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Re: [ox] Freie Software und Eigentum an Informationsguetern



Hi Sabine und Liste!

Yesterday Sabine Nuss wrote:
Könntest Du das noch näher ausführen, wieso am Eigentum "materieller
Konsum" und "Geheimnisse" positiv sind, bzw. was das bedeuten soll?

Nun ganz simpel den Apfel, der mir per Rechtstitel gehört, kann ich
ungestörter konsumieren, da der Rechtstitel mir quasi die Gewaltmittel
in die Hand gibt, wenn andere mich davon abhalten wollen. Das finde
ich ein nützliches Ding am Eigentum, das auch in einer
emanzipatorischen Vision auf irgend eine Weise gegeben sein sollte.

Naja, das setzt ja aber stillschweigend schon voraus, dass es Leute gibt,
die Dir den Apfel wegnehmen wollen.

Sehr treffend analysiert :-) . Aber ich finde das gar keine so
einfache Frage. Ich versuche mal darzustellen warum.

Wenn wir schon von einer
"emanzipatorischen Vision" ausgehen, dann ist das doch gerade nicht die
Regel, oder?

Hmm... Wenn ich das weiß, dann weiß ich schon sehr viel über diese
Vision.

Mein Problem an dieser Stelle: Mir kommt hier sofort die
sozialromantische "Wir-lieben-uns-doch-alle"-Vision in den Sinn. Ich
glaube aber, dass die unter Bedingungen von Massengesellschaften
(looking for a better word...) nicht funktioniert. Einfach deswegen,
weil Menschen von ihrer psychischen Ausstattung her nicht dazu in der
Lage sind, 3 Million BerlinerInnen mit der gleichen emotionalen
Anteilnahme zu begegnen wie 3 FreundInnen oder 30 oder meinetwegen
auch 300 Bekannten. Und wenn diese emotionale Anteilnahme wegfällt,
dann ist es eben schnell Essig mit der
"Wir-lieben-uns-doch-alle"-Vision.

Anders ausgedrückt: Auch in einer emanzipatorischen Vision wird es
Konflikte geben, die nicht einfach mal so mit nett zueinander sein
auszuräumen sind. Ich würde allerdings zustimmen, dass der
Kapitalismus die Vereinzelung und Anonymisierung besonders forciert.
So gesehen wäre die Abschaffung der Zwangskonkurrenz schon mal eine
sehr zielführende Maßnahme :-) .

Na, das kommt mir dabei so in den Kopf. Vielleicht hast du ja andere
Gedanken?

Naja, vielleicht unter Bedingungen natürlicher (!) Knappheit,
sagen wir, es gibt zu wenig Äpfel wegen schlechter Ernte oder sowas.

Das ist auf jeden Fall mal ein Feld, wo Konflikte schnell entstehen.

Deswegen sollte eine emanzipatorische Vision eben auch vom allgemeinen
Überfluss ausgehen.

Selbst
dann ist es noch sehr fraglich, ob man davon ausgehen muss, dass aufgrund
dieser natürlichen Knappheit mir gleich jemand den Apfel aus der Hand
reissen würde. Es gibt soundso viele ethnologische Studien, die zeigen,
dass Menschen in bestimmter Vergesellschaftungsform bei natürlicher
Knappheit (also in Notzeiten) ihre Vorräte teilen.

Ja klar. Mein Bedenken / Frage ist: Wie kam da der soziale Kitt
zusammen, dass das so ging? Bei kleineren Gemeinschaften, inbesondere
bei Überlebensgemeinschaften kann ich mir das gut vorstellen. Aber bei
größeren mit der entsprechenden Anonymisierung? Oder war das nicht
auch zumindest teilweise mit Gewaltmaßnahmen verbunden?

Und ich selbst würde
nicht unbedingt einen exklusiven Rechtstitel auf meinen Apfel haben wollen,
der es mir dann ermöglicht, die Polizei zu rufen, wenn mir den jemand weg
nimmt, sondern das lieber persönlich klären, weil dieser Rechtstitel doch
wieder einen Gewaltapparat benötigt, um ihn überhaupt wirksam zu machen.

