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[ox] Fabrik vs FS (was: Re: Re[2]: OS vs FS)



Hi ThomasB, StefanS, ThomasP, StefanMz, Liste!

Das ist noch ein älterer, aber sehr interessanter Sub-Thread. Ich
neige eher den Äußerungen zu, die StefanS und ThomasP beigetragen
haben. Vielleicht kann ich auch noch ein paar Gedanken beitragen, die
vielleicht auch ein bisschen mit StefanMz' Position vermitteln können.

2 weeks (16 days) ago Thomas Berker wrote:
Was du ueber den Maintainer schreibst aehnelt in ein paar Zuegen dem
idealisierten (Selbst-)Bild des patriarchalen Unternehmers um 1900. Er
versteht als seine Aufgaben und Arbeitsbedingungen:

Was mich an diesem Ansatz interessiert ist weniger, wie sich der
patriarchale Unternehmer um 1900 selbst sieht, sondern welche
konkreten Anforderungen durch sein Selbstbild quasi hindurchscheinen.
Ein Stück Realität also, dass er mit seiner selbstverstandenen
Rollenzuweisung abbildet. An *dieser* Stelle finde ich, dass es
interessante Parallelen zwischen Fabrik, Freien-Software-Projekten und
allgemein menschlicher Tätigkeit jenseits des völlig
eigenbrötlerischen - wenn mensch das überhaupt denken kann - gibt.
Spannend wäre es jetzt, genauer zu kristallisieren, was da genau
abgebildet wird.

Um auf StefanMz' Einwandlinie einzugehen: Für mich hat das ein
bisschen was mit der Wert-/Gebrauchswertseite der Tätigkeit zu tun.
Deine Argumentation - wenn ich sie recht verstehe - ist, dass die
Wertseite der Tätigkeit der (Früh-)KapitalistIn die Gebrauchswertseite
- also wie sie die Fabrik organisiert *völlig* überformt. Im "völlig"
läge mit mir der Dissens. Ich würde dir zustimmen, dass es da heftige
Einflüsse gibt - keine Frage und oft genug meine eigene Rede. Aber
andererseits hat jede stoffliche Produktion in jeder Epoche nun mal
ein paar konkrete Anforderungen, ohne deren Erfüllung das Ganze
schlicht nicht stattfindet. Diesen Anforderungen muss die
Freie-Software-MaintainerIn genauso gerecht werden, wie die
FabrikkapitänIn - schlicht weil sie sonst weder was maintaint noch
kapitäniert.

Um es noch mit der Grenzen- / Knappheit-Debatte zu verbinden: Die
konkreten Anforderungen, die aus der stofflichen Produktion kommen,
bilden Grenzen, die durch menschliche Aktivität verschoben werden
können - Veränderung / Weiterentwicklung von Technik z.B. oder auch
Veränderung von Organisation / sozialen Zusammenhängen. Dennoch gibt
es diese Grenzen und in einer je konkreten Situation können die auch
ganz schön fest liegen. Ich kann mit heute z.B. so lange einen
StarTrek-Replikator wünschen wie ich will - ich werde ihn nicht
bekommen. Dies begrenzt meine Möglichkeiten der materiellen Produktion
- um mal ein etwas extremes Beispiel zu wählen.

Aber nun zu den einzelnen Punkten von ThomasB.

a) Die Sorge um das Weiterbestehen,

Ein wichtiger Faktor. Kontinuität ist für jedes Projekt von Bedeutung
- sonst würden wir es vermutlich gar nicht erst Projekt nennen. Ich
habe andernmails schon von Visionen in einem Projekt und so
geschrieben. Da könnte ich mir eine Quelle von Kontinuität vorstellen.

Die Frage, die sich im Oekonux-Rahmen stellt: Wie kann Kontinuität in
einem emanzipatorischen Sinne (d.h. bedürfnisorientiert, unentfremdet)
hergestellt werden? Da zeigt m.E. die Freie Software - und auch viele
andere Möglichkeiten des Engagements - wie es geht: Ein
selbstgewähltes Bekenntnis zu den Zielen eines Projekts - zur Vision,
die ein Projekt zu verwirklichen sucht.

