Re: Re(2): [ox] WOS2 -- Wohlstand
- From: Dirk Herrmann <dirk.herrmann UniBw-Hamburg.DE>
- Date: Sat, 3 Nov 2001 16:06:58 +0100
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Am Samstag, 3. November 2001 14:50 schrieben Sie:
Hallo Dirk, hallo alle,
Die Ökonomie bzw. die vermutlich damit gemeinten Damen und Herren
Wirtschaftswissenschaftler "blöken" eher selten, in der Regel versuchen
sie ihre Erkenntnisse,die immer nur Einzelerkenntnisse anhand von z.B.
statistischen Daten sind, die sie dann auf einen erweiterten, komplexeren
Rahmen zu übertragen versuchen, doch in einer logischen
Argumentationskette aufbauen und als Ratschlag an die in dieser, hier
vielfach kritiserten Gesellschaftsform, herrschenden Unternehmen als
mögliche und sinnvolle Handlungsalternativen weiterzugeben. Wohl aber ist
auch den Ökonomen (so auch mir) das Poppersche Schwanensyndrom durchaus
ein Begriff, wobei dies ja nicht nur die BWL/VWL trifft, sondern nahezu
ALLE Geisteswisschenschaften.
Eine qualitative Ökonomik würde dagegen dem Grund dieser "universellen
Knappheit" auf die Schliche kommen wollen. Sie würde sich die
Produktion anschauen, die Organisation etc.
Ich weiss zwar nicht,was ich denn eigentlich im Fach
Technologiemanagement /Industriebetriebslehre Anderes gelernt habe als
genau dies, und Organisation ist eines der sich am schnellsten an
bestehende Veränderungen der Umwelt anpassende Richtung der BWL. In
beiden Fächern schreibe ich in einem Monat meine Diplomklausuren, falls
ich da noch Gedanken zugereicht bekommen könnte, die nicht mal den
hiesigen Vertreter dieser Disziplinen bekannt sind, wäre ich sehr
dankbar.
Das ist schon alles richtig beschrieben, wie Du das hier
wiedergegeben hast: Die Ökonomen kommen zu
Einzelerkenntnissen aufgrund von statistischen Daten und die
BWLer versuchen daraus dann Handlungsanweisungen an die
Unternehmen abzuleiten - mitunter auch natürlich an den Staat,
bezüglich Rahmengesetzgebung usw. Aber irgendwie funktioniert
das alles jeweils nur unter Ceteris Paribus Bedingungen, heißt, die
Annahme A gilt nur wenn, B, C, D und so weiter gleich bleiben.
Dass dies in der Realität natürlich nicht so ist, wissen auch die
Leute, die diese ceteris paribus-Laborbedingungen nutzen. Das
führt dann in mancher VWL-Lehrbuch-Einführung zu
einschränkenden Zugeständnissen, nämlich dass die Lehre nicht
den Anspruch habe, die Wirklichkeit abzubilden. Es ist insofern
auch kein Wunder, dass - wie Du selbst schreibst - die moderne
ökonomische Theorie immer weitere Ansätze entwickelt um dem
Phänomen der realen Zusammenhänge näherzukommen, um
Dinge zu erklären, die in die bestehenden Modelle nicht
reinpassen.
Auch wenn manche dieser neuen Ansätze teilweise wirklich ganz
interessant sind, weil sie Aspekte der "Realität" (best.
menschliches Verhaltens oder Institutionen), die lange Zeit schlicht
ignoriert wurden, inzwischen auch wahrnehmen, bauen sie doch
allesamt - soweit mir das bekannt ist - auf spezifischen Prämissen
auf, nämlich auf jene der modernen ökonomischen Theorie. Diese
Ansätze verstehen sich zumeist als Erweiterung oder Ergänzung
der bestehenden herrschenden volkswirtschaftlichen Theorie. Zwei
dieser Prämissen, die der Theorie vorgelagert sind, sind die hier
schon erschöpfend disktutierte Knappheit der Güter und die
Annahme des nutzenmaximierenden Individuums. Ich will jetzt an
dieser Stelle nicht auführen, wieso beide Annahmen eigentlich erst
(zum allergrößten Teil) die Ergebnisse des ökonomischen
Prozesses sind, nicht aber seine Voraussetzung - das stell ich
jetzt einfach mal in den Raum.
