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Re: Umsonstlaeden (was: Re: [ox] Schenken?)



Guten Abend allerseits,

eine allgemeine Anmerkung, die sich (nicht nur) auf das Problem mit 
"Umsonstläden" bezieht.

In der Literatur werden Phänomene wie das des erwähnten Ladens unter den 
Stichpunkten "reciprocity"/"free riding" behandelt. Kernpunkt ist die Frage:
Wie kann/muß der Umgang mit Ressourcen durch eine Community reguliert werden, 
damit ein nachhaltiger Gebrauch von den Ressourcen gemacht wird?

Ob es sich um eine knappe Ressource handelt (in der Literatur werden oft 
Trinkwasserprobleme, eßbare Tiere und Pflanzen usw. behandelt), oder um Freie 
Software (die beliebig oft kopiert werden kann), spielt keine vorrangige 
Rolle. Beide Fälle sind in Bezug auf die Nachhaltigkeit vergleichbar: Wenn 
das Wasser erschöpft ist, kann man es nicht mehr bewirtschaften. Wenn alle 
nur freien Code kopieren und benutzen, niemand neuen Code beisteuert, findet 
keine Weiterentwicklung statt, und dann werden die Entwickler sich irgendwann 
mißbraucht vorkommen und aufgeben. Bestenfalls landet man also in einer 
Sackgasse. Ohne "Wie Du mir, so ich Dir ..." -im positiven Sinne- geht es 
nicht (sehr weit).

Nachhaltigkeit erfordert also, daß aus dem Bewußtsein um die Bedeutung der 
Nachhaltigkeit (sustainability) Schlußfolgerungen gezogen werden - implizit 
oder explizit. Diese münden sinnvollerweise in Regeln, in die jeder 
einwilligen muß, der an der Bewirtschaftung der Ressourcen teilhaben will. 
Die GPL ist ein gutes Beispiel, denn sie hat Schlußfolgerungen in sinnvolle 
Regeln gegossen.

Elinor Ostrom hat sich intensiv mit solchen Problemen befaßt. Hier ihre 
conclusio:

"Reziprozität umfaßt >>(1) einen Versuch, herauszufinden, wer alles zur 
Gruppe gehört, (2) eine Abschätzung der Wahrscheinlichkeit, daß die anderen 
bedingt kooperationsbereit sind, (3) eine Entscheidung, mit den anderen zu 
kooperieren, wenn sie glaubwürdig bedingt kooperationsbereit sind, (4) eine 
Weigerung, mit denen zu kooperieren, die nicht reziprok handeln, und (5) die 
Bestrafung derjenigen, die das Vertrauen mißbrauchen<< (Ostrom 1998, S.10). 
Im wesentlichen bedeutet Reziprozität, auf die positiven Handlungen der 
anderen mit einer positiven Anwort und auf die negativen Handlungen der 
anderen mit irgendeiner Form der Bestrafung zu reagieren." (E.Ostrom: Die 
Verfassung der Allmende, S.10, Mohr-Siebeck, Tübingen, 1999.)

Anhand der GPL und der Free Software Community kann man das gedanklich ganz 
gut durchspielen. Einige Besonderheiten kommen natürlich hinzu, etwa die 
geringere Erschöpflichkeit der Ressource (Source Code), so daß das free 
rider-Problem stark gemildert ist.

Kürzlich ist in der Nature ein Aufsatz der Schweizer Ökonomen Ernst Fehr und 
Simon Gächter (St. Gallen) unter dem Titel "Altruistic punishment in humans" 
erschienen (Nature, 415, 137 - 140, 2002), der sich ebenfalls mit dem Problem 
der "fairen Strafen" auseinandersetzt. Eine Besprechung gibt es unter: 
http://www.nature.com/nsu/[PHONE NUMBER REMOVED].html.

Bevor jetzt einige wieder jedwede Strafen pauschal verdammen noch eine 
Anmerkung im Hinblick auf den "Umsonstladen". Dort gab es offensichtlich eine 
unausgesprochene Regel, daß wer nimmt, auch geben sollte. Die meisten, 
zumindest viele haben sich daran gehalten. Die Form, der Umfang usw. waren 
natürlich ebenso unlar, wie unausgesprochen. Zuerst haben diejenigen, die nur 
genommen haben, die Regel gebrochen, was allein schon mancher Definition für 
Gewalt genügen würde, und danach hat man sie "bestraft", was im konkreten 
Fall ja hieß: Zu kooperativem Verhalten aufgefordert. So wurde die Regel 
explizit. (Aber neu war die Regel nicht.) Transparenz und Kommunikation 
erleichtern die Akzeptanz der Regeln erheblich und beugen einem Mißbrauch vor.

Anders lief es bei der freien Software letzten Endes auch nicht, wie Stallman 
berichtet.

Gruß, Robert

-- 
Von/From: Dipl.-Inform. Robert Gehring
E-Mail:   rag cs.tu-berlin.de
privat:   zoroaster snafu.de
________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


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