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[ox] Ein Ihnen empfohlender Artikel aus der jungen Welt vom 03.05.2002



LiebeR ,
dieser Artikel aus der jungen Welt vom 03.05.2002 wird Ihnen empfohlen von Stefan Meretz.

Softes Programm
»Empire«-Schulung (3): Kommt Macht von Hobbyprogrammieren?
                           Dietmar Kammerer

Der Theoriewälzer für viele ist aus Vielerlei zusammengeschrieben. Das haben Hardt und Negri bei Spinoza gelesen: Gott, oder der Mächtigste von allen, die Machtmaschine schlechthin, ist gar kein Herrscher, weder König noch Tyrann. Denn Gott - hört, hört - hat weder Willen noch Verstand (Spinoza hatte noch Glück, dafür nur aus seiner Gemeinde ausgeschlossen zu werden, andere wurden für solch einen Spruch hingerichtet). Wenn Spinoza schreibt: »Die Macht Gottes (Dei potentia) ist sein Wesen selbst«, heißt das: Gott (oder die Natur, das ist dasselbe) ist wirkende, weltbildende Kraft - nichts anderes. »Potentia« ist Vermögen, schöpferische Kraft; die Möglichkeit, Bewegungen uranfänglich hervorzubringen. Und was wir als Gottes herrschaftliche Gewalt (»potestas«) begreifen, existiert notwendig, nicht durch Beschluß oder Willensbekundung. Gott herrscht über die Welt, insofern er sie ständig hervorbringt und neu erfindet.

Schon die antike Rechtslehre hatte mit den zwei Begriffen die rechtliche Befehlsgewalt (potestas) von den zur Verfügung stehenden Macht- und Einflußmitteln (potentia) unterschieden. Nur galt ihr »potestas« noch als das zentrale Ding, »potentia« war nur dessen praktische Umsetzung. Spinoza bestimmte das Verhältnis neu, indem er erklärte: Die Befehlsgewalt der Herrschenden beruht auf der Macht der Menge (potentia multitudinis - auch den Begriff der »Menge«, der »multitude«, haben Hardt und Negri von Spinoza übernommen). Aus »potentia« wird »potestas«, staatliche Gewalt, wenn die Vielen sich als »Menge« zusammenschließen. 

Während Hobbes oder Machiavelli die Macht also als Kampf des Einen (Fürst oder Leviathan) gegen die Vielen dachten - einen Kampf, der Unterschiede produziert, Asymmetrien, Unterdrückung - und noch Max Weber sie als »Chance« definierte, »innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen«, betonen Hardt und Negri mit Spinoza den produktiven Charakter der Macht. In »Empire« kommt »Macht« von »machen«. Macht mal, macht es unter euch, und macht es für andere. Seid in eurem Handeln leidenschaftlich, sinnlich und weise. Wenn Macht produktiv ist, produziert sie zuerst Gemeinsamkeit, nicht Unterschiede. Nicht der einzelne, nur die Menge ist mächtig, und der Starke ist am ohnmächigsten allein.

Das Englische »power« mag bei dieser Akzentuierung hilfreich gewesen sein. Es bezeichnet nicht nur die Herrschaft von oben herab, sondern auch das Vermögen, etwas zu tun: »the power of speech« ist nicht etwa »die Macht der Sprache«, sondern schlicht: das Sprachvermögen, also ob jemand sprechen kann. Ob, wo, wann und mit wem jemand sprechen darf, fällt dann wieder unter Machtfragen der politischen Art. Außerdem ist »power« Energie, Kraft, Elektrizität, Dynamik - alles, was antreibt, hervor- und weiterbringt.

Wenn man sich umschaut, wo eine solche kollektiv produktive Macht heute zu finden ist, kommt man zumindest bis zur »Freie Software«-Bewegung (volkstümlich: Linux). Tausende von Hobbyprogrammierern aus aller Welt treffen sich nach Feierabend im Cyberspace, um Programmierproblemen mit neuen Algorithmen zu Leibe zu rücken, und sie tun das einzig aus der Lust am »selbstverwertenden« Schaffen. Die Hymnen auf die postmodernisierten Arbeitsverhältnisse, die laut Hardt/Negri quasi im Herzen des Spätkapitalismus als Keim des postmodern-globalen »Gegen-Empire« aufblühen, machen es erstaunlich, daß im Buch von »Freie Software« oder »Open Source« nie explizit die Rede ist. Dabei beschreibt die »Selbstverwertung (...), die über sich hinausreicht, auf den anderen überfließt und dadurch eine expansive Gemeinsamkeit ausbildet« ziemlich genau das Modell der »General Public Licence« (GPL): Jeder kann teilnehmen unter der Bedingung, daß die Früchte seiner Arbeit wieder allen zur Verfügung gestellt werden. Pierre Lévys Begriff der »kollektiven Intelligenz«, von Hardt/Negri öfter zitiert, wurde genau an solchen Produktionsmodellen entwickelt.

Aber letztlich ist »Freie Software«, entgegen aller Selbstbeschreibungen eben keine soziale Bewegung, und als Ersatz für ein politisches Programm taugt sie wohl auch nicht. Ihre »Selbstermächtigung« ist nicht politisch, sondern technologisch ermöglicht. »Freie Software« funktioniert zwar als Geschäftsmodell, zunehmend sogar als erfolgreiches, aber immer noch nur neben dem und in Ergänzung zum proprietären, kraß monopolistisch dominierten Software-Business. Die »Macht zu handeln«, die Gemeinschaft schafft, bleibt hier auf einen spezialisierten, eng umrissenen  Bereich beschränkt - vermutlich haben Hardt/Negri, die immer aufs Große und Ganze gehen, sie deshalb unerwähnt gelassen.


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