Message 06459 [Homepage] [Navigation]
Thread: oxdeT06424 Message: 4/5 L2 [In index]
[First in Thread] [Last in Thread] [Date Next] [Date Prev]
[Next in Thread] [Prev in Thread] [Next Thread] [Prev Thread]

Zu G. Freyermuths Vortrag (was: Re: [ox] Stichpunkte aus deinem Vortrag)



Hi Tian, ThomasBe, Liste!

2 weeks (16 days) ago tian075 wrote:
Freyermuths Essays sind immer anregend und interessant. Ein
Hauptproblem bei ihm ist jedoch,

Ich halte Freyermuth auch nicht für *genuin* politisch. Aber gerade
das fasziniert mich ja, dass auch Leute außerhalb "unseres" eigenen
Blickwinkels bestimmte Entwicklungen sehen und ihre Sichtweise mit der
Oekonux'schen zumindest verträglich ist. Viel zu lange haben sich m.E.
emanzipatorisch gesinnte Menschen einen Dreck um das geschert, was
andere zu sagen haben. Das halte ich in keiner Hinsicht für produktiv.
Übrigens auch nicht für sonderlich emanzipatorisch.

dass er von einem sehr wichtigen
Merkmal der gegenwärtigen kapitalistischen Gesellschaft abstrahiert und
zwar dem Privateigentum an Produktionsmitteln.

Dann ist das vielleicht in meinen Stichpunkten nicht deutlich genug
rüber gekommen, aber das ist ja sogar einer von seinen zwei zentralen
Punkten: Dass die unmittelbare Verfügung über Produktionsmittel
(Computer mit Timesharing) bis hin zum physischen Besitz (PC) eben im
Rahmen dieser Open-Source-Praxis auf die einzelnen Menschen übergeht -
aka Besitz / Eigentum. Tatsächlich wäre Freie Software schlicht
undenkbar, wenn - wie im industrialistischen Modell - der Zugriff auf
Produktionsmittel zentral verwaltet würde.

Gut, es handelt sich immer noch um Privateigentum - aber es scheint
mir doch sehr, dass es auch ein bisschen darauf ankommt, wer genau die
EigentümerIn ist und was sie mit dem Eigentum anstellt. Meinst du
nicht? Einige Überlegungen dazu hatte ich übrigens auch in meinem Text
zum Eigentum angestellt.

Die technologische
Entwicklung erfolgt gerade nicht primär aufgrund ihrer eigenen
Gesetzmässigkeit oder aufgrund von kulturellen Faktoren (Stichwort
Kaliformien), sondern aufgrund des kapitalistischen Verwertungsinteresses.

Es können sich also nur solche Techniken durchsetzen, die sich auch
vermarkten lassen, alles andere wird gnadenlos niedergewalzt und
bekämpft.

Grundsätzlich hast du recht, aber m.E. ist das ist aber ein bisschen
sehr holzschnittartig. Ich würde sogar meinen, dass die Exaptation dem
Kapitalismus ein Lebenselixier ist. Er bezieht seine Dynamik und damit
seine Anpassungsfähigkeit gerade dadurch, dass er solche Exaptation
zulässt, integriert und sich dadurch auch reformiert. Dass alles
Überbordende bekämpft wird, ist auch klar.

Die Frage ist aber jetzt, ob es ein Naturgesetz gibt, nach dem es
immer gelingen muss, dies zu integrieren. Dazu gehürt die Frage, ob
der Kapitalismus hellseherische Fähigkeiten hat, und Entwicklungen,
die ihm *im Kern* gefährlich werden könnten, a priori erst gar nicht
zulässt. Wenn das gezeigt werden kann, dann kann ich nur noch eins
raten: Findet euch ab und macht euch 'ne gute Zeit. Ich sehe
allerdings ein solches Naturgesetz nicht.

Das Prinzip der Peer Review würde sicherlich zu einer neuen
Produktionstechnik führen, nur verhindern Vermarktungsinteressen, dass es
sich durchsetzen kann. Denn die weitaus meiste Software ist proprietär.

Wie misst du das? Hast du irgendwelche Erhebungen an der Hand? Wobei
ich mir auch gar nicht vorstellen kann, wie die Frage überhaupt
vernünftig gestellt werden kann. Vielleicht: Wieviele CPU-Minuten
werden in Freiheit verbracht gegenüber wie vielen in IPR-Ketten.

