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Re: [ox] Lohoff, Die Ware im Zeitalter ihrer arbeitslosen Reproduzierbarkeit



Hi Liste!

Ein paar Kommentare zu Ernst Lohoff. Kann und soll gerne an ihn
weitergeleitet werden.

2 weeks (17 days) ago Lorenz Glatz wrote:
Stefan Meretz knüpft an das traditionelle marxistische Konzept von
den Produktivkräften als dem eigentlichen geschichtlichen Agens an.
Er versucht, diese Vorstellung durch eine Ausdifferenzierung des
Produktivkraftbegriffs neu zu begründen. Gegenüber der klassisch
technikfetischistischen Produktivkraftemphase hebt er die
menschliche Seite hervor.Nicht der als Maschinenwelt Ding gewordene
Fortschritt soll in eine bessere Zukunft führen; stattdessen gilt
ihm das produktive Zusammenspiel in der Freie-Software- Bewegung als
"Keimform" eines "globalen Übergangs von der warenförmigen,abstrakt
entfremdeten zur herrschaftsfreien,personal vermittelten"
Reproduktion.

Jetzt weiß ich nicht mehr genau, was Stefan tatsächlich geschrieben
hat. Ernst Lohoffs Zuspitzung ist in meinen Augen jedenfalls falsch.

Die Technik spielt eine Rolle *und* die sozialen Prozesse, die auf
ihrer Grundlage ablaufen. Ich würde hier nicht das eine gegen das
andere ausspielen. Ohne Internet gäbe es keine Freie Software. Und ob
es ohne die durch Computer (mit-)ausgelösten sozialen Prozesse das
Internet gerade in dieser offenen Form gäbe, die wir heute kennen,
halte ich zumindest für fraglich.

Diese (nicht ganz neue) Schwerpunktverschiebung
beseitigt freilich keines der mit der Vorstellung von der
revolutionären Rolle der Produktivkräfte ver- bundenen Probleme.
Genau wie der klassische Marxismus verheddert sich Stefan Meretz in
der Aporie, Befreiung und den Übergang zu einer bewussten
Vergesellschaftung ausgerechnet in seinem Gegenteil, einem
bewusstlosen Prozess, der Produktivkraftentwicklung, gründen zu
wollen. Indem er den "Primat der Inhaltsseite" verkündet,degradiert
er den bewussten und kollektiv organisierten Bruch mit der
warengesellschaftlichen Form zu etwas eigentlich Sekundärem,
bzw.imaginiert ihn als ansatzweise schon vollzogen - auch in dieser
Hinsicht lassen Hilferding und Co grüßen.

Wie war nochmal genau die Begründung dafür, dass ein bewusstloser
Prozess eine Gesellschaftsveränderung nicht zumindest begünstigen,
u.U. sogar erst ermöglichen kann? Auch wenn es hin zu einer stärker
bewussten Gesellschaft ist?

Ist der naheliegende Umkehrschluss nicht ein idealistisches Verständnis
von gesellschaftlicher Veränderung? Wenn das Bewusstsein der Massen
(TM) ausschlaggebend ist, dann müssen wir ja eigentlich nur alle feste
genug anders wollen - oder?

Vor allem aber gerät ihm
unter der Hand der emphatische Bezug auf die Produktivkräfte zum
hohen Lied auf eine positive soziale Daseinsweise,in seinem Fall die
einer bestimmten Informationsarbeiterszene. Um es bösartig
überzupointieren: Der Marxismus hat die Arbeiterklasse als das
Fleisch gewordene Gegenprinzip zum Kapital gefeiert.Bei Stefan
Meretz kehrt diese Vorstellung in einer elitären Schrumpfversion
wieder.Weniger polemisch formuliert: In Stefan Meretz' "Meta-Replik"
vermischt sich die Überlegung,woran der Ausbruch aus der Warenform
in einem spezifischen gesellschaftlichen Bereich praktisch anknüpfen
kann, mit einem affirmativen Bezug auf die eigenen Gewohnheiten.

Na, also ich habe Stefan bisher jedenfalls nicht als besonderen Geek
kennengelernt ;-) .

Ansonsten ist dieser Absatz eine Reformulierung des "Es gibt nichts
Richtiges im Falschen." Das klingt für mich aber immer mehr wie "Es
kann nicht sein, was nicht sein darf."

