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[ox] Re: Gruppen als Beziehungsgeflechte



Hi StefanMn und alle,

On Thursday 01 May 2003 14:08, Stefan Merten wrote:
"Gruppe" ist da IMHO ungeeignet, weil viel zu allgemein. Konkreter
finde ich z.B. die (personale) Kooperation, was auch nichts anderes
als eine Gruppe ist, aber eben eine inhaltlich qualifizierte.

Das klang jetzt in mehreren Mails von dir durch: Du würdest den
abstrakteren Begriff "Gruppe" nicht verwenden wollen und statt dessen
nur konkretere Gruppen wie Horden, Kooperationen (ähm - worin
unterscheiden sich eigentlich Interessengruppen und Kooperationen?)
usw. verwenden. Begründen tust du das damit, dass bei der Abstraktion
hin zur Gruppe alles (für dich) Spannende entfällt und deswegen der
Begriff sinnlos wird. Habe ich das richtig verstanden?

Analytisch sinnlos, deskriptisch aber schon noch sinnvoll - ja.

Ok, das sehe ich ein, dass das ein Standpunkt sein kann. Ich würde
allerdings meinen, dass allein die Tatsache, dass wir unproblematisch
einen gemeinsamen Begriff für alle diese konkreten Formen finden
können - deskriptiv stimmst du mir da ja zu -, einen Hinweis darauf
gibt, dass all diesen konkreten Formen etwas gemeinsam sein muss.

Aber nichts wesentliches.

Dieses Gemeinsame wäre dann für mich erstmal das Spannende an diesem
Begriff. Oder? Außerdem sagst du, dass das Gemeinsame nur transzendent
sein kann - und damit emanzipatorisch verbrannt. Richtig?

Das über das Nichtwesentliche hinaus "metaphsisch aufgeladene" vermutete 
(aber IMHO nicht vorhandene) Gemeinsame - ja.

Wie schon bei der Diskussion um Repräsentation und auch bei der
aktuellen um Identität habe ich das Gefühl, dass du manche Begriffe
einfach halbierst und die Hälfte, die dir nicht ins Konzept passt,
einfach wegwirfst. Das finde ich ärgerlich - gelinde gesagt. Aber
wenigstens verstehe ich damit, warum ich dich nicht verstehe. Und ich
verstehe, warum das (für mich) auch nicht sinnvoll wäre: Halbierte
Begriffe zeigen nur (aber wahrscheinlich nicht mal) die halbe Welt.

Na ja, in deiner Sicht sind es "halbe Begriffe", in meiner Sicht ist es 
eine "unzulässige Vermischung" und eben "metaphysische Aufladung". Ich 
werfe also nicht einfach etwas weg, was (objektiv oder wie?) 
"zusammengehört", weil es mir nicht ins Konzept passt, sondern es gehört 
IMHO einfach nicht zusammen. Ich weise dich darauf hin, dass du durch die 
Behauptung, da gehöre was zusammen, dir im emanzipatorischen Sinne den 
Boden unter den Füßen wegziehst. Das führst du auch hier wieder vor:

Hier möchte ich "Grund" und "Interesse" unterscheiden.

Ich auch.

Der Grund liegt bei
der Person, er ist "erster Person".

Nein. Der Grund so wie ich es oben meinte ist eine Tatsache, die
erstmal völlig unabhängig von einem konkreten Menschen ist. Der Grund,
dass Menschen essen, liegt darin, dass sie Nahrungsaufnahme zur
Fortsetzung ihrer physischen Existenz brauchen.

Nein, dann hätte sich sowas wie (völlig unterschiedliche) Esskultur nicht 
entwickelt. Es gibt unzählige Gründe, warum Menschen essen, und die sind 
alle erster Person. Was du meinst, ist die unbedingte Notwendigkeit, 
Joules zu sich zu nehmen, um die bloße Physis zu erhalten. Der Satz 
müsste also lauten: "Die Ursache, dass Menschen essen _müssen_, liegt 
darin..." Das Menschen sich physisch reproduzieren müssen, ist aber 
gerade nicht das spezifisch Menschliche (das müssen alle Lebewesen, auch 
die, die eben keine "Gründe" kennen).

Gründe für das
Entwickeln Freier Software gibt es eine Reihe. Darunter Notwendigkeit
und Spaß am Programmieren. Ein Grund ist also sicher nicht "erster
Person".

