Re: [ox] Fwd: NGO-Treffen zum Weltgipfel Informationsgesellschaft, 11.1.2003 in Berlin
- From: Stefan Merten <smerten oekonux.de>
- Date: Sun, 12 Jan 2003 23:28:41 +0100
Hi Liste!
3 weeks (24 days) ago Stefan Merten wrote:
Ein Treffen der Mitgestalterfraktion. Vielleicht will da einer von uns
mal ein Auge riskieren?
Ich habe mal ein Auge riskiert und möchte ein bisschen darüber
berichten. Die ganze Veranstaltung war wahnsinnig dicht und daher
ziemlich anstrengend. Ich kann hier nur ein paar Eindrücke
wiedergeben.
Es waren knapp 25 Leute da, darunter viele BerlinerInnen. Ich erinnere
mich an jemensch von indymedia, OpenIsis, Humanistische Union, einige
von der Heinrich-Böll-Stiftung und dem Netzwerk Neue Medien.
VORSCHLAG ZUR TAGESORDUNG
14:30 Berichte über den Stand des WSIS-Prozesses
a) Inhaltliche Ausrichtung (Arne Hintz, Hamburg)
b) Der WSIS-Prozess (Ralf Bendrath, Berlin)
c) Zivilgesellschaftliche Aktivitäten im Vorbereitungsprozess
- - internationale zivilgesellschaftliche Initiativen (Thomas Ruddy,
Schweiz)
- - bisherige Aktivitäten der Berliner Gruppe (Olga Drossou, Berlin)
- - Aktivitäten anderen Gruppen und Personen (alle)
In dieser Rubrik gab es einige Informationen zu dem bisherigen
Geschehen. Wichtige Aspekte:
* Dieser Gipfel WSIS (World Summit on the Information Society) wird
von der ITU [http://www.itu.int] durchgeführt. Die ITU
(International Telecommunication Union) ist zwar eine
UNO-Organisation, hat aber (heute) nicht mehr das Gewicht, das sie
früher einmal hatte. Damit hängt auch stark die Bedeutung dieses
Weltgipfels zusammen - sie ist eher nicht so riesig. Eine
WIPO-Konferenz (World Intellectual Property Organization) findet
Ende April statt - ausgerechnet in Peking.
* Der Gipfel selbst ist zweigeteilt. Er findet im Dezember 2003 und im
Jahre 2005 statt. Im Vorfeld dieses Gipfels hat bereits eine
Konferenz PrepCom1 (Preparatory Comittee) stattgefunden, eine zweite
(PrepCom2) folgt in Kürze. Diese Vorbereitungskonferenzen dürften
die wichtigeren sein, da auf diesen bzw. von dort bis hin zum Gipfel
die Inhalte festgelegt werden, die auf dem Summit besprochen,
wahrscheinlich aber vor allem abgenickt werden. Dadurch, dass der
zweite Teil des Gipfels erst 2005 stattfindet, bleibt noch einige
Zeit bis dahin.
* Die Vorbereitungen zu diesem Gipfel liegen ziemlich hinter dem
zurück, was ursprünglich geplant war. So sind momentan gerade mal
die Rules of Procedure für die PrepCom2 festgelegt, nicht aber für
die eigentliche Konferenz im Dezember. Somit ist momentan auch noch
keineswegs klar, ob andere Akteure als Staaten auf dem Gipfel
überhaupt zugelassen werden. Für die PrepCom2 ist eine Beteiligung
der Zivilgesellschaft aber vorgesehen. Dennoch ist klar, dass der
WSIS eine Veranstaltung zwischen den Staaten dieses Planeten ist.
Zivilgesellschaftliche Akteure oder auch die Wirtschaft sind hier
(offiziell) eher Zuschauer.
* Von einigen Seiten / Staaten ist das Interesse an diesem Gipfel
ziemlich gering. Dazu später mehr bei den Aussagen des Vertreters
der Bundesregierung.
* Die UNESCO ist tendenziell interessiert an Zivilgesellschaft und
(damit) auch an NGOs (Non-Governmental Organization, aka
Organisationen der Zivilgesellschaft). Dies ist für andere Zweige
der UNO nicht unbedingt so. Mir ist momentan nicht ganz klar, in
welchem Verhältnis ITU und UNESCO stehen - wohl in keinem
besonderen. Aber es gibt scheinbar ein Engagement der UNESCO beim
WSIS. Von der UNESCO gibt es ein Paper "Recommendation on Universal
Access in Cyberspace", wo es wohl auch einen ziemlichen Konflikt mit
den Copyright-Fraktionen gibt, die eher in WTO (World Trade
Organization) und Konsorten organisiert sind.
* Während zu Beginn des Vorbereitungsprozesses eher technische Aspekte
von Informationsgesellschaft auf dem Programm standen, sind im Laufe
des Vorbereitungsprozesses u.a. die Themen Digital Divide, Universal
Access und die Bedeutung von Content gegenüber der Technik
hinzugekommen.
