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[ox] Historisch-spezifische Bedingungen fuer FS (was: Re: Re: [ox] Vortragstext: "Virtuelles" Eigentum?)



Hei!

erstmal eine Ergaenzung zu den Mutmassungen ueber Skandinavien, weiter unten dann der mehr oder minder kuehne Versuch einer Verallgemeinerung.

At 16:09 21.11.01 [PHONE NUMBER REMOVED], arebenti web.de wrote:
>> Auch interessant: Bei FS-Entwickler pro Kopf der sonstigen Bevölkerung sind
>> vor allem Länder mit traditionell starkem sozialen Netz (Europa,
>> Skandinavien) oben.

>Vielleicht auch Laender mit traditionell starken Ressourcen an politischem
>Idealismus = hohem Anteil an Leuten, die aus dem Raster "homo oeconomicus"
>fallen,

Ich denke das ist zu weit gedacht. Skandinavien hatte durch sein Telefonnetz schon früher eine Mailboxszene, und viele gute Coder, die sich digital vernetzt haben. Zudem ist die Bevölkerungsdichte in Skandinavien nicht so hoch, Telekommunkation viel wichtiger, soziale Kontakte viel wichtiger, und was macht man an kalten, dunkelen, einsamen Wintertagen?

Alles das stimmt und haengt ja auch zusammen:

1) Dank relativ mehr Wohlfahrtsstaat relativ weniger Wettbewerb im Beruf wirkt sich ohne Zweifel auf die Individuen aus, das ist hier in Norwegen recht augenfaellig,
2) z.B. ist das Ehrenamt so populaer, dass die CSU ihre Freude haette, und
3) die Telekommunikationsinfrastruktur ist dank massiver oeffentlicher Investitionen nicht von schlechten Eltern.

Eine weitere Faehrte, die ich verfolgen wuerde, ist die ausgesprochen meritokratische Sozialstruktur ("jedeR nach seinen Verdiensten"). Ihr kennt ja vielleicht diesen Norwegischen Brauch, die Hoehe des individuellen Einkommens aller BuergerInnen mittels ellenlanger Listen im EinwohnerInnenmeldeamt oeffentlich bekanntzumachen. Darauf angesprochen sagt der Norweger an sich, dass es doch nur so moeglich sei herauszufinden, ob jeder ein Gehalt hat, das der Leistung angemessen ist. Dass die FS Bewegung einen starken Hang zu meritokratischen Hierarchien hat, scheint mir eine ihrer wesentlichen Charakteristika zu sein. Recht viel an Motivation und Gratifikation speist sich aus Teilhabe an dieser Hierarchie.

Dass hinter all dem (wie hinter allem) ein Buendel uralter historischer Bedingungen west, steht zu vermuten. Ich wuerde aber nicht allzusehr in die (historische) Ferne schweifen:

Denn grundsaetzlicher stellt sich in der Tat die Frage nach den historisch-spezifischen Bedingungen fuer "real existierende FS-Projekte".

Ich versuch mal eine Verallgemeinerung zu skizzieren, die im Idealfall auf ein Pastiche von Barbrook/Camerons Klassiker (http://cci.wmin.ac.uk/HRC/ci/calif.html) hinauslaufen wuerde, eine Kalifornische Ideologie fuer die FS Bewegung.

Aus dem Bauch heraus scheint mir klar, dass die historisch-spezifische FS-Bewegung, so wie sie sich politisch artikuliert (inkl. der Brueche darin) und so wie sie materiell in den FS Projekten selbst agiert, ein klassisch anti-fordistisches Projekt ist, das a) meritokratisch gegen den fuer Fordismus typischen korporatistischen Filz argumentiert und
b) anti-tayloristisch gegen buerokratisch-tayloristische Arbeitsorganisation.

Die These waere, dass FS-Projekte aus ihrer historischen Genese heraus mit zwei Straengen der anti-fordistischen Opposition in gegenwaertiger Gesellschaften auf Gedeih und Verderb verbunden sind.

Zum einen ist das die radikal-demokratische Opposition, die Gleichheit gegen jede Form von als ungerecht empfundenen Filz stellt. Diese Fraktion hat einen europaeischen Fluegel, dessen Hang zum Wohlfahrtsstaat nicht zu uebersehen ist. Barbrook/Cameron selbst gehoeren zu diesem Fluegel, am Ende der "Kalifornischen Ideologie" rufen sie im Namen Europas nach dem Staat. Der US-amerikanische Fluegel kann sich nicht auf wohlfahrtsstaatliche Traditionen beziehen und propagiert Gleichheit als Freiheit von Staat (libertarian movement). Gemeinsamer Nenner ist vielleicht gerade die egalitaere Hierarchie meritokratischer Strukturen ("egalitaere Hierarchie" ist natuerlich ein Widerspruch in sich, gemaess der meritokratischen Idee/Ideologie ist der Ausgangspunkt zur Bildung von Hierarchien offen und egalitaer).

Zum anderen finden sich mannigfaltige postfordistische Fraktionen innerhalb des Kapitals selbst. Sie sind schwer festzumachen (Negri spricht von den "tausend Varianten"), da sie eher aus tastenden Suchbewegungen als aus einer buendigen Strategie heraus sich entfalten. Gemeinsam ist ihnen dennoch, Produktivitaetssteigerung um jeden Preis und auf jeder Stufe des Arbeitsprozesses zu suchen. Ein paar Varianten setzen auf Beschleunigung innerhalb des Produktions-Konsumptions-Zyklus, z.B. ueber eine engere Verzahnung beider Sphaeren (z.B economy of scope statt scale). Ein paar Varianten suchen Reserven in der Entfaltung von Produktivitaetsressourcen bei den Arbeitenden selbst, wenn es sein muss ueber das Versprechen der Selbstentfaltung (gerne hier auf der Liste diskutiert). FS Entwicklung als Produktions-Konsumptions-Modell verspricht beides und ist insofern anschlussfaehig.

Das Buendnis mit beiden Fraktionen macht einen Teil des relativen Erfolgs der FS Bewegung und der einzelnen Projekte aus. In Laendern, in denen beide anti-fordistischen Oppositions-Fraktionen relativ stark sind, wuerde ich demnach groessere politisch-oekonomische Ressourcen fuer FS vermuten, mithin eine hohe Beteiligung an der Bewegung. Soweit ich das sehe, trifft das fuer die USA, Deutschland und Skandinavien in hohem Mass zu.

Soweit diese Skizze, vielleicht bringt sie ja den einen oder anderen neuen Aspekt.

Gruesse aus Norwegen

Thomas

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Dep. of interdisciplinary studies of culture
Centre for technology and society
Norwegian University of Science and Technology
7491 Trondheim, Norway

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