Am Ausgangspunkt der Kurzschen Argumentation, der Notwendigkeit, mit
dem Abschied von Vorstellungen des Staates als Demiurgen die Frage
nach der Umwälzung der Verhältnisse als Frage der Aneignung der
sozioökonomischen Reproduktion zu reformulieren, ist festzuhalten.
Der Analogieschluss freilich, den Kurz zur Sicht des historischen
Materialismus auf die bürgerliche Revolution zieht und der seinen
Niederschlag in der Übernahme des Keimformbegriffs findet,will nicht
so recht einleuchten. Zunächst einmal erkennt er dem verflossenen
Marxismus ein bisschen viel Ehre zu. Das marxistische Diktum von der
Keimform,die schließlich die bürgerliche Hülle gesprengt habe,
bezieht sich für gewöhnlich überhaupt nicht auf die tatsächliche
frühmoderne Konstitutionsgeschichte der Warengesellschaft. In seiner
soziologistischen Verkürzung ließ der Marxismus vielmehr unter der
Bezeichnung Feudalismus den Absolutismus figurieren, eine Ordnung,
die realiter selber schon auf dem Boden von Geld- und
Warenbeziehungen stand, bzw. deren Grundlagen aktiv geschaffen hat.
Bei der Umwälzung,die der Marxismus im Auge hatte, handelt es sich
näher betrachtet gar nicht um den Übergang von einer
präwarenförmigen Fetischform zum Warenfetisch, sondern um eine
bereits der Binnengeschichte der Warengesellschaft angehörende
Metamorphose.

Wenn der absolutistische Staat schon zur Binnengeschichte gehört,
warum wird in einer historischen Rückschau die Spätphase der
bürgerlichen Gesellschaft nicht schon zur Binnengeschichte der
GPL-Gesellschaft gerechnet werden können? Wie kann Ernst Lohoff denn
heute sagen, dass dies nicht der Fall sein kann? Hat sich denn für
irgendwen in der absolutistischen Spätphase diese schon nach einer
Vorahnung einer neuen Gesellschaft angefühlt? Wohl für die
allerwenigsten. Dies ist aber gerade das Wesen einer Keimform, dass
sie eben erst einmal gar nicht so sehr bemerkt wird, bevor sie beginnt
den Gesamtprozess zu dominieren - und damit für alle wahrnehmbar zu
werden.

Betrachtet man statt der unmittelbaren Vorgeschichte der
"bürgerlichen Revolutionen" die tatsächliche frühmoderne
Entwicklung, dann beschreibt die Keimform-Metapher aber genauso
wenig den realen Zusammenhang.Kurz hat selber in späteren Texten
überzeugend herausgearbeitet, dass die Geld- und Warenwirtschaft
keineswegs die prämodernen Verhältnisse von unten zersetzt hat, wie
das Bild einer im Schoße der alten Gesellschaft gewachsenen Keimform
nun einmal suggeriert.

Warum kann der feudalistische Staat auch und gerade in seiner
absolutistischen Form denn nicht als Element des
Transformationsprozesses begriffen werden? Als passives, aber auch und
gerade auch als aktives? Das will mir nicht einleuchten.

Vielmehr waren es die frühmodernen Staaten,
die von oben die Monetarisierung sozialer Beziehungen aufoktroyiert
haben.Wer unbedingt Bilder aus dem Pflanzenreich verwenden will,
müsste von aufpfropfen sprechen, jedenfalls nicht von einer
Keimform, die im Boden der feudalen Gesellschaft herangewachsen
wäre, um schlussendlich das Tageslicht zu erblicken.3

Warum gehört der Staat - feudalistisch oder bürgerlich - eigentlich
nicht zum Boden der Gesellschaft?

Was mir hier durchzuleuchten scheint ist ein geradezu empiristisches
Verständnis simpler Antagonismen: Staat hier, Gesellschaft dort -
getrennt von einer unüberwindlichen Mauer und der Staat nur ein
Parasit. Abenteuerlich.

