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[ox] Reziprozitaet (was: Re: Umsonstlaeden)



Hi Robert und alle!

Wegen der Ewigkeit zitiere ich vollständig.

3 weeks (22 days) ago Robert Gehring wrote:
eine allgemeine Anmerkung, die sich (nicht nur) auf das Problem mit
"Umsonstläden" bezieht.

In der Literatur werden Phänomene wie das des erwähnten Ladens unter den
Stichpunkten "reciprocity"/"free riding" behandelt. Kernpunkt ist die Frage:
Wie kann/muß der Umgang mit Ressourcen durch eine Community reguliert werden,
damit ein nachhaltiger Gebrauch von den Ressourcen gemacht wird?

Ja, das ist wohl eine der zentralen Menschheitsfragen. Die Art des
Regulationsregimes ist dabei in weiten Grenzen variierbar.

Ob es sich um eine knappe Ressource handelt (in der Literatur werden oft
Trinkwasserprobleme, eßbare Tiere und Pflanzen usw. behandelt), oder um Freie
Software (die beliebig oft kopiert werden kann), spielt keine vorrangige
Rolle.

Ack.

Beide Fälle sind in Bezug auf die Nachhaltigkeit vergleichbar: Wenn
das Wasser erschöpft ist, kann man es nicht mehr bewirtschaften. Wenn alle
nur freien Code kopieren und benutzen, niemand neuen Code beisteuert, findet
keine Weiterentwicklung statt, und dann werden die Entwickler sich irgendwann
mißbraucht vorkommen und aufgeben.

Nak.

Zumindest in unserer Debatte ist der Punkt ja, daß die EntwicklerInnen
überhaupt keinen Grund haben, sich mißbraucht vorzukommen. Sie
selbstentfalten sich ja ohnehin - was mit NutzerInnen zwar vielleicht
mehr Spaß macht, aber auch ohne schon nicht von Pappe ist.

Bestenfalls landet man also in einer
Sackgasse.

Nicht, wenn die ProduzentInnen einfach "Just for Fun" weiter
produzieren.

Ohne "Wie Du mir, so ich Dir ..." -im positiven Sinne- geht es
nicht (sehr weit).

Genau diese Schlußfolgerung würde ich in Frage stellen. Es ist kein
Naturgesetz, daß ein Regulationsmodell auf reziprokem Tausch basieren
muß - auch wenn wir das alle mit der Muttermilch aufgesagt haben.
Historisch gibt es sicher x Regulationsmodelle, die ohne auskommen.

Hier kommt wieder der Gerechtigkeitsbegriff mit rein BTW. Und die
Knappheit lugt auch schon um die Ecke.

Nachhaltigkeit erfordert also, daß aus dem Bewußtsein um die Bedeutung der
Nachhaltigkeit (sustainability) Schlußfolgerungen gezogen werden - implizit
oder explizit. Diese münden sinnvollerweise in Regeln, in die jeder
einwilligen muß, der an der Bewirtschaftung der Ressourcen teilhaben will.
Die GPL ist ein gutes Beispiel, denn sie hat Schlußfolgerungen in sinnvolle
Regeln gegossen.

Schön formuliert.

Elinor Ostrom hat sich intensiv mit solchen Problemen befaßt. Hier ihre
conclusio:

"Reziprozität umfaßt >>(1) einen Versuch, herauszufinden, wer alles zur
Gruppe gehört, (2) eine Abschätzung der Wahrscheinlichkeit, daß die anderen
bedingt kooperationsbereit sind, (3) eine Entscheidung, mit den anderen zu
kooperieren, wenn sie glaubwürdig bedingt kooperationsbereit sind, (4) eine
Weigerung, mit denen zu kooperieren, die nicht reziprok handeln, und (5) die
Bestrafung derjenigen, die das Vertrauen mißbrauchen<< (Ostrom 1998, S.10).
Im wesentlichen bedeutet Reziprozität, auf die positiven Handlungen der
anderen mit einer positiven Anwort und auf die negativen Handlungen der
anderen mit irgendeiner Form der Bestrafung zu reagieren." (E.Ostrom: Die
Verfassung der Allmende, S.10, Mohr-Siebeck, Tübingen, 1999.)

Da wäre vielleicht der Begriff der Reziprozität nochmal zu klären. Ich
stelle mir darunter immer einen Äquivalententausch vor. Dann finde ich
im obigen einen Bruch: Anfangs geht es um Kooperationsbereitschaft und
dann um Reziprozität. Dies ist aber alles andere als das Gleiche.

