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[ox] Bericht vom Koordinationstreffen 29.4.2003 im Auswaertigen Amt/Berlin



Liebe Oekonuxis,

den Bericht von Rainer Kuhlen von dem genannten Treffen schicke ich
euch mal in Mail-gerechter Form (Original war PDF). Erschien original
auf der WSIS-Liste.

Besonders interessant vielleicht der Abschnitt "ad 3)".


						Mit Freien Grüßen

						Stefan

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Koordinationstreffen 29.4.2003 im AA/Berlin auf Einladung des BMWA zur
ersten Abstimmung einer deutschen Position mit Blick auf den
Weltgipfel Informationsgesellschaft (WSIS)

Bericht von Rainer Kuhlen ­ Vorsitzender des Fachausschusses
Kommunikation der Deutschen UNESCO-Kommission

Konstanz/Berlin 3.5.2003

Anwesend waren, neben Vertretern verschiedener Ministerien (BMI, BMF,
BMZ, BMJ, aber keine Vertreter aus dem AA, die für UNESCO zuständig
sind), ca. 50 Vertreter aus den Reihen der Zivilgesellschaft, dazu
einige wenige aus der Privatwirtschaft. Geleitet wurde die Sitzung von
M. Cronenberg, unterstützt durch M. Leibrandt und D. Plesse. Das
Treffen dauerte ca. 2 Stunden.

Nicht zuletzt die Deutsche UNESCO-Kommission hat sich seit der Mainzer
ICII-WSIS- Vor-Konferenz nachdrücklich darum bemüht, das Ziel der
Notwendigkeit einer solchen Koordination zu verfolgen. Primäres
politisches Ziel sollte es dabei sein, über eine offizielle und
institutionalisierte interministerielle Absprache, unbeschadet der
Federführung des BMWA, zu einer Positionierung der deutschen
Bundesregierung zu kommen.

Ob das erreicht oder schon praktiziert wird, ist von außen schwer zu
sagen. Offenbar finden aber die interministeriellen Absprachen zu WSIS
statt (z.B. auch im Anschluss an das Koordinationstreffen vom 29.4.).
Es fiel dabei auf, dass für WSIS wichtige Bereiche von Ministerien
(wie erwähnt des AA) oder ganze Ministerien (z.B.
Verbraucherministerium) entweder nicht präsent waren oder sich bislang
nicht eingebracht haben. Ebenfalls bemerkenswert war, dass, soweit ich
das feststellen konnte, keine parlamentarischen Vertreter (weder von
Bundestag noch vom Europaparlament anwesend waren).

Das weitere Ziel, nämlich auch die anderen Gruppierungen ­ in der
WSIS- Terminologie als observers" bezeichnet (also internationale
Organisationen, Zivilgesellschaft und Privatwirtschaft) ­ sowohl an
der Planung als auch an der tatsächlichen Durchführung des WSIS und
seiner Vorbereitungskonferenzen zu beteiligen, scheint weitaus
schwierig zu erreichen zu sein. Gleich zu Beginn wurde nachgefragt,
wie sich die Bundesregierung die Teilnahme der Zivilgesellschaft an
den bevorstehenden Vorbereitungskonferenzen (Paris Mitte Juli,
PrepCom3) und dann am WSIS selber vorstelle.

Hier blieb der Vorsitzende, verbindlich im Ton, aber unverbindlich in
der Sache, sehr zurückhaltend und versuchte zunächst die Zuständigkeit
dafür an die EU zu verweisen ­ überhaupt wurde die Referenz auf die
eigentliche Zuständigkeit der EU Leitmotiv bei dem Versuch, deutsche
Positionen erkennbar werden zu lassen. Formal bezog man sich auf Regel
55 der prozeduralen Vereinbarungen von PrepCom1 und sah weiter
Schwierigkeiten, Beobachtern erweiterten Status ­ Zugangsrecht zu den
Dokumenten, Rederecht, Antrags- und Verhandlungsrecht und schließlich
Abstimmungsrecht ­ zu geben, obgleich die Regel 59 durchaus eine
Erweiterung möglich machen würde. Einen gewissen Eindruck schien das
Argument gebracht zu haben, dass faktisch schon am Ende von PrepCom2
eine erweiterte Teilnahme der Zivilgesellschaft (wenn auch wohl kaum
mit dem Ziel des Abstimmungsrechts ­ was ernsthaft bislang auch
niemand anstrebt) akzeptiert wurde ­ die Papiere der Beobachter sind
z.B. schon, allerdings ohne Referenz, in den Declaration- und Action-
Plan-Entwürfen in Form von Synopsen eingebracht, wenn auch bislang
kaum mit direkten Auswirkungen auf die offiziellen Texte. Weiter macht
Eindruck der Hinweis, dass es offizielle und an vielen Stellen
dokumentierte Politik der Bundesregierung sei, zivilgesellschaftliche
Gruppierungen umfassend am politischen Meinungsbildungs- und
Gestaltungsprozess zu beteiligen [1].