Gerade aber im Beispiel doch. Selbstentfaltung ist immer erster Person. 
Was sonst? Aber auch entfremdete Zusammenhänge können Prämissen dafür 
darstellen, dass Menschen Gründe haben, FS zu entwickeln (z.B. Geld). 
Alles erster Person.

Und der muss auch gar nicht festgestellt werden um
wirkmächtig zu werden. Du musst nicht feststellen, dass du Nahrung
aufnehmen musst um hungrig zu sein.

Ich weiss nicht, was du mit "feststellen" meinst. Bedenken? Bemerken? 
Spüren? Hunger spüre ich. Das muss aber noch kein Grund sein, zu essen.

D.h. ob der Grund für eine Software-Entwicklung Spaß oder
Notwendigkeit oder sonstwas ist, muss nicht festgestellt werden damit
das Entwickeln beginnt.

Ja, ok.

Er kann aber festgestellt werden

Schön neutral formuliert. Hier liegt aber der Knackpunkt: Nur je ich kann 
das feststellen.

und wenn es
nicht entfremdet geschieht, wird die handelnde Person dem auch
zustimmen können - oder sich den Grund sogar selbst überlegen.

Wenn ich "feststellen" mal mit "mir klarmachen" übersetze, dann klingt es 
ziemlich merkwürdig, "mir selbst zuzustimmen". Das macht nur Sinn, wenn 
du es als Vorgang dritter Person denkst, dem ich dann aposteriori 
"zustimmen" darf.

Unsere Differenz ist in meiner Sicht die: Du versuchst den 
"emanzipatorischen Charakter" über das Attribut entfremdet/unentfremdet 
zu entscheiden. Ich sage: Im Versuch, einen Vorgang erster Person als 
einen dritter Person zu fassen, schneidest du schon jede Möglichkeit der 
Emanzipation ab, da du nicht positiv für andere definieren kannst, was 
für sie gut ist. Das können nur sie selbst, weswegen jeder 
emanzipatorische Ansatz in Theorie und Praxis vom Standpunkt erster 
Person gedacht und gemacht werden muss.

Für Gruppen gilt dann, dass es einen Grund für deren Existenz gibt.

So wie du "Grund" fasst, ist das einer dritter Person. Eben.

Bei Interessengruppen z.B. um gemeinsam etwas zu erreichen.

Da ich "Interessen" für mich inzwischen ein Begriff ist, der nicht vom 
Standpunkt erster Person "zu retten" ist, sondern nur im Modus "dritter 
Person" formuliert werden kann, passt das. Eine solche Interessengruppe 
ist jedoch nicht in der Lage, emanzipatorisch zu handeln.

Wobei dieser Grund, ein Ziel zu erreichen gar nicht unbedingt so
super-bewusst sein muss. Aber um das Phänomen Gruppe zu verstehen ist
es m.E. wichtig, dass es diesen Grund immer gibt.

Hm, ja, aber an dieser Art von Gruppe mit einem solchen 
Drittstandpunkt-Grund (=Interesse) habe ich kein Interesse;-)

Kurz: Es gibt keine grundlosen Gruppen. Es gibt aber grundlose
Menschenansammlungen. Das scheint mir sogar eine wichtige
Differenzierung zwischen Menschenansammlungen und Gruppen zu sein.

Ich lese Grund=Interesse. Dann verstehe ich es. Ist aber IMHO nix 
Emanzipatorisches mehr dran.

Oder anders formuliert: Gibt es eine Gruppe, dann muss es einen Grund
für sie geben. Ob der festgestellt wird, feststellbar ist und ggf. von
wem ist für ihre Existenz aber unerheblich.

Mit der Lesart Grund=Interesse nachvollziehbar.

Das persönliche Interesse liegt auch
bei der Person, es ist jedoch "dritter Person" - es wird von anderen
festgestellt

Wie bitte? Entschuldige, aber diese Bedeutung von Interesse ist mir
bisher wirklich noch nie über den Weg gelaufen. Ich würde ganz im
Gegenteil sagen, dass Interesse eben erstmal *nur* von den konkreten
Personen festgestellt werden kann.

Sie "haben" (objektiv?) ein Interesse, dass sie dann noch "feststellen" 
dürfen. Da kann Interesse nur im Drittstandpunktmodus gedacht werden. 
Dann ist es wirklich egal, ob dieses Interesse selbst oder fremd 
festgestellt wird.

