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[ox] Computer als Männermaschine - Fortsetzung von oekonux Digest, Vol 4, Issue 22



Hallo Liste,

Nach meiner ersten generellen Reaktion auf Stefan Mertens Einlassungen
zum 3. Kapitel meines Textes "Computer als Männermaschine" vor 2
Wochen, habe ich nun versucht auf einzelne Punkte einzugehen. Ich bin
mir nicht sicher ob es mir wirklich gelungen ist, da ich in weiten
Teilen das Gefühl habe, es ging eher um einen Verriss, als um eine
Auseinandersetzung. 



S. Merten schrieb in
http://www.oekonux.de/liste/archive/msg06431.html

[...]
Nun, was mich geärgert hat, war nicht die mangelnde Quellenlage -
dafür kann sie natürlich nichts. Ich fände es aber seriös, wenn sie -
wie du es getan hast - auf dieses Problem hinweist und die vorhandenen
Quellen mit der entsprechenden Vorsicht behandelt.
In der Einleitung verweise ich darauf, in welchem Kontext sich die Arbeit
ansiedelt.

Sonst kommt sie für
mich halt in den Geruch, dass sie sich von ihrem Thema entfremdet hat
und einfach irgendwas zeigen will, was ihr gerade am Herzen liegt. Das
ärgert mich. Aber da sitzt sie mit dem Herrn Winzerling wirklich im
gleichen Boot. Über den vielen Stuss, den der saubere Herr Winzerling
entgegen ihrer Behauptung eben *nicht* bereit ist zu diskutieren, und
den sie brav nachbetet, lasse ich mich nicht mehr aus.
Das ist wieder eine dieser Unterstellungen, die ich wirklich ärgerlich
und stillos finde. Es ist persönlich beleidigend.



Mir scheinen aber auch Sätze wie dieser ein fundamentales Problem zu
sein:

  Diese und weitere AutorInnen gehen vor allem der Frage nach, welche
  Motivationen die ProgrammiererInnen haben, innerhalb einer
  gewinnorientierten Gesellschaft an einem Projekt teilzunehmen, *dass
  sich auf den ersten Blick den Kategorien kapitalistischer
  Verwertungskriterien zu entziehen scheint*.

  [Hervorhebung von mir]

Hier impliziert sie mehr oder weniger, dass es sich eben bei genauerem
Hinsehen eben den allseits vertrauten Kategorien *nicht* entzieht.
Über das Ob und das Inwieweit unterhalten wir uns hier allerdings
schon seit längerem. Wenn mensch es aber als Denkmöglichkeit a priori
ausschließt - und das tut sie m.E. mit solchen Sätzen und auch im Rest
des Textes - dann brauchen wir darüber nicht mehr zu reden. Ob sie
damit allerdings der Realität gerecht wird, das wage ich doch heftig
zu bezweifeln.
An dieser Stelle müssten wir wahrscheinlich in eine längere Diskussion
einsteigen. Nur soviel: Ich schließe es nicht als Denkmöglichkeit von
vornherein aus, zeige jedoch in meinem Text sowohl strukturell als auch an
Beispielen auf, das OS sich weit weniger kap. Verwertungsstrukturen
entzieht, als es oft stillschweigend vorausgesetzt wird. Mit einem
Selbstverständniss á la "Ich lebe nicht in den kap.
Verwertungsstrukturen, weil sich Open Source dem entzieht" lässt sich
natürlich einfacher und mit weniger Selbstzweifel leben.


Anyway frage ich mich, wieso Leute wie sie sich nicht groß angelegte
Gedanken über Dinge wie Briefmarkensammeln, die Pflege von
Schrebergärten oder Amateuer-Bands machen. Warum sind sie davon nicht
genauso irritiert wie von Freier Software? Da gibt es schon ein paar
strukturelle Ähnlichkeiten. Kommt auch explizit vor:
Wie soll ich das kommentieren? Es ist eine Beleidigung.



  3.1.2. Properitäre Software und die Reaktionen

  ...

  Neue kollaborative Arbeitsweisen verbreiteten sich dort, wo genügend
  gesellschaftliche (Zeit)Ressourcen frei waren, um den
  ProgrammiererInnen der größtenteils kosten- also auch
  entlohnungslosen Freien Software den Rücken freizuhalten.

Um das an einem völlig beliebigen Beispiel zu spiegeln:

Die Gewohnheit des täglichen Kochens im Privathaushalt verbreitete
sich dort, wo genügend gesellschaftliche (Zeit)Ressourcen frei
waren, um den KöchInnen der größtenteils kosten- also auch
entlohnungslosen mittäglichen oder abendlichen Gerichte den Rücken
freizuhalten.

