[ox] Historisch-spezifische Bedingungen fuer FS (was: Re: Re: [ox] Vortragstext: "Virtuelles" Eigentum?)
- From: Thomas Berker <thomas.berker hf.ntnu.no>
- Date: Thu, 22 Nov 2001 14:29:52 +0100
Hei!
erstmal eine Ergaenzung zu den Mutmassungen ueber Skandinavien, weiter
unten dann der mehr oder minder kuehne Versuch einer Verallgemeinerung.
At 16:09 21.11.01 [PHONE NUMBER REMOVED], arebenti web.de wrote:
>> Auch interessant: Bei FS-Entwickler pro Kopf der sonstigen Bevölkerung
sind
>> vor allem Länder mit traditionell starkem sozialen Netz (Europa,
>> Skandinavien) oben.
>Vielleicht auch Laender mit traditionell starken Ressourcen an politischem
>Idealismus = hohem Anteil an Leuten, die aus dem Raster "homo oeconomicus"
>fallen,
Ich denke das ist zu weit gedacht. Skandinavien hatte durch sein
Telefonnetz schon früher eine Mailboxszene, und viele gute Coder, die sich
digital vernetzt haben. Zudem ist die Bevölkerungsdichte in Skandinavien
nicht so hoch, Telekommunkation viel wichtiger, soziale Kontakte viel
wichtiger, und was macht man an kalten, dunkelen, einsamen Wintertagen?
Alles das stimmt und haengt ja auch zusammen:
1) Dank relativ mehr Wohlfahrtsstaat relativ weniger Wettbewerb im Beruf
wirkt sich ohne Zweifel auf die Individuen aus, das ist hier in Norwegen
recht augenfaellig,
2) z.B. ist das Ehrenamt so populaer, dass die CSU ihre Freude haette, und
3) die Telekommunikationsinfrastruktur ist dank massiver oeffentlicher
Investitionen nicht von schlechten Eltern.
Eine weitere Faehrte, die ich verfolgen wuerde, ist die ausgesprochen
meritokratische Sozialstruktur ("jedeR nach seinen Verdiensten"). Ihr kennt
ja vielleicht diesen Norwegischen Brauch, die Hoehe des individuellen
Einkommens aller BuergerInnen mittels ellenlanger Listen im
EinwohnerInnenmeldeamt oeffentlich bekanntzumachen. Darauf angesprochen
sagt der Norweger an sich, dass es doch nur so moeglich sei herauszufinden,
ob jeder ein Gehalt hat, das der Leistung angemessen ist. Dass die FS
Bewegung einen starken Hang zu meritokratischen Hierarchien hat, scheint
mir eine ihrer wesentlichen Charakteristika zu sein. Recht viel an
Motivation und Gratifikation speist sich aus Teilhabe an dieser Hierarchie.
Dass hinter all dem (wie hinter allem) ein Buendel uralter historischer
Bedingungen west, steht zu vermuten. Ich wuerde aber nicht allzusehr in die
(historische) Ferne schweifen:
Denn grundsaetzlicher stellt sich in der Tat die Frage nach den
historisch-spezifischen Bedingungen fuer "real existierende FS-Projekte".
Ich versuch mal eine Verallgemeinerung zu skizzieren, die im Idealfall auf
ein Pastiche von Barbrook/Camerons Klassiker
(http://cci.wmin.ac.uk/HRC/ci/calif.html) hinauslaufen wuerde, eine
Kalifornische Ideologie fuer die FS Bewegung.
Aus dem Bauch heraus scheint mir klar, dass die historisch-spezifische
FS-Bewegung, so wie sie sich politisch artikuliert (inkl. der Brueche
darin) und so wie sie materiell in den FS Projekten selbst agiert, ein
klassisch anti-fordistisches Projekt ist, das
a) meritokratisch gegen den fuer Fordismus typischen korporatistischen Filz
argumentiert und
b) anti-tayloristisch gegen buerokratisch-tayloristische Arbeitsorganisation.
Die These waere, dass FS-Projekte aus ihrer historischen Genese heraus mit
zwei Straengen der anti-fordistischen Opposition in gegenwaertiger
Gesellschaften auf Gedeih und Verderb verbunden sind.
Zum einen ist das die radikal-demokratische Opposition, die Gleichheit
gegen jede Form von als ungerecht empfundenen Filz stellt. Diese Fraktion
hat einen europaeischen Fluegel, dessen Hang zum Wohlfahrtsstaat nicht zu
uebersehen ist. Barbrook/Cameron selbst gehoeren zu diesem Fluegel, am Ende
der "Kalifornischen Ideologie" rufen sie im Namen Europas nach dem Staat.
Der US-amerikanische Fluegel kann sich nicht auf wohlfahrtsstaatliche
Traditionen beziehen und propagiert Gleichheit als Freiheit von Staat
(libertarian movement). Gemeinsamer Nenner ist vielleicht gerade die
egalitaere Hierarchie meritokratischer Strukturen ("egalitaere Hierarchie"
ist natuerlich ein Widerspruch in sich, gemaess der meritokratischen
Idee/Ideologie ist der Ausgangspunkt zur Bildung von Hierarchien offen und
egalitaer).
Zum anderen finden sich mannigfaltige postfordistische Fraktionen innerhalb
des Kapitals selbst. Sie sind schwer festzumachen (Negri spricht von den
"tausend Varianten"), da sie eher aus tastenden Suchbewegungen als aus
einer buendigen Strategie heraus sich entfalten. Gemeinsam ist ihnen
dennoch, Produktivitaetssteigerung um jeden Preis und auf jeder Stufe des
Arbeitsprozesses zu suchen. Ein paar Varianten setzen auf Beschleunigung
innerhalb des Produktions-Konsumptions-Zyklus, z.B. ueber eine engere
Verzahnung beider Sphaeren (z.B economy of scope statt scale). Ein paar
Varianten suchen Reserven in der Entfaltung von Produktivitaetsressourcen
bei den Arbeitenden selbst, wenn es sein muss ueber das Versprechen der
Selbstentfaltung (gerne hier auf der Liste diskutiert). FS Entwicklung als
Produktions-Konsumptions-Modell verspricht beides und ist insofern
anschlussfaehig.
Das Buendnis mit beiden Fraktionen macht einen Teil des relativen Erfolgs
der FS Bewegung und der einzelnen Projekte aus. In Laendern, in denen beide
anti-fordistischen Oppositions-Fraktionen relativ stark sind, wuerde ich
demnach groessere politisch-oekonomische Ressourcen fuer FS vermuten,
mithin eine hohe Beteiligung an der Bewegung. Soweit ich das sehe, trifft
das fuer die USA, Deutschland und Skandinavien in hohem Mass zu.
Soweit diese Skizze, vielleicht bringt sie ja den einen oder anderen neuen
Aspekt.
Gruesse aus Norwegen
Thomas
--
Dep. of interdisciplinary studies of culture
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Norwegian University of Science and Technology
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