Re: [ox] Re: Doppelt Freie Software
- From: Stefan Meretz <stefan.meretz hbv.org>
- Date: Thu, 02 May 2002 14:07:48 +0200
Hi Stefan, Thomas und alle,
es ist nicht so einfach mit dem "doppelt frei" befürchte ich. Obwohl ich
stark sympathisiere, nenne ich hier mal nur Schwierigkeiten, die ich
sehe. Aber nur so kommen wir voran, auch wenn ich nicht gleich die gute
Lösung zur Hand habe...
Stefan Merten wrote:
(...oder: "Doppelt freie Software ist freie Software aus einem
freien Projekt" (daher "doppelt frei").
Das gefällt mir :-) .
Ansonsten s.o. Unter einem Freien Software-Projekt würde ich aber auch
intuitiv das verstehen: Ein Software-Projekt auf freiwilliger Basis -
ergo ohne Entfremdung. Ein Freies-Software-Projekt könnte dagegen auch
durchaus ein kommerzielles sein. Oh je, wie transportiert mensch das
ins Englische ;-) .
Das verstehe ich nun wiederum nicht: Entfremdung und Kommerzialität (was
ich als Synonym zu "Verwertung" lese) sind zwei Seiten der gleichen
Medaille. Kommerzialität/Verwertung bedeutet, etwas aus "dritten
Gründen" zu machen, eben gerade nicht ausschliesslich aus "je meinen".
Darin liegt der Kern der Entfremdung.
Zugespitzt ist es also unter den gegebenen Bedingungen stets so, dass
die Leute das "freiwillig" tun, was sie tun müssen, um zu überleben. Sie
arbeiten "freiwillig" und entfremdet - das ist kein Widerspruch. Dass
sie nicht "frei" sind, über die gegebenen (Rahmen-)Bedingungen der
Verwertungslogik zu verfügen, ist unhinterfragte quasi "natürliche"
Voraussetzung. Innerhalb der Entfremdung sind alle "frei" - das ist doch
gerade der bürgerliche Freiheitsbegriff.
Diesen Begriff gilt es anzuknacken. Die Botschaft muss sein: "Frei" das
zu tun, was ich zwangsweise tun muss, ist keine Freiheit. Wenn die
Nutzenseite der Produkte "frei" ist, ist das noch keine wirkliche
Freiheit. Erst wenn die Produzentenseite auch "frei" ist, können wir von
Freiheit sprechen: Freiheit von der "guten alten" sozialistischen Logik
(Bebel) "Wer nicht arbeitet soll auch nicht essen".
Der Begriff des "doppelt frei" verweist darauf, deswegen finde ich ihn
gut. Dann muss aber auch der Inhalt drin sein: Keine Verwertung.
Das obige definiert aber den Begriff noch nicht. Vielleicht
sollten wir einen Kriterienkatalog aufstellen?
Kriterien, die die Logik der doppelten Freiheit beschreiben, ok, aber
keine normativen Handlungsvorgaben.
Kriterien, die eine "verbindliche Wirkung" haben sollen, sind ein
Problem: Es kommt mir vor, wie mit Rechtsmitteln das Recht auszuhebeln -
was eine logische Unmöglichkeit darstellt.
S.o. Analog zu den Rechtefestlegungen für die NutzerInnen würde ich
Pflichten für die EntwicklerInnen festlegen - womit wir dann endgültig
bei dem neulich angedachten Gütesiegel wären:
* Die EntwicklerInnen müssen alle Entscheidungen auf freiwilliger
Grundlage treffen.
(Damit wären ChefInnen / MaintainerInnen auf ModeratorInnenrollen
festgelegt. Auch das Beiseitestehen bei einem Konsens bei dem ich
noch Einsprüche habe, die ich aber beiseite lassen kann (also nicht
widersprechen muß), ist dabei eine freiwillige Angelegenheit.)
Da wäre ich strikt dagegen: Es ist eine normative Anweisung. Ich weiss,
was du meinst, aber ein Satz mit "müssen" und "freiwillig" entspricht
genau der Kombination von "müssen" und "freiwillig" der Lohnarbeit, die
ich oben beschrieb. Wir sollten auch auf keinen Fall wie Engels
argumentieren: "Freiheit ist die Einsicht in die Notwendigkeit" - etwa:
"Alle Mitglieder in einem doppelt freien Projekt müssen einsehen, das
Selbstentfaltung gut für sie ist". Niemand "muss"...