Das ist genauso wahr, führt aber nicht zum allgemeinen Staunen. Warum?
Weil es gar nicht zum allgemeinen Staunen führen soll. Weil es eine
Feststellung ist. Weil es in dem Unter-Kapitel steht, daß eine kurze
Einführung in Open Source geben soll. Weil es - indem es aus dem
Zusammenhang gerissen wird - lächerlich gemacht wird.




Was mir auch nicht gefällt:

  3.3.1 Klubmitglieder

  ...

  Die geringe Teilhabe von Frauen im sozialen Raum der Open Source
  Bewegung ist also keine Zufall, sondern sie wird durch den
  technologischen Diskurs bestimmt, der die Open Source Bewegung
  konstituiert und der deren kulturelles Kapital darstellt. Die im
  Open Source Umfeld verbreitete Zustimmung zum Bild des Hackers** ist
  einer der Ausschluss-mechanismen, die hier greifen und die
  Geschlechterhierarchien manifestieren. Rizvi/Klae-ren (1999)
  schreiben, dass es gerade das Bild vom Hacker ist, dass Frauen von
  (einem Stu-dium) der Informatik abschreckt. Daraus lässt sich
  schlussfolgern, dass es gerade die Selbst-identifikation des Open
  Source Umfeldes mit der Figur des Hackers ist, der Frauen von einer
  Teilnahme generell abschreckt.

Der erste Teil ist entweder sexistisch oder trivial. Wenn das
technologische Bild Freier Software - immerhin handelt es sich ja bei
Software auch nicht ganz unwesentlich um Technik - Frauen hindert,
dann weil Frauen *als Frauen* nicht an Technik interessiert sind. Das
ist entweder ein sexistisches Argument oder es spiegelt sich das
wieder, was Frauen spätestens ab der Geburt beigebracht bekommen.
Es als ein sexistisches Argument zu lesen, hieße, mir das Wort im
Munde umzudrehen. Eher kann man es in Ihrer Diktion "als trivial"
bezeichnen. Wichtig ist mir die Darstellung das es das Bild vom Hacker
ist, das Frauen  (und im übrigen auch die Männer, die damit nichts
anfangen können) abzuschrecken scheint. Dabei bleibt offen, welche
Vorstellungen mit dem Bild vom Hacker genau einhergehen, man kann aber
zusammenfassend sagen: technik-orientiert, weiß, männlich.


Letzteres ist aber nicht sonderlich spannend sondern Standard und
spiegelt sich in Freier Software nur. Interessant wäre dann schon eher
die Frage, wieso das bei kommerzieller Software eigentlich anders ist.
Ich muss Andrea immer mehr recht geben, dass das die eigentlich
spannende Frage ist.
Und genau das ist die Frage, die ich stelle, indem ich den Fakt der
geringen Teilnahme von Frauen an Open Source auf deren
Selbstidentifikation mit Hackern zurückführe. Im Bereich Open Source
neigt man offensichtlich zur Bauchpinselei, weil man sich bereits "auf
der guten Seite" wähnt, und solche Fragen glaubt, gar nicht erst
stellen zu müssen.


[...]
  Kulturelles und soziales Kapital sind für Open Source genau deswegen
  wichtig, weil eine Person sie potenziell auch immer in ökonomisches
  Kapital umwandeln kann. Dieses immanente Versprechen, trägt
  letztenendes das Konstrukt von der »Geschenkökonomie« (Raymond).
  Gäbe es dieses Versprechen nicht, wäre der Open Source Gedanke in
  einer mehrwertorientierten Gesellschaft nicht derart stark
  gewachsen, wie es in den letzten Jahren der Fall war.

Nun, eine steile These.
Wieso?

Fakt ist, dass es diesen Anreizmechanismus
überhaupt erst gibt, seit dem Freie Software hip ist. Für die Leute,
die bis sagen wir 1999 Freie Software geschrieben haben, gab es das
schlicht nicht, weil außerhalb Freier-Software-Kreise diese eher
belächelt denn ernst genommen wurden. Wann hat IBM noch seine
Kehrtwende auf diesem Gebiet gemacht? 2000? Um mal ein gut sichtbares
Beispiel zu nennen.
Denn Open Source Programmierer sind rein und gut. Erst die bösen
kapitalistischen Verführer von IBM haben mit viel Geld die ehrlichen
und harmlosen Programmier bestochen.