Davon abgesehen: Meinst du nicht, dass es da seit den ersten
Bemühungen Anfang der 80er einen Trend in die andere Richtung gibt?
Wie erklärst du dir, dass nicht unwesentliche Kapitalgruppen wie z.B.
IBM erheblich auf Freie Software setzen? Die Realität scheint mir
durchaus nicht so ungebrochen, wie du es hier suggerierst.

Freyermuth liegt auch völlig falsch, wenn er behauptet, die Musikindustrie
würde nur Rückzugsgefechte liefern.

Nun, ich höre schon seit bestimmt 10 Jahren immer wieder die selbe
Leier: Der Kapitalismus wird kommen und das Internet, Privacy, Freie
Inhalte, etc. pp. einsacken.

Fakt ist, dass die Kryptographie-Debatte von vor einigen Jahren zu
keinem wesentlichen Ergebnis geführt hat. Starke Kryptographie ist
heute so erlaubt wie sie immer war. Allerdings war hier der
Hauptakteur der Staat, während sich die Wirtschaft eher für starke
Kryptographie eingesetzt hat.

Fakt ist weiterhin, dass das Internet auch heute nicht zur reinen
Kommerzplattform verkommen ist - auch eine Prophezeiung, die vor
Jahren noch in vieler (vor allem: linker) Munde war. Ok, es gibt
nervige Werbung und sicher auch ein wenig E-Commerce. Aber der weitaus
größte Teil des Webs ist immer noch nicht kommerziell im engeren
Sinne. Na ja, dass der Hype um dieses Thema weg ist - incl. Platzen
der Börsen-Blase -, muss ich hier wohl nicht extra betonen.

Fakt ist auch, dass schon öfter der Tod Freier Software angekündigt
wurde. Nun, bisher erfreut sie sich jedenfalls bester Gesundheit. (Was
nicht heißen soll, dass sie gänzlich und ewig ungefährdet ist.)

Software-Patente sind ein weiteres Konfliktfeld, auf dem es momentan
zwar nicht ganz so erbaulich aussieht, wo aber seit Beginn der Debatte
sich *erheblich* was getan hat.

Ich nehme mal zur Kenntnis, dass die bisherigen
Katastrophenprophezeiungen alle nicht eingetreten sind, bzw. der
gestartete Tiger als Bettvorleger geendet ist (E-Commerce). Dass das
nicht grundloser Optimismus ist, sondern etwas mit einem generellen,
historischen Trend zu tun hat, versuchen wir hier ja mit einer
tieferen Analyse der aktuellen Produktivkraftentwicklung zu belegen.

Aber vielleicht ist auch einfach die Frage, was ein Rückzugsgefecht
ist. Um mal ein Beispiel aus einem aktuellen Off-Topic-Bereich zu
nehmen: Die irakischen Truppen leisten auch erbitterten Widerstand.
Dennoch glaubt momentan wohl niemensch ernsthaft, dass sie die
Eindringlinge - zumindest mit klassischen militärischen Mitteln -
wieder aus dem Irak werfen könnten.

Die Einführung von DRM und die
Zerstörung des Peronalcomputers ist Industrieconsensus, sie wird von allen
wichtigen Firmen der Computerindustrie betrieben (siehe Mitgliederliste des
TCPA-Consortiums) und wurde spätestens im Sommer 2001 im Rahmen
des Global Business Dialogues on E-Commerce auf höchster Ebene
festgeschrieben.

Nun ist DRM erstmal keine unmittelbare Bedrohung für Freie Inhalte
aller Art - oder siehst du das anders? Aus dieser Perspektive habe ich
sowieso kein Problem damit.

Allerdings bin ich heute nicht mehr so überzeugt davon, dass in einem
größeren Rahmen gesehen das die entscheidende Perspektive ist. Ich
komme mehr und mehr zu der Auffassung, dass auch die Raubkopien, die
durch DRM verhindert werden sollen, schon ein Element des Übergangs
zur Informationsgesellschaft sind. Auf den Punkt gebracht hat das m.E.
G. Freyermuth, als er die Enteignung der Privatbibliotheken durch die
heraufziehende bürgerliche Gesellschaft erwähnt hat. Das war auch im
vorherigen, feudalistischen System ein Tabubruch - den aber nach dem
Übergang keiner mehr rückgängig machen wollte. Raubkopien sind da
irgendwie ähnlich. Aber ich hab's noch nicht richtig.