Zumindest im emanzipatorischen Sinn.

Der ist dann IMHO raus.

Alles andere ist natürlich Ideologie. Aber das beschadet ja
nicht, dass Menschen ihre eigenen Interessen feststellen können -
einzeln oder gemeinsam.

Ja, verständlich.

(Ich klammere mal das "Ich habe das Interesse, dass..." aus,
denn es ist für mich die mit dem Wort "Interesse" formulierte Angabe
meines Handlungsgrundes).

Ach so, du klammerst aus, was meine Bedeutung ist. Oh je, die
babylonische Sprachverwirrung muss ja geradezu paradiesisch gewesen
sein gegenüber diesem Bedeutungschaos :-( ... Die hatten damals aber
wohl wenigstens den Vorteil, dass sie merkten, dass sie völlig
verschiedene Sprachen sprechen...

Ok, das nehme ich auf mich, dass ich hier schwimme und dass ich dich 
verwirrt habe. Mir wird immer klarer, wie wenig haltbar der 
Interessenbegriff ist.

Das Interesse hängt natürlich mit dem Grund zusammen. Interesse ist
für mich eine durch das Bewusstsein gegangene, konkrete und
individuelle Widerspiegelung von Gründen. 

Interesse = festgestellter Grund, habe ich oben so vermutet (ich arbeite 
sequentiell). Da beides bei dir dritter Person konzeptualisiert ist, geht 
das auch auf.

Die kann beliebig verzerrt
oder auch adäquat sein. Was wiederum auch niemensch feststellen muss,
sondern sich durch den praktischen Erfolg irgendwelcher Bemühungen
zeigt.

Das Interesse am Herumkauen auf Gras beispielsweise ist für Menschen
eine Möglichkeit. Es hat aber nicht geeignet was mit einem Grund der
Notwendigkeit der Nahrungsaufnahme zu tun - wie sich am praktischen
Erfolg zeigt. Da muss niemensch von Außen was feststellen. Die Praxis
lehrt hier völlig hinreichend.

Passt.

Dies wird insbesondere deutlich, wenn es darum
geht, "gemeinsame Interessen" festzustellen, die z.B. Gruppen
konstituieren.

Das behauptest du so und es mag deiner Erfahrung entsprechen.

Dass die Welt immer und überall so sein *muss*, davon hast du mich
schon bei der Repräsentation nicht überzeugen können. Was ist "dritte
Person" wenn sich eine Gruppe von Menschen einstimmig auf etwas
einigt? Z.B. auf ein gemeinsames Interesse? Diese simple Frage hast du
nie beantwortet IIRC.

Dann ist sie eine Interessengruppe, wie du gut begründet hast. Da für dich 
aber Interesse als festgestellter Grund dritter Person ist, kann eine 
solche Gruppe nicht mehr emanzipatorisch handeln. Das geht nur, wenn je 
ich zur Geltung komme wie in der Selbstentfaltung bei der FS.

Es wird
zum Problem, wenn "man" - irgendwer - darauf etwas aufsetzt. Denn der
Anschein kann trügen. Es kann sich um eine Kunstaktion handeln, oder
die scheinbar Wartenden haben nur Schutz vor einem Platzregen im
Wartehäuschen gesucht usw.

Das ist der Grund, warum ich bei Klassen / soziologischen Gruppen,

Btw verwendest du hier "Grund" in erster Person.

über die ich andern-subthreads geschrieben habe, sehr vorsichtig wäre.
Unsere Probleme sind hier wohl die gleichen (Hurra!). Dennoch nimmst
du *ausschließlich* die Außenperspektive ein während ich auch die
Innenperspektive stark machen möchte.

?? Das sehe ich genau umgekehrt. Btw ist der Gegensatz von 
Außenperspektive nur dann die "Innenperspektive", wenn es um ein 
Individuum geht (also nicht um Gruppen). Dann - und nur dann - gilt: 
Innenperspektive = Individualstandpunkt = Standpunkt erster Person.

Bei "gemeinsamen Interessen" muss es sich also um eine "objektive"
Konstruktion handeln, deren Bezug solange transzendent ist, wie keine
Handlung erfolgte.

