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Re: [ox] Fragen der Frankfurter Rundschau an Oekonux



Hi Liste!

Yesterday Stefan Merten wrote:
Nach meinem letzten Stand soll das Interview am 29.11., also kommenden
Samstag erscheinen.

Hier gibt's News: Das Ganze soll doch erst am 6.12. erscheinen.
Außerdem kann es sein, dass eine Anzeige Platz raubt. Na, immerhin wir
kriegen einen Link auf die Langfassung ;-( .

Hat aber auch den großen Vorteil, dass wir noch länger dran arbeiten
können.

Ich habe dann *arg* gekürzt und zum Schluss auch noch ein paar
unwichtigere Fragen rausgenommen, da andernfalls haufenweise
Essentials über Bord gegangen wären. Ich schaue mal mit dem Redakteur,
was dabei raus kommt und informiere euch über das Ergebnis.

Er war ebenfalls der Meinung, dass eher Fragen rausgenommen werden
sollten als weiter zu kürzen. Vielleicht könne das eine oder andere
auch in Kästen ausgelagert werden - vieles eine Platzfrage.

Ein wichtiger Hinweis von ihm aber: Er hat Zweifel, dass normale
LeserInnen Worte wie "Vergesellschaftung" verstehen. Da hat er
zweifellos recht - leider... In der Tat hatte ich mit Fachbegriffen
nicht gespart, da die einfach viel Bedeutung ballen, die auf wenig
Raum halt viel rüber bringen :-) . Aber wenn sie nicht verstanden
werden, bringen sie leider gar nichts mehr rüber :-( . Wegen der
Verschiebung haben wir aber Zeit da nochmal drüber zu gehen.

Ich sende anbei die *arg* gekürzte Version mit allen Fragen. Bedenkt,
dass sie nur ungefähr halb so lang ist wie der ursprüngliche Entwurf.
Da musste leider einfach was raus. Von den Fragen werden sicher noch
ein paar gestrichen werden. Ich möchte euch um Hinweise auf zu
komplizierte Formulierungen bitten. Wenn's geht vielleicht sogar mit
Alternativvorschlag.


						Mit Freien Grüßen

						Stefan

--- 8< --- 8< --- 8< --- 8< --- 8< --- 8< --- 8< --- 8< --- 8< --- 8< ---

Wohin führt der Erfolg Freier Software?

Führt er zur Integration in die Marktwirtschaft, wird Freie Software
kommerzialisiert?

Freie Software und Kommerz sind keine Gegensätze. Freie Software
unterscheidet sich von proprietärer Software unter anderem durch die
Lizenzen. Während bei proprietärer Software den NutzerInnen nur ganz
bestimmte, eng beschränkte Nutzungsarten zugestanden werden, lässt
Freie Software den NutzerInnen praktisch jede Freiheit. Insbesondere
darf Freie Software auch weiter kopiert werden, so dass die künstliche
Knappheit, die proprietäre Lizenzen durch ihr Kopierverbot erzeugen,
bei Freier Software nicht entsteht. Im Ergebnis führt dies dazu, dass
Freie Software, die einmal veröffentlicht wurde, {{1:an sich}} nicht
verwertet werden kann. Sie ist ein kostenloses öffentliches Gut, das
allen zur Verfügung steht.

Es gibt allerdings Geschäftsmodelle rund um Freie Software. Alle diese
Geschäftsmodelle leben von einer Kombination Freier Software mit einem
knappen Gut. Hierunter fallen sowohl Distributionen, bei denen
Support, Handbücher und die Zusammenstellung der Distribution bezahlt
werden, als auch Services oder proprietäre Produkte rund um Freie
Software.

Ein weiteres Geschäftsmodell besteht darin, dass Freie Software im
Kundenauftrag entwickelt wird. Im Projekt Oekonux unterscheiden wir
zwischen Einfach Freier Software, die beispielsweise im Kundenauftrag
oder im Rahmen einer Diplomarbeit entwickelt wird, und Doppelt Freier
Software, bei der die EntwicklerInnen ausschließlich aus einer eigenen
Motivation heraus handeln.

Sparen die auf Gewinne zielenden Firmen wie IBM oder Sun
Entwicklungskosten, indem sie die Leistungen von
Freie-Software-Entwicklern verwenden?

