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[ox] Gegen die Logik der Knappheit. (aus: FR online 6.12.2003)




   Gegen die Logik der Knappheit
   Freie Software ist für das Oekonux-Projekt eine Keimform für ein neues
   Gesellschaftsmodell
   
   Frankfurter  Rundschau:  Führt  der  Erfolg  von  Freier  Software zur
   Integration in die Marktwirtschaft, wird sie zum Geschäft?
   Oekonux:  Freie  Software  und  Kommerz  sind  keine Gegensätze. Freie
   Software  unterscheidet  sich  von proprietärer Software unter anderem
   durch die Lizenzen. Sie lässt den NutzerInnen praktisch jede Freiheit.
   Sie darf auch weiter kopiert werden, so dass die künstliche Knappheit,
   die  proprietäre  Lizenzen  durch  ihr  Kopierverbot  erzeugen,  nicht
   entsteht. Im Ergebnis führt dies dazu, dass Freie Software, die einmal
   veröffentlicht  wurde,  an  sich  nicht  mehr  gewinnbringend verkauft
   werden  kann.  Sie ist ein kostenloses öffentliches Gut, das allen zur
   Verfügung steht.
   Dennoch kann man mit Freier Software Geld verdienen!
   Ja,  es  gibt Geschäftsmodelle rund um Freie Software. All diese leben
   von einer Kombination Freier Software mit einem knappen Gut. Hierunter
   fallen  sowohl Distributionen, bei denen Betreuung, Handbücher und die
   Zusammenstellung  der Programmpakete bezahlt werden, als auch Services
   oder  proprietäre  Produkte  rund  um  Freie  Software.  Ein  weiteres
   Geschäftsmodell  besteht  darin,  dass Freie Software im Kundenauftrag
   entwickelt wird.
   Ist diese Kommerzialisierung etwa von Linux gut oder schädlich?
   Kommerzielle Verbreitung ist eine Möglichkeit, Freie Software und ihre
   Ideen  zu  verbreiten.  Von  daher  ist  eine Kommerzialisierung nicht
   negativ. Etwas anders verhält es sich, wenn wir das Entwicklungsmodell
   betrachten.  Nach  einer  im  Projekt  Oekonux verbreiteten Auffassung
   rührt   die   Qualität   Freier   Software   vor   allem  daher,  dass
   EntwicklerInnen  nicht  an  Vorgaben  des  Marktes beziehungsweise der
   Marketing-Abteilung   gebunden   sind.   Vielmehr   können   sie  sich
   ausschließlich    auf    die   absolute   Qualität   ihres   Schaffens
   konzentrieren.  Diese  Qualität  ist es letztlich, die Freier Software
   immer  mehr  zum  Durchbruch  verhilft  - und nicht etwa die fehlenden
   Lizenzkosten.
   Sparen auf Gewinn zielende Firmen wie IBM oder Sun Entwicklungskosten,
   indem sie Leistungen von Entwicklern Freier Software verwenden?
    Freie Software
   Ins Auge sticht zunächst, dass Freie Software nichts kostet. Zwar muss
   der Nutzer für Distributionen - das sind Sammlungen freier Programme,
   die Dienstleister wie Suse zusammenpacken und auf CD verkaufen -
   bezahlen, doch wird damit die Leistung des Distributors bezahlt, nicht
   die Software an sich. Die Kostenlosigkeit ist aber nur ein Aspekt: Es
   geht mehr um "Redefreiheit" als "Freibier".
   Wichtig dafür ist vor allem, dass der Quellcode - die "Blaupause" der
   Software - frei zugänglich ist. Von daher kommt auch die Bezeichnung
   Open Source, offene Quelle. So wird, was bei Firmen als
   Betriebsgeheimnis gilt (proprietäre Software), für alle nutzbar. Freie
   Software darf zu jedem Zweck eingesetzt werden, auch zum Geldverdienen
   - sofern die Quellen verfügbar gemacht werden. Dafür sorgen besondere
   Lizenzen. Die bekannteste ist die GNU General Public License (GPL),
   die der Programmierer Richard Stallman Mitte der 80-er Jahre
   vorstellte. Es ist erlaubt, die Quellen zu studieren und aus ihnen zu
   lernen.
   Freie Software, auch veränderte Versionen, dürfen weitergegeben werden
   - vorausgesetzt der Empfänger bekommt die gleichen Rechte. Tatsächlich
   ist das meist erwünscht, denn Fehlerbeseitigungen, Änderungen oder
   Erweiterungen nützen allen. Open- Source-Software und Freie Software
   werden oft synonym verwendet. In der Szene gilt erstere jedoch eher
   als eine Entwicklungsmethode, letztere als soziale Bewegung. sch
   IBM  und  Sun,  die  sich die Förderung Freier Software auf die Fahnen
   geschrieben haben, sparen zwar gewisse Kosten durch die Leistungen der
   Community,  sie  investieren aber auch selbst nicht unerheblich in die
   Weiterentwicklung  Freier Software, wie etwa das Büropaket Open-Office
   zeigt. Der Profit, den solche Firmen im Umfeld Freier Software machen,
   kommt  tatsächlich  aus  den  genannten  Geschäftsmodellen,  bei denen
   Services und Hardware angeboten werden.
   Besteht  die  Gefahr,  dass  die "Kultur" der Freien Software zerstört