Worauf es mir ankommt, ist, dass diese Prämissen immer
vorausgesetzt sind, und eure Diskussionen hier in der Liste daher
auch immer auf verschiedenen Ebenen ablaufen. Dirk argumentiert
bereits auf den Vorwegnahmen der Prämissen und Benni und
Franz und soweiter greifen immerzu diese Prämissen an.
Es gibt übrigens durchaus in der modernen ökonomischen Theorie
einen Zweig, der auch nicht-knappe Güter (als Ausnahmefall)
behandelt, das wurde auch hier schon genannt. Die Theorie der
öffentlichen Güter. Die trifft auf Wissen zu, auch auf Daten (wenn
man nun noch dazu nimmt, das die moderne ökonomische Theorie
inzwischen auch erkannt hat, dass die Rede vom
nutzenmaximierenden Individuum nicht einzuschränken ist auf das
Nutzensteigern von Geld oder Gütern, gibt es doch hier sehr wohl
eine Theorie, die die Entwicklung von Freier Software zu erklären
vermag - vorausgesetzt man stellt die Prämissen nicht in Frage).
Das erstaunliche dabei ist, dass diese Theorie dennoch auf die
exakt gleichen Schlüsse kommt, wie die Property Rights Theorie,
nämlich dass gesicherte Eigentumsrechte notwendig sind, um
wirtschaftliche Effizienz, Innovation, usw. zu erzielen. Die Property
Rights Theorie aber ist eine Ergänzung der neoklassischen
Theorie, die wiederum setzt die Knappheit an Gütern voraus....
????????
Vielleicht kann mir das jemand erklären.
Liebe Grüße
Sabine
Diese Frage zu beantworten, würde etwas länger dauern, als ich momentan
aufbringen kann. Ich werde versuchen, später noch einmal darauf
zurückzukommen.
Zunächst nur ein paar kleine Anmerkungen:
Sicherlich ist mir die Unvollständigkeit dieser Wissenschaften durchaus
bewusst, allerdings betrifft dies ja, wie oben bereits geschrieben ALLE
Geisteswissenschaften, ich gehe sogar noch weiter und erweitere es auf die
Naturwissenschaften, denn auch dort wird es mit Sicherheit Axiome geben, die
zwar akzeptiert werden, aber doch nur, weil bisher es noch keine Entdeckungen
gibt, die das widerlegen könnten, oder um es mit Poppers Worten zu
forumlieren, "der schwarze Schwan noch nicht entdeckt worden ist".
Allgemeingültige Aussagen zu formulieren ist ohnehin in dieser komplexen Welt
nicht möglich, zumindest unter der Forderung Poppers, eine aufgestellte These
muss auch falsifizierbar sein, um als solche wissenschaftlich zu sein.
(Sprichwortbsp. Hahn auf dem Mist)
Das mit der Tautologie der Wirtschaftswissenschaften habe ich nun verstanden,
ein Kritikpunkt, den ich erst hier wirklich verstanden habe, aber auch hier
habe ich ein Problem: Was sollte denn die Wirtschaftswissenschaft sonst tun,
wenn nicht die NUN MAL FAKTISCH EXISTIERENDEN UMSTÄNDE zu untersuchen und
nicht Modelle, die lediglich in den Köpfen einiger Menschen existieren, aber
die Wirklich, in der wir alle, Du und ich doch leben, noch weniger abbilden
können als die klassische BWL/VWL ?!? Demzufolge gibt es keine "Wahrheit",
sondern immer nur noch nicht falsifizierte Behauptungen, aber diese muss man
falsifizieren, und wenn die Falsifizierung erst 4 Ebenen unterhalb der
eigenen These möglich, dann muss man eben dort anfangen. Allerdings ist mir
nicht klar, wie man die reale Welt mit dem herrschenden Gesellschaftssystem
als "unwahr" beweisen möchte, aber genau das ist wohl notwendig, um die
Ökonomie aus ihrem Bann der Tautologie zu befreien.