* Die Heinrich-Böll-Stiftung hat ein paar Großkopferete gebeten, sich
Gedanken über eine Charta zum WSIS Gedanken zu machen. Diese Charta
liegt mittlerweile in vorläufiger Form vor und wird demnächst auf
einer neuen Web-Site [http://www.worldsummit2003.de] einzusehen
sein.
* Einige BerlinerInnen im Netzwerk Neue Medien wünschen sich eine
bundesweite Organisation von NGOs, die bei WSIS / PrepCom2 eine
höhere Sichtbarkeit hätte als einzelne NGOs. Nach meiner Wahrnehmung
hatte die Wirkung einer entsprechenden französischen Organisation
ziemlich beeindruckt. Dazu soll auf jeden Fall eine Mailing-Liste
[http://listi.jpberlin.de/mailman/wsis] eingerichtet werden. Alle,
die auf der Veranstaltung waren, sollen auf diese Mailing-Liste
gesetzt werden. Natürlich steht sie weiteren Leuten offen. Auch dazu
später mehr im dritten Teil der Veranstaltung.
16:00 Positionen und Aktivitäten der Bundesregierung zum WSIS
(Vertreter der Bundesregierung, angefragt)
Diskussion über mögliche Kooperation
zwischen Zivilgesellschaft und Bundesregierung
Tatsächlich war auch ein Vertreter aus dem BMWA (Bundesministerium für
Wirtschaft und Arbeit) gekommen. Er machte generell einen recht
interessierten Eindruck. Er schilderte die Position der
Bundesregierung gegenüber diesem Gipfel. Die Bundesregierung hat nur
ein sehr verhaltenes Interesse an diesem Gipfel. Dies speist sich aus
drei Gründen.
* Erfahrungsgemäß kosten Weltgipfel viel und bringen wenig.
* Der Gipfel könnte von wenig industrialisierten Staaten zu
finanziellen Forderungen an die Industriestaaten genutzt werden. In
Zeiten leerer Kassen ist das noch weniger gerne gesehen als sonst.
* Es gibt schon einige Veranstaltungen / Organisationen, die sich mit
diesem Thema befassen und es ist nicht klar, wofür es dafür eine
weitere braucht.
Der bisherige Vorbereitungsprozess - insbesondere auch die PrepCom1
seien ziemlich chaotisch und mit wenig Ergebnis verlaufen. Da momentan
die Mitwirkungsmöglichkeiten zivilgesellschaftlicher Akteure auf dem
WSIS noch nicht beschlossen sind, geht es momentan noch darum, sich
für eine Mitwirkung am WSIS stark zu machen.
Die Wirkung dieses Weltgipfels wird vermutlich in erster Linie darin
bestehen, dass bestehende oder ohnehin geplante Projekte als Ergebnis
des WSIS umetikettiert werden. Wirklich Neues hielt er für eher
unwahrscheinlich.
Er wies auch darauf hin, dass es z.B. von Seiten der G77
[http://www.g77.org/] durchaus Staaten gibt, die z.B. Free Speech im
Internet genauso ablehnen wie sie es im weniger virtuellen Raum tun.
Eine gemeinsame Gipfelerklärung dürfte aus solchen Gründen - wenn
überhaupt - ziemlich dünn ausfallen.
Als Abschluss seines Beitrags fragte er noch nach, was denn Themen /
Wünsche / Forderungen seitens zivilgesellschaftlicher Organisationen
bzgl. diesem Prozess sind. Die Antworten hierauf konnten natürlich nur
höchst vorläufig sein, das Thema Freie Software kam darin aber
häufiger vor :-) .
Nach all diesem lag so das Gefühl in der Luft, dass der ganze WSIS von
keiner großen Bedeutung ist - was durch die Machtverhältnisse auch
nahegelegt ist. Dennoch könnte der WSIS eine Chance sein, einerseits
ein paar zivilgesellschaftliche Positionen in diesen internationalen
Prozess einzubringen und andererseits die durch den Gipfel entstehende
Öffentlickeit für dieses Themenfeld für das Einbringen eigener
Positionen zu nutzen. Es könnte weiterhin auch als Chance dienen, eine
Vernetzung zwischen den deutschen, vielleicht auch internationalen
NGOs hinzubekommen, die sich mit Fragen der Informationsgesellschaft
befassen. Dazu - und von daher ist das Ganze hier nicht ganz
irrelevant - würde ich in gewisser Weise auch Oekonux zählen.
Zumindest wird ja hier auch über eine Variante von
Informationsgesellschaft nachgedacht - ziemlich radikal halt.
18:00 Planung zukünftiger Aktivitäten
a) PrepCom2 (17.-28.2.2003, Genf)
- - Stand der Vorbereitungen in Genf (Thomas Ruddy, Schweiz)
- - Beteiligung der deutschen NGOs an PrepCom2
b) Beteiligung am weiteren WSIS-Prozess
- - was kommt nach PrepCom2?