Um Missverständnissen vorzubeugen: Das Ziel eines Projekt, die Vision
ist für mich weder sakrosankt noch transzendent sondern eine immanente
Eigenschaft eines Projekts. Als solche kann das natürlich einem Wandel
unterliegen.

b) die Abhaengigkeit von guten ArbeiterInnen, die dementsprechend auch
gut behandelt werden muessen,

Um nochmal den Fabrik- / Freie-Software-Gegensatz zu bemühen: Klar hat
die UnternehmerIn ein Interesse an ihrer Renditequelle. Aber gerade
bei mittelständischen UnternehmerInnen - wo Menschen sich auch noch
tendenziell persönlich kennen - gibt es auch heute noch so etwas wie
eine soziale, menschliche Verantwortung für die MitarbeiterInnen. Da
spiegelt sich m.E. ein bisschen die Sorge der MaintainerInnen um die
Selbstentfaltung der anderen MitarbeiterInnen (und vielleicht im
übrigen auch die Sorge der anderen MitarbeiterInnen um die
Selbstentfaltung der MaintainerIn - um diese Richtung auch mal zu
erwähnen).

Aber auch auf einer ganz konkreten, sachlichen Anforderngsebene sehe
ich hier durchaus Zusammenhänge. Du brauchst natürlich (nach
irgendwelchen Kriterien) gute Mitwirkende in einem größeren Projekt.
Da ist natürlich tendenziell für alle Mitwirkenden ein Interesse da,
diese guten Leute nicht verlieren zu wollen. Dies läuft in gewisser
Weise auch auf eine Elitenbildung hinaus (im Sinne des systematischen
Soziologen) - da habe ich momentan erstmal nicht so viele begriffliche
Berührungsängste.

Die Frage, die sich im Oekonux-Rahmen stellt: Wie können Mitwirkende
in einem Projekt gehalten werden? Oder besser formuliert: Wie kann ein
Projekt so organisiert werden, dass gute Leute sich dort gerne
einbringen? Selbstentfaltung ist da m.E. ein wichtiges Stichwort und
die KapitalistInnen sehen das ja auch in gewisser Weise - wenn sie
halt über die Entfremdungsbedingungen auch harte und unhintergehbare
Grenzen haben.

c) die Organisation der Zusammenarbeit und

Hier hat sich allerdings im Laufe der Zeit eine Menge verändert würde
ich meinen. Während bei der IndustriekapitänIn von 1900 die
vorhandenen technischen Mittel im Rahmen des Entfremdungszusammenhangs
bestimmte Organisationen von Zusammenarbeit einfach nahe legten - das
Fließband hat sich ja weitgehend gegenüber den handwerklicher
orientierten früheren Formen durchgesetzt -, ist dies durch die immer
stärkere Informatisierung jeglicher Produktion heute nicht mehr so
naheliegend. Banales Beispiel: Ob ich mich mit meinem Projektpartner
per Flur, Sitzung, Brief, Telefon, Mail, IRC oder Chatroom unterhalte
ist heute oft eine Frage der persönlichen Vorlieben und der je
konkreten Problemlage und bedarf keiner Gesamtorganisation von oben
mehr. Im Gegenteil: Die Vorschrift ein bestimmtes Medium zu benutzen
dürfte Produktivität sogar einschränken, da eine starre Vorschrift bei
der heutigen Vielfalt konkreter Situationen nicht problemangemessen
sein *kann*. Und das gilt in allen Projekten.