Auf die mehrfach vorgetragene Bitte um eine verbindliche
Festlegung/Institutionalisierung der weiteren Koordination zwischen
Bundesregierung und Beobachter-Gruppen" wurde zwar wohlwollend, aber
ohne feste Zusage oder Vereinbarung reagiert.

Themen der Besprechung waren ­ neben den erwähnten prozeduralen Fragen
- im Wesentlichen. Dabei wurde vorab vom Vorsitzender darum gebeten,
diesmal noch nicht detailliert in die vorliegenden Texte einzusteigen,
sondern eine erste Positionierung zu versuchen.

     1. Vorstellung der zweiten Version der Charta der Bürgerrechte
        für eine nachhaltige Wissensgesellschaft, eine Initiative aus
        zahlreichen Vertretern der Zivilgesellschaft (unter aktiver
        Mitarbeiter des Verfassers dieses Berichts ­ Kopie an bei).

     2. Hinweise auf Aktivitäten der UNESCO im Umfeld des Themas des
        Weltgipfels

     3. Umgang mit Wissen im weiteren Sinne, mit Schwerpunkt auf
        Urheberrechtsaspekte

     4. Finanzierungsmodelle

     5. Gender-Aspekte

ad 1) Die Charta wurde in den Grundzügen präsentiert und in Kopien
      verteilt. Es gab keine Diskussion darüber.

ad 2) Von Seiten der Vizepräsidentin der DUK wurde verschiedentlich
      auf die begleitenden Aktivitäten der UNESCO, z.B. über das
      IFA-Programm, hingewiesen (s. ihren eigenen Bericht)

ad 3) Bei der Frage des Umgangs mit Wissen,
      Eigentums-/Verwertungsrechte intellektueller Werke, wurden die
      unterschiedlichen Positionen von Seiten Zivilgesellschaft und
      Regierung sehr deutlich. Über diesen Punkt wurde am
      ausführlichsten diskutiert, obwohl der Vorsitzender dies
      mehrfach mit Hinweis auf die Komplexität der Materie zugunsten
      anderer Themen zurückdrängen wollte. Die offizielle"
      Positionierung der Bundesregierung wurde schon vorab durch eine
      Tischvorlage aus dem BMJ deutlich, die sich klar auf die
      bestehenden internationalen Vereinbarungen und insbesondere auf
      die Zuständigkeit der WIPO beruft.

      Entsprechend wurde in dem Papier deutlich Kritik an den
      Erklärungen der Initiative" geübt [gemeint war wohl der
      WSIS-Entwurf von Seiten der internationalen Zivilgesellschaft
      (Declaration und Action Plan), aber wohl auch der erwähnte
      Charta- Entwurf], die den in den letzten 125 Jahren gewachsenen
      Überzeugungen der Weltgemeinschaft zur Bedeutung des Geistigen
      Eigentums zuwiderlaufen". Das BMJ verwandte sich entschieden
      gegen jede Relativierung von Patent-/Urheber- und
      Verwertungsrecht und gegen Formulierungen wie free access". Es
      sollte unbedingt vermieden werden, neue Regelungen auf dem
      Gebiet des Geistigen Eigentums im Rahmen dieser neuen
      internationalen Erklärungen [im Kontext von WSIS] zu treffen
      oder zumindest zu fordern". Eine Notwendigkeit für Initiativen
      to ensure fair balance" wurde nachdrücklich verneint.

      Hier zeichnen sich deutliche Konfliktlinien zwischen den bis
      jetzt artikulierten zivilgesellschaftlichen Positionen, bei
      denen die Neupositionierung der Fragen des Umgangs mit Wissen
      und des geistigen Eigentums, neben Fragen wie Privacy, Digital
      divide, Informationsfreiheit, etc., zentrale Zielsetzung ist. Es
      wurde von Seiten der Zivilgesellschaft kritisiert und
      befürchtet, dass es offenbar starke Tendenzen gibt, die
      problematischen und konfliktären Themen aus dem WSIS-Prozess
      auszuklammern. Die Bundesregierung wurde aufgefordert, sich auch
      bei den EU-Abstimmungen dafür einzusetzen, dass es keine
      Vorabausklammerungen geben sollte. Durch einen Hinweis darauf,
      dass es offenbar in der WIPO Initiativen gibt, law in
      cyberspace" neu zu formulieren ­ in welcher Richtung auch immer
      ­ bestätigte die Position, dass es offenbar durchaus, nicht
      zuletzt wegen des schnellen technischen und medialen Wandels,
      einen Bedarf nach neuen Balance gerade auch im Umfeld des
      Urheberrechts gebe.