   wird, wenn Firmen Entwicklungsziele setzen?
   Die  Wirtschaft kann Freie Software im Auftrag entwickeln lassen, aber
   sie  kann  der Freien-Software-Bewegung keine Ziele setzen, da jede(r)
   EntwicklerIn, der aus eigener Motivation Software schreibt, sich seine
   Ziele  selbst  setzt.  Der  Teil der Wirtschaft, der auf die eine oder
   andere  Weise  auf  Freie  Software  setzt, hätte aber auch gar nichts
   davon, die Kuh zu schlachten, die er gerne melken möchte. Diese Firmen
   haben  begriffen, dass ihre Geschäftsgrundlage Freie Software genau so
   funktionieren muss, wie sie es tut.
   Scharf formuliert: Hilft die Community dem Kapitalismus?
   Indem  Freie  Software  künstliche Knappheit beseitigt, unterläuft sie
   das   System  der  Wertschöpfung,  ohne  die  der  Kapitalismus  nicht
   funktionieren  kann.  Im Projekt Oekonux betrachten viele das Phänomen
   Freie   Software   als   eine   Keimform  für  ein  neues  Modell  von
   Gesellschaft.  Vielleicht zum ersten Mal in der Geschichte bietet sich
   die   Chance,  den  Kapitalismus  in  eine  Gesellschaftsformation  zu
   überführen,  die nicht mehr nach der Logik der Knappheit funktioniert,
   sondern  sich  auf  einer  Logik  des  Reichtums für alle gründet. Ein
   Reichtum,  der  dann nicht mehr ein monetärer, sondern ein stofflicher
   und sozialer Reichtum ist. Besonders bemerkenswert daran ist, dass das
   Ganze nicht (!) als Teil eines politischen Programms geschieht.
   Dann kann die Art und Weise, wie Freie Software entsteht, einen Weg in
   eine neue Ökonomie weisen?
   Das  ist  eine  der  Kernfragen  des  Projekts  Oekonux. Auf Grund der
   Argumente,   die   Oekonux   dazu  seit  1999  sammelt,  würden  viele
   TeilnehmerInnen diese Frage sicher bejahen.
   Wie könnte der Weg aussehen?
   Diese  Frage  ist  im  Detail  nicht seriös zu beantworten. Allerdings
   schälen  sich aus den Untersuchungen von Oekonux einige grundsätzliche
   Überlegungen  heraus. Die Wissenschaft selbst lebt schon seit Anbeginn
   vom  freien Fluss von Informationen. Es kann wohl als erwiesen gelten,
   dass dieser Freie Fluss von Gedanken, Wissen und Information die beste
   Art  und  Weise  ihrer  Weiterentwicklung  ist.  Betrachten  wir heute
   alltägliche   Produkte,   so   können   wir   feststellen,   dass  ihr
   wissenschaftlicher  Anteil  in  Form  ihres  Hightech-Anteils  ständig
   steigt.  Noch  deutlicher  wird  dies, wenn wir die Produktionsanlagen
   betrachten,   auf   denen   diese  Produkte  hergestellt  werden.  Der
   Automatisierungsgrad  der  materiellen  Produktion  steigt ständig und
   Information  ist ein entscheidender Faktor dieser Automatisierung. Das
   Zentrum der Produktion auch materieller Güter rückt also immer mehr in
   den Bereich der Produktion von Informationen.
   Was für eine Bedeutung hat dabei Freie Software?
   Sie  ist  eine  Form, die diesen Zusammenhang auf höchstem technischen
   Niveau  ganz  praktisch  in die Produktion nützlicher Güter einfließen
   lässt.    Wenn    aber    die    gesamte   Güterproduktion   zunehmend
   wissenschaftlich wird, so ist langfristig zu erwarten, dass die besten
   Produkte  nach  Prinzipien  entstehen,  die wir in der Freien Software
   heute  schon  beobachten  können. Dazu gehört die Selbstentfaltung der
   ProduzentInnen  als zentraler Motor für Innovation und Qualität. Diese
   Selbstentfaltung  kann letztlich nur dann gewährleistet sein, wenn der
   Produktion äußerliche Interessen wie der Zwang zum Geldverdienen keine
   Rolle  mehr  spielen.  Eine Abschaffung künstlicher Knappheit ist dazu
   eine Voraussetzung.
   Welche Rolle spielt das Internet dabei?
   Eine  zentrale  Rolle.  In  technischer  Hinsicht ist das Internet die
   Fernkopiereinrichtung  für  digitale  Daten  schlechthin. Aber auch in
   sozialer   Hinsicht  spielt  das  Internet  eine  wichtige  Rolle.  Es
   ermöglicht  globale  Kooperation,  die  ebenfalls  eine  der wichtigen
   Prinzipien der Entwicklung Freier Software ist. Gleichzeitig macht das
   Internet  insbesondere  über  Mailing-Listen eine Transparenz möglich,
   wie  sie in anderen Medien gar nicht denkbar ist. Weiterhin ermöglicht
   es allen Interessierten, sich zu dem Grad in ein Projekt einzubringen,
   der ihnen individuell angemessen erscheint.
   Selbstorganisationsprozesse, ein weiteres Kennzeichen Freier Software,
   werden durch das Internet ebenfalls gefördert.
   Software  ist wichtig für die Wirtschaft, aber sie ist nicht alles. Wo
   lassen sich Freie-Software-Prinzipien noch anwenden?

