Re: Umsonstlaeden (was: Re: [ox] Schenken?)
- From: Robert Gehring <zoroaster snafu.de>
- Date: Tue, 5 Feb 2002 00:31:17 +0000
Guten Abend allerseits,
eine allgemeine Anmerkung, die sich (nicht nur) auf das Problem mit
"Umsonstläden" bezieht.
In der Literatur werden Phänomene wie das des erwähnten Ladens unter den
Stichpunkten "reciprocity"/"free riding" behandelt. Kernpunkt ist die Frage:
Wie kann/muß der Umgang mit Ressourcen durch eine Community reguliert werden,
damit ein nachhaltiger Gebrauch von den Ressourcen gemacht wird?
Ob es sich um eine knappe Ressource handelt (in der Literatur werden oft
Trinkwasserprobleme, eßbare Tiere und Pflanzen usw. behandelt), oder um Freie
Software (die beliebig oft kopiert werden kann), spielt keine vorrangige
Rolle. Beide Fälle sind in Bezug auf die Nachhaltigkeit vergleichbar: Wenn
das Wasser erschöpft ist, kann man es nicht mehr bewirtschaften. Wenn alle
nur freien Code kopieren und benutzen, niemand neuen Code beisteuert, findet
keine Weiterentwicklung statt, und dann werden die Entwickler sich irgendwann
mißbraucht vorkommen und aufgeben. Bestenfalls landet man also in einer
Sackgasse. Ohne "Wie Du mir, so ich Dir ..." -im positiven Sinne- geht es
nicht (sehr weit).
Nachhaltigkeit erfordert also, daß aus dem Bewußtsein um die Bedeutung der
Nachhaltigkeit (sustainability) Schlußfolgerungen gezogen werden - implizit
oder explizit. Diese münden sinnvollerweise in Regeln, in die jeder
einwilligen muß, der an der Bewirtschaftung der Ressourcen teilhaben will.
Die GPL ist ein gutes Beispiel, denn sie hat Schlußfolgerungen in sinnvolle
Regeln gegossen.
Elinor Ostrom hat sich intensiv mit solchen Problemen befaßt. Hier ihre
conclusio:
"Reziprozität umfaßt >>(1) einen Versuch, herauszufinden, wer alles zur
Gruppe gehört, (2) eine Abschätzung der Wahrscheinlichkeit, daß die anderen
bedingt kooperationsbereit sind, (3) eine Entscheidung, mit den anderen zu
kooperieren, wenn sie glaubwürdig bedingt kooperationsbereit sind, (4) eine
Weigerung, mit denen zu kooperieren, die nicht reziprok handeln, und (5) die
Bestrafung derjenigen, die das Vertrauen mißbrauchen<< (Ostrom 1998, S.10).
Im wesentlichen bedeutet Reziprozität, auf die positiven Handlungen der
anderen mit einer positiven Anwort und auf die negativen Handlungen der
anderen mit irgendeiner Form der Bestrafung zu reagieren." (E.Ostrom: Die
Verfassung der Allmende, S.10, Mohr-Siebeck, Tübingen, 1999.)
Anhand der GPL und der Free Software Community kann man das gedanklich ganz
gut durchspielen. Einige Besonderheiten kommen natürlich hinzu, etwa die
geringere Erschöpflichkeit der Ressource (Source Code), so daß das free
rider-Problem stark gemildert ist.
Kürzlich ist in der Nature ein Aufsatz der Schweizer Ökonomen Ernst Fehr und
Simon Gächter (St. Gallen) unter dem Titel "Altruistic punishment in humans"
erschienen (Nature, 415, 137 - 140, 2002), der sich ebenfalls mit dem Problem
der "fairen Strafen" auseinandersetzt. Eine Besprechung gibt es unter:
http://www.nature.com/nsu/[PHONE NUMBER REMOVED].html.
Bevor jetzt einige wieder jedwede Strafen pauschal verdammen noch eine
Anmerkung im Hinblick auf den "Umsonstladen". Dort gab es offensichtlich eine
unausgesprochene Regel, daß wer nimmt, auch geben sollte. Die meisten,
zumindest viele haben sich daran gehalten. Die Form, der Umfang usw. waren
natürlich ebenso unlar, wie unausgesprochen. Zuerst haben diejenigen, die nur
genommen haben, die Regel gebrochen, was allein schon mancher Definition für
Gewalt genügen würde, und danach hat man sie "bestraft", was im konkreten
Fall ja hieß: Zu kooperativem Verhalten aufgefordert. So wurde die Regel
explizit. (Aber neu war die Regel nicht.) Transparenz und Kommunikation
erleichtern die Akzeptanz der Regeln erheblich und beugen einem Mißbrauch vor.
Anders lief es bei der freien Software letzten Endes auch nicht, wie Stallman
berichtet.
Gruß, Robert
--
Von/From: Dipl.-Inform. Robert Gehring
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