- - WSIS Genf, Dezember 2003
c) Weitere Vernetzung der deutschen NGOs
- - Konstituierung als German Civil Society Caucus
- - Mitarbeit in der WSIS Civil Society Plenary Coordinating Group
- - Koordination untereinander
d) Öffentlichkeits- und Lobbyarbeit
Na ja, als dieser Veranstaltungsblock dann dran war, war es bereits
19:00Uhr und es blieb nur noch gut eine Stunde Zeit.
Die Diskussion drehte sich mit wechselnden Schwerpunkten um zwei
Fragen:
* Gemeinsamer Auftritt deutscher NGOs bei PrepCom2 und WSIS
Nun war relativ bald klar, dass dies bis zur PrepCom2 aus
Zeitgründen nicht mehr in vernünftiger Form hinzukriegen ist. M.E.
würde ein solcher Versuch im Gegenteil das Anliegen einer Vernetzung
nachhaltig beschädigen, da aufgrund fehlender Partizipation /
Vertrauensbasis / Legitimation von den NGOs, die eigentlich daran
partizipieren sollten, eine solche Sache nur als Usurpation
verstanden werden könnte.
Die Heinrich-Böll-Stiftung, die als zivilgesellschaftliche
Organisation bei der PrepCom2 akkreditiert ist - was übrigens recht
kontrovers diskutiert wurde -, wird die auf ihre Anregung erstellte
"Charta der Bürgerrechte für eine nachhaltige Wissensgesellschaft"
als Paper auf der PrepCom2 eingebringen. Dies ist selbstverständlich
das gute Recht der Heinrich-Böll-Stiftung.
Nach der PrepCom2 wäre ein Prozess denkbar, in dem so etwas wie eine
Vernetzung deutscher NGOs zu diesem Thema denkbar wird. Dies wäre
vielleicht auch deswegen noch sinnvoll, weil es ja einen zweiten
Teil des Gipfels geben soll, bis zu dem noch reichlich Zeit ist.
* Vernetzung deutscher NGOs zum Thema Informationsgesellschaft
Eine solche Vernetzung könnte einerseits den inhaltlichen Austausch
innerhalb der Vernetzung befördern. Andererseits könnte damit eine
Einrichtung geschaffen werden die von anderen politischen Akteuren
deutlicher wahrnehmbarer ist, als CCC, FIFF, FFII, FSFE - um einfach
mal ein paar zu nennen -, oder ähnliche Gruppierungen und aufgrund
der Vernetzung auch ein höheres Gewicht hätte.
Es gab recht unterschiedliche Vorstellungen darüber, was das genaue
Thema einer solchen Vernetzung sein soll. So war auch durchaus ein
thematisch unspezifisches Netzwerk deutscher NGOs in Rede. Das halte
ich persönlich aber für deutlich zu weit gesprungen. Wenn überhaupt
eine solche Vernetzung funktionieren soll, dann muss sie m.E. eine
thematische Ausrichtung haben und ein relativ konkreter Bezug wie
das WSIS scheint mir auch recht nützlich, da hierüber eine gewisse
Fokussierung rauskommt. Wenn so entwickelte Positionen sich dann
auch noch in internationalen Papieren wiederfinden, dann ist das ja
auch eher kein Schaden würde ich also mal so meinen.
Wie genau eine solche Vernetzung aussehen kann, was ihre Themen
sind, wer daran partizipieren kann und wie das gestaltet werden
soll konnte auf dem Treffen nur als Frage formuliert werden. Es gab
aber Einigkeit darüber, dass dazu eine möglichst umgehende Öffnung
stattfinden muss, um alle Interessierten zumindest über die
gewünschte Vernetzung in Kenntnis zu setzen.
Leider war zu diesem Teil der Veranstaltung außer mir nur noch ein
Nicht-Berliner anwesend. Hier fiel deutlich der Tellerrand auf, der
mir in Berlin besonders hoch zu sein scheint und der dazu führt,
dass BerlinerInnen gerne Berlin für ganz Deutschland halten.
Immerhin konnte ich diesen Aspekt einbringen und er wurde auch
aufgegriffen. Ich hatte heftig für eine umgehende Virtualisierung
der gesamten Diskussion plädiert - auch um den BerlinerInnen den
Vorwurf der Klüngelei zu ersparen ;-) . Es ist zu hoffen und zu
erwarten, dass die Diskussion, die in Berlin begonnen wurde, auf der
oben genannten Mailing-Liste weitergeführt wird. Wer hier auf der
Liste Lust hat sich das mal anzusehen oder sich daran zu beteiligen,
kann sich also dort subscriben (ist noch nicht online).
Auch in Rede war, in relativ kurzer Zeit (8 Wochen) ein weiteres
Treffen zu machen. Dieses sollte aus den genannten Gründen nicht in
Berlin, sondern in einer etwas weniger am Rand gelegenen Stadt
stattfinden (z.B. Kassel oder Hannover). Details dazu blieben aber
noch völlig offen.
Mit Freien Grüßen
Stefan
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