    Links und Lizenz

   Das Projekt findet sich im Internet unter [72]www.oekonux.de Alles
   über seine Tagungen steht unter [73]www.oekonux-konferenz.de Die
   Langfassung des "Interviews" mit der FR ist [74]hier zu lesen unter
   und der Einstieg in die einzelnen Beiträge [75]hier. Eine wichtige
   Informationsquelle für Freie Software ist die [76]Floss-Studie. Die
   Texte auf dieser Seite erscheinen unter den Bedingungen der [77]GNU
   Free Documentation License, Version 1.2, und dürfen frei verwendet,
   kopiert, verändert und verbreitet werden, sofern diese Lizenznotiz
   erscheint und Quelle und ursprüngliche Autoren genannt werden.
   Oekonux
   Oekonux entstand 1999 und ist ein vorwiegend virtuelles Projekt. Das
   "Oe" am Anfang des Namens - eine Kombination aus den Worten "Ökonomie"
   und "Linux" - ist als Hinweis darauf gedacht.
   Kern des Projekts ist eine Mailing-Liste, auf der die Diskussion
   geführt wird. Von Bedeutung ist zudem die Website, die auch Texte
   enthält. Zentraler Bezugspunkt der Diskussion sind Freie Software und
   deren (potentielle) gesellschaftliche Auswirkungen. Wer mitlesen oder
   etwas beitragen will, ist herzlich eingeladen. Ein Wir in dem Sinne,
   dass alle eine einheitliche Meinung haben müssen, gibt es nicht.
   An Oekonux sind nicht nur Leute aus der Software-Szene interessiert.
   Auch viele, die eher aus politischen Zugängen, aus der Kultur oder
   einer Ingenieur-Richtung kommen, fühlen sich angezogen. Das Projekt
   organisierte Oekonux-Konferenzen in Dortmund und Berlin. Die 3. soll
   im Mai in Wien stattfinden. sch

   Wollen  wir eine Übergangsphase betrachten, so muss dies gar nicht die
   zentrale  Frage  sein.  Genauso  wie  die  neue  Produktionsweise  der
   bürgerlichen    Gesellschaft    zunächst    nur    Teilbereiche    der
   Gesamtgesellschaft  abdecken  konnte, kann auch eine Produktionsweise,
   die  an den Prinzipien der Entwicklung Freier Software orientiert ist,
   zunächst  nur  Teile  der  Gesamtgesellschaft mit Produkten versorgen.
   Freie   Software   ist  ein  Beispiel  dafür.  Dennoch  hat  sich  die
   industrielle  Produktionsweise nach und nach durchgesetzt und nach und
   nach die gesamte Gesellschaft nach ihren Prinzipien geformt. Ähnliches
   ist  für  die  Prinzipien der Entwicklung Freier Software denkbar, die
   die     Industriegesellschaft     nach     und     nach     in    eine
   Informationsgesellschaft überführt.
   Es   scheint   eine   Gegenbewegung   zu   geben.  Etwa  den  Versuch,
   Softwarepatente  in  der  EU einzuführen, oder Vorwürfe der Firma SCO,
   Teile  des  Linux-Codes seien "geklaut". All diese Versuche können als
   Widerstand   des   Ancien  Regime  gedeutet  werden.  Der  Geist,  der
   eigentlich  schon  aus  der  Flasche  ist,  soll  wieder  in  dieselbe
   zurückbefördert  werden.  Es ist zu erwarten, dass diese Versuche noch
   zunehmen   werden.  Sind  die  Analysen  des  Oekonux-Projekts  jedoch
   richtig,  so  werden  diese  Versuche keinen dauerhaften Erfolg haben.
   Noch  nie  hat  sich  eine  fundamentale Änderung der Produktionsweise
   dauerhaft   verhindern   lassen.   Vielleicht   gilt   hier  das  alte
   Ghandi-Zitat:   "Erst  ignorieren  sie  dich.  Dann  machen  sie  dich
   lächerlich. Dann bekämpfen sie dich. Dann hast du gewonnen."

   Copyright © Frankfurter Rundschau online 2003
   Dokument erstellt am 05.12.2003 um 18:08:02 Uhr
   Erscheinungsdatum 06.12.2003


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Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de



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