Wenn ich den Äquivalententausch mal weglasse, dann kommt dabei im
wesentlichen raus, daß du eine Community mit Regeln hast, zu der Leute
qua Befolgung der Regeln dazugehören - oder eben nicht. Das finde ich
in der Tat eine der typisch menschlichen Verhaltensweisen.

Anhand der GPL und der Free Software Community kann man das gedanklich ganz
gut durchspielen. Einige Besonderheiten kommen natürlich hinzu, etwa die
geringere Erschöpflichkeit der Ressource (Source Code), so daß das free
rider-Problem stark gemildert ist.

Kürzlich ist in der Nature ein Aufsatz der Schweizer Ökonomen Ernst Fehr und
Simon Gächter (St. Gallen) unter dem Titel "Altruistic punishment in humans"
erschienen (Nature, 415, 137 - 140, 2002), der sich ebenfalls mit dem Problem
der "fairen Strafen" auseinandersetzt. Eine Besprechung gibt es unter:
http://www.nature.com/nsu/020107/020107-6.html.

Ja, aber die Bedingungen des Experiments waren die der
Tauschgesellschaft. Klar, daß die dann zu den Ergebnissen der
Tauschgesellschaft kommen.

Mensch müßte das Experiment unter Oekonux-Bedingungen wiederholen: Die
Selbstentfaltung aller ist die Voraussetzung für die eigene
Selbstentfaltung und umgekehrt.

Ein Zitat aus der Besprechung:

  Explanations of cooperation have tended to focus on what the
  altruist gets out of it, either through the swapping of good turns
  or the benefits to family members. "For a very long time in
  economics and biology there's been an assumption of self-interest,"
  says economist Herbert Gintis of the University of Massachusetts,
  Amherst. Instead, he says, it seems that egalitarianism is "a basic
  part of human behaviour".

Na ja, wenn alle gleichmächtig sind, d.h. alle die gleiche Möglichkeit
zum Strafen haben, dann ist ein egalitäres System wohl seit der
Aufklärung das Naheliegendste und spiegelt vielleicht nur die
gleichmäßige Machtverteilung wieder.

Bevor jetzt einige wieder jedwede Strafen pauschal verdammen noch eine
Anmerkung im Hinblick auf den "Umsonstladen". Dort gab es offensichtlich eine
unausgesprochene Regel, daß wer nimmt, auch geben sollte.

Eine Regel, die nur unter Knappheitsbedingungen Sinn macht. Unter
Überflußbedingungen - wie in der Freien Software - ist sie Quatsch und
geradezu kontraproduktiv.

Die meisten,
zumindest viele haben sich daran gehalten. Die Form, der Umfang usw. waren
natürlich ebenso unlar, wie unausgesprochen. Zuerst haben diejenigen, die nur
genommen haben, die Regel gebrochen, was allein schon mancher Definition für
Gewalt genügen würde, und danach hat man sie "bestraft", was im konkreten
Fall ja hieß: Zu kooperativem Verhalten aufgefordert. So wurde die Regel
explizit. (Aber neu war die Regel nicht.)

Wichtig. Hier wurde quasi durch die soziale Praxis die implizite Regel
expliziert. Das finde ich eine recht nützliche Art, sich an
funktionierende Regulationsmodelle heranzutasten. Jedenfalls ist sie
deutlich nachvollziehbarer als Entscheidungen vom Grünen Tisch. Weiß
auch die Studie:

  The research may hold lessons for policymakers attempting to build
  social cohesion, he believes. Decisions may be more acceptable if
  they come from within the community and not from a remote central
  government. "There could be more community-based policing, and more
  emphasis on shaming [criminals] and rehabilitation within the
  community," Gintis says.

Aber mit dem sozialen Druck, wie er hier explizit angeführt wird
(shaming) habe ich natürlich auch so meine Probleme. Ich halte es
schon für eine Errungenschaft der Moderne, diese personalen Bindungen
zumindest gelockert zu haben.

Schwierig.

Transparenz und Kommunikation
erleichtern die Akzeptanz der Regeln erheblich und beugen einem Mißbrauch vor.

Dem würde ich wiederum zustimmen. Ich finde in einigen Fällen klare
Regelsysteme auch durchaus sinnvoll. Rechtssicherheit ist die
bürgerliche Variante davon. Willkür finde ich jedenfalls nicht
sonderlich emanzipatorisch.

Anders lief es bei der freien Software letzten Endes auch nicht, wie Stallman
berichtet.


						Mit Freien Grüßen

						Stefan

________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


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