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Re: [ox] Fragen der Frankfurter Rundschau an Oekonux



Hi alle,

wie vielleicht erwartet, von mir etwas "fundamentalere" Antworten:

FRAGEN: Wohin führt der Erfolg?

1. Führt er zur Integration in die Marktwirtschaft, wird Freie
   Software kommerzialisiert?

Per Definition sind Freie Software und Kommerz keine Gegensätze. Was Freie
Software ausmacht, ist die Unterbindung der künstlichen Erzeugung von Knappheit
durch Freie Lizenzen, die den Ausschluss Anderer von Nutzung und
Weiterentwicklung unterbinden. Genau das machen in der Regel die Lizenzen
proprietärer Software (z.B. EULA von Microsoft). Da Freie Software grundsätzlich
unknapp und damit "wertlos" ist, wird die _direkte_ Verwertung Freier Software
faktisch unmöglich gemacht. Daher basieren alle Geschäftsmodelle auf einer
Kombination unknapper Freier Software und einem anderen kanppen Gut:
Dienstleistung, Hardware etc.

Freie Softwarelizenzen erzeugen eine Dynamik des "Einschlusses", während
proprietäre Lizenzen auf einer Logik des Ausschlusses beruhen. Da Fortschritt
nur mehr durch Einschluss aller zu erzielen ist, ist das Freie Modell
langfristig überlegen.

   * Sparen die auf Gewinne zielenden Firmen wie IBM oder Sun
     Entwicklungskosten, indem sie die Leistungen von
     Freie-Software-Entwicklern verwenden?

Ja.

   * Scharf formuliert: Hilft die Freie-Software-Gemeinde dem
     Kapitalismus?

Ja, denn sie befreit Unternehmen von "Unkosten". Damit gibt sie aber
gleichzeitig der Menschheit ihr Wissen zurück, dass ihr sowieso gehört. Sie
hilft also dem Kapitalismus bei einem friedvollen Übergang zu einer
Gesellschaft, die nicht mehr auf einer Logik der Knappheit, sondern auf einer
Logik des Reichtums (für alle) beruht - ein Reichtum, der nicht mehr monetärer,
sondern stofflicher und sozialer Natur ist. Denn dass der Kapitalismus seine
Entwicklungsreserven ausgeschöpft hat, ist ohnehin klar. Dem Kapitalismus ist
bei seinem Abgang also dringend zu helfen.

   * Oder zumindest dem Teil der IT-Branche und Anwender, der sich vom
     Microsoft-Monopol verabschieden möchte?

Da beginnt es, bleibt aber dort nicht stehen.

   * Besteht die Gefahr, dass wenn die Wirtschaft die
     Entwicklungsziele setzt, die "Kultur" der Freie Software kaputt
     geht?

Die Wirtschaft kann der Freien Softwarebewegung keine Ziele setzen. Sie kann nur
selbst Freie Software entwickeln. Das ist gut, aber dennoch etwas anderes. Daher
ist zwischen zwei Arten Freier Software zu unterscheiden: Einfach Freie Software
ist ein Produkt, das durch die Freie Lizenz frei ist. Als Produkt kann Einfach
Freie Software auch unfrei entstehen. Doppelt Freie Software bezeichnet dagegen
eine Produktionsweise, in der Freie Software aus einem Freien Prozess entsteht.

2. Oder kann die Art und Weise, wie Freie Software entsteht, einen Weg
in eine  neue Ökonomie weisen?

Ja, und das ist das eigentlich interessante an Freier Software.

   * Helfen IBM und Co, auch wenn sie es nicht wollen, dabei sogar?

Ja, denn auch die Produktion einfach freier Software hilft, den Freiheitsvirus
zu verbreiten.

   * Ist Kommerzialisierung von Linux "gut"?

Weder gut noch schlecht. Es ist die Art und Weise, in der Produkte verbreitet
werden. Warum nicht auch GNU/Linux.

   * Wie könnte der Weg zu einer alternativen Ökonomie aussehen?

