Message 04066 [Homepage] [Navigation]
Thread: oxdeT04001 Message: 6/11 L5 [In index]
[First in Thread] [Last in Thread] [Date Next] [Date Prev]
[Next in Thread] [Prev in Thread] [Next Thread] [Prev Thread]

Re: [ox] Freie Kooperation & Wertkritik




Hallo Benni und Stefan, 

Benni schrieb auf meinen Einwand

jede gesamtgesellschaftliche Kooperation ist Zwangsmitgliedschaft.

Ja, das schliesst obige Formulierung doch auch garnicht aus. Der Satz oben
ist ja auch mehr so ein Versuch mal anzufangen. Ich hatte dazu noch viel
mehr geschrieben, hab das aber alles vorerst erstmal wieder auf Eis gelegt,
da ich nicht so recht weiter gekommen bin.

Vielleicht habe ich bei der Bemerkung zu sehr auf "gesamt.." und
"Zwang" geschaut, weil mir die darunter liegende Ebene wichtiger
erscheint, das, was (noch nicht gesamt)gesellschaftliche FK-en mehr
sind als die Selbstentfaltung der je Beteiligten.

M.E. muss deutlicher berücksichtigt werden, dass Kooperation in
der Regel mehrere Ebenen hat. Wenn du dir dein Bad fliesen lässt,
dann geht es ja nicht _nur_ darum, zu welchem Preis.  Und du hast
gewisse Wahlmöglichkeiten, mit wem du da eine Kooperation
eingehst. Insofern hat auch Markt einige Elemente freier
Kooperation. Ich verstehe FK deshalb zunächst als eine andere
Blickrichtung, auf reale Kommunikationszusammenhänge zu schauen
als durch die (reine) Wertbrille. Wertvergesellschaftung ist also
höchstens _Teil_ einer "gesamtgesellschaftlichen verdeckten
Kooperation" und die wirklich spannende Frage ist, ob bzw. warum
sich hier Gewichte verschieben.

Ja sowas ähnliches schreibst Du ja auch in Deiner Antwort auf Stefan Mz..
Ich versteh sowieso nicht so ganz, worauf Du damit hinaus willst. Das FK
nicht _nur_ Wertkritik ist, ist ja sowieso klar. Die Frage ist ja überhaupt,
ob man das irgendwie ins Gespräch bringen kann. Nur darum ging es mir ja in
obigem Satz. Ist daran was auszusetzen?

Nein. Ich mach noch mal einen Versuch, vielleicht wird es dann auch
mir selbst klarer.  Das Wort "Gebrauchswert" gefällt mir für diese
Argumentation nicht, weil da bereits "Wert" konnotiert ist. Da
"dingliche Seite" hier auch immer wieder zu Missverständnissen führt,
vielleicht so: Ein "Ding" als Ware hat zwei Seiten: Es muss
funktionieren und es muss sich rechnen.  Und gleich noch ein Bild: Das
sind wie in der Vektorrechnung zwei Komponenten, die in ihrer Wirkung
weitgehend orthogonal zueinander sind (dazu unten mehr), wobei sich
die Gesamtwirkung als Resultante ergibt. Wenn die "Wertförmigkeit"
klein ist, dann wird die Resultante stärker durch die funktionale
Seite geprägt, anderenfalls stärker durch die geldförmige.  Die
kooperativen Strukturen von FS sind - eben wegen ihrer weitgehenden
Wertfreiheit - stark funktional geprägt. In anderen Bereichen dagegen
"regiert das Geld".

Grob gesprochen halte ich diese Zweiteilung für den Ausdruck der
Zweiteilung des ontologischen Arbeitsbegriffs (Natur - Mensch) in die
Komponenten Natur - Mittel (funktionieren) und Mittel - Mensch (sich
rechnen). Mensch steht hier natürlich für den vergesellschafteten
Menschen.  Hier geht meine wesentlich andere Sicht auf das
"Meretz-Dreieck" ein.  