ad 4) Auf Wunsch des Vorsitzenden wurde noch etwas ausführlicher über
      Finanzierungsfragen diskutiert. Hier wurde vom Berichterstatter
      vor allem der in Punkt 55 Financing" der List of Issues" des
      WSIS-Regierungsentwurfs angesprochene digital solidarity fund"
      zur Überwindung von digital divide" thematisiert, Es wurde dabei
      kritisiert, dass in den in der verteilten Synopse aufgeführten
      Stellungnahmen deutlich die Chancen für einen solchen Fund auch
      aus Sicht der Bundesregierung als sehr gering eingeschätzt
      wurden (mit Verweis auf die eigenen Haushaltsprobleme). Die
      Bedenken wurden im Prinzip auch von Seiten des BMZ geteilt. Man
      war aber dann sehr interessiert, auch von Seiten des BMWA, etwas
      mehr über die Möglichkeiten der angesprochenen Ausgleichsmodelle
      zu erfahren, zumal das ja in der EU lange Tradition hat und
      sozusagen ein genuiner EU-Beitrag für WSIS werden könnte. Dies
      könnte in den anstehenden Koordinationsgesprächen mit der EU als
      deutsche Initiative interessant werden und auf Akzeptanz stoßen
      und so in den WSIS- Prozess eventuell eingebracht werden. Es
      wurde vereinbart, dass das BMZ einen entsprechenden Vorschlag,
      wenn er denn auf die Schnelle erstellt werden kann, übermittelt
      bekommt, das dann in die EU-Verhandlungen eingebracht werden
      kann. [Das war im Wesentlichen das einzige konkrete Ergebnis,
      zumal der Vorsitzende, wie erwähnt, nicht beabsichtigt hatte,
      konkret die vorliegenden Papiere durchzugehen.] ad 5) Von Seiten
      zwei Vertreterinnen aus dem Gender-/Frauen-Bereich wurde
      deutlich angemahnt, dass entgegen den offiziellen Beschlüssen
      der Bundesregierung zur Berücksichtigung von Gender-Aspekten bei
      allen Aktivitäten, auch im internationalen Bereich, bislang das
      Thema stark unterrepräsentiert sei. Es sei auch keine Lösung,
      wie der Vorsitzende vorschlug, das in einem gesonderten
      Abschnitt der späteren Declaration zu berücksichtigen, da
      Gender-Fragen alle Themen des WSIS angingen.

Die Sitzung ging ohne weitere konkrete Vereinbarungen, z.B. bezüglich
einer Institutionalisierung der weiteren Koordination, zu Ende. Der
Vorsitzende sagte aber die Überprüfung und Berücksichtung der
Positionen der Beobachter"-Gruppierungen zu, die aber zwangsläufig zu
manchen Themen und Aspekten, zumal aus der Zivilgesellschaft, einen
anderen Anspruch und andere Zielsetzung haben als sie die
Bundesregierung, zumal im EU-Kontext, vertreten könne. Insgesamt wurde
von allen Teilnehmern begrüßt, dass ein solches Treffen überhaupt
zustandegekommen sei. Eine Fortsetzung solle stattfinden. Ein
konkreter Termin wurde nicht vereinbart.

[1] Im Nachgang zur Sitzung gab es in der CRIS-Mailing-Liste einen
    Kommentar zum weiteren Vorgehen von Wolfgang Kleinwächter, der
    auch auf der Sitzung dabei war. Für ihn gibt es die folgenden drei
    Optionen, über die spätestens in Paris bei dem Juli-Treffen bei
    der UNESCO entschieden werden sollte:

    * Option 1 is a unified document (Declaration & Action Plan)
      endorsed by all stakeholders - GOV, CS and PI.

    * Option 2 is a divided document (as it looks now), that is Part A
      as a governmental declaration and Part B as a section probably
      called "Input from Observers". The question here is who
      formulates the "Input from Observers"? The Secretariat? A
      governmental drafting committee? As you have noticed from the
      present Draft of the Parts B, there is a number of
      misunderstandings, distortions and unbalanced selections of
      issues, positions and arguments if this is made by unknown
      group.

    * Option 3 would be that CS starts an own (independent) drafting
      process, based on the drafting work which has been done during
      PrepCom2 and which would lead to a "CS Declaration & CS Action
      Plan", following more or less the same structure and methodology
      like the "Gov Declaration & Gov Action.

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Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de



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