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Re: Re[2]: [ox] Zum Begriff der Herrschaft



Hi Uli und Liste!

Ich zitiere mal recht ausführlich um die Zusammenhänge nach über zwei
Monaten ein bisschen zu erhalten.

2 months (65 days) ago Uli Holz wrote:
Am Sonntag, you wrote:


SM> Wie andernmails ausgeführt halte ich sie oft nicht für Widersprüche,
SM> weswegen ich sie nicht widerlegen muss. Mir scheint es immer mehr,
SM> dass es bestimmte Teilperspektiven sind, die in einer größeren, dann
SM> differenzierteren Theoriebildung aufgehen müssten damit es fruchtbar
SM> wird.

Gibt es also einen Standpunkt der Gruppe, der fuer die Interessen der
Einzelnen in dieser Gruppe stehen kann und daher berechtigt ist, Herrschaft
auszuueben?

Wieder die Konsensfrage. Ich gehe mal davon aus, daß der Konsens freie
Selbstentfaltung bedeutet, was nichts mit einem kollektiven Willen zu
tun hat, der sich in Repräsentation bestimmter Leute manifestieren
bräuchte. Ich denke mal, daß es bei dieser Thematik letztendlich keine
klare Lösung gibt, sondern immer nur eine Annäherung, also daß direkte
Herrschaft in diesem Fall nicht möglich, sondern höchstens Moderation,
die dann aber auch wieder von den anderen abhängig wäre.
Es gibt z. B. kein Monopol auf diese Thematik.

Konsensverfahren sind m.E. die beste Möglichkeit die
Gruppenstandpunktswolke greifbar zu machen bzw. auch erst zu
materialisieren. Vor einer Entscheidungsfindung ist ja oft gar nicht
klar, wie die Einzelmeinungen aussehen und in einer gelingenden
Entscheidungsfindung werden sich Meinungen tendenziell auch verändern.

Das ist im Kern das, was einE guteR MaintainerIn berücksichtigt.
MaintainerInnen haben nach meiner Auffassung vor allem (auch) eine
Moderationsrolle. Wie andernorts ausgeführt, halte ich das
Maintainer-Prinzip für ein abgewandeltes Konsensmodell.

Der grundlegende Konsens wäre vielleicht mit vom Monolog zum Dialog
auszudrücken, ein gewisses Brainstorming, ob man sich seiner in
manchen Fragen so sicher sein kann, was dann zu Selbstentfaltung
führt, und man gewisse Zusammenhänge besser überblickt.

Vom Monolog zum Dialog finde ich wichtig. Kommunikation ist
super-wichtig.

Ein großer Schritt zur Selbstentfaltung wäre vielleicht erreicht, wenn
man Ängste abbauen könnte und jeder sein Weltbild darstellt, so
seltsam es dem Einzelnen vorkommen mag, sonst ergibt sich das
Prinzip, daß man dem Wortgewaltigsten sagt, was er hören möchte, somit
seine Herrschaft sichert, dieser sich aber wieder im Monolog befindet,
daß setzt natürlich ein gewisses Maß an Toleranz voraus.
Dazu fällt mir, wie könnte man es nennen, der Begriff von vielleicht
proprietärer Selbstentfaltung ein. Letztens hast du angedeutet, daß
das eigene Verstehen ein Sammelsurium von Leuten ist, die irgendetwas
Großartiges geleistet haben. Nun ist es so, daß man sich natürlich
immer auf große Philosophen und ihrer Exegese berufen kann. Nehme ich
Platons 'Politeia' ist dem kaum noch was anzufügen.
Ziel sollte es wahrscheinlich sein, sein eigenes Buch in geistigem
Sinne zu schreiben, sonst erreicht nur der Schreiber Selbstentfaltung,
selber versucht man aber nur, diese Größe zu erreichen, was dann
zu Frustration führt.

Ich habe auch so einen gewissen Hang zum Originellen,
Noch-nie-da-gewesenen (und weiß auch wo das herkommt, aber das wäre
ein Thema für `chat oekonux.de'). Ich bin immer weniger sicher, dass
das der Weisheit letzter Schluss sein muss.

Als Beispiel nehme ich mal etwas einfaches:
Man kann von einem Interpreten einen Popsong nachspielen, hört sich
gut an, aber man kann weder sagen, was sich derjenige dabei gedacht
hat (da stark emotional,seine Umgebung betreffend,Zeitalter etc.) noch
erreicht man dieselbe Qualität.
Selbstentfaltung wäre ein eigener Song, möglich auch mit derselben
Melodie und nicht den Versuch 1:1 zu kopieren.

Eine Interpretation wenn ich mich da in der Nomenklatur richtig
auskenne.

Das wäre ein neuer Weg in der Bildung, möglichst in Grundschulen,
nicht mehr nur Literatur mit den Klassikern und ihrer proprietären
Exegese, sondern eigene Literatur ohne Auslegung und dann Dialog mit
anderen. Man hätte vielleicht nicht mehr das Gefühl, den 'Großen'
nachzueifern, was sich auch durchaus beim Porschefahren ausdrücken
kann, sondern würde mit seinem eigenen Skript ein Stück von dieser
Herrschaft nehmen.

Zunächst würde es auf jeden Fall das Gefühl für das Selbst stärken.
Das ist wichtig für Selbstentfaltung.

SM> So wie parlamentarische Repräsentation gebaut ist, ist sie
SM> selbstredend schon zutiefst entfremdet. Allein die Macht, die den
SM> RepräsentantInnen und insbesondere deren Regierungsfraktion gewährt
SM> wird, hat so viel Entfremdungspotential, dass die
SM> Repräsentationsaufgabe nur noch Nebensache sein kann.