IBM und Sun, die sich die Förderung Freier Software auf die Fahnen
geschrieben haben, sparen zwar gewisse Kosten durch die Leistungen der
Community, sie investieren aber auch selbst nicht unerheblich in die
Weiterentwicklung Freier Software wie z.B. das Office-Paket
OpenOffice.org. Der Profit, den Firmen wie IBM und Sun im Umfeld
Freier Software machen, kommt tatsächlich aus den genannten
Geschäftsmodellen, bei denen Services und Hardware angeboten werden.
Auch eine anti-monopolistische Strategie dürfte eine Rolle spielen.

Scharf formuliert: Hilft die Freie-Software-Gemeinde dem
Kapitalismus?

Indem Freie Software künstliche Knappheit beseitigt, unterläuft Freie
Software das System der Wertschöpfung, ohne die der Kapitalismus nicht
funktionieren kann.

Im Projekt Oekonux betrachten viele das Phänomen Freie Software als
eine Keimform eines neuen Vergesellschaftungsmodells. Vielleicht zum
ersten Mal in der Geschichte bietet sich die Chance, den Kapitalismus
in eine Gesellschaftsformation zu überführen, die nicht mehr nach der
Logik der Knappheit funktioniert, sondern sich auf einer Logik des
Reichtums für alle gründet. Ein Reichtum, der dann nicht mehr ein
monetärer, sondern ein stofflicher und sozialer Reichtum ist.

Oder zumindest dem Teil der IT-Branche und Anwender, der sich vom
Microsoft-Monopol verabschieden möchte?

Generell hilft Freie Software allen, die die Kontrolle über die von
ihnen benutzte zentrale Infrastruktur zurück haben möchten.

Besteht die Gefahr, dass wenn die Wirtschaft die Entwicklungsziele
setzt, die "Kultur" der Freie Software kaputt geht?

Die Wirtschaft kann selbst Einfach Freie Software entwickeln, aber sie
kann der Freien-Software-Bewegung keine Ziele setzen, da jede
EntwicklerIn Doppelt Freier Software sich ihre Ziele selbst setzt.

Der Teil der Wirtschaft, der auf die eine oder andere Weise auf Freie
Software setzt, hätte aber auch gar nichts davon, die Kuh zu
schlachten, die sie gerne melken möchte. Diese Firmen haben begriffen,
dass ihre eigene Geschäftsgrundlage Freie Software {{1:genau so}}
funktionieren muss, wie sie es tut.

Oder kann die Art und Weise, wie Freie Software entsteht, einen Weg
in eine neue Ökonomie weisen?

Das ist eine der Kernfragen des Projekt Oekonux, dessen Name eine
Kombination aus den Worten "Öknonomie" und "Linux" ist. Auf Grund der
Argumente, die das Oekonux seit 1999 dazu sammelt, würden viele
TeilnehmerInnen diese Frage sicher bejahen.

Helfen IBM und Co, auch wenn sie es nicht wollen, dabei sogar?

Alle, die Freie Software propagieren, helfen mit diese zu verbreiten.
Firmen, die dies tun, betrachten es als ihr derzeitiges
Geschäftsinteresse, andere haben andere Gründe. Wird Freie Software
als Keimform einer neuen Vergesellschaftungsform betrachtet, so helfen
IBM und Co somit sich selbst überflüssig zu machen.

Ist Kommerzialisierung von Linux "gut"?

Kommerzielle Verbreitung ist eine Möglichkeit Freie Software und ihre
Ideen zu verbreiten. Von daher ist eine Kommerzialisierung nicht
negativ.

Etwas anders verhält es sich, wenn wir das Entwicklungsmodell
betrachten. Nach einer im Projekt Oekonux verbreiten Auffassung rührt
die Qualität Freier Software vor allem daher, dass die EntwicklerInnen
nicht an Vorgaben des Marktes bzw. der Marketing-Abteilung gebunden
sind. Vielmehr können sie sich ausschließlich auf die absolute
Qualität ihres Schaffens konzentrieren. Diese Qualität ist es
letztlich, die Freier Software immer mehr zum Durchbruch verhilft -
und nicht etwa die fehlenden Lizenzkosten.

Wie könnte der Weg zu einer alternativen Ökonomie aussehen?

Diese Frage ist im Detail nicht seriös zu beantworten. Allerdings
schälen sich aus den Untersuchungen des Projekts Oekonux einige
grundsätzliche Überlegungen heraus.