Wie hätte denn der feudalistische Staat diese Monetarisierung
durchsetzen sollen, wenn die objektiven Voraussetzungen dafür nicht in
der Gesellschaft, dessen Teil auch der Staat ist, herangewachsen
gewesen wären? Warum hat sich die durchgreifende Monetarisierung denn
nicht schon bei den alten Griechen oder den Inka durchgesetzt? In
dieser Sichtweise erscheint die Durchsetzung des bürgerlichen Staates
als eine fixe Idee absolutistischer Herrscher. So argumentiert auch
attac gegenüber dem Treiben aktueller bürgerlicher Politiker.
Idealistischer geht's nimmer.

Dass die Wirklichkeit aber so einfach nicht ist, das hat nach meiner
Erinnerung auch Lohoff früher schon mal besser begriffen. In der
Realität durchdringen sich solche Prozesse vielmehr vielfach und
durchaus im Einzelfall auch äußerst verwirrend und wenig eindeutig.
Eine kritische Analyse der Realität darf diese komplexen und
verwobenen Prozesse aber nicht zugunsten eines simplizistischen
Weltbilds übersehen, sondern muss sie in ihrer ganzen Vielfalt und
damit einhergehend eben auch Unbestimmtheit betrachten. Wer dies nicht
aushalten kann oder will, wird konzeptionell da landen, wo der Rest
der Politik schon lange ist. Wer es aushalten kann und will, hat aber
die Chance, heute Hinweise zu bekommen, was im Interesse einer
emanzipatorischen Vision sinnvolles Handeln sein kann.

Die Keimform-Metaphorik passt aber nicht nur in Retrospektive auf
die tatsächliche Konstitutionsgeschichte der Warengesellschaft nicht
so recht.Vor allem weckt sie in Hinblick auf den Ausbruch aus der
Warengesellschaft die falsche Assoziation einer mehr oder minder
friedlichen Koexistenz von der Warenlogik unterworfener und von ihr
befreiter Sektoren.

Die Metaphorik ist mir hier zumindest nicht wichtig. Mir geht es um
einen bestimmten Inhalt, den ich mit dem Begriff Keimform verbinde.

Davon abgesehen muss ein Keim auch nicht unbedingt aufgehen oder kann
vernichtet werden. Von Automatik ist da bei näherer Betrachtung nicht
viel.

Genau das kann es angesichts der Herrschaft
eines durch und durch imperialen Prinzips, wie es der Wert nun
einmal darstellt, aber gar nicht geben.

Wenige Zeilen vorher wusste Ernst Lohoff noch, dass es genau das
gegeben hat - nämlich zu Beginn der Phase der Dominanz der
Wertverwertung, wo feudale Formen mehr oder weniger friedlich mit
bereits bürgerlichen koexisitierten oder sie gar nutzten. Irgendwie
kann es also so imperial dann doch nicht sein.

Gut, so könnte mensch einwenden, damals war es eben auch noch nicht an
der Herrschaft und deswegen hat dieses Prinzip es zähneknirschend
hingenommen. Dann wäre zu erläutern, was an allen vorherigen
Prinzipien weniger imperial war. Denn wenn sie genauso "imperial"
waren, wie es die Wertherrschaft nun mal ist, so hätte die
Wertherrschaft genauso nur mit einem großen Knall und eben nicht als
Keimform auf die Welt kommen können, wie die GPL-Gesellschaft es Ernst
Lohoff zu Folge wohl auch nur tun kann.

Absurd? Blanquistische Revolutionsromantik, nach der die Welt sich
entscheidend durch Barrikadenbau verändert?

Na, weiß er letztlich auch,...

Nicht dass die Emanationen
dieses Prinzips, Markt und Staat,tatsächlich die gesamte soziale
Wirklichkeit erfassen könnten; gesellschaftlich relevante Räume der
Gegengestaltung ließen sich aber nur in der bewussten Konfrontation,
im bewussten partiellen außer Kraft Setzen des Marktdiktats
eröffnen.

...aber interessant wird es nur unter Ernst Lohoffs Bedingungen. Und
er hat ganz genaue Kriterien dafür, was nützlich sein kann und was
nicht. Woher er die mit solch letzter Gewissheit wissen kann, das würde
mich aber wirklich interessieren.

Aber vielleicht ist die von ihm ja eingestandene Unkenntnis des
Gegenstands der Debatte hier wirklich ein Hindernis:

Das könnte nur das Werk einer sozialen Bewegung sein,die
den staatlichen Gewalten sowohl Ressourcen als auch die für eine
Gegenpraxis unerlässlichen infrastrukturellen und juristischen
Rahmenbedingungen abtrotzt.