Zugegeben etwas schematisch so:
1. Befreiung=Entwertung aller Informationsprodukte
2. Befreiung=Entwertung der Informationsanteile aller stofflichen Produkte
3. Befreiung=Entwertung der informationsbasierten Anteile aller Produktionsprozesse
4. Bildung lokaler teilautarker automatisierter High-Tech-Produktionsinseln
5. Vernetzung der teilautarken Produktionsinseln zu stofflich geschlossenen Ringen
6. Austrocknung der wertbasierten Produktion

   * Welche Rolle spielt das Internet dabei?

Die entscheidende. Hier wird das Prozesswissen erzeugt und verbreitet.

Dazu genauer:

A. Software ist zwar extrem wichtig für die Wirtschaft, aber sie ist
   nicht alles. Auf welchen Gebieten lassen sich
   Freie-Software-Prinzipien noch anwenden?

Verstanden als neue Produktionsweise lassen sich die Prinzipien auf alle
Bereiche der Gesellschaft anwenden. Diese Prinzipien sind:
- individuelle Selbstentfaltung
- kollektive Selbstorganisation
- globale Vernetzung
- basale Wertfreiheit

   * Gibt es Beispiele dafür, die über freie Musik, Texte und ähnliche
     "immaterielle" Produkte hinausgehen?

Im Sinne des obigen Schemas gibt es Beispiele für Schritt 2 (vgl.
http://www.oekonux.de/projekt/links.html)

   * Wie stehen die Chancen für "Hardware" vom Auto bis zum Joghurt?

Je weiter im obigen Schema, desto schwieriger wird es. Im Sinne von Schritt 2
und 3 sind die Chancen bereits heute vorhanden.

B. Wenn es einen solchen Weg in eine andere Ökonomie gibt, wie kann
   man sich den vorstellen?

Brauchen wir eine gemeinsame Vorstellung? Reichen nicht Kriterien?

   * Geht das quasi von selbst, weil die Industriegesellschaft sich
     zur Informationsgesellschaft wandelt, oder muss der Weg
     "organisiert" werden?

Er muss organisiert werden - auch wenn es sich um einen "objektiv" anstehenden
Übergang handelt.

   * Sind Projekte wie Oekonux mehr als ein Experimentierfeld oder
     eine Spielwiese für eine privilegierte Minderheit von Experten?

Oekonux ist zuallererst ein Reflexionsprojekt. Hier wird untersucht, was abgeht.
Konkrete Umsetzungsprojekte sind (derzeit) kein Teil von Oekonux. Oekonux ist
für alle offen. Voraussetzung ist weniger Expertentum, sondern Neugier.

C. Wie können mehr Menschen zum Mitmachen gewonnen werden?

   * Was kann der Einzelne tun?

Neugierig sein und der Neugier nachgehen. Freie Software unterstützen. Die
Prinzipien kreativ auf andere Bereiche übertragen. Der eigenen Selbstentfaltung
folgen und kollektive Selbstorganisation fördern.

   * Wo liegen die größten Hürden für eine andere Wirtschaft, beim
     Markt, der Politik, den Leuten?

Alles zusammen bildet im Moment Hürden: Der Markt erzeugt Entfremdung, die
Politik kann ophnehin nicht viel tun, die Leute kennen kaum etwas anderes. Ein
andere Welt ist dann möglich, wenn nichts mehr für selbstverständlich genommen wird.

   * Es hat den Anschein, dass es eine Art Rollback gibt: Kampf gegen
     Musiktauschbörsen im Internet, Versuch, Softwarepatente in der EU
     einzuführen, Vorwürfe von SCO gegen Open Source. Wie ernst ist
     das für die Oekonux-Perspektive zu nehmen?

Sehr ernst. Jeder freie Ansatz wird immer auch bekämpft werden. Es liegt in der
Logik der Warenproduktion, dass die Produzenten ihre Art der Produktion, die auf
Ausschluss beruht, aufrecht erhalten wollen. Deswegen kann die Freie
Produktionsweise nicht "politisch" durchgesetzt (wenn auch gefördert) werden,
sondern sie muss "besser" sein als die unfreie. Die Macht liegt im Faktischen.

Ciao,
Stefan

-- 
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    Internetredaktion, Projekt di.ver
    Potsdamer Platz 10, 10785 Berlin
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