Die Wissenschaft selbst lebt schon seit Anbeginn vom Freien Fluss von
von Informationen. Es kann wohl als erwiesen gelten, dass dieser Freie
Fluss von Gedanken, Wissen und Information die beste Art und Weise
ihrer Weiterentwicklung ist. Betrachten wir heute alltägliche
Produkte, so können wir feststellen, dass ihr wissenschaftiche Anteil
in Form ihres High-Tech-Anteils ständig steigt. Noch deutlicher wird
dies, wenn wir die Produktionsanlagen betrachten, auf denen diese
Produkte hergestellt werden. Der Automatisierungsgrad der materiellen
Produktion steigt ständig und Information ist ein entscheidender
Faktor dieser Automatisierung. Das Zentrum der Produktion auch
materieller Güter rückt also immer mehr in den Bereich der Produktion
von Informationen.

Freie Software ist eine Form, die diesen Zusammenhang auf höchstem
technischen Niveau ganz praktisch in die Produktion nützlicher Güter
einfließen lässt. Wenn aber die gesamte Güterproduktion zunehmend
wissenschaftlich wird, so ist langfristig zu erwarten, dass die besten
Produkte nach Prinzipien entstehen, die wir in der Freien Software
heute schon beobachten können. Dazu gehört die Selbstentfaltung der
ProduzentInnen als zentraler Motor für Innovation und Qualität. Diese
Selbstentfaltung kann letztlich nur dann gewährleistet sein, wenn der
Produktion äußerliche Interessen wie der Zwang zum Geldverdienen keine
Rolle mehr spielen. Eine Abschaffung künstlicher Knappheit ist dazu
eine Voraussetzung.

Welche Rolle spielt das Internet dabei?

Eine zentrale Rolle. In technischer Hinsicht ist das Internet
{{1:die}} Fernkopiereinrichtung für digitale Daten schlechthin.

Aber auch in sozialer Hinsicht spielt das Internet eine wichtige
Rolle. Es ermöglicht globale Kooperation, die ebenfalls eine der
wichtigen Prinzipien der Entwicklung Freier Software ist. Gleichzeitig
macht das Internet insbesondere über Mailing-Listen eine Transparenz
möglich, wie sie in anderen Medien gar nicht denkbar ist. Weiterhin
ermöglicht das Internet allen Interessierten sich zu dem Grad in ein
Projekt einzubringen, der ihnen individuell angemessen erscheint.
Selbstorganisationsprozesse, die ein weiteres Kennzeichen Freier
Software sind, werden durch das Internet ebenfalls gefördert.

Software ist zwar extrem wichtig für die Wirtschaft, aber sie ist
nicht alles. Auf welchen Gebieten lassen sich
Freie-Software-Prinzipien noch anwenden?

Wollen wir eine Übergangsphase betrachten, so muss dies gar nicht die
zentrale Frage sein. Genauso wie die neue Produktionsweise der
bürgerlichen Gesellschaft zunächst nur Teilbereiche der
Gesamtgesellschaft abdecken konnte, kann auch eine Produktionsweise,
die an den Prinzipien der Entwicklung Freier Software orientiert ist
zunächst nur Teile der Gesamtgesellschaft mit Produkten versorgen.
Freie Software ist ein Beispiel dafür. Dennoch hat sich die
industrielle Produktionsweise nach und nach durchgesetzt und nach und
nach die gesamte Gesellschaft nach ihren Prinzipien geformt. Ähnliches
ist für die Prinzipien der Entwicklung Freier Software denkbar, die
die Industriegesellschaft nach und nach in eine
Informationsgesellschaft überführt.

Gibt es Beispiele dafür, die über freie Musik, Texte und
ähnliche "immaterielle" Produkte hinausgehen?

Das Projekt Oekonux versucht Beispiele für solche Übertragungsversuche
zu sammeln ({{URL:http://www.oekonux.de/projekt/links.html}}). Die
bisherigen Beispiele beziehen sich allesamt auf den Informationsanteil
der Produktion materieller Güter.

Wie stehen die Chancen für "Hardware" vom Auto bis zum Joghurt?

Am weitesten dürften die Entwicklung im Bereich digitaler Hardware
gediehen sein, wo es es bereits vorzeigbare Ergebnisse Freier
Entwicklung nach den Prinzipien der Entwicklung Freier Software gibt.
Aber in der Tat ist durch die flächendeckende Verfügbarkeit digitaler
Kopie die Lage im Bereich der Informationsgüter vor allem dort
einfacher, wo Computer sowohl Produktionsmittel als auch Träger des
fertigen Produkts sind.

Wenn es einen solchen Weg in eine andere Ökonomie gibt, wie kann man
sich den vorstellen?

