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Re: [ox] Fragen der Frankfurter Rundschau an Oekonux



Hallo Oekonuxer,

ich poste heute hier zum ersten mal und stelle mich auch gerne vor, aber
thematisch wollte ich das doch von der Antwort auf diese Fragen trennen.

FRAGEN: Wohin führt der Erfolg?

1. Führt er zur Integration in die Marktwirtschaft, wird Freie
  Software kommerzialisiert?

  * Sparen die auf Gewinne zielenden Firmen wie IBM oder Sun
    Entwicklungskosten, indem sie die Leistungen von
    Freie-Software-Entwicklern verwenden?

am Beispiel OpenOffice.org (OOo) und Sun ist zu sagen, dass die
allermeisten (>95%) der Kernentwickler immer noch Angestellte von Sun
sind. Auch kann ja jeder gerne mal bei collab.net anfragen, wass denn so
ein Hosting in der Größenordnung von OOo kostet. So gesehen muss die
Antwort also NEIN lauten.

Natürlich gibt es viele Freiwillige, die an OOo Mitarbeiten, aber auch
hier kommen von der Anzahl her erstmal Angestellter anderer Unternehmen,
z.B. XIMIAN (jetzt Novell) oder IBM. Besonders toll ist natürlich das
Engagement von Privaten und Kleinen Unternehmen, aber übernehmen dies
noch nicht so große Teile der Arbeitsleistung.

Bei andern Projekten ist es total anders: Z.B. an KDE arbeiten vor allem
Private und kleine Unternehmen. Aber hier gibt es auch kaum Konzerne,
die das Produkt vertreiben. Relativ gesehen, ist selbst SuSE doch noch
recht klein - ok, die genören nun auch zu Novell.

  * Scharf formuliert: Hilft die Freie-Software-Gemeinde dem
    Kapitalismus?

Ich würde es so formulieren: Die Produkte der Freien-Software-Gemeinde
sind von kapitalistischen Unternehmen nutzbar. Im Gegensatz zu
Closed-Source, wird das "geistige Eigentum" jedoch öffentlich. Damit
wird den Konzernen das Exklusivrecht "entzogen".

Dass es schwierig bis unmöglich sein sollte, z.B. an OOo größere
Änderungen ohne Sun-Mitarbeiter durchzuführen, schon alleine wegen des
KnowHows sich in diesen Millionen Zeilen von Code zurechtzufinden, steht
auf einem ganz anderen Blatt. In beiden Fällen ist das KnowHow in den
Köpfen der Menschen, im Fall von OpenSource, darf es aber auch außerhalb
des derzeitigen Konzerns, bei dem diese angestellt sind, verwendet
werden.

  * Oder zumindest dem Teil der IT-Branche und Anwender, der sich vom
    Microsoft-Monopol verabschieden möchte?

Dem Teil auf jeden Fall. Aber Open Source, genauer FREIE Software (frei
wie Freie Meinung, nicht wie Freibier) entzieht Exklisivrechte, und
damit begrenzt es die Oligo- oder Monopolisierung, welche ansonsten
zwanghafte Folge von Kapitalismus ist. Auch in der schächeren Form der
"freien sozialen Marktwirtschaft" ist außerdem Oligopolisierung oder
Monopolisierung zwangsweise Folge, wir sehen die Beweise schon jetzt.

  * Besteht die Gefahr, dass wenn die Wirtschaft die
    Entwicklungsziele setzt, die "Kultur" der Freie Software kaputt
    geht?

Diese Gefahr wird vor allem von den Unternehmen ausgehen, deren
derzeitige Exklusivrechte bedroht sind. Derzeit ist dies nur die
Software-Brachen, und dort auch nur horizontale Lösungen
(Betriebssystem, Browser, Office-Suite etc.).

Mit zunehmender Ausbreitung des Kerngedankens von Frei-Lizenz Open Source
Software (FLOSS), nämlich freier Information und der Verhinderung
geistigen Eigentum, in andere Branchen, könnten aber noch ganz andere
Unternehmen auf den Plan kommen.

2. Oder kann die Art und Weise, wie Freie Software entsteht, einen Weg in
  eine  neue Ökonomie weisen?

  * Helfen IBM und Co, auch wenn sie es nicht wollen, dabei sogar?

Hier geht es erstmal NUR um Software, und ich denke, dass ist nur der
Anfang. Aber Software ist die Basis moderner Kommunikation, und
Kommunikation ist der Kern einer solchen Entwicklung und daher extrem
wichtig. Und ja, IBM und Co. helfen dabei, FLOSS salonfähig zu machen.

Anders ausgedrückt: Seinen Gegener, und als solchen bezeichne ich den zum
"Corporatism" degradierten Kapitalismus, kann man nur mit seinen
eigenen Waffen schlagen, mit eben diesen Konzernen. Sie werden jedoch
ohne ihre jetztigen Exklusivrechte aus dem Prozess hervorgehen, und
damit verletzlich werden.

  * Ist Kommerzialisierung von Linux "gut"?

Sie hilft zumindest, den wir leben nunmal in einer kommerziellen Welt.
Langfristig glaube ich aber nicht an die Überlebensfähigkeit der
Menschheit in einer kommerziellen Welt. D.h. entweder wird es andere
Werte geben, oder die Menschheit wird untergehen.

  * Wie könnte der Weg zu einer alternativen Ökonomie aussehen?

FLOSS ist ein Anfang. Nun heisst es, die Kernidee zu extrahieren: Es darf
kein geistiges Eigentum geben. Selbst Newton sagte, er hätte seine
Erkenntnisse nur gemacht, nicht weil er ein Genie wäre, sondern vor
allem weil er auf den Schultern von Riesen stände.

