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Re: [ox] Re: DDR und GPL-Gesellschaft



Hi Max et al!

Sorry für die späte Antwort. Ein paar wenige Punkte möchte ich nochmal
aufgreifen. Wegen des Alters reichlich Zitat.

Last month (55 days ago) Max wrote:
Ein weiterer Punkt, den du selbst ja auch schon angesprochen hast: Das
Verteilungsproblem. Es gibt Schätzungen, wonach die derzeit bekanten und
durch den Menschen nutzbaren Energiereserven noch für ca. 6 bis 7 Jahre
reichen würden, wenn jeder Mensch auf der Welt einen ähnlich hohen
Energieverbrauch hätte wie der durchschnittliche US-Bürger. Und dann?

Nun, wenn ich mir das Problem technologisch anschaue, dann liegt es
vor allem darin, dass hier endliche Ressourcen (buchstäblich)
verfeuert werden. Würde statt dessen Energie hauptsächlich aus dem
gewonnen, was uns die Sonne täglich schickt, so wäre Energieverbrauch
kein Problem. Und da gibt es ja reichlich Potential.

Deine GPL-Software wäre dann nicht nur wert- sondern auch nutzlos. Dann
gibt es keinen Strom mehr um einen Computer zu betreiben.
Aber auch ohne solche unwahrscheinlichen Szenarien werden wir in den
nächsten Jahren noch so einige Überraschungen erleben. Das liegt wohl
hauptsächlich daran, dass die meisten Menschen endlich und unendlich
nicht unterscheiden können.

Nun, ob die Menschen es unterscheiden können spielt nur dann eine
Rolle, wenn sie eine Wahl haben. Die haben sie aber oft gar nicht, da
die Umgebung harte Vorgaben macht, die zumindest nicht leicht zu
beeinflussen sind.

Stefan Merten(smerten oekonux.de) Wed, Nov 05, 2003 at 10:37:23PM [PHONE NUMBER REMOVED]:
Die Führung der DDR und der UdSSR standen also vor Problemen, für
die sie scheinbar keine geeignete Lösung gefunden haben. Die
selben Probleme werden aber auch in jeder zukünftigen Gesellschaft
zumindest für eine Übergangszeit auftauchen.

Den Punkt finde ich wirklich wichtig! Könnte es sein, dass wir in
einer Übergangsphase uns wirklich mit solchem Müll befassen
müssen?

Da bin ich mir sicher.

Dann würde ich dich bitten, mal ein Szenario zu skizzieren.

Das ist ja mein Problem. Gorbatschow hat eine Entwicklung in Gang
gesetzt die wahrscheinlich nicht mehr umkehrbar ist.

Dass das unumkehrbar ist, davon kannst du wohl aus gehen. Genauso
wenig wie heute ein Faschismus mit Nazi-Prägung möglich ist, genauso
wenig ist heute eine flächige Neuauflage von Staatssozialismus
denkbar. Die Zeiten sind vorbei, beide Systeme sind historisch
überlebt. Da sind die modernen Endzeit-Dystopien m.E. realistischer.

So wie es aussieht
führt diese Entwicklung jedoch in eine Sackgasse.

Es gab m.E. aber keine Alternative. Gorbatschow hat nur den Deckel
runter genommen - der Inhalt des Topfes kam aber woanders her.

Nachdem der Rückhalt durch die UdSSR weggebrochen ist, war die DDR nicht
mehr zu halten. Auch auf dem Balkan konnten plötzlich wieder Kriege
geführt werden. Den meisten Menschen im ehemaligen Ostblock geht es
heute doch schlechter als noch 1988. Ein ähnlicher Effekt wie 1989/90
für die westliche Wirtschaft ist allerdings nicht wiederholbar. Die
Situation heute ist ähnlich wie die zwischen 1929 und 1939. Wir wissen
heute, wie diese Krise damals gelöst wurde. Ich jedenfalls habe keine
Lust auf eine Wiederholung.

Auch da kann ich mir eine Wiederholung momentan nicht recht
vorstellen. Einen Krieg zwischen den Metropolen - also USA /
Nordamerika und EU / Eurasien - scheint mir doch abwegig - hoffen wir,
dass ich das in 10 Jahren auch noch begründet denken kann...

Vielmehr wird m.E. die ganze Chose in sich zusammen sacken -
hoffentlich ohne allzu lauten Endknall. Imperien wie die Herrschaft
der Arbeit - davon sprechen wir schließlich wenn wir Kapitalismus und
Staatssozialismus in einem Atemzug nennen - enden öfter eher lautlos /
lokalen Konflikten / Bürgerkriegen. Siehe z.B. das Ende des römischen
Imperiums in Westeuropa.

Allerdings reißen auch solche Endszenarien den erreichten Stand der
Zivilisation gerne mit sich nach unten. *Das* ist m.E. derzeit die
größte Gefahr für *jede* wie auch immer geartete postkapitalistische
Gesellschaft.

BTW: Um es mal im OHA-Diskurs zu sagen: Da bricht ein OHA-System
zusammen - Westrom z.B. - und es ist noch kein neues da, was das
zivilisatorisch bereits Erreichte sichern bzw. gar ausbauen könnte.

Wenn ich das mal auf die Weltsituation umlege: Was könnte das
Interesse eines (dann kapitalistischen) 3.-Welt-Landes sein, die
Springquellen auch ihres Reichtums mit Krieg zu überziehen?

Wieder so ein idealistischer Standpunkt den man schon fast als
Realitätsverweigerung bezeichnen kann.
Ich jedenfalls glaube nicht, dass die Gefahren für die
GPL-Gesellschaft aus der 3. Welt kommen werden.

Ich verstehe deinen Einwand nicht ganz. Ich bezog mich auf eine -
früher hätte mensch gesagt: - nach-revolutionäre Situation.

Aber einfach als Frage: Wo denkst du, dass die Gefahren herkommen
werden?

Ist die Frage ernst gemeint? Die bisher einzige revolutionäre Situation
die zumindest zu einem Teilerfolg geführt hat entstand gegen Ende des
ersten Weltkrieges in Russland.

Mitnichten. Die erfolgreichste Revolution war m.E. die bürgerliche,
die sich über einige Jahrzehnte hin in verschiedenen Ländern
abgespielt hat. Diese Revolution finde ich als Modell im übrigen sehr
viel attraktiver für einen Übergang in die GPL-Gesellschaft als die
Oktoberrevolution.

Aha. Alle 6 oder 7 Milliarden Menschen gelangen gleichzeitig und
überNacht zu dieser Einsicht?

Weder gleichzeitig noch über Nacht.

Allerdings baue ich in der Tat darauf, dass die Menschen ihre
Interessen verfolgen, dass sie das tun, was ihnen am meisten nutzt. In
den Metropolenstaaten war das bisher für erheblich viele Kapitalismus.
Dies verändert sich aber zunehmend. Die Arbeitslosigkeit und die
Gürtel-enger-schnallen-Parolen, die nicht mal mehr auf eine wenigstens
irgendwann bessere Zukunft hoffen lