirtschaftslehre ist die Wissenschaft vom Einsatz knapper
 > Resourcen durch die Gesellschaft zur Produktion vertvoller
 > Wirtschaftsgüter und von der Verteilung dieser Güter unter ihren
 > Mitgliedern.

Mir fällt zweierlei auf: Nach der Produktion handelt es sich nicht um
Produkte, sondern um Wirtschaftsgüter; Resourcen sind knapp,
Wirtschaftsgüter sind wertvoll. Diese umgangssprachliche Definition
mündet in die ökonomischen Dogmen, die wir alle kennen:
- Produkte sind Wirtschaftsgüter und haben Warenform
   (das steht da nur implizit: ein Gut nicht für mich oder dich,
   sondern für die "Wirtschaft" ist notwendig eine Ware);
- ugs. "wertvoll" sind nur "werthaltige" Güter, also Güter in
   Warenform;
- nicht nur Ressourcen sind knapp, sondern Güter in Warenform
   _müssen_ knapp sein und ggf. gemacht werden, weil sie sonst
   ihre Warenform verlieren (auch das eine Implikation).

Das nenne ich Ideologie. Sie steht in der Def. nicht wörtlich drin, ist
aber dort impliziert. Das ist bei Ideologien übrigens immer so: Der
ideologische Charakter liegt nicht auf der Hand, sondern wird erst
offenbar, wenn man die ganzen ungenannten und unhinterfragten
Rahmensetzungen hinzunimmt.

Nur am Rande als Frage an alle: Gibt es überhaupt eine Denkform, die
nicht-ideologisch ist? Klar scheint mir, dass die Behauptung einer
Ideologiefreiheit selbst in jedem Fall ideologisch ist. Darin steckt
nämlich stets der Versuch, etwas als "rational", "normal", "evident",
"objektiv" zu deklarieren, um es sakrosankt zu machen. Es ist der
Versuch, auf etwas Drittes, Quasi-Naturhaftes, Unhinterfragbares zu
rekurrieren.

Du kannst ja mal spassenshalber versuchen, eine Ökonomie jenseits der
Warenform (=Wertform) zu denken. Und wenn dir das gelingen sollte und du
erzählst es jemandem, dann wird der dich für verrückt erklären
(wenigstens in der VWL und BWL). In Oekonux geht es dagegen genau darum
(jedenfalls mir).

 > Danach würde sie sich zwar nicht mit per se nicht-knappen Resourcen
 > auseinandersetzen, das ist aber natürlich nicht so. Ein Ansatz besteht
 > darin, die nicht-knappheit zu leugnen (Intellectual Property Rights).
 > Ich finde es aber nützlicher, den Begriff auf knappe und nicht-knappe
 > Güter zu erweitern. Dadurch werden nämlich nicht alle ökonomischen
 > Theorien über den Haufen geworfen, aber die Unterscheidung erlaubt
 > eine systematischere Einordnung von knappen und nicht-knappen Gütern.
 > Ich glaube historisch wurde den knappen Gütern mher Aufmerksamkeit
 > geschenkt, weil man dachte, daß man sich um die anderen nicht kümmern
 > brauchte, da sie ja alle haben können, es also kein Allokationsproblem
 > gibt. Es ist natülich falsch, daß es deshalb uninteressant wäre, sich
 > damit zu beschäftigen.

Hier kippst du übrigens von den (nicht-)knappen Ressourcen in die Rede
von den (nicht-)knappen Gütern um. Ist das für dich das Gleiche? Was ist
dann aber der Unterschied zwischen "Ressource" und (Wirtschafts-)Gut?

 > Vielleicht können wir so etwas unideologischer einen gemeinsamen
 > Nenner finden, was wir unter Ökonomie verstehen (wir können natürlich
 > auch gerne ein anderes Wort nehmen, was nicht so vorbelastet ist).

Gut, lass uns ein anderes Wort nehmen und die Probleme
gesellschaftlicher Produktion und Verteilung jenseits der Warenform
diskutieren. Das ist IMHO auch der Sinn dieser Liste, die per Def.
gucken will, ob und wie sich die Prinzipien Freier Software
gesellschaftlich verallgemeinerbar ist, ob sie als Schnittmuster für
eine andere gesellschaftliche Produktionsweise taugen.

 >>In einem ideologischen Denksystem kann ich nur die Ideologie denkend
 >>reproduzieren. Ich kann nicht ökonomisch gegen deine Argumente
 >>angehen,
 >
 > Meinst du damit VWL nach der oben genannte Definition oder nach
 > spezielleren Annahmen?

Die nach der obigen Def. mit den von mir genannten Implikationen.

 >>Wenn es um die Rettung von Menschen geht, dann kann ich dir nur sagen:
 >>Die allermeisten Menschen würden gerettet, würde endlich die Ökonomie
 >>als verselbstständigtes, gegen die Lebensinteressen der Menschen
 >>tobendes System beendet würde.
 >>
 > Dann sag doch lieber Neoliberalusmis statt Ökonomie, so wie oben
 > Windows-Software statt Software korrekt gewesen wäre.

Nee, ich sage bewusst Ökonomie, weil es *letztlich* egal ist, welche
Regulationsform in Anschlag gebracht wird. Nur den Neoliberalismus zu
kritisieren bedeutet, die Ökonomie und ihre Ideologie zu rechtfertigen.

 >>Begründung und Ineffizienznachweis: Es sterben
 >>jeden Tag 100000 Menschen an Unterernährung (FAO-Weltbericht 2001),
 >>also an der Ökonomie weltweit (andere ökonomische Folgen nicht
 >>eingerechnet).
 >>
 > Natürlich ist es das. Aber sie sterben nicht an Ökonomie, sondern an
 > den Folgen des bestehenden politischen, miltärischen und ökonomischen
 > Systems weltweit. Es stirbt ja auch keiner an Politik.

Du stimmst mir also zu: Die Menschen sterben an den Folgen des
polit-militär-ökonomischen Systems. Bingo! Das ist genauer formuliert,
denn Ökonomie bedeutet notwendig Staat, Militär, Politik usw. Das sind
verschiedene Regulationsinstanzen, die auch ihre relative Eigendynamik
entwickeln können. Auf was sie regulierend einwirken, ist die Ökonomie.
Die ist schon deshalb sakrosankt, weil es ohne Ökonomie die
Regulationsinstanzen nicht gäbe.

 >>Was wir brauchen, ist eine andere Form unser Leben zu produzieren als
 >>die ökonomische. Eigentlich sehr simpel. Ein Kriterium, dass StefanMn
 >>auf der WOS genannt hat, habe ich vehement unterstützt: kein Tausch.
 >>Eine Art Lackmustest.
 >>
 > Jedes System ein Leben in einer Gesellschaft zu organiesieren, hat ein
 > ökonmisches System, ob mit Tauschhandel oder ohne. Ich glaube ich
 > diesen Punkt nun oft genug wiederholt.

Und ich habe deutlich gemacht, dass ich darin den Kern der
Ökonomie-Ideologie sehe. Aber wir wollten uns ja auf eine andere
Sprachregelung einigen, da ja klar ist, das die Menschen ihr Leben und
ihre Bedingungen herstellen. Ich nenne es gerne einfach (Re-)Produktion,
denn das ist IMHO der Kern: Menschen finden den ganzen Kram nicht
einfach vor, sondern sie stellen ihn her. Und das muss nicht notwendig
in einer Sondersphäre geschehen, die heute "Ökonomie" genannt wird.

 >>Das ist wie bei Hilbert: Ein mathematisches System kannst du mit den
 >>Mitteln des Systems nicht beweisen oder kritisieren. Du brauchst
 >>Axiome, die nicht aus dem System abgeleitet werden können (sonst wären
 >>es ja keine). So ist das mit der Ökonomie: Sie basiert auf Kategorien,
 >>die du immanent nicht kritisieren kannst. Um das System zu kritisieren
 >>musst du aber die Kategorien kritisieren, und das geht nur, wenn du
 >>dich gedanklich aus dem System begibst. Und du musst das System in
 >>seiner immanenten Logik natürlich kennen, da stimme ich dir zu.
 >>
 > Ok, dann benutze doch mal bitte die (zugegebenermaßen nicht optimale)
 > Definition, die ich oben genannt habe. Dann sage mir, welche diese
 > Defintion nicht umfassende Mittel man bräuchte, um die VWL (ich hoffe
 > es stört Dich nicht, daß ich VWL und Ökonomie als Synonyme benutze,
 > für Ökonomie kenne ich nämlich sonst keine geeinnete Definition :) )
 > zu kritisieren.