Im imperativen
Mandat hingegen werden Leute auf den Willen der Gruppe (deren Konsens)
verpflichtet und sind _jederzeit_ abwaehlbar, wenn die Gruppe das aufgrund
seines Handelns fuer noetig haelt. Raetesystem halt, Muenchen 1919 z.B.
Durch den 'Weissen Terror' weggemetzelt.

Ich glaube nicht, daß parlamentarische Repräsentation zutiefst
entfremdet ist, daß das auch ein bisschen am Volk liegt. Man kann nicht
immer sagen, die da oben machen was sie wollen. Im Grunde genommen ist
man auch ein bisschen verwöhnt und übernimmt einfach konstruierte
Meinungen. Solange man Brot und Spiele hat, was soll's.

Nun, zumindest was uns täglich präsentiert wird, spielt der Machtkampf
zumindest in dieser parlamentarischen Demokratie doch schon eine
erhebliche Rolle. Das ist m.E. der Bezug zu den Bedürfnissen konkreter
Menschen doch sehr gestört.

Machtkampf verhindert dies überhaupt recht gerne. Da spielt nur noch
das Machtbedürfnis eine Rolle. Was ja auch seine Berechtigung hat,
aber dann doch bitte auf eigenem Terrain ausgetragen werden sollte -
oder?

Als Beispiel nehme ich mal Amsterdam, wo es lustige Sachen gibt, die
hier so nicht möglich wären. Es gab da die Kabauter, die sich einen
Spaß daraus machten, die Obrigkeit mit freien Fahrrädern oder
Hausbesetzungen zu ärgern, ohne selbst eine Regierung werden zu
wollen. Allerdings fand das Ganze breite Unterstützung bei den
übrigen Leuten, ob jung oder alt und man lachte über den Stadtrat.
Das hängt natürlich auch mit der Geschichte der Stadt zusammen, wo der
gemeinsame Feind das Wasser ist und nicht der König, der weit weg
wohnt.

Oder eben auch Freie Software. War
nicht das Tolle an FS, dass jedeR munter macht was er/sie will, und dass
dann das gemeinsame Produkt FS herauskommt?

SM> Ja, das ist das Tolle. Aber jetzt mal die Metaphysik beiseite
SM> gelassen: Wie geht das eigentlich genau? Wie einigen sich diese
SM> Individuen jenseits der Wertsphäre auf ein gemeinsames Produkt? M.E.
SM> ist das besser zu verstehen, wenn mensch einen Gruppenstandpunkt
SM> annimmt. Andere Theorien?

Setzt aber hohes Wissen voraus, an dem nicht jeder teilnehmen kann.
Vielleicht ist das spezielle Wissen der Gruppenstandpunkt.

Nun, spezielles Wissen kann in einem solchen Fall zur
Gruppenstandpunktswolke gehören oder auch erst den Zugang dazu öffnen.
Warum Unix von der Konstruktion her so Klasse ist, erfährst du eben
erst, wenn du ein Weilchen damit gearbeitet hast - oder anderweitig
über entsprechende Erfahrung verfügst. Am Anfang ist nicht klar, warum
`ls', `grep', `sh', die Pipe usw. tolle Tools sind (zumindest für
Viele).

Sobald aber eineR von beiden _den_ Standpunkt
der Gruppe fuer sich reklamiert, wirds herrschaftlich, dann wird der/die
andere definiert.

SM> In dem Duktus, in dem du das hinschreibst, tut sie das genau nicht
SM> mehr. Indem sie sich als alleinige InhaberIn des Gruppenstandpunkts
SM> bezeichnet, verlässt sie just diesen. Dies ist eine logische Folge des
SM> überindividuellen Charakters des Gruppenstandpunkts.

Hängt vieleicht aber auch mit proprietärer Selbstentfaltung zusammen,
wie man miteinander umgeht. Wie macht es der Kaiser und mein
Lieblingsgeneral.

Das ist dann aber auch ein individuelles Problem. Für die eigene
Person verantwortliches Handeln beinhaltet m.E. sich auch über solche
Dinge Gedanken zu machen - wo sie denn konkret für eine Person wichtig
sind.

Eine Beziehung würde ich m. E. wieder so
ausdrücken, vom Monolog zum Dialog, na, jetzt hast du ja jemanden, der
dir zuhört.

Solange beide etwas teilen und das mag gerne auch Vieles
sein, kann ich schwer mit Herrschaft verbinden.

Zusammengefasst: Mir scheint, wenn du das Soziale als solches mit
notwendiger Herrschaft in Verbindung bringst, dann schuettest du das Kind
aus.

Soziales hat eigentlich m. E. nichts mit Herrschaft zu tun, Herrschaft
ergibt sich aus einem gemeinsamen Feind.

Siehe dazu andernmails.

SM> Heute würde ich zunächst mal sagen: Das Soziale konstituiert sich
SM> wesentlich über Gruppenstandpunkte. Herrschaft ist erst die zweite
SM> Frage.

Soziales konstituert sich vielleicht auch aus gemeinsamen Problemen.

Die gemeinsamen Probleme sind m.E. ein wichtiger Konstituent einer
Gruppenstandpunktswolke. Die gemeinsamen Probleme konstituieren ja
gerade viele Gruppen. Warum sollte mensch sonst was zusammen machen,
um nicht gemeinsam empfundene Probleme zu lösen? Und sei es, das
Gefühl, dass einem die Decke auf den Kopf fällt, das einen in die
Kneipe treibt.

Je stärker die Probleme und je weniger Dialog, umso mehr Herrschaft.

Das scheint mir ein bisschen sehr einfach.


						Mit Freien Grüßen

						Stefan

________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


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