Das scheint mir in die Richtung zu gehen, was ich als den Grund für
eine Gruppe bezeichnen würde. Ich würde dir sogar zustimmen, dass ein
solcher Grund gewisse transzendente Qualitäten hat - insbesondere wenn
er nicht immanent festgestellt ist. Na und? Der Grund ist doch
lediglich eine analytische Kategorie um ein Phänomen wie Gruppe in
Abgrenzung z.B. zu Menschenanzahl fassen zu können. Das Problem im
emanzipatorischen Sinne entsteht doch erst dann, wenn jemensch einen
nicht-immanenten Grund projiziert - oder?

Nein, nicht nur. Wir machen ja hier Theorie, um unser Handeln zu 
reflektieren und u.U. besser handeln zu können. Wenn in dieser Theorie 
transzendente Bezüge konstitutiv sind - und das ist wie du selbst 
feststellst bei deinem Grundbegriff der Fall -, dann bekommst du das 
nicht mehr raus. Du versuchst es rauszuhalten, indem du einen (letztlich 
auch nur transzendent formulierbaren) Entfremdungsbegriff anbringst - 
nach dem Motto: Ein transzendenter Bezug ist dann nicht schlimm, wenn er 
nicht-entfremdet ist. Das wirst du nie immanent begründen können.

Wenn die Leute in den Bus steigen, ist die Sache
aufgelöst.

Oder wenn sie sich darüber verständigen.

Ja.

Ich gehe also auch von "gemeinsamen Interessen" aus, aber erst
in der Handlung zeigen sie sich.

Die Handlung kann aber auch eine Einigung sein. Kommunikation ist auch
Handlung.

Ja.

"Davor" ist es Mutmaßung. Ich kann zwar
annehmen, dass "Frieden" ein gemeinsames Interesse ist, oder
"Freiheit", aber was ist das schon - konkret?

Ja, ja, d'accord.

Aber wie ist die Innenperspektive? Ich kann mich mit anderen
verständigen und kann mit ihnen gemeinsame Interessen formulieren.

Diese Interessen sind aber bei dir nur festgestellte "Gründe" (die du im 
Drittstandpunktmodus siehst). Damit ist aber gerade keine sozusagen 
"unkontaminierte" Innenperspektive herstellbar (die nur eine erster 
Person sein kann).

Auch wenn ich vielleicht keinen Grund dafür angeben kann, so gibt es
ihn doch irgendwo. Aber wen juckt das eigentlich in einer konkreten
Situation (mal abgesehen davon, dass die Kenntnis von Gründen
Effektivität steigern kann)? Warum ist diese *analytische Kategorie*
*per se* und ganz konkret wirkmächtig? Und "per se" meint hier, *ohne*
dass sie jemensch festgestellt hat.

Verstehe ich nicht.

Ich will nur darauf hinweisen, dass "Effektivität" ein ziemlich 
gefährlicher Begriff ist, der einen Drittstandpunkt nahe legt: 
Effektivität misst sich halt - wie idealiter in der Verwertungslogik - an 
objektivierbaren Effekten. Diese können aber sehr schnell jeden 
emanzipatorischen Impuls von den Standpunkten erster Person plattmachen 
(siehe die NGOs, die genau mit dem Effektivitätsparadigma zu dem 
verkamen, was sie nun sind) - andere Baustelle.

"Es macht" gar nichts. "Beziehungsgeflecht" ist doch nur ein Begriff,
eine Metapher, um die Vielfalt der je konkreten Beziehungen zu
beschreiben. "Beziehungsgeflecht" ist wie "Gruppe" kein
handlungsfähiges "etwas".

War ja klar, dass du darauf springen würdest. Ich hatte "es macht"
extra in Anführung gesetzt, weil es natürlich nicht im engeren Sinne
"etwas macht".

War mir klar, dass du wiederum reagieren würdest. Über solche unscharfen 
Formulierungen schleicht sich halt der Drittstandpunkt rein.

Aber das Beziehungsgeflecht hat Einfluss auf die konkreten Individuen,
da es ihr Handlungsrahmen ist. Menschliches Handeln muss sich nun mal
am je gegebenen Handlungsrahmen orientieren. Wird der Handlungsrahmen
(zu heftig) ignoriert, wird das Handeln ineffektiv und im Extremfall
bedeutet dies den Tod des Individuums.