Mir geht es um die Beschreibung von Strukturen. Und die existierten/
entwickelten sich sicher auch schon vor 1999. Dass diese Tatsachen
nicht in ihr Selbstbild passen, kann natürlich dazu verleiten, sie
einfach zu verleugnen - hilft aber auch nicht weiter.


Den heftigen Aufschwung Freier Software als *dadurch begründet*
anzusehen, halte ich für wenig gedeckt. Ich will ja nicht bestreiten,
dass die Steigerung des eigenen Marktwerts für einige ein Anreiz ist
und *als Potenz* auch so wahrgenommen wird, aber dass es ein faktisch
wesentlicher Anreiz ist, gibt z.B. auch die FLOSS-Studie in dieser
Eindeutigkeit nun wirklich nicht her:

      http://floss1.infonomics.nl/stats_24.html

Auf die Frage "If you had to describe the OS/FS scene in general,
which of the statements below reflects most your opinion? The OS/FS
scene is a forum... (check maximal 3 answers)" bekommt die Antwort
"for career improvements" gerade mal 4.26% - die geringste Quote
überhaupt! Auch hier wieder: Die Fakten sprechen nicht gerade für ihre
Lesart sondern deuten im Gegenteil eher darauf hin, dass die
Selbstentfaltungsaspekte tatsächlich im Vordergrund stehen.
Ich habe mich bemüht meine Argumentation nicht auf Statistiken
aufzubauen, wenn auch ich Statistiken benutzt habe, um meine
Argumentation zu illustrieren. Mir geht es eher um die strukturellen
Kategorien und Wirkungsweisen. Ich kann auch hier nur auf den Text
selbst verweisen, sonst würde ich mich wiederholen.

Generell sehe ich mich durch die aktuell veröffentlichte Floss-Studie
insofern bestätigt, als dort Bezug auf Lerner/Tirole genommen wird,
die in "Some Simple Economics of Open Source",
http://www.people.hbs.edu/jlerner/simple.pdf die Anreizmechanismen
beschreiben.

FLOSS:
"While the assumption of altruistic behaviour dominated the Open Source
discussion in earlier years, the current work emphasises more
reciprocity or individual labour market considerations. E.g., Lerner
and Tirole (2002) argue that a programmer can signal his coding
abilities by participating in Open Source projects. This should
raise his expected future wage or give him access to programming jobs,
as already Raymond (2000, Chapter 5) has pointed out, although he
considers the latter as rare and marginal motivation for most
hackers."
http://www.infonomics.nl/FLOSS/report/FLOSS_Final0.pdf S.7

An anderer Stelle wird folgende Unterscheidung getroffen:

"Comparing the motives to start with the development of OS/FS and the
motives to continue with it, we found an initial motivation for
participation in the OS/FS community that rather aims at individual
skills and the exchange of information and knowledge with other
developers, but over time a maturing of the whole community with
regard to both, commercial (material) and political aspects."
http://www.infonomics.nl/FLOSS/report/FLOSS_Final4.pdf  S.4


Herb wird's dann an solchen Stellen

  3.3.2. Transformation der Öffentlichkeit, Prekarisierungstendenzen
         und Lob der Arbeit

  ...

  Scholz sieht in der kapitalistischen Logik des Warentauschs eine
  geschlechtliche Dimension, die vom Patriarchat bestimmt wird. Diese
  Logik des Warentauschs basiert auf dem Prinzip der abstrakten
  Arbeit, als den Anteil an Arbeit, der ausgeführt wird, um etwas
  herzustellen, dass getauscht werden kann (üblicherweise gegen Geld).
  Abstrakte Arbeit ist also diejenige, die auf den Wert eines
  Gegenstandes abzielt, abgesehen von dessen konkreter Verfasstheit.
  Die abstrakte Arbeit unterscheidet man von der konkreten Arbeit, die
  den Anteil an Arbeit meint, der in die tatsächliche Herstellung,
  die materielle Formung der Ware eingeht und der in einem
  dialektischen Verhältnis zur abstrakten Arbeit steht.
Nun muss mensch ja nicht die ganze Oekonux-Theorie voll verinnerlicht
haben um zu erkennen, dass es mit dem Tausch in der Freien Software
nicht so weit her ist. Auch hier wieder die FLOSS-Studie:

      http://floss1.infonomics.nl/stats_26.html

Auf die Frage: "Developers contribute to the OS/FS community in
different ways, and they receive many benefits from it. In general,
how do you assess your balance?" meinen über ca. 56%, dass sie mehr
nehmen als geben, während ca. 9% der umgekehrten Auffassung und ca.
15% einem Ausgleich zuneigen. Irgendwie ist das kein Tausch - oder?