Wie, lieber Ernst Lohoff, kann das denn dann aussehen? Wieso
ausgerechnet den staatlichen Gewalten, die er wenige Zeilen zuvor noch
lediglich als Emanationen des Wertprinzips versteht? Zugespitzt:
Warum kann es die Freie-Software-Bewegung eben gerade nicht sein?

In der Tat ist die Freie Software eine Gegenpraxis, die unerlässliche
infrastrukturelle - nämlich die Software, aber auch deren
Entwicklungsprinzipien - und - in Form der Lizenzen - auch juristische
Rahmenbedingungen schafft. Sie trotzt sie in der Tat nicht wirklich ab
- auch weil sie es nicht nötig hat, da sie über genügend "Eigenmacht"
und eigenen Raum verfügt.

Aber warum fällt sie deswegen sofort komplett als Keimform aus? Weil
sie nicht bewusst ist mal wieder? Nun, die Durchsetzung der
bürgerlichen Gesellschaft hat auch mit sehr wenig Bewusstheit auch und
gerade bei deren ProtagonistInnen stattgefunden. Ihren Erfolg hat das
bekanntlich nicht verhindert.

Oder ist es der fehlende aufopferungsvolle Kampf, den die
Arbeiterbewegung schon so lange predigt? Kann es sein, dass Ernst
Lohoff hier das alte (letztlich christliche) Prinzip der Notwendigkeit
des Leidens, das dem Kapitalismus so wesentlich ist, hier munter auf
eine Aufhebungsbewegung projiziert? Warum kann eine revolutionäre
Änderung der Verhältnisse nicht auch mal angenehm sein - zumindest in
Teilen? *Muss* eine Aufhebungsbewegung nicht sogar gerade die
Interessen der Menschen *besser* bedienen als das, was sie aufheben
will? M.E. ist an den bisherigen "Aufhebungsbewegungen" *vor allem*
dieses ein Problem. Die bisherige "Antipolitik" ist hier tatsächlich
eine Anti-Politik, in der die Menschen von Politik vertrieben werden.
Demgegenüber scheint es bei Freier Software mir viel mehr so, dass
diese Bewegung Menschen zu politischen Fragen zumindest auch hinführt.

Man kann dem Artikel "Antiökonomie und
Antipolitik" nicht vorwerfen, das nicht klargestellt zu haben -
bereits der Titel ist da eindeutig.

In der Tat eine der zentralen Schwächen des Texts, die Ernst Lohoff
letztlich nur verstärkt und den Oekonux-Gedanken vorwirft: Der Rückzug
auf das "Anti". Um ein pures und simples Anti kann es aber nicht
gehen, wenn eine emanzipatorische Vision auch nur in den Bereich des
Denkbaren rücken soll.

Wenn Kurz, sein Keimformkonzept
konkretisierend, von einer "Aufhebungsbewegung gegen die Wertform"
spricht, wird klar, an welche Sorte von Akteur er denkt.Es geht
nicht um Rückzug auf "small is beautiful" angesichts der
herrschenden gesellschaftskritischen Funkstille.Vielmehr wird die
Frage aufgeworfen,inwiefern eine soziale Emanzipationsbewegung, so
es sie gäbe, sich in ihrer Grundorientierung unter den heutigen
Bedingungen von ihren Vorgängern unterscheiden müsste.

Oft habe ich das Gefühl, dass sich die Emanzipationsbewegung, die m.E.
in Freier Software erkennbar wird, sich so sehr von ihren Vorgängern
unterscheidet, dass sie schlicht aus dem Raster bisheriger
Vorstellungen fällt. Das ist aber ein Problem derer, die überkommene
Raster pflegen. Schade, das ausgerechnet bei einem Krisisprotagonisten
ausmachen zu müssen, der sich ansonsten um die Hinterfragung und
Ersetzung solcher Raster so verdient gemacht hat :-( .

Dass Kurz bei
der Übernahme bestimmter Reproduktionssektoren durchgängig Worte wie
"entreißen" benutzt, macht den hochgradig konfliktvermittelten
Charakter der angepeilten Praxis unmissverständlich.