Nun kommt die Verdopplung der Mittelperspektive rein, wie ich das in
meinem Dortmund-Paper ausgeführt habe (das ist genau die Stelle auf
Stefans Postern, wo sich der Algorithmus von der Prozessmaschine
ablöst). Algorithmik lief bis dahin immer durch den Kopf von Menschen
und war damit Teil des Verhältnisses der Menschen zu ihren Mitteln.
Nun wird ein Teil davon vergegenständlicht, d.h. es müssen die einen
Teile "funktionieren", damit sich andere "rechnen". "Funktionieren"
muss also auch ein Teil des bisherigen kreativen Prozesses. Das ist
aber, wie bei der Software und auch in der Wissenschaft, nur im
kooperativen Zusammengehen kreativer Produzenten möglich, das sich im
interpersonalen Raum, also zwischen den Produzenten, abspielt und
nicht vom Produzent auf das Produkt gerichtet ist. (Unterscheidung
zwischen Implementierung und Ausführung von Algorithmen!) Sobald Geld
und damit Fremdbestimmung ins Spiel kommt, entsteht eine,
vektorbildlich gesprochen, Scherkomponente, die diese Kooperation
deformiert.  Kontamination dieser Sphäre mit Geld führt dazu, dass die
Dinge nicht mehr so gut "funktionieren" (siehe alle Versuche, mit
Software oder Wissenschaft unmittelbar Geld zu machen).

Stefan schrieb an dieser Stelle weiter
 >>Die "eigentümliche Verquickung", von der du sprichst, und die Marx
 >>"Fetischismus" nennt, besteht doch gerade darin, dass die Dinge nicht
 >>Resultat einer sozialen Verständigung, sondern umgekehrt die soziale
 >>Struktur Resultat der Selbstbewegung der (Wert-)Dinge ist. Was sich da
 >>tautologisch selbst bewegt ist doch nicht nur das Geld! Mit in diese
 >>Bewegung einbezogen sind alle Aggregatzustände des Werts: Ware,
 >>Arbeit, Geld, Kapital. Das heisst, auch die Dingseite der Ware ist
 >> "von Übel".
 >
 > Das hört sich ja richtig krisis-like an. Sorry, so deterministisch ist
 > das nicht. Ding- und Geldseite haben mE. durchaus je eigene Dynamiken,
 > die in den Motiven der Handelnden subtil miteinander verwoben sind.

Sicherlich, aber im Ganzen emergiert das subtil verwobene
(nichtdeterminierte!) Handeln zu eben diesen selbstreproduktiven
Warensystem. Ist doch fazinierend, oder?

Das wirklich Interessante ist, dass dort, in diesem (klassischen)
Warensystem die Dinge unter der "Geldherrschaft", wie du beschreibst,
_zusammen_laufen (also eine einigermaßen stabile soziale Struktur
entsteht), in der neuen Sphäre aber eher auseinander driften.

 > Auch die soziale Struktur ist nicht _nur_ Abklatsch der
 > "Selbstbewegung der (Wert-)Dinge", weil sie ja nicht von der
 > dinglichen Kausalität abstrahieren kann (König-Midas-Effekt) -
 > jedenfalls so lange sie nicht gänzlich die Verbindung zu letzterer
 > verloren hat.

König-Midas-Effekt sagt mir gerade nichts.

Das war der Herr, der sich wünschte, dass alles, was er berührt, zu
Gold werden möge. Er soll verhungert sein, trotz allen Reichtums.

Wenn du also Chancen der Selbstentfaltung (freien Kooperation) unter
den gegebenen Bedingungen der Wertvergesellschaftung überlegst, dann
hat das IMHO nicht viel mit dem besonderen "Dinglichen" zu tun,
sondern "nur" damit, dass sich die Menschen zu den gegebenen
Bedingungen verhalten können.

Die "gegebenen Bedingungen" sind aber die Resultante, die sich aus
"funktionieren" _und_ "sich rechnen" ergibt.

 > Die Verwertung der dinglichen Seite abstrahiert von Mensch und Natur,
 > die dingliche Seite selbst kann das gar nicht.

Doch, die dingliche Seite ist nur sinnliche Hülle des Werts - völlig
egal welcher Art sie ist. Diese Art der Abstraktionsleistung ist z.B.
derzeit in Afghanistan zu bewundern.

Verstehe ich nicht. Midas ist verhungert, weil er das Gold nicht essen
konnte, weil die Rechnung wertmäßig, aber eben nicht funktional
stimmte. 

