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[ox] Freies Radeln gescheitert ?



Versuche in MÜnchen und Wien, Fahrräder an mündige Bürger ohne allerseits
lästige Verwertungsschikanen zu verleihen, sind am Egoismus der Teilnehmer
gescheitert.

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Berliner Zeitung vom 21.6.2002
http://www.BerlinOnline.de/aktuelles/berliner_zeitung/feuilleton/.html/153243.html

Radfahrer sind auch nicht besser

Carmen Böker

Am vergangenen Wochenende fragte die Münchener "tz" in ihrer
Titelgeschichte an, wo es sich besser leben lasse, in Bayern oder in
Österreich. Erstaunlicherweise - man hatte die üblichen Ressentiments
vermutet - war das Ergebnis ausgewogen. Hier (Bayern) mehr
Lebensqualität, da (Österreich) ein besseres Schulsystem, und auf
beiden Seiten gibt es besser zu essen.

Beide Länder verbindet auch der Glaube, dass viele Menschen Fahrrad
fahren wollen, ohne eins zu besitzen. In Wien werden seit Mai dieses
Jahres 1 500 "Viennabikes" durch die Stadt verliehen. In München -
auch hier kommt man nicht ohne griffigen Anglizismus aus - fungiert
das Dispatchen von 1 000 Leihrädern seit zwei Jahren unter dem Slogan
"Call a bike"; es wurde jüngst, nach der Insolvenz des privaten
Betreibers, von der Bahntochter DB Rent übernommen.

Analog zu Bayerns selbstgefälligem Auftritt als wirtschaftliches
Musterland wird in München das Prinzip angewandt, dass nichts wert
ist, was nichts kostet - ein Projekt des Magazins der "Süddeutschen
Zeitung", unabgeschlossene Räder im Stadtraum klauen zu lassen, ließ
die zuständige Volontärin bis zu zwei Wochen warten, ehe sich ein Dieb
erbarmte. Die Leihräder in München also können nur benutzt werden,
wenn man zuvor 15 Euro Kaution von seiner Kreditkarte abbuchen lässt.
Dieses Guthaben darf - nach telefonischer Ermittlung des
Schlossentriegelungscodes - abgefahren werden, was bei einem
Minutentakt von drei Cent und einem 24-Stunden-Tarif von 15 Euro nicht
allzu lange dauern dürfte.

Obwohl man in München Kreditkartenbesitzer sein muss, um leihradeln zu
dürfen, funktioniert "Call a bike", denn dort sind viele
silber-orangefarbene Leihräder in Bewegung. In Wien hingegen tauchen
die hellblauen und rosaroten "Viennabikes" neuerdings eher im
Kleinanzeigenteil auf, wo sie ungerührt für 50 Euro vertickt werden.
Ursprünglich konnte man sie nach Einwerfen einer Zwei-Euro-Pfandmünze
kostenlos entlehnen - die treuherzige Hoffnung, dass sie nach einigen
Stunden wieder zurückgegeben würden, hat sich rasch zerschlagen; die
Hälfte gilt als gestohlen oder unauffindbar.

Ab Juli darf das "Viennabike" nur noch für maximal vier Stunden
genutzt werden, wenn man sich zuvor per Handy-Kurzmitteilung
angemeldet hat. Ebenfalls via SMS wird bei Nichtbeachten der
Geschäftsbedingungen künftig eine Mahnung beim Kunden eingehen.
Reagiert er immer noch nicht, wird schließlich das Fahrrad in Rechnung
gestellt. Der Blick nach Bayern hat Österreich gelehrt, dass der
Bürger mit allzu viel Mündigkeit nichts anfangen kann und besser
streng ans Händchen genommen werden sollte.

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Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


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