BTW: Ernst Lohoffs heißgeliebten Konflikt gibt es doch gerade. Er
findet statt um den ganzen, großen Komplex des geistigen Eigentums.
Wann fängt Ernst Lohoff an, Demonstrationen für die Abschaffung des
geistigen Eigentums zu organisieren? Hier verläuft eine zentrale
Konfliktlinie zwischen der alten und einer möglichen neuen Welt.
Schreibt er im Ansatz auch später selbst - nur dass er das Phänomen
nicht bis zum Ende begreift :-( .

Antipolitik
Betreiben hieße keineswegs, mit irgendwelchen Brotkrumen, die vom
Tisch der Wertverwertung herunterfallen,eine Elends- oder
Hobbyökonomie aufzuziehen. Es geht um den Tisch selber sowie um die
sukzessive Übernahme un

Und das ist genau das, was Freie Software leistet. M$ erkennt das mehr
und mehr.

Die Kombination Antipolitik und Antiökonomie hebt auf die strikt
negatorische Stoßrichtung emanzipativer Bestrebungen ab.

Da sagt er es selbst. Anti, Anti, Anti! Wenn ich Lohoff'sch
argumentieren würde, dann könnte ich jedes Entreißen als immer noch
nicht genug Anti denunzieren. Schließlich stammt das Entrissene ja
immer noch der alten Sphäre und ist daher immer schon vergiftet.

Beim Aufbau
einer gesellschaftlichen Gegenstruktur und Demontage der
Megamaschine handelt es sich nicht um Parallelprozesse, sondern um
ein und denselben.

Und genau das ist Freie Software. Bis zu dem Grad, dass es ihnen von
Kritikern wie Nuss/Heinrich und Christoph Fuchs vorgeworfen wird.

Was, lieber Ernst Lohoff, wären denn Kriterien, an denen ein solcher
Aufbau deiner Meinung nach erkennbar wäre wenn es derart ein und
dasselbe ist?

So etwas wie Gegenstruktur und Ansätze nicht
warenförmiger Reproduktion sind dem Angriff auf das Diktat der
Wertform nicht vorausgesetzt,sie müssen mit ihm und in ihm
entstehen.

Warum ist die Entwertung von Software kein Angriff auf das Diktat der
Wertform? Wenn M$ und andere das geistige Eigentum als Voraussetzung
für ihre Geschäftsmodelle angeben, dann scheint mir eine faktische
Abschaffung dieses Eigentums durch die Freie Software doch durchaus
etwas mit einem Angriff auf das Diktat der Wertform zu tun zu haben -
auch wenn hier der Kanonendonner höchstens virtuell ist
(glücklicherweise).

Die Keimform-Metapher verwischt diesen Zusammenhang freilich eher,
als dass sie ihn auf den Punkt brächte. Damit öffnet sie dem
Bedürfnis eine Tür, endlich einmal hier und heute auch ein wenig
positiv werden zu dürfen.

Ach genau, das positiv werden war das, was nicht erlaubt ist - bei
Strafe der Exkommunizierung vermutlich. Na da bin ich aber gerne
Atheist ;-) .

Genau in diese Richtung scheint denn auch die Argumentation von
Stefan Meretz abzudriften. Es drängt sich der Eindruck auf, dass die
Ansätze nicht mehr warenförmiger Reproduktion, die er in die
Freie-Software-Szene hineininterpretiert, zum Ersatz für die nicht
existierende soziale Protestbewegung wird. Dass Menschen in einer
Zeit,in der von Widerstand kaum etwas zu sehen ist, im Glauben, sich
mit dieser Leerstelle einrichten zu müssen und zu können, nach einem
Trostpflästerchen suchen, ist sicherlich verständlich.Taugt eine
solche Positiv-Orientierung aber, um theoretisch und praktisch aus
der Defensive zu kommen?

<sarcasm> Natürlich nicht. Schon logisch kann eine positive
Orientierung prinzipiell nichts zu einer Offensive beitragen, denn wie
jeder weiß, kann eine Offensive nur dann gelingen, wenn möglichst
unklar bleibt, welches Ziel die Offensive eigentlich haben soll. Warum
sollten die Menschen auch in eine Offensive gehen, wenn sie wüssten,
was hinten dabei rauskommen kann? </sarcasm>

Liebe KrisisianerInnen, bleibt einfach weiter in eurer Negation,
während Oekonux auch weiterhin versucht, eine umfassende Analyse der
Welt zu liefern, die sich nicht auf Anti, Widerstand und Angriff
reduziert.