 > Bei G-W-G'. Im Prozessansatz hast Du aber eine relative Autonomie von
 > W-Prozess (Vorhalten und Reproduktion des Instrumentenparks und des
 > Know-How) und G-Prozess (Akquirieren und Abrechnen von Aufträgen).

Der W-Prozess ist stets nur existent in Bezug auf den G-Prozeß, weil es
"nur" zwei Aggregatzustände des gleichen sind. Oder meinst du die
produktiven Konsumgüter (Instrumentenpark, Maschinen etc.?). Ok, es gibt
eine je unterschiedliche Eigenlogik und das hat was mit der
Nicht/Dinglichkeit zu tun, aber relative Autonomie? Das scheint mir
einfach zu hoch gegriffen.

Die funktionale Seite hat viele Logiken, das nur nebenbei.  Ausdruck
der relativen Autonomie sind für mich auch betriebsorganisatorische
Ansätze wie CRM und B2B oder B2C, die auf Strukturen viel mehr Wert
legen, um einen längerfristigen W-Prozess zu organisieren, in dem sich
dann kürzerfristige G-Prozesse stabil abwickeln lassen. M$ will doch
die proprietären Formate nicht nur, um damit Geld zu machen, sondern
vor allem auch, um die Bedingungen für künftiges Geldmachen zu
sichern.  Um mal ein ganz perverses Beispiel zu nennen. 

Ja, kenne ich: Austausch von Tätigkeiten statt Austausch von Produkten.
Zitat "Statt der Vergangenheit (das fertige Produkt) beherrscht die
Zukunft (der Zweck) die Gegenwart" - das haben wir doch schon: CRM, B2B,
B2C usw.

Der Prosument alleine ändert noch gar nichts. Er macht mitnichten
"Tauschwert, Geld, Kapital, Lohnarbeit" "funktionslos", wie Wolf Göhring
meint.

Vollkommen korrekt. An der Stelle steht die Frage, ob das
Kathedralenmodell oder das Basarmodell die besseren
Entwicklungsmöglichkeiten hat. Geldlogisches CRM, B2B, B2C usw. ist
nur im Kathedralenmodell zu denken (die wollen ja die Kontrolle über
die Prozesse gerade nicht wie Torvalds abgeben).  Sie können also
versuchen, das Basarmodell mit allen verfügbaren Mitteln zu
verhindern.  Entweder, es gelingt, oder die Eigendynamik ist stärker.
Genau da wird es interssant. Und spekulativ.

 > Besonders deutlich wird das bei gemeinsam bewirtschafteter
 > Infrastruktur.  ... 

Das schlägt bestimmt negativ durch. In Berlin versucht der angehende
Ampel-Senat aber genau das, weil das G schlicht nicht mehr da ist für
solcherart staatlich "bewirtschafteter Infrastruktur". Ob das aber
explosive Folgen hat, weiss ich nicht. Der Verelendungsspielraum scheint
mir schon noch beträchtlich.

Das ist eine andere Seite. Auch wenn das noch eine ganze Weile so
weitergehen kann, so richtet doch Austrocknung von Infrastruktur
bereits heute Schaden an.  Ob erst der große Krach erforderlich ist
oder die Menschheit vorher zur Besinnung kommt, ist daraus nicht zu
prognostizieren.

Und noch einmal zu Benni:
Den Beitrag von G. Freyermuth, den Stefan Mn hier vor einiger Zeit
gepostet hat, fand ich in der Richtung übrigens sehr instruktiv.

Hm. Welcher war das jetzt genau? Ich such mal im Archiv... Meinst Du den
über den "Unruhestand"? Nein, wahrscheinlich eher den über "offene
Geheimnisse". Hab das grad nochmal überflogen und kann den Zusammenhang
nicht so direkt herstellen. Kannst Du das nochmal erklären?

Ich meite die beiden Teile des Beitrags "Aus der
Open-Source-Geschichte lernen" in der c't (Teil 1: c't 20/2001,
S. 176, Teil 2: c't 21/2001, S. 270)

-- 
Mit freundlichen Gruessen, Hans-Gert Graebe
________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


[English translation]
Thread: oxdeT04001 Message: 6/11 L5 [In index]
Message 04066 [Homepage] [Navigation]