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Re: [ox] Schenken?



Hi Stefan, Benni und alle,

Stefan Merten wrote:

>>>Ein Potlatsch - so wie ich es bisher verstanden habe - ist vor allem
>>>eine soziale Einrichtung gewesen, bei der die Personen *sehr* konkret
>>>in Erscheinung getreten sind und bei der eine soziale Regulation
>>>durchaus ein Teilziel der ganzen Aktion war.
>>>
>>>Bei der Masse Freier Software ist aber weder etwas von konkreten
>>>Personen - im Sinne, daß ich da mehr als eine eMail-Adresse und einen
>>>Namen kenne - noch von einer sozialen Regulation zu sehen.
>>>
>>Na, damit widersprichst Du aber zumindestens Stefan Mz. der bisher
>>immer gerade das personal-konkrete an der Produktionsweise Freier
>>Software hervorgehoben hat.
>
> Ja, tut er. Da bin ich aber noch nicht ganz fertig mit. Vielleicht
> habe ich es aber auch immer noch nicht richtig verstanden oder schon
> wieder vergessen :-( .

Ich bin da ja auch nicht 100pro sicher, ich denke es derzeit so:
Bei der FS geht es um eine personal-konkrete _Produktionweise_ im
Unterschied zur vorherrschenden abstrakt-entfremdeten. Dieser Begriff
"personal-konkret" bezieht sich auf die Art und Weise der
(Re-)Produktion des gesellschaftlichen Lebens, und FS ist IMHO eine
Keimform dessen.

Auch wenn es nerven sollte: Produktionsweise (oder umfassender:
Vergesellschaftungsform) ist ein gesellschafts- und kein
individualtheoretischer Begriff. Wenn ich den auf das unmittelbare Tun
der Leute "runterbreche", dann liege ich von vornherein schief. Dann ist
nämlich auch "abstrakt-entfremdet" als Chakteristikum der warenförmigen
Produktionsweise nicht mehr begreifbar: schliesslich arbeiten die Leute
doch da persönlich und ganz konkret miteinander, oder? - Also, das führt
in die Irre.

Bei gesellschaftstheoretischen Begriffen guckt man immer nur auf die
gesellschaftlichen-durchschnittlichen Resultate, nicht auf den konkreten
Einzelnen. Bei individualtheoretischen Begriffen guckt man auf eben
diese Einzelne; idealerweise sollten es aber "Vermittlungsbegriffe"
sein, das heisst auf den Einzelnen in seinem gesellschaftlichen
Vermittlungskontext zu gucken - und nicht auf den Einzelnen als
scheinhaft isoliertes Wesen.

Bei "abstrakt-entfremdet" vs. "personal-konkret" geht es um die Frage,
wie sich der gesellschaftliche Zusammenhang herstellt: Ist er Resultat
eines abstrakten Verwertungsprozesses oder ist er Resultat des konkreten
Tuns der Menschen? Dabei darf man IMHO nicht den Fehler machen, und
"abstrakt-entfremdet" mit irgendwie "weit weg" (vermittelt...) und
"personal-konkret" mit irgendwie "nahe dran" (unmittelbar...)
gleichzusetzen. Auf der gesellschaftlichen Ebene ist beides vermittelt
und "weit weg". Und beides läuft "hinter unserem Rücken" (das war mein
Dissens mit Horst im Fetisch-Thread) - nur der Mechanismus ist total
verschieden.

Gucken wir jetzt z.B. auf den "Potlasch" (von dem ich wenig weiss), dann
ist dieses eine personal-konkrete Form der Herstellung eines
gesellschaftlichen Zusammenhangs: Durchschnittlich sorgt die tradierte
soziale Form des (Zwangs-) Schenkens, dass die Gesellschaft
"funktioniert": Sie ist Resultat vieler konkreter sozialer Interaktionen.

Darin unterscheidet sich der Potlasch IMHO nicht von der Freien
Software, bei beidem stellt sich der gesellschaftliche Zusammenhang
"personal-konkret" her. Unterschiede sehe ich im wesentlichen so:
- der Potlasch ist der "naturalen Epoche" zuzuordnen
- der Potlasch war eine Fetischform, die sozialen Regularien waren
Zwangsregeln
- der Potlasch bezog sich auf die Verteilung von Gütern, nicht auf deren
Produktion
- Geben und Nehmen waren sozial fetischförmig aneinander gekoppelt

Bei der FS sind Geben (Beitrag leisten) und Nehmen (FS nutzen)
voneinander entkoppelt. Nehmen ist da anonym, ist gerade nicht an einen
sozialen Zwang gekoppelt - für Benni: Jeden Tag ist Weihnachten, es
liegen lauter Geschenke rum, und ich kann nach Herzenslust mir etwas
nehmen ohne jemals etwas Geben zu müssen:-)

In der Produktion besteht diese Anonymität nicht. Hier finden soziale
Prozesse statt, die den Gesamtprozess bestimmen. Nur ist die Motor nicht
irgendein sozialer oder abstrakter Zwang, sondern die individuelle
Selbstentfaltung. Ein Fetisch ist nicht notwendig, es gibt keinen. Na
ja, es gibt die Tuxe, aber deren magische Kräfte wirken höchstens auf
den Staub, den sie anziehen;-)

> ging's mir drum, daß die Leute in einem Freien Projekt nicht einfach
> so austauschbar sind, wie es in Verwertungszusammenhängen zumindest
> erwünscht ist. Da wird's - im wahrsten Sinne - Personal-konkret ;-) .
> Aber das ist was anderes als die Bekanntheit oder gar soziale
> Regulation.

Ja, das ist wichtig! Jede/r Einzelne zählt in ihrer/seiner
unverwechselbaren Besonderheit. Genau das meint ja je meine
Selbstentfaltung als Vorausetzung für die Entfaltung aller (und
umgekehrt). Das ist das "personal-konkrete": die Menschen sind nicht
austauschbar, sie kommen in ihrer je besonderen Individualität zur
Geltung - im umfassensten Sinne (es wird auch die Nur-Geniesser geben,
die nichts produzieren, deren Beitrag darin besteht, die Möglichkeiten
der Genussfähigkeiten zu erweitern). Gesellschaftlich führt das zu einer
Form der Vergesellschaftung, die sich zwar auf dem Gesamtlevel für den
je Einzelnen "hinter seinem Rücken" vollzieht, an der ich aber, so wie
ich bin, teilhabe.

>>Übrigens interessant für das Spannungsfeld Tauschringe-Schenken-FS
>>finde ich auch das Konzept von Umsonstläden. Das wäre mal spannend
>>für uns das aufzudröseln wo deren Vor- und Nachteile liegen. Das geht
>>definitiv über Tauschringe hinaus:
>>
>>http://co-forum.de/index.php4?UmsonstLaden

Inwiefern geht es über Tauschringe hinaus?

> Ja, das geht über Tauschringe hinaus - ist ja kein Tausch mehr.

Wie lösen sie das Verwertungsproblem? Ladenmiete etc.?

> Irgendwie hat das Konzept was. Klingt auch so ein bißchen nach dem
> alten SeRo-(Sekundär-Rohstoff)-System in der DDR - das nach deren
> Anschluß ja mit als erstes zerschlagen wurde.
>
> Vielleicht müßten wir wirklich mal ausführlicher darüber nachdenken,
> ob so etwas in einer GPL-Gesellschaft eine nützliche Einrichtung sein
> könnte bzw. wie es aussehen könnte.

Mich würde interessieren, ob es für jetzt anschlussfähig wäre, für Oekonux.

Ciao,
Stefan

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