In diesem Falle würde dann ja ein Gewaltapparat gegen einen anderen
stehen - nämlich den, den die DiebIn gegen dich aufbringt. Mal
angenommen, wir denken uns, dass Konflikte irgendwie ausgetragen
werden müssen. Mal angenommen, dass es im zu minimierenden
Ausnahmefall dabei auch zu Gewaltanwendung kommen kann. Ich fände es
dann weder eine Lösung, einfach mich der Gewalt auszuliefern, noch die
Gewaltausübung auf meine Person zu reduzieren - womit wir nämlich beim
Recht der Stärkeren wären.

Schwierig. Aber mich würde interessieren, was wir dazu Vernünftiges
denken können. Oder wo ich einfach nur richtig falsch liege.

Hängt natürlich stark mit der konkreten Verfügbarkeit erwünschter
(materieller) Güter zusammen.

Und der Gedanke mit den Geheimnissen stammt aus der Frage, ob es
Informationsgüter gibt, bei denen die Einschränkung der
Nutzungsmöglichkeiten für Nicht-EigentümerInnen sinnvoll sein könnte.
Geheimnisse sind genau das: Wenn's alle wissen / nutzen können, ist
das Geheimnis keins mehr und hat seinen Gebrauchswert verloren.
Informationen aus der Privatsphäre wären ein Beispiel für diese Klasse
von Informationsgütern. Oder Passwörter.

Das ist ein ganz ähnliches Argument: Es setzt eine quasi-natürliche
Feindschaft zwischen Menschen voraus, sie müssen sich schützen, Geheimnisse
voreinander haben, Passworte, usw. Woher kommt dieses Gegeneinander? Ist
das universell für alle Gesellschaften gültig? Oder muss man da nicht
nochmal kurz überlegen, woher diese Trennung von
privat/staatlich/öffentlich eigentlich kommt, ob das nicht doch etwas sehr
historisch-konkretes ist, usw. usf. - aber das würde jetzt zu weit gehen...

Auch da geht es in Richtung H.-Debatte...

Aber so viel: Geheimnisse finde ich schon ein ziemlich universelles
Bedürfnis. Also jetzt mal so rein zwischenmenschlich gedacht. Findest
du nicht?

Stefan schrieb noch:
...verinnerlicht, dass wir es eigentlich andauernd mit Knappheit (d.h.
künstlicher Begrenzung) zu tun haben...

dazu hier ein Zitat aus Holgers Mail:

ACK. Wenn die Irrationalitaet des geistigen Eigentums betont wird, habe
ich auch immer die Sorge, dass damit zumindest implizit Eigentum an sich
als eine rationale, natuerliche, sinnvolle Sache verklaert wird.

Und nochmal Stefan:
Geistiges Eigentum dient ausschließlich der künstlichen Verknappung
^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^

Hier versuche ich mich durch das Attribut "künstlich", über die
genannte Klippe zu hangeln. Ich hoffe, dass das Publikum das dann so
versteht.

Indem Du das so betonst, "Geistiges Eigentum dient ausschließlich der
künstlichen Verknappung" und auch ganz allgemein in Deinem Paper, klingt
das ein bisschen schon so, als ob es bei Eigentum nicht so sei. Natürlich
gibt es einen Unterschied zwischen geistigem Eigentum und materiellem
Eigentum, der aber liegt, wie bereits erwähnt in den Vollzugsmitteln der
Ausschlußmethoden,

Er liegt auch in noch einem Punkt, den Holger angedeutet hat:

Und noch zu Holger:
Den Unterschied finde ich in anderen Zusammenhaengen aber sehr wohl
relevant. Schlicht und ergreifend: Materielle Gueter erfordern im
Gegensatz zu immateriellen Arbeit zur Reproduktion. Dieser rein
stoffliche Unterschied ist ja oekonomisch nicht unbedeutend ;-)

Wobei hier noch einzuwenden wäre, dass auch die Kopie von
Informationsgütern menschlicher Arbeit bedarf. Nur eben durch die
Digitalisierung in so geringen Quanten, dass es uns schon gar nicht
mehr auffällt. Aber das ist schon wieder anders, wenn wir ein Buch auf
einen Kopierer legen wollen. Da ist das Quantum erheblich (und
lästig).