Alles (auch Beziehungsgeflechte) "hat Einfluss". In dieser unscharfen 
Formulierung geht aber der je-ich-Standpunkt unter: Dieses "alles" sagt 
zunächst erstmal garnichts über die Handlung aus. Das Individuum verhält 
sich zu diesen Bedingungen, es kann alles mögliche damit machen. Den 
Handlungsrahmen (dazu kommt: so wie je ich ihn wahrnehme - auch das ist 
nicht vom Drittstandpunkt bestimmbar) als unmittelbare Handlungsanleitung 
zu nehmen kann exakt genau die gleichen Konsequenzen haben (bis zum Tod 
etc.) - kommt eben drauf an.

Das ist der Punkt: Du kannst zwischen Handlungsrahmen und Handlung keine 
eindeutige Verbindung herstellen. Der Handlungsrahmen spannt einen Raum 
von (durchaus unterschiedlich großen) Handlungsmöglichkeiten auf - mehr 
aber auch nicht (aber auch nicht weniger: eine völlige Beliebigkeit gibt 
es auch nicht).

Ich
verhalte mich nicht zu Geflechten, sondern zu den konkreten Menschen.

Das ist ja nun die Frage. Bringt es vielleicht ganz gut auf den Punkt.

Ich will es mal ein bisschen anders formulieren, hoffend, dass du dem
noch zustimmen kannst: Du sagst, du hast eine Beziehung immer nur zu
ganz konkreten Menschen - jedenfalls insofern es für dich
handlungsrelevant ist. Kannst du das teilen?

Ja. Zu den konkreten "kompletten" Menschen mit ihren Beziehungen auch zu 
anderen.

Wenn diese Einzelbeziehungen so säuberlich separiert werden können,

Nicht separierbar sind die Beziehungen, die andere zu anderen haben - 
gehört zu der "Konkretheit" der Person mit dazu.

dann macht es also keinen Unterschied, ob in eurer gemeinsamen Gruppe
auch andere konkrete Mitglieder Beziehungen zu anderen konkreten
Mitgliedern haben.

Natürlich kann das einen Unterschied machen.

Denn wenn diese Beziehungen zwischen anderen
Mitgliedern irgendetwas mit deinen Beziehungen zu tun hätten, dann
könnten sie nicht säuberlich separiert werden.

Natürlich kann all das, was für einen konkreten Menschen wichtig ist, in 
meiner Beziehung zu ihm/ihr auch wichtig sein.

In der Tat ist dies für mich dann eine Menschenansammlung.

Der Schluss ist nur dann logisch, wenn du den "Beziehungsreichtum" nur 
über ein abstraktes Drittes, das Beziehungsgeflecht, denken kannst. Das 
ist aber keineswegs zwingend. Als bloße Beschreibung wäre mir das 
Beziehungsgeflecht (was du ja fast als Synonym für Gruppe eingeführt 
hast) ja egal. Doch wenn du es so "metaphysisch auflädst", dann wird es 
zu einem transzendentem Abstraktum.

Ich behaupte aber, dass auch du sehr wohl auch die Beziehungen der
anderen Mitglieder untereinander im Blick hast. Dass es auch für dich
handlungsrelevant ist, wie die Beziehungen zwischen anderen
Mitgliedern konkret aussehen. Und damit ist - im Rahmen einer Gruppe
und im Gegensatz zu einer Menschenansammlung - das Beziehungsgeflecht
eben sehr wohl und unmittelbar handlungsrelevant.

Wenn du das Konglomerat der Beziehungen von mir zu anderen zu nennen magst 
- von mir aus. Wenn daraus eine darüber hinausgehende Relevanz ableitest: 
das halte ich für eine "metaphysische Aufladung".

Damit wird das
Beziehungsgeflecht *als solches* zu einer handlungsleitenden Kategorie
(unter anderen).

Das wäre eine solche "Aufladung", die ich nicht teile. Es ist keine 
Kategorie, und "handlungsleitend" ist sie im obigen Sinne so wie "alles" 
andere auch: nämlich nur als eine deskriptive Fassung all meiner von mir 
wahrgenommenen Weltausschnitte, die Prämissen meiner 
Handlungsmöglichkeiten darstellen.

Und damit ist das Beziehungsgeflecht eben nicht mehr
vernachlässigbar.

Im Sinne einer Beschreibung: wie alles andere auch.

Dann nötige ich mich
selbst, dem "Beziehungsgeflecht" ein Wesen zuzuschreiben, dass nur
einen transzendenten Bezug haben _kann_. Es gibt keine
Gesetzmäßigkeiten der Beziehungsgeflechte.