Du fragst mich also nach solchen Kategorien ausserhalb des Systems? Ich
habe oben versucht, in dem ich zeigte, dass die Def. bestimmte
Randbedingungen braucht, um "ökonomisch" zu funktionieren. Aber auch
schon ohne die zusätzlichen Randbedingungen kann man erkennen, dass die
Warenform eine notwendige Implikation ist. "Warenform" ist so eine
Kategorie ausserhalb des Systems.

 >> > Es wäre natürlich auch logisch, bestimmte Vorraussetzungen in Frage
 >> > zu stellen und damit alle Schlußfolgerungen die darauf beruhen. Das
 >> > tue ich ja auch.
 >>
 >>Das konnte ich nicht finden.
 >>
 > Ein Beispiel habe ich bereits bei der Definition genannt. Ansonsten
 > bin ich vorsichtig, weil ich erst ein Semester VWL studiert habe und
 > ich kann mir durchaus vorstellen, daß später - ähnlich wie in der
 > Schule - gesagt wrid: so haben wir das ja nicht gemeit, sondern nur
 > der Einfachheit halber angenommen.

Na siehst du: So geht es mir mit der obigen Definition.

 >> > Aber trotzdem bleiben immer noch logische Zusammenhänge, die nicht
 >> > auf diesen Vorraussetzungen beruhen.
 >>
 >>Welche?
 >>
 > das Beispiel der Defintion oben wäre so ein Beispiel.

Wie ich zeigen konnte, zeigt die Definition keine in sich geschlossene
Logik. Das Beispiel ist also kein solches Beispiel.

 > Der Fakt, daß es auch nicht-knappe Güter gibt, zerstört nicht alle
 > Überlegungen über knappe Güter, obwohl manche Schlußfolgerungen
 > korrigiert werden müssen.

Es ist interessant, dass die "nicht-knappen Güter" die ökonomische Logik
doch erheblich irritieren. Die Reaktion ist in aller Regel - Freie
Software implizit und Oekonux explizit sind die einzigen(?) Ausnahmen -,
sich einen Hebel zu überlegen, die "irritierende" Nicht-Knappheit wieder
abzuschaffen, um sie ökonomisch kompatibel zu machen. TRIPS ist so ein
Beispiel auf transnationaler Ebene.

Warum ist das so? Weil die Warenform der Güter zersetzt wird. Und das
ist der Anfang von Ende der Ökonomie.

 >>Ich bemühe mich - wo habe ich mich unklar ausgedrückt?
 >>
 > Vielleicht habe ich mich ja auch undeutlich ausgedrückt. Hiermit habe
 > ich jedenfalls gesagt, was ich unter Ökonomie verstehe: VWL. Und eine
 > Definition habe ich auch vorgeschlagen. Ich wäre aber gerne für eine
 > sinnvolleren zu haben.

Gut, ich habe begründet, warum Ökonomie (und damit VWL) Setzungen und
Implikationen enthält, die bereits Ergebnisse vorwegnehmen, die ich aber
infrage stelle. Wir brauchen eine Definition, die die Warenform nicht
als implizite oder explizite Bedingung enthält. Die Definition muss so
weit sein, das Warenform und Nicht-Warenform produzierter Güter da rein
passen.

Mein Vorschlag war: (Re-)Produktion des gesellschaftlichen Lebens. Oder
etwas kürzer: gesellschaftliche (Re-)Produktion.

Ciao,
Stefan



-- 
Gregor Zeitlinger      
gregor zeitlinger.de

________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


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