Das ist eine objektive Schwierigkeit: Zwang und Entfremdung mit
nicht-erzwingenden und nicht-entfremdenden Mitteln aufheben.
* Interessen, die in die Produktentwicklung einfließen dürfen sich
ausschließlich auf die stofflichen Eigenschaften des Produkts,
insbesondere die Produktqualität beziehen.
(Damit wären Verwertungsinteressen raus.)
Schön wär's. Der Doppelcharakter der Ware ist doch die große Entdeckung
von Marx: Es gibt eine Gebrauchs- und eine Verwertungsseite. Der Wert
braucht stets eine Nützlichkeit, in der er "erscheinen" kann. Das ist
doch auch IRL so: In den Fabriken und Büros wird über nix anderes
geredet: Wie können wir "unser" Produkt verbessern - um es besser
verticken zu können, klar. Sobald du eine Ware hast, ist beides drin.
"Interessen" kann man IMHO nicht herausdefinieren. Der Witz der GPL ist
ja auch, dass sie genau das nicht macht, sondern eine wichtige Bedingung
für das Warendasein untergräbt: die Knappheit (wie hier inzwischen alle
wissen). Das auch nur als "Seiteneffekt".
* Eventuelle Interessen von Dritten dürfen nur insofern eine Rolle für
die EntwicklerInnen spielen, insofern sie sie zu ihren eigenen
machen können.
(Damit wäre sichergestellt, daß ich doppelt Freie Software auch auf
Wunsch produzieren kann - weil mir daran liegt, jemenschem einen
Wunsch zu erfüllen und deswegen ich mir deren Interessen zueigen
mache. Sonst wäre eine doppelt Freie Entwicklung z.B. für Blinde gar
nicht möglich, was ich aber für kontraintuitiv halte.)
Dito: über Interessen und normative Regeln ("dürfen nur...") geht es
IMHO nicht.
Der Witz der Selbstentfaltung ist doch, dass ich mir gar niemand anderes
Interessen zu eigen machen muss, sondern einfach "nur" meine "eigenen"
verfolge: "Für" jemanden etwas zu tun, erscheint nur in einer
Tauschgesellschaft der isolierten Einzelnen als Weggabe, Aufgabe, Opfer.
In einer Freien Gesellschaft ist es selbstverständlicher Teil meiner
Persönlichkeits-Entäußerung, Teil meiner Selbstentfaltung. Das geht auch
nur dann, wenn ich mich als gesellschaftliches Wesen begreife: nicht
irgendwie abstrakt, per "Einsicht", sondern praktisch und intuitiv. Eine
solche "Intuition" ist in der Tauschgesellschaft nahezu ausgeschlossen.
Deswegen tendieren wir (ich auch) immer wieder dazu, den Leuten
alternative Normative vor die Nase zu setzen. Das macht aber genau das
kaputt, was wir wollen.
Die "Intuition" kann sich nur unter "Sonderbedingungen" einstellen, von
denen die Freie Software eine ganz prominente ist. Wer aber nicht von
irgendwoher sonst wenigstens eine leise Ahnung von "Selbstentfaltung"
(im ox-Sinne) hat, der wird nicht kapieren, was da bei Freier Software
(ansatzweise) abgeht. Deswegen gibt es IMHO auch so etas wie einen
kulturellen Bruch...
Mir kommt es schon immer ziemlich merkwürdig vor, wenn ich den Leuten
auf ihre Bedenken zur Selbstentfaltung flapsig antworte: "Ich habe doch
was davon, wenn ich etwas für Andere tue." Das ist nicht weit weg vom
Win-Win-Gerede der Total-Quality-Manager.
Und btw. ist gerade (freie) Softwareentwicklung eine gute Möglichkeit
der _Teilhabe_ durch blinde und stark seheingeschränkte Menschen.
Also wenn Kriterien, dann vielleicht solche, die die Bedingungen für die
Dynamik in einem Freien Projekt beschreiben. Ohne personale
Voraussetzungen, wie wer sein "muss"...
Ciao,
Stefan
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