Das klingt nach: "Es kann nicht sein, was nicht sein darf."

Kann ich für dich umdrehen: "Es muss sein, was sein soll".

Beziehungsgeflecht muss transzendent sein, also kann es das nicht
geben. Darauf kommst du, weil du konsequent und ausschließlich die
Außenperspektive einnimmst. Nimm mal die Innenperspektive ein und die
Welt sieht radikal anders aus.

Ich nehme so konsequent wie möglich den Standpunkt erster Person ein, der 
die Voraussetzung für eine "Innenperspektive" ein, die nur der Standpunkt 
erster Person sein kann. Du behauptest für dich, die "Innenperspektive" 
einzunehmen, die du aber als Drittstandpunkt konsituieren willst. Und das 
haut nicht hin, und darauf will ich dich aufmerksam machen.

Den Rest, der überwiegend nach - m.E. unbegründeten - Anschuldigungen
riecht, schenke ich uns mal weitgehend.

IMHO habe ich keine Anschuldigungen gemacht (jedenfalls nicht 
absichtsvoll).

Können wir Kriterien angeben, die zu
der einen oder anderen Sorte Einflüsse führen?

Ich glaube nicht. Aber um es konstruktiv zu wenden: Eine sinnvolle
Frage finde ich die nach Handlungsmöglichkeiten, mit denen sich ich
und andere selbst Einfluss und Handlungsspielraum verschaffen können.
Das führt weg von Spekulationen über Einflüsse _auf_ die Leute und
ihren Reaktionen.

Ist der Unterschied deutlich geworden?

Der wichtigste Unterschied, der für mich deutlich geworden ist, ist
der, dass du in diesem ganzen Begriffsfeld konsequent und
ausschließlich den Außenstandpunkt betrachtest. Das ist für mich nicht
mal die halbe Wahrheit.

Ich sehe das genau umgekehrt. Wobei der Gegensatz zum Außenstandpunkt 
(=Drittstandpunkt) nicht die Innenperspektive ist, sondern der Standpunkt 
erster Person, der Selbstentfaltungsstandpunkt. Du versuchst sozusagen, 
so lese ich es, eine Innenperspektive vom Drittstandpunkt zu formulieren.

Und es ist auch nicht die "halbe Wahrheit", sondern ich habe keinesfalls 
quasi nur nur das isolierte Individuum im Blick (war ja mal ein Vorwurf), 
sondern das handlungsfähige Individuum aus seiner Sicht, der 
je-ich-Sicht, in der Welt, wie je ich sie wahrnehme und zu der je ich 
mich verhalte, weil die objektiven Welt-Bedeutungen für je mich nur 
Prämissen meiner Handlungen sind (und nicht Determinanten).

Wobei ich dir andererseits bei dieser Hälfte ja auch inhaltlich immer
wieder zustimme. Wo ist deine immanente Perspektive, der
Innenstandpunkt, der Standpunkt erster Person?

Das habe ich nun hoffentlich verdeutlicht - auch, dass in Bezug auf 
Gruppen gilt: Innenstandpunkt <> Standpunkt erster Person.

Wo ist das "Wir" im
Gegensatz zum "Sie" (3. Person Plural)? Ich behaupte, dass das, was du
von Außen kritisierst von Innen andere Qualitäten hat. Darunter
durchaus emanzipatorische. Für mich ist - mal wieder - der Knackpunkt
die Entfremdung. Die ist problematisch.

Ja, die Entfremdung ist dein Dreh- und Angelpunkt. Aber damit versuchst du 
Emanzipation zu begründen, die du vorher schon begrifflich 
rausgeschmissen hast.

Wenn es wirklich um
Selbstentfaltung geht, dann um jene Möglichkeiten, die je meine und
so auch die aller Entfaltung begünstigen. Das ist eine Frage "erster
Person", aus eben je meiner Perspektive. Im Unterschied dazu guckt
die Frage "dritter Person" nach Bedingungen und Kriterien, ob diese
dies oder jenes Verhalten (z.B. für Freie Software) günstig
beeinflusst. Etc.

Du irrst dich vollständig: *Für mich* (erste Person!) ist es wichtig,
so zu handeln, dass *ich* effektiv bin. Dazu muss *ich* den
Handlungsrahmen kennen und dazu gehören eben auch die je wirksamen
Einflüsse und ggf. wie ich mich in diesem Rahmen bewegen kann. Kurz:
Ich muss den Handlungsrahmen kennen um überhaupt handlungsmächtig sein
zu können...