Gesellschaftliche Umbrüche der Dimension wie sie im Projekt Oekonux
angedacht werden, sind in ihrer konkreten Verlaufsform nicht
vorhersagbar. Der Weg in eine neue Ökonomie ist immer durch den Spagat
zwischen Alt und Neu geprägt. Sind die Prinzipien richtig erkannt
worden, nach denen sich eine solche neue ökonomische Form allerdings
gestaltet, ist es dagegen schon eher möglich, sich den Endzustand
vorzustellen.

Geht das quasi von selbst, weil die Industriegesellschaft sich zur
Informationsgesellschaft wandelt, oder muss der Weg "organisiert"
werden?

Aus den dargelegten Gründen begünstigt die Entwicklung der
Produktivkräfte diesen Übergang. Andererseits sind solche
gesellschaftlichen Prozesse natürlich auch immer politische Prozesse,
die von Organisation in der einen oder anderen Form profitieren.
Anleihen bei den Organisationsprinzipien Freier Software sind zu
empfehlen.

Sind Projekte wie Oekonux mehr als ein Experimentierfeld oder eine
Spielwiese für eine privilegierte Minderheit von Experten?

Oekonux ist zuallererst ein Reflexionsprojekt, in dem der Versuch
unternommen wird, aktuelle Entwicklungen zu verstehen und eine Theorie
zu bilden. Die Ergebnisse dieser Bemühungen, die die Chance einer
positiven gesellschaftlichen Entwicklung eröffnen, sind aber für viele
Menschen von großem Interesse. Derzeit sind konkrete
Umsetzungsprojekte kein Teil von Oekonux.

Wie können mehr Menschen zum Mitmachen gewonnen werden?

Eine der Stärken des Modells, das im Projekt Oekonux entwickelt wird,
ist, dass das Mitmachen im direkten Interesse der Menschen liegt. Die
Verwendung Freier Software hat nichts mit Verzicht zu tun, sondern
bedeutet im Gegenteil die Teilnahme an einem ungeheuren Reichtum. Im
Gegensatz zu den moralisierenden Politikansätzen der Vergangenheit ist
es also grundsätzlich sehr viel leichter Menschen zu gewinnen.

Was kann der Einzelne tun?

Eine einfache Möglichkeit für alle Computer-NutzerInnen besteht darin,
Freie Standards proprietären Formaten vorzuziehen. Konkretes Beispiel:
Keine Word-Dokumente verschicken.

Neben der Nutzung und Verbreitung Freier Software und vergleichbarer
Projekte gibt es auch viele Freie Projekte, bei denen die aktive
Beteiligung einfach Spaß macht.

Wo liegen die größten Hürden für eine andere Wirtschaft, beim Markt,
der Politik, den Leuten?

Alle drei Bereiche bilden im Moment Hürden. Auch wenn die konkreten
Interessenlagen unterschiedlich sein können, so haben die auf dem
Markt agierenden Unternehmen doch grundsätzlich ein Interesse an der
Verknappung, da diese ihnen ihre Profite überhaupt erst ermöglicht.
Die Politik, insofern sie sich als Ausführungsgehilfe der Wirtschaft
versteht, stößt ins gleiche Horn. Allerdings gibt es gerade in Europa
und in einigen Entwicklungsländern von staatlicher Seite Bemühungen,
den Einsatz Freier Software zu fördern. Die Leute haben überwiegend
das Problem, dass sie sich eine neue Form des Wirtschaftens nicht
vorstellen können.

Es hat den Anschein, dass es eine Art Rollback gibt: Kampf gegen
Musiktauschbörsen im Internet, Versuch, Softwarepatente in der EU
einzuführen, Vorwürfe von SCO gegen Open Source. Wie ernst ist das
für die Oekonux-Perspektive zu nehmen?

All diese Versuche können als Widerstand des Ancien Regime gedeutet
werden. Der Geist, der eigentlich schon aus der Flasche ist, soll
wieder in dieselbe zurück befördert werden. Es ist zu erwarten, dass
diese Versuche noch zunehmen werden.

Sind die Analysen des Oekonux-Projekts jedoch richtig, so werden diese
Versuche keinen dauerhaften Erfolg haben. Noch nie hat sich eine
fundamentale Änderung der Produktionsweise dauerhaft verhindern
lassen. Vielleicht gilt hier das alte Ghandi-Zitat: {{I:"Erst
ignorieren sie dich, dann machen sie dich lächerlich, dann bekämpfen
sie dich - und dann hast du gewonnen."}}

________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de



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