Ich würde also folgern - und ich vermute, dass ich mich hier Empire
nähere -, dass die Organisation der Zusammenarbeit heute viel weniger
durch die technischen Gegebenheiten quasi vorbestimmt ist, sondern
allgemein größere Freiräume entstanden sind. Dennoch muss natürlich
eine Zusammenarbeit irgendwie zustande kommen. Und das bedeutet heute
eben wesentlich Rahmenbedingungen für die Kommunikation zu schaffen -
von allen, für alle. Und auch dazu gehört Selbstentfaltung - ganz
einfach, weil es sich selbstentfaltet besser kommuniziert.

d) die Verantwortung fuer den Gesamtproduktionsprozess und das
Produkt.

Ja, Verantwortung. Strapaziere ich ja in letzter Zeit auch gerne und
oft. Die Frage sollte vielleicht mal geklärt werden, was das genau
bedeutet. So wie es hier anklingt, finde ich es gar nicht so schlecht:
Verantwortung ist wenn - Mist - zyklisch - nochmal. Das Gefühl, das
Versprechen des Projekts auch umzusetzen. Haut so etwas hin?

Spannend finde ich nun, dass du (mit Brooks) interne Konsistenz und
Klarheit stark machst um diese Ziele zu erreichen.

Ich denke, dass das Hilfsmittel sind, die in einigen Situationen
nützlich sind. Konsistenz und Klarheit dürften vor allem dann nützlich
sein, wenn du mit komplexen Systemen hantierst. Dann fällt es Menschen
einfach leichter, sich da einzudenken. Software und andere
Ingenieursprodukte dürften ein regelmäßiges Beispiel dafür sein.

Ob dies in weniger komplexen Systemen auch noch der Fall ist, weiß ich
nicht genau. Da kann ich mir auch vorstellen, dass andere Dinge viel
wichtiger sind.

Ein
"Industriekapitaen" des 19. Jahrhunderts wuerde gerade Geschlossenheit
benuetzen um die Ziele zu erreichen, allen voran natuerlich: Patente.

Nur kurz ein noch ein Beispiel dafuer: Der Bestand der Firma im
Familienbesitz wird durch Privat(aus)bildung fuer den Stammhalter
garantiert. Nur er (sic!) soll das Geheimwissen bekommen. (Ironie der
Geschichte: einige der besten linken Theoretiker sind als solche
Fabrikerben erzogen worden).

Das ist witzig: Ich hatte Geschlossenheit zuerst in der Lesart der
(alt-)kommunistischen oder auch der C-Parteien verstanden: Ein
geschlossenes Auftreten. Du meinst aber tatsächlich Abgeschlossenheit
/ Geheimhaltung (wobei Patente ja BTW gerade die Geheimhaltung
aufheben).

Während ich nun meine erste Lesart durchaus mit der internen
Konsistenz und Klarheit in Übereinstimmung bringen kann, finde ich es
bei der Geheimhaltung überhaupt nicht naheliegend. Wie kann ein
Geheimnis etwas klar machen?

Ich uebersetze deine Klarheit und Konsistenz fuer mich erstmal in:
Minimieren von informeller und Maximieren von formeller Organisation.

Hier würde ich erstmal gerne rückfragen: Was ist für dich formelle und
was informelle Organisation? Lese ich es richtig, wenn informelle
Organisation so etwas wie eine Folge von ad-hoc-Absprachen sind? Dann
würde ich sagen, dass Konsistenz und Klarheit damit zwar nicht gerade
erleichtert, aber auch nicht notwendig verhindert werden. Kommt dann
sehr darauf an, wie gut diejenigen als Ingenieur sind (guter Ingenieur
== denkt schnell in die "richtige" Richtung). Eine Organisation, die
weniger ad hoc ist, könnte dann die in einem Denkprozess als
(vorläufig) richtig erkannte Konsistenz und Klarheit irgendwie
festhalten - als Regeln für Menschen oder gleich als Software. Ist das
dann für dich die formeller Organisation?