Die Property-Rights-Theorie ist nur EINE Theorie, es gibt auch andere, im
Zusammenhang mit Wissen und Wissensmanagement trifft man häufig sowohl auf
die Principal-Agent-Theorie als auch auf die Strukturationstheorie von
Gidden. Auch eine interessante Argumentation bietet in diesem Zusammenhang
die Transaktionskostentheorie, die im Zusammenhang mit Schumpeter die
Bedeutung von Unternehmen erklären kann. Gerade die Strukturationstheorie
versucht, den engen Fokus der anderen Theorien zu erweitern, sie aus diesem
engen Blickwinkel zu befreien und demzufolge ein der Wahrheit NÄHER KOMMENDES
Modell zu erstellen., in dem sie die Rekursivität des menschlichen Handelns
mit einbezieht.
Zum Thema "Wissen-ein öffentliches Gut?" gibt es sehr verschiedene Ansätze in
der BWL. Ich selbst vertrete eine geteilte Ansicht, demnach ist Wissen, dass
allgemein VERSTÄNDLICH ist, auch als ein öffentliches Gut zu sehen,
allerdings ist komplexes Spezialwissen, dass an einem Punkt gebündelt und
dort weiterentwickelt wird, und das wiederum auf Kosten dieses Punktes (in
der Regel ein Unternehmen), KEIN öffentliches Gut, da es schon aufgrund
bouned rationality ohnehin nicht öffentlich ist. Ein Freund von mir schreibt
gerade zu einem sehr interessantem Thema, nämlich der
betriebswirtschaftlichen Bewertbarkeit von Wissen, wenn da neue Erkenntnisse
vorliegen, werde ich mich noch einmal dazu äussern.
Ausserdem muss ich hier wieder den Vorwurf anbringen, den ich gestern/heute
schon einmal angebracht habe: Hier wird kritisiert, dass es Unternehmen gibt,
allerdings wird als Ziel formuliert, dass vornehmlich in den Unternehmen
entwickelte Wissen allgemein zugänglich zu machnen. Wenn es keine Unternehmen
gebe, dann gäbe es auch nicht diese Form der Wissenskonzentration und meiner
Meinung auch nicht einmal dieses Wissen, denn erst das Unternehmen als
zentraler Ort der Wissenskonzentration, Wissen(weiter)entwicklung und
letztendlich auch der Wissensverwertung macht dieses Wissen möglich ! Richard
Stalman hätte GNU nicht entwickeln können, wenn MIT ihm nicht die Hardware
zur Verfügung gestellt hätte, und MIT hätte diese Hardware nicht gehabt, wenn
es nicht Unternehmen wie IBM gegeben hätte,die in der Lage waren, diese zu
produzieren. WESHALB IBM & Co. dies taten, ist hierbei für mich
nebensächlich, für mich stellt sich eher die Frage, wo wir denn heute wären,
wenn es so etwas wie IBM nicht gäbe, wenn Wissen öffentlich wäre, und dann
Wissen nur dann zustande käme, wenn rein "humanistische" Anreize vorhanden
wären, neue Dinge zu entwickeln. Aus lauter Nächstenliebe würde wohl kaum
einer ein Flugzeug bauen usw.
Wenn ihr schon formuliert, dass das System falsch ist, dann nehmt bitte nicht
die AUS DEM SYSTEM RESULTIERENDEN derzeitigen Umstände als gegeben hin, denn
wie die Entwicklung verlaufen wäre, wenn Anfang des Jahrhunderts der
Kommunismus sich durchgesetzt hätte, ist nicht abzuschätzen, allerdings kann
man deshalb nicht schlussfolgern, dass alles (ich meine damit im Schwerpunkt
die technologische, nicht die gesellschaftliche Entwicklung!) so enstanden
wäre, wie wir es heute kennen.
MfG Dirk
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