Die klassische marxistische Formel vom Widerspruch von
Produktivkräften und Produktionsverhältnissen suggeriert eine im
Wesentlichen von der gesellschaftlichen Form unabhängige Entwicklung
der Reichtum schaffenden Potenzen. Der reale Zusammenhang sieht
freilich anders aus. So gut wie alle technologischen und
prozesstechnischen Innovationen,die der Kapitalismus hervorgetrieben
hat, sind Ausgeburten warengesellschaftlicher Rationalität.Kaum eine
Neuerung, die auch nur den Horizont technischer Realisierung
erreicht hätte,der diese Herkunft nicht auch anzusehen ist. Die
mikroelektronische Revolution und die Computertechnologie machen
davon am allerwenigsten eine Ausnahme.

Die warengesellschaftliche Rationalität ist freilich - und das ist
entscheidend - ihr eigener Widerspruch und führt sich selber ad
absurdum. Ihr Alpha und Omega findet sie in der Vernutzung
lebendiger Arbeit. Es gehört zu ihrer Logik, noch jede soziale
Beziehung und allen Stoffwechselprozess mit der Natur in abstrakte
Arbeit zu überführen; gleichzeitig unterliegt sie aber dem Drang,
die für die Erzeugung des Warenreichtums notwendige Arbeit beständig
zu minimieren. Der Siegeszug der Warengesellschaft bringt deren
Mitglieder in einen universellen Zusammenhang - und sei es in der
Form von Katastrophen -, und doch kann sie nur funktionieren, indem
sie die Menschen in ein System ungesellschaftlicher
Gesellschaftlichkeit sperrt und voneinander isoliert. In der Technik
nehmen diese allgemeinsten inneren Widersprüche der
Warengesellschaft konkrete und handgreifliche Gestalt an. Am
zugespitztesten treten sie an den Avantgarde-Technologien des neuen
Kapitalismus in Erscheinung, also an der Gentechnologie und an der
Mikroelektronik.

Und wieder schallt uns entgegen: "Es kann nicht sein, was nicht sein
darf!" Die Eindimensionalität von Technikentwicklung, die Ernst Lohoff
hier behauptet ist so aber überhaupt nicht möglich. Unbestritten, dass
Technikentwicklung in der bürgerlichen Gesellschaft selbstredend
wesentlich den Zielen der Wertverwertung folgt - incl. Abbau von
Arbeit. Zu behaupten, dass diese Technik aber per Naturgesetz *nur* so
eingesetzt werden kann, gesteht dem Kapitalismus eine Totalität zu,
die er nicht hat.

Gerade die Entwicklung der Computer macht dies deutlich wie vorher
vielleicht nur die flächendeckende Verbreitung des Stromnetzes: Die
universelle Verarbeitbarkeit digitaler Informationen, die Computer zur
Verfügung stellen, ist im engeren Sinne genauso wenig ausschließlich
auf Verwertung festgelegt, wie es Strom mit seiner Verwendbarkeit als
universelle Energiequelle ist.

Und auch die aktuelle Entwicklung zeigt das deutlich. Händeringend
wird versucht, die vielen Angebote im Web irgendwie in die Wertform zu
pressen. Dies wird nicht flächendeckend gelingen. Dieser Geist ist aus
der Flasche. Die große Bandbreite an kommunikativen Anwendungen
*zwischen den Menschen* - eMail ist nach wie vor die wichtigste
Internet-Anwendung! - wird genausowenig verschwinden wie die zahllosen
kostenlosen Angebote von Privatpersonen.

All das weiß Ernst Lohoff im Ansatz auch - wie er später ausführt.
Wieso darf dieses nicht als emanzipatorisches Potential begriffen
werden? Wieso muss die Bildung virtueller Gemeinschaften, wie Oekonux
nur eine von zahllosen ist, primär als Bestandteil von Wertverwertung
begriffen werden? Das will mir nicht einleuchten.

Will die Kritik der Warengesellschaft nicht auf einer abstrakten
Stufe stehen bleiben,kommt sie nicht umhin, die technologischen
Umwälzungen ins Auge zu fassen, die sich in den letzten Jahrzehnten
mit atemberaubender Geschwindigkeit vollzogen haben.