Das leuchtet ein, noch so offene Quellen helfen nichts, wenn ich a)
ewig brauche um sie zu verstehen und v.a. wenn b) ein Haufen
impliziter "Geschichte" dahinter verborgen ist. Gleichzeitig lauert
aber dahinter ein Machtfaktor, den du auch schon andeutest: Formale
Regeln sind nicht machtneutral. Zum einen gibt es denjenigen, der sie
durchsetzt und interpretiert, zum anderen sind auch in noch so
abstrakten Regeln, Techniken und Technologien Machtverhaeltnisse
eingeschrieben.

Es ist geradezu das Wesen von Regeln nicht machtneutral (schönes Wort
:-) ) zu sein. Regeln sind ein Mittel um ad-hoc-Absprachen
einzuschränken - aber auch unnötig zu machen. Eine Regel kann
Bedürfnisbefriedigung einschränken - aber auch das Bedürfnis nach
einer Vereinfachung einer komplexen Situation befriedigen. Um mal zwei
Wirkungen von Regeln zu ewrwähnen. Das kann also "gut" und "böse" sein
- kommt sehr auf die Regel und die Situation an.

Für die SpielerInnen unter uns: Hinter den Spielregeln komplexer
Spiele verbirgt sich nach meiner Erfahrung oft ein Geist (ich denke
hier z.B. an das gute, alte "Armageddon" ;-) ). Ein Spiel
"funktioniert" dann, wenn diese Regeln konsistent und klar sind.
Komplexe Spiele können in ihrem Verlauf aber Situationen haben, die
durch die Regeln nicht klar abgedeckt sind. Dann sind ad-hoc-Regeln im
Sinne des Geistes der anderen Regeln eine nützliche Sache. Na, noch
nicht so richtig ein Punkt ;-) .

Zu Ende gedacht: Für mich stellt sich aber immer mehr die Frage, für
welche Zwecke diese Macht / Regeln eingesetzt werden. Ein zentrales
Stichwort wäre für mich mittlerweile die Entfremdung.

Trotzdem wuerde ich sagen, dass dies eine auch politisch fuer mich
vertretbare Version von Machtausuebung in FS-Projekten und darueber
hinaus darstellt: Der/ie MaintainerIn wird auf formelle Klarheit und
Konsistenz verpflichtet und hat die Verantwortung dafuer, dass diese
gewahrt wird.

Verpflichtet *sich*! Nicht irgendwer anderes tut das.

Informelle Mittel der Machtausuebung, wie z.B. Kungeln,
so effektiv das sein mag, um die oben angefuehrten Ziele a-d zu
erreichen, waeren damit verboten.

Das ist halt die Frage, ob Kungeln oder brutale Machtausübung effektiv
sind. Wenn die Leute freiwillig da sind und ein Interesse am Projekt
haben, dann brauchst du Transparenz nicht zu verbieten, sondern die
erfahrene MaintainerIn wird dies im Interesse des Projekts von ganz
alleine machen - weil sie weiß, dass es effektiver ist. Das ist im
Kern übrigens auch wieder mein Produktivkraftentwicklungsargument.

Ein Zweifel bleibt: Wir wissen aus der Arbeitssoziologie, dass
ueberall da, wo Menschen zusammenarbeiten, ein Haufen informelle
Organisation stattfindet. Gerade die Zunft der CSCW (Computer
Supported Cooperative Work) hat sich lange die Zaehne daran
ausgebissen, dass eine ganze Menge an Arbeitsinteraktion (und
uebrigens auch Wissen) nicht formalisierbar ist. Wo bleibt das dann?

Formell, formalisierbar, aufschreibbar und algorithmisch umsetzbar
wären für mich hier vier verschiedene Paar Schuhe, zwischen denen
unterschieden werden müsste.

Und ist es nicht auch das, was Arbeit manchmal spannend macht, dass
wir Freund oder Feind werden mit unseren Chefs und KollegInnen?

Meine jedenfalls nicht - zumindest was das Feindsein betrifft.


						Mit Freien Grüßen

						Stefan
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Unread: 121 [ox], 73 [ox-en]

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Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


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