Die Menschheit braucht neue Werte, nicht schnelle Autos, Prestige,
schicke Kleidung, sondern Gemeinschaft, Nachhaltigkeit und Freiheit.

Ich könnte mir vorstellen, dass der Funke in mehr und mehr Gruppen von
Menschen überspringt, die ihn auf andere Bereiche übertragen. Die
Hostsharing eG macht es z.B. beim Webhosting. Ähnliche Ansätze, auch
wenn hier eher Selbstversorgung ist, finden sich in vielen
landwirtschaftlichen Kommunen. Selbstversorgung ist außerdem auch eine
wichtige Kernidee im FLOSS, denn jeder fügt dem System das hinzu, was er
selbst nützlich findet, insofern er die Fähigkeit dazu hat.

Überhaupt ist landwirtschaftliche Selbstversorgung und freie Arbeit an
offenen Projekten eine ideale Kombination. Dazu käme vermutlich noch ein
dritter Bereich, soziale Arbeit, mit der abgedeckt wird, was freiwillig
keinter tun möchte. Aber diese Zusammenhänge hier zu erläutern, würde
den Rahmen dieses Fragebogens sicher sprengen.

Mittelfristig sollten Gesellschaftsformen wie die AG (Inc.) und GmbH
(Ltd) aufhören zu existieren. Gesellschaftlich wertvoll sind dahingegen
die OHG (general partnership), KG oder vor allem die eG (eingetragene
Genossenschaft, Coop.). Abgesehen von Individuen selbstverständlich.

  * Welche Rolle spielt das Internet dabei?

Das Internet hat es erst möglich gemacht und ist wichtigster Träger einer
solchen Bewegung. Denn es ermöglichst Menschen, in Kontakt zu kommen,
die sich über andere Medien kaum finden würden. Und es ermöglichst eine
Kommunikation über tausende von Kilomentern, ohne leiblich "mobil" zu
sein. Und wir ersticken doch jetzt schon an unserer angeblichen
Mobilität.

Dazu genauer:

A. Software ist zwar extrem wichtig für die Wirtschaft, aber sie ist
  nicht alles. Auf welchen Gebieten lassen sich
  Freie-Software-Prinzipien noch anwenden?

  * Gibt es Beispiele dafür, die über freie Musik, Texte und ähnliche
    "immaterielle" Produkte hinausgehen?

Wenn wir mein Modell der Selbstversorgung (auch für die Grundversorgung)
ansetzen, könnte jedes Produkt "frei" entwickelt werden. Bitte nicht
Freibier mit Freier-Meinung verwechseln: Es geht nicht darum, dass jeder
die Produkte haben kann, die andere produzieren, aber Nachbau wäre
erlaubt - Verbesserungen inbegriffen, die dann wieder zum Nutzen der
Menschheit an diese zurückfließen. Ingenieurs-Aufwand, um an fremden
Patenten vorbeizuarbeiten, ist weltwirtschftlich unsinnig.

  * Wie stehen die Chancen für "Hardware" vom Auto bis zum Joghurt?

Insofern es um die Designs, Baupläne und Produktionsverfahren geht, ist
es nur sinnvoll, dass auch diese frei sind. Die Waffe, die seit 1900
mehr Menschen getötet hat, als alle Kriege zusammen, oben liebevoll als
"Auto" bezeichnet, sollte eh einer grundlegenden Systemänderung
unterzogen werden.

B. Wenn es einen solchen Weg in eine andere Ökonomie gibt, wie kann
  man sich den vorstellen?

  * Geht das quasi von selbst, weil die Industriegesellschaft sich
    zur Informationsgesellschaft wandelt, oder muss der Weg
    "organisiert" werden?

Die Umwandlung organisiert sich selbst. Das heisst natürlich nicht, dass
es automatisch geschieht. Aber es sind so viele kleine Einheiten daran
beteiligt, wie in einem lebendigen Organismus, dass man nicht von einer
hierarchischen Organisation reden kann, falls das gemein sein sollte.

  * Sind Projekte wie Oekonux mehr als ein Experimentierfeld oder
    eine Spielwiese für eine privilegierte Minderheit von Experten?

Ökonux ist eine wichtige Keimstufe im Gesamtprozess des ökonomischen
Umbaus.

C. Wie können mehr Menschen zum Mitmachen gewonnen werden?

  * Was kann der Einzelne tun?

Sich zunächst von unlogischen Werten lösen, dann wird er schon erkennen,
was zu tun ist.

  * Wo liegen die größten Hürden für eine andere Wirtschaft, beim
    Markt, der Politik, den Leuten?

Man könnte es zusammenfassen als "die Gesetzeslage" und diese gestützt
dirch den Lobbyismus der Konzerne. Das Spektrum reicht vom
"Patentrecht" (ich zitiere nur "Es gibt eine WIRTSCHAFTLICHE Mehrheit
für Software-Patente." - hallo, wo sind wir denn hier?) bis hin zum
Bodenrecht und Umweltrecht. Es wird wohl deutlich, dass ich hier weit
über FLOSS hinaus denke.

  * Es hat den Anschein, dass es eine Art Rollback gibt: Kampf gegen
    Musiktauschbörsen im Internet, Versuch, Softwarepatente in der EU
    einzuführen, Vorwürfe von SCO gegen Open Source. Wie ernst ist
    das für die Oekonux-Perspektive zu nehmen?

"Erst ignorieren sie dich, dann machen sie dich lächerlich, dann greifen
sie dich an - und dann siegst du." [Mohandas Karamchand "Mahatma"
Gandhi]

Alles Gute wünscht
      Michael

Hostsharing eG / Boytinstr. 10 / D-22143 Hamburg
phone+fax: +49 700 HOSTSHARING (= +49 700 46787427)
http://www.hostsharing.net: 100% in Händen unserer Kunden
________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de



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