D'accord. Aber als Ausgangspunkt von Kritik taugt eben nicht nur der
negatorische Ansatz des "So nicht!", sondern auch und gerade eine
Vision, des "So soll's sein!" am besten gepaart mit einem "Und so
kann's sein!". <sarcasm> Ach so, nur das "So nicht!" bringt in die
Offensive - ich vergaß... </sarcasm>

Als Ausgangspunkt taugen dabei aber nicht irgendwelche in den neuen
Techniken vermuteten utopischen Potentiale, sondern die mit dem
Übergang zum Informationskapitalismus aufreißenden realen
Widersprüche und gesellschaftlichen Konflikte. Erst wenn klarer
ist,was die mikroelektronische Revolution und ihre Folgephänomene
für das warengesellschaftliche Gefüge bedeuten, lässt sich überhaupt
sinnvoll die Frage aufwerfen, welche Möglichkeiten sich damit
emanzipativen Bestrebungen eröffnen.

Ganz klar wird das vermutlich erst aus der Rückschau aus der nächsten
Gesellschaftsformation. Sollen wir so lange warten?

Stefan Meretz feiert die Freie Software als "wertlos".Seine
Entwertung des Wertbegriffs ist ebenso eingängig wie seine feine
Differenzierung zwischen nutz- und wertlos.Als Trennkriterium
zwischen freier und kommerzieller Software verstanden führt dieser
richtige Gedanke aber in die Irre. Im Sinne der Kritik der
Politischen Ökonomie ist nämlich auch Bezahlsoftware in der Regel
wertlos,nur nicht preislos.Soweit Programmierarbeit ganz
spezifische, einmalige Betriebsabläufe in Programmcodes übersetzt,
mit denen allein ein einzelner Auftraggeber etwas anfangen kann,
unterscheidet sie sich aus werttheoretischer Perspektive nicht
prinzipiell von der Produktion klassischer Produktionsmittel. In
einem solchen Kontext ist sie genauso wertproduktiv wie die
Herstellung von Maschinen.Für ein millionenfach anwendbares
universelles Programm, das beliebig unter vernachlässigbarer
weiterer Arbeitsverausgabung reproduziert werden kann, gilt das aber
eben nicht mehr.

Zu diesem Aspekt gab / gibt es auf der englischen Liste einen längeren
Thread. Graham argumentiert da ähnlich wie Ernst Lohoff. Ich finde
diesen Gedankengang interessant.

Während Nuss/Heinrich und Fuchs ihr Null problemo verkünden, spricht
die kapitalistische Wirklichkeit eine ganz andere Sprache.

Ja. Ansonsten teile ich Ernst Lohoffs Kritik an
Nuss/Heinrich und Christian Fuchs.

Zum anderen macht ausgerechnet der Avantgardesektor des Neuen
Kapitalismus für Teile der gesellschaftlichen Produktion die
Grundbedingung jeder Warenproduktion zum Problem, nämlich die
Existenz von Knappheit und deren Produktion.

Genau. Diesen ganzen Abschnitt teile ich ebenfalls. Überhaupt schreibt
Ernst Lohoff hier viel Richtiges.

Er schließt:

Ausgerechnet in ihrem Avantgarde-Sektor gerät die Warengesellschaft
mit ihrer Mission, alle Güter in Waren zu verwandeln, in die
Bredouille. Als Notbehelf, um gewaltsam und in eklatantem
Widerspruch zum universellen Charakter der neuen Technologien diesen
Sektor der Warenform zwangskompatibel zu machen, helfen nur die
juristische Form und nachträglich eingefügte und prekär bleibende
Blockadetechnologien. Um Gegenräume zur Marktdiktatur freizukämpfen
und die Vorstellung vom Markt als dem idealen Regulativ gründlich zu
desavouieren, dürfte sich kaum ein geeigneteres Schlachtfeld finden.

Und jetzt reibe ich mir doch verwundert die Augen und frage mich, was
Freie Software anderes macht, als eine "Stellung" in diesem
"Schlachtfeld" einzunehmen. Und eine starke noch dazu. Na, vielleicht
gibt es ja ein paar Möglichkeiten, noch etwas voneinander zu lernen.


						Mit Freien Grüßen

						Stefan
___________________________
Unread: 154 [ox], 87 [ox-en]

________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


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