Re: Umsonstlaeden (was: Re: [ox] Schenken?)
- From: Olaf Krische <oeschirk zedat.fu-berlin.de>
- Date: Tue, 5 Feb 2002 03:20:25 +0100
Als ich eure Auslassungen ueber die Umsonstlaeden las, fiel mir sofort eine Stelle in einem
Buch ein, das ich vor nicht langer Zeit las.
Der eine oder andere kennt es, ich zitiere gerne jetzt daraus, weil ich es einfach
schoen finde:
Jean Liedloff, "Auf der Suche nach dem verlorenen Glueck"
von Seite 185 an
---schnipp---
Die Einstellung der Yequana zu Geschaeftsbeziehungen schien mir ebenso wie ihre Art,
Neuankoemmlinge zu empfangen, auf dem uebergreifenden Beduerfnis zu basieren, keine Spannung
zu schaffen. Ich erhielt die seltene Gelegenheit zu einem weiteren Einblick in das Ausmass
ihrer Hoeflichkeit, als ich mit Anchu, dem Dorfaeltesten der Yequana, ein Geschaeft
abzuwickeln hatte. Es geschah, nachdem er allgemein angeregt hatte, mich zu einem Verhalten
wie dem ihrigen anzuleiten, anstatt mich auf die uebliche Weise als Nicht-Menschen zu
behandeln, dem man nicht dieselbe Achtung entgegenzubringen braucht wie einem wirklichen
Menschen (einem Yequana) und von dem man auch nicht die Erwartung hegt, dass er sich wie ein
solcher benehme. Die Unterweisungen, die er mir gab, bestanden in keinem Fall aus verbalene
Anleitungen oder Erklaerungen, sondern aus Erfahrungen, die meine angeborene Faehigkeit in mir
hervorbringen oder besser entwirren sollten, das den Umstaenden am besten Entsprechende zu
erkennen und zu waehlen. Man koennte sagen: Er versuchte, mein Kontinuum-Gefuehl von den
zahllosen Einmischungen, mit der meine eigene Kultur es befrachtet hatte, zu befreien.
Es geschah bei der vorerwaehnten Gelegenheit, bei der Anchu mich gefragt hatte, was ich im
Austausch fuer ein Stueck venezianischen Glasschmucks haben wolle. Ich sagte sofort, ich
wolle Zuckerrohr, da unsere Expedition unseren Zuckervorrat beim Kentern eines Kanus in einer
Stromschnelle verloren hatte; mein Verlangen nach etwas Suessem glich allmaehlich einer
Besessenheit. Am folgenden Tag gingen wir mit seiner Ehefrau zum Zuckerrohrfeld (bei den
Yequana schneiden nur die Frauen Zuckerrohr), um den Handel zu vollziehen.
Anchu und ich sassen auf einem Baumstamm neben dem Feld, waehrend die Frau hineinging und
mit vier Rohren wieder herauskam. Sie liess sie auf die Erde fallen, und Anchu fragte mich, ob
ich mehr wolle.
Natuerlich wollte ich mehr; ich wollte so viel, wie ich kriegen konnte, also sagte ich ja.
Die Ehefrau ging zurueck und kam mit zwei weiteren Rohrenwieder. Sie legte sie zu den
anderen.
"Mehr?" fragte Anchu mich.
Und wiederum sagte ich "Ja, mehr!" Aber dann daemmerte es mir. Wir felischten nicht in der
Jeder-fuer-sich-Art, wie ich angenommen hatte. Anchui wollte von mir, dass ich auf
kameradschaftliche und vertrauende Weise beurteilte, was ein fairer Tauch sei; und er war
gewillt, sich mit meiner Bewertung abzufinden. Als ich meinen Fehler erkannte, war ich
verlegen und rief hinter seiner Frau her, die mit ihrer Machete zurueck ins Feld gegangen war.
"Toini!" - Nur eins! Als wurde das Geschaeft um sieben Rohre abgeschlossen, ohne dass der
Handel auf irgendeine Weise beinhaltet haette, dass sich einer gegen den anderen stellte,
noch, dass irgendwelche Spannung in einem von uns aufkam (nachdem ich begriffen hatte).
Ich schaetze die Wahrscheinlichkeit, dass unsere Handelsmethoden ebenso "zivilisiert" werden
wie die der Yequana, nicht fuer sehr hoch ein. Diese Geschichte biete ich nur als ein Beispiel
dessen, was als gangbarer Weg anerkannt werden kann, wenn die Kultur es vorschreibt und damit
zu rechnen ist, dass die Mitglieder der Gesellschaft, was ihre Beweggruende betrifft, eher
sozial als "antisozial" eingestellt sind.
---schnipp---
Das Buch enthaelt uebrigens sehr viel von den Ideen der "Freien Kooperation", zum Beispiel das
Gehen, wenn es langweilig wird, niemand wird zu etwas gezwungen, es passt, es ist richtig, was
man tut.
Von Bestrafung, wenn man abweicht, ist nirgendwo die Rede.
Nur so.
Olaf
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