Sie wird sich auch gegen den Willen der KonsumentInnen
durchsetzen lassen und ist vermutlich nicht mehr aufzuhalten. Dies haben
zahlreiche Beobachter der aktuellen Entwicklung wie John Perry Barlow
auch erkannt (vgl. c`t Interview).

Nun bin ich da ein wenig skeptischer, wie deren Erfolg sein wird. Nun,
wir werden es abwarten können. Ich werde mir auf jeden Fall beim
nächsten Upgrade ein Mainboard kaufen, dass keinen TPM-Chip enthält.
Muss ich nur den Moment abpassen, ab dem es nur noch solche gibt. Aber
ich denke in der Tat, dass "TPM-frei"(!) ein Marketing-Argument werden
wird.

Aber selbst wenn du recht hast, bleibt die Frage, was das bedeutet.
Mittlerweile hat eine ganze Generation - ich will mal sagen: Blut
geleckt. Musik"tausch"börsen und raubkopierte Musik-CDs sind - was ich
höre - wohl bei vielen jungen Leuten Standard. Unrechtsbewusstsein ist
vernünftigerweise kein's da, weil ja auch niemensch etwas weg genommen
wird. D.h.: Es ist eine Technik verfügbar, die ein breites Bedürfnis
befriedigt und die Leute kennen und genießen diese Technik weit
verbreitet. Wenn du jetzt ein solches Regime installierst wie mit TCPA
geplant, dann wird das sicher nicht auf die ungeteilte Zustimmung der
Bevölkerung treffen. Immerhin wird eine alltägliche Praxis unmöglich
gemacht. Die Frage ist, was das für das Gesamtsystem heißt. Ich bin
jedenfalls nicht der Meinung, dass das zu einer nachhaltigen
Stabilisierung führt. Aber auch hier wieder: Wenn du der Meinung bist,
dass den Kapitalismus in seinem Lauf weder Ochs noch Esel aufhalten
können, dann solltest du dir vielleicht einfach eine schöne Zeit
machen. Denn alles andere ist dann Zeitverschwendung - oder?

Auf jeden Fall zeigt der Einsatz immer drakonischerer Mittel wie TCPA,
dass der Konflikt zwischen altem und neuem Regime zumindest nicht
einfach so zugunsten des alten Regimes zu erledigen ist. Dass
überhaupt noch gekämpft wird, ist ja in gewisser Weise auch ein
positives Zeichen.

2 weeks (15 days) ago Thomas Berker wrote:
ein interessanter Vortrag, mich stoert nur Freyermuths Evolutionismus
und Technikdeterminismus.

Danke für die Hinweise. Nur ganz kurz dazu.

Ok, Freyermuth scheint mir auch noch einen Tick euphorischer als es
mir manchmal nachgesagt wird ;-) . Ich denke aber nicht, dass er
simplem Technikdeterminismus anhängt (sagst du ja auch nicht).
Deutlich wird das für mich an der Stelle, wo er die 1960er schildert,
in denen *die Menschen* mit dem starren industrialistischen System
nicht mehr wollten - aber auch aufgrund der technischen Entwicklung
eben auch nicht mehr mussten. Stichwort damals: Time-Sharing. Das
Fließband mit seiner gegenüber handwerklichen Ansätzen erhöhten
Produktivität hatte diese Option eben nicht eingebaut.

Ich möchte in diesem Zusammenhang auch mal wieder auf Grahams's
Vortrag auf der 1. Konferenz
[http://erste.oekonux-konferenz.de/dokumentation/texte/seaman.html]
und andere Quellen verweisen, die auf die teilweise sehr politisch
motivierten Computer-Bewegungen der 70er hinweisen.

Für mich schon erkennbar, dass der emanzipatorische Wunsch nach einem
besseren Leben eben hier genauso existiert wie er überall existiert.
Nur *ermöglicht* die Technikentwicklung dieses bessere Leben heute
eben mehr als es noch sagen wir in den 1920ern der Fall war. Ist das
dann noch (simpler) Technikdeterminismus? Ich meine nicht. Allerdings
lässt eine solche Sichtweise auch Technikentwicklung nicht völlig
außer acht - was leider in politischen Debatten die Regel ist. So
gesehen wäre im Kontrast eher eine Technikignoranz vorzuwerfen...


						Mit Freien Grüßen

						Stefan

________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de



[English translation]
Thread: oxdeT06424 Message: 4/5 L2 [In index]
Message 06459 [Homepage] [Navigation]