Nun, ich würde natürlich ohnehin sagen, dass es sich bei Freier
Software eben *gerade* um konkrete Arbeit handelt.
Mit welcher Begründung?

So gesehen wäre die
Beteiligung von Männern an Freier Software nach Roswitha Scholz eben
gerade *nicht* zu erwarten.
Das Problem sieht sie auch, leugnet es aber:

  Wie können Scholz Thesen in Bezug auf Open Source gelesen werden?
  Wenn sich Männer also abstrakter Arbeit im Kontext einer
  öffentlichen Sphäre hingeben, so entspricht dies dem von ihnen
  erwarteten Rollenverhalten und mithin der erfolgreichen Konstruktion
  männlicher Identität. In der Herstellung von Open Source Code findet
  sich abstrakte Arbeit insofern wieder, als das auch Open Source
  durch Tauschverhältnisse bestimmt ist und die Software als Träger
  von Wert fungiert.

Wie gesagt: Das haut einfach nicht hin. Dass auch sie zumindest weite
Teile Freier Software einfach nehmen kann ohne etwas dafür zu geben,
widerspricht einfach dem Tausch.
Um es an einem vereinfachten und wahrscheinlich hinkendem Beispiel zu
verdeutlichen: Wenn ich die Software von YX downloade und benutze und
sie gut ist und ich sie anderen weiterempfehle, so hat XY etwas
angeboten (die Software) und ich habe im Gegenzug Teil an der
Produktion von sozialem Kapital - zum Beispiel indem ich FreundInnen
davon berichte wie toll die Software ist. Wie im Text länger
ausgeführt, kann soziales Kapital (Bordieu), also z.B. eine breite
Anerkennung, in finanzielles Kapital umgewandelt werden. Hierbei
entstehen Tauschverhältnisse.

Mir scheint mein Text wurde nicht richtig gelesen/verstanden,
ansonsten würde die Diskussion nämlich um die tatsächlich wackeligen
Punkt dieser Argumentation gehen.


  Dieser Wert verwirklicht sich allerdings häufiger
  in Form kulturellen und sozialen Kapitals, einmal abgesehen von der
  erfolgreichen Realisierung von Wert in ökonomisches Kapital bei der
  Kommerzialisierung von Open Source.

Ich würde vermuten, dass Roswitha Scholz einer solchen Dehnung des
Wertbegriffs widersprechen würde.
Das ist der Punkt an dem meine Argumentation tatsächlich gewagt ist.
Eine Reaktion von R.Scholz darauf steht noch aus.




Ganz kraus wird's dann hier:

  In einer Zeit, in der Arbeit in den kapitalistischen Zentren zur
  »Mangelware« wird, formiert sich in genau diesen Zentren eine
  »Freiwillige Arbeitsbeschaffungsmaßnahme«, die Open Source
  Community. Die angesichts von Prekarisierung, Feminisierung und
  Verknappung von Arbeit, ins Straucheln geratene Konstitution
  männlicher Identität über abstrakte Arbeit, wird in der Open Source
  Bewegung in transformierter Form reanimiert.

Aha. Dann frage ich mich, warum wir uns hier wundern, warum die vielen
Arbeitslosen sich nicht alle jubelnd auf Freie Software stürzen. Mein
Eindruck ist, dass die arbeitslosen Männer viel besser als Francis
Hunger verstehen, was da Sache ist...

Es tut mir leid aber dieser Beitrag bestätigt auch bei näherem
Hinsehen, dass es hier mit der Faktenlage nicht so genau genommen wird
und es vor allem darum geht, ein bestimmtes, vorgeformtes Bild zu
unterstützen. Ich bin ja durchaus dafür, sich mit der Gender-Frage
auch bei Freier Software zu befassen - aber bitte dann näher an den
Fakten und weniger nah an der eigenen Lieblingsideologie.
Für mich liest sich Ihre Reaktion eher in die Richtung, dass Sie
solange bereit sind, sich mit der Gender Frage zu beschäftigen,
solange es nicht ihr eigenes Selbstbild unangenehm hinterfragt.

                                              Mit Freien Grüßen

                                              Stefan

Mit freundlichen Grüßen

Ihr

Francis Hunger

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Organisation: projekt oekonux.de



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