Aber das ist ein wichtiger Punkt zur Unterscheidung von materiellen
und Informationsgütern: Die digitale Kopie lässt das Original
unverändert. Eine materielle Kopie gibt es aber nicht, sondern
erfordert - neben Arbeit - immer noch einen relativ großen (d.h.:
nicht permanent zur Verfügung stehenden) stofflichen Aufwand. Oder
einfacher ausgedrückt: Das Autoradio ist weg wenn es in einem anderen
Auto eingebaut wird, das Musikstück, dass auf diesem Radio empfangen
wird, steht mir - mit einem anderen Empfänger - nach wie vor zur
Verfügung.

aber/und: ob die übrigens ungleich schwer sind (bei
immateriellen schwerer durchzusetzen als bei materiellen), weiß ich gar
nicht so genau, ich gehe selbst auch immer von dieser Annahme aus.

Und wieder den Finger in die Wunde gelegt :-) . Ja, der Gedanke ging
mir beim Schreiben dieser Zeilen auch durch den Hinterkopf...

Aber: Es
hat ja auch einigen Aufwand benötigt, all die materiellen Waren zu umgeben
mit Zugangs-Schranken, Türschlösser, Torgatter, Alarmanlagen,
Bewachungspersonal, Kassen, Videokameras - schau Dir mal einen Supermarkt
an, was der alles an Technik hat, damit niemand einfach was mit rausnehmen
kann, die Kassen vorneweg als Haupt-Zugangsschranke.

Ganz genau. Weswegen die kassenlose Gesellschaft schon ein
Riesenschritt ist ;-) .

Aber wir kennen das
halt von Kindesbeinen an und nehmen es kaum mehr wahr,

Hmm... Ich denke aber, dass jenseits der Ideologiebildung eben auch
noch die stofflichen Tatsachen beim materiellen Diebstahl eine Rolle
spielen: Ich kann das entsprechende Teil nicht mehr nutzen.

Das wäre anders, wenn es *tatsächlich* lediglich kopiert würde. Nee,
nee, hier ist schon ein Unterschied noch vor der Ideologieproduktion.
Da jede Ideologie auch eine Wurzel in der Realität braucht, glaube ich
deswegen im übrigen auch nicht, dass sie mit dem Folgenden so
erfolgreich sein werden:

während wir diese
Ausschluss-Architektur im Internet jetzt grade neu anerzogen bekommen
(sollen). Also: Auch für materielle Güter brauchts einen Vollzugsapparat,
der ist aber inzwischen weitgehend "unsichtbar" für uns, unsichtbar im
Sinne von "normal", Teil unseres Alltags.

Naja - dennoch: Es ist schon einfacher, eine proprietäre Software zu
cracken (wenn man weiß, wie es geht), als auf einem proprietärem
Erdbeerfeld die Früchte zu klauen, dort kann mich jeder sehen, mir den Hund
auf den Hals hetzen, usw.

Na, na, da weichst du selbst auf. Hier ist der Unterschied, dass das
Erdbeerfeld einfach eine größere Öffentlichkeit und bessere
Überwachungsmethoden hat, als der Debugger auf meinem heimischen PC.
Aber das soll sich ja ändern, wenn mensch manchen TCPA-Bedenken
Glauben schenkt.

Nee, nee, der Unterschied liegt in der Kopierbarkeit. Hätten wir den
Replikator, der umweltneutral materielle Dinge kopieren könnte, dann
würden wir uns keine Gedanken mehr über den Unterschied zwischen
materiellen und Informationsgütern machen.


						Mit Freien Grüßen

						Stefan

________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de



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