Ja, gut gesagt. Jetzt zieh das mal konsequent durch und versuche mal nicht 
für Andere Standpunkte zu konstruieren, sondern nur für dich. Wenn du das 
machst und das verallgemeinerst (also vom "ich" zum "je ich" gehst), dann 
musst du auch konsequent alle Drittstandpunktbezüge (wie deinen "Grund") 
rauswerfen. Dann kommen wir weiter.

So
"funktionieren" Menschen aber nicht, und wenn sie es doch tun, ist
jede Emanzipation am Ende. Das ist für mich der Knackpunkt:
Drittstandpunkt (Aussenstandpunkt) und Emanzipation gehen nicht
zusammen.

...Diese Handlungsmacht *kann* manipulativ oder sonstwie
anti-emanzipatorisch eingesetzt werden - und dann würde ich es als
entfremdet bezeichnen.

Das "Entfremdete" _ist_ aber der Drittstandpunkt. Gesellschaftlich ist es 
die Verwertungslogik. Und im Kleinen sind es all die "Logiken", die sich 
nach irgendwelchen allgemeinen Kriterien (vulgo: transzendenten Bezügen) 
notwendig verselbstständigen und/oder den Einzelnen als Äußeres/Fremdes 
gegenübertreten.

Das "Entfremdete" ist also kein Effekt, der irgendwie als Maßstab geeignet 
wäre, sondern konstitutiver Bestandteil: It's not a bug, it's a feature - 
im anti-emanzipatorischen Sinne.

Aber Handlungsmacht *kann* auch emanzipatorisch
eingesetzt werden. (Klingt irgendwie nach Potestas vs. Potentia. Wohl
kein Zufall, dass wir immer wieder in der Ambivalenz von Macht
hinsichtlich Emanzipation landen...)

_Diese_ Handlungamacht eben nicht. Es kommt darauf an, eine Handlungsmacht 
zu gewinnen, in der der Standpunkt erster Person - wie ich das jetzt mal 
genannt habe: der Selbstentfaltungsstandpunkt - konstitutiv ist.

Deine Position ist jetzt - so verstehe ich es: Diese Handlungsmacht
*kann* ausschließlich anti-emanzipatorisch eingesetzt werden.

Ja, mit Betonung auf _diese_ (hier diskutierte).

Hier
bist du aber für meinen Geschmack zu schnell. Denn wer entscheidet
denn, was konkret anti-emanzipatorisch ist?

Das braucht niemand zu "entscheiden". Das ist ja der Witz: Eine 
Konstruktion, in der "jemand" - wer auch immer - entscheiden muss, was 
"emanzipatorisch" ist, schliesst eben jene Emanzipation, die nur die 
Emanzipation des individuellen Menschen sein kann, aus. Dito gilt erst 
recht für "Anti-Emanzipation"

Du gehst hier mit einem
extrem äußerlichen Kriterium her und sagst: "Handlungen, die auf
dieser Grundlage vorgenommen werden, können immer nur
anti-emanzipatorisch sein."

Nein, gerade das nicht. Der Gang der Argumentation ist: die Theorie ist 
auf Drittstandpunkt gebaut, die Emanzipation kann nur auf dem 
Selbstentfaltungsstandpunkt gebaut sein, der der Standpunkt erster Person 
ist, und deswegen ist mit einer solchen Theorie (und den darauf gebauten 
Begriffen) keine Emanzipation erreichbar.

Ich wäre da ein Stück vorsichtiger und
würde lieber die konkret Betroffenen nach ihrer Meinung fragen.

Diese theoretische Frage lässt sich nicht empirisch klären.

Ich glaube fürs Erste werde ich erstmal das Beziehungsgeflecht als die
bestimmte Qualität einer (Interessen)gruppe betrachten. Das
Beziehungsgeflecht unterscheidet die (Interessen)gruppe von einer
Menschenansammlung. Außerdem gibt es immer einen Grund für eine
(Interessen)gruppe. Auch dies unterscheidet sie von der
Menschenansammlung.

Ok, dazu habe ich alles geschrieben, was mir derzeit einfällt. Lang genug.

Ciao,
Stefan

--
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