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Warum Herrschaftsdebatte? (was: Re: [ox] Re: Herrschaft in den Protokollen)



Hi Franz und Liste!

2 weeks (14 days) ago Franz J Nahrada wrote:
liste oekonux.de - stefan mn - schreibt:
Soweit mal wieder zu diesem Komplex. Für Kommentare,
Richtigstellungen, Erweiterungen, Falsifizierungen, Verifizierungen
etc. bin ich im Interesse einer Weiterentwicklung des Ausgebreiteten
wie immer dankbar.

Habe mich nicht wirklich in diesen Thread eingelesen, aber möchte eine
kritische Einwendung machen.

Welcome.

Die Feststellung "Herrschaft gibts überall" ist sehr billig zu haben,
die Frage ist, was sie uns wirklich bringt.

Eine höchst berechtigte Frage. Meine (Arbeits)hypothese ist, dass es
wichtig ist, dieses Phänomen zu begreifen. Nur dann können wir damit
umgehen - und es geht nicht mit uns um.

Dies ist ganz ähnlich wie bei anderen ziemlich abstrakten Begriffen,
die hier sehr gängig sind: Wert oder Gesellschaft um nur zwei zu
nennen, aber auch Selbstentfaltung. Wie bei anderen abstrakten
gesellschaftlichen Begriffen scheinen mir alle (zu) einfachen
Erklärungen hier nicht hilfreich. Vielmehr muss es m.E. darum gehen,
zu verstehen, wie Herrschaft entsteht. Und dazu reicht es m.E. einfach
nicht aus, einfach nur das Böse im Menschen zu postulieren oder
einfach nur die HerrscherInnen für so unglaublich geschickt zu halten,
dass sie dem Rest der Menschheit einfach was vormachen können. M.E.
ist dieses Phänomen nicht ohne Anschlüsse bei allen Menschen zu
verstehen. Wie das geht, darum geht's mir.

Welche Handlungsanleitungen
sollen wir aus der Wiederfindung einer dünnen Abstraktion gewinnen,
die ihre Plausibilität nur durch die Vorstellung vom Chaos gewinnt?

Nun, wenn es sich bei Herrschaft eben um mehr handelt als platte
Usurpation von Machtmitteln, dann ist damit umzugehen - und zwar in
emanzipatorischer Weise. Wie das geht halte ich in einem umfassenden
Sinne überhaupt nicht für klar. Dazu gleich noch mehr.

Davon abgesehen ist Chaos eine gute Grundlage für Machtausübung, ja es
ruft geradezu danach. So gesehen ist die obige Gegenüberstellung mit
dem von dir verwendeten Herrschaftsbegriff reichlich schräg.

Was hilft es uns weiter wenn Du uns drauf stößt, daß wir eine
affirmative Stellung zum Begriff der Herrschaft einnehmen sollen?

Mir geht's erst mal gar nicht um Affirmation oder Ablehnung. Mir
geht's erst mal darum, ein Phänomen wirklich tief zu verstehen. Und
dazu hat hier aus meiner Sicht aus der
"Herrschaft-ist-Sch..."-Fraktion noch niemensch einen brauchbaren
Beitrag geleistet - leider. Aber ich bin da gerne geduldig.

Wir wissen deswegen kein iota mehr, was zu tun ist.

Darum geht's dann, wenn das Phänomen verstanden ist. So wie du erst
Wert / Gesellschaft / Selbstentfaltung als Phänomen begreifen musst,
um dann eine irgendwie geartete Handlungsperspektive abzuleiten, so
ist es auch mit Herrschaft.

Herrschaft übersetzt Du in willentliche Festsetzung von Normen und
das Beharren auf Garantien ihrer Einhaltung.
Dabei zitierst Du die Straßenverkehrsordnung etc.

So einigermaßen.

Dabei fällt mir schon auf, daß Du den Gewaltcharakter von Herrschaft,

Ganz im Gegenteil. Herrschaft hat selbstredend eine Menge mit
Gewaltanwendung zu tun. Das ist ja *gerade* der Punkt, warum ich ein
Befassung damit für so wichtig halte. Allerdings ist es zu dünn,
Herrschaft auf Gewaltanwendung zu reduzieren. Dafür gibt's bessere
Begriffe: Willkürliche Gewaltanwendung fiele mir z.B. ein.

ihr prinzipielles Unabhängig-Machen vom Einzelwillen, unter den Tisch
fallen läßt.

Unabhängigkeit wäre das, was ich als überindividuell und damit
entfremdet bezeichnen würde. Ob eine Unabhängigkeit die einzige
Denkmöglichkeit ist oder es eben doch Abhängigkeiten vom Einzelwillen
gibt und wie das genau funktioniert, ist einer der Kernpunkte der
ganzen Debatte. Vielleicht sogar der wichtigste Punkt überhaupt.

Das fällt für Dich unter die Rubrik "Mißbrauch".

Wird die prinzipielle Unabhängigkeit und damit die prinzipielle
Entfremdung angenommen, dann bleibt doch als einzige emanzipatorische
Alternative der blanke Einzelwille - und da ist Gewalt absolut nicht
ausgeschlossen. Das ist für mich aber Willkür und keine Emanzipation.

In der Realität ist das aber (glücklicherweise) nicht so und es wäre
für mich interessant zu wissen, *warum* das so ist. Eine schlüssige
Erklärung dafür hat bisher niemensch liefern können.

Für mich ist gerade diese Unterscheidung wesentlich: wie sehen Normen
aus, die nicht letztich auf ihre gewaltsame Gültigkeit rekurrieren müssen?

Da sind wir uns doch völlig einig!! Genau darum muss es gehen! Aber
dazu muss doch erstmal klar sein, warum überhaupt Gewalt zwischen
Menschen angewendet wird. Ja warum denn eigentlich? Alles nur böse
oder rücksichtslose Menschen? Das ist doch zu einfach. Formen zu
finden, in denen Gewaltanwendung minimiert(!) wird ist doch gerade
mein Anliegen. Aber dazu muss erst verstanden werden, warum
Gewaltanwendung überhaupt stattfindet.

Interessant an dieser Fragestellung ist, dass du Normen auch schon
grundsätzlich als legitimierbar annimmst. Woher diese Legitimität aber
kommt, das ist doch eine zentrale Frage der Herrschaftsdebatte. Auch
dazu ist bisher von der "Herrschaft-ist-Sch..."-Fraktion nichts
gekommen. Was wäre denn deine Antwort?

Allerdings hat diese Fragestellung auch eine erhebliche Einschränkung:
Sie geht davon aus, dass Normen dieser Art *immer* und *in allen
Fällen* möglich sind - weltweit und über lange Zeiträume. Das glaube
ich aber nicht. Das wäre das Bild einer gesellschaftlichen Formation,
die völlig ohne Gewalt auskommt. Ich kann mir das nicht vorstellen.
Dafür gehört Gewalt einfach zu sehr zum Menschen dazu. Auch die
Gewaltanwendung gegenüber anderen Menschen. Da müsste ich nochmal
näher drüber nachdenken. Hat auch was mit Konflikten zu tun.

Aus beidem wird ein Schuh: Wenn Normen auch in einer emanzipatorischen
Vision als legitimierbar gelten und gleichzeitig Gewaltanwendung nicht
völlig aus der Welt hinausgewünscht werden kann, *genau dann* kommt es
darauf an zu verstehen, wie Gewaltanwendung letztlich legitimiert
werden kann - auf einer *inter*individuellen Basis. Wie diese
Legitimität entstehen kann, das würde mich interessieren.

Einfachste Beispiele zeigen das schon: Die (technisierte)
Gewaltanwendung gegenüber den Leuten, die diese Liste hier mit Spam
zumüllen wollen, wird von den allermeisten hier vermutlich für völlig
legitim gehalten. Woher kommt das? Immerhin ist es eine regelmäßige
Anwendung von Gewalt und damit der Einsatz von Machtmitteln und damit
entnommen aus dem Kernbereich von Herrschaft. Warum wird das für
legitim gehalten, während es wohl nicht für legitim gehalten würde,
einzelne ListenteilnehmerInnen grundsätzlich auszufiltern? Wie geht
das? Dass es so ist, ist ja keine Erklärung dafür.

Wie kommt es, dass das für legitim gehalten wird, obwohl einzelne es
vielleicht für falsch halten? Wie - und hier ist die Frage des
konkreten Handelns ganz massiv gestellt - soll sich jemensch wie ich
verhalten, der die Machtmittel in Form der Filter kontrolliert? Reicht
es wirklich aus einfach anzunehmen, es wäre reiner Zufall, dass ich
das so mache, dass es für legitim gehalten wird? Das ist doch Magie
und keine Erklärung!

Nochmal: Wie geht das? Ich bin ja gerne bereit da noch mehr / andere /
bessere Sichtweisen zu betrachten - es kommen nach meiner Wahrnehmung
nur keine, die irgendwie solche Fragen auch nur betrachten!

ich glaube es
genügt
nicht festzustellen "es gibt immer Normen und wir kommen um sie nicht
rum", sondern auch umgekehrt zu fragen: "wem nützen diese Normen" und
"welche Normen sollen gelten?".

Nichts anderes ist doch mein Anliegen!

Das tust Du praktisch und irgendwie ist
das nichts anderes als die alte Idee vom herrschaftsfreien Diskurs.

Dazu kenne ich das Konzept vom herrschaftsfreien Diskurs zu wenig.
Aber ich vermute, dass der herrschaftsfreie Diskurs auch nicht ohne
Grundformen der Herrschaft iSdsS auskommt. Schon alleine um das
herrschaftsfreie sicherzustellen wenn es nötig ist.


						Mit Freien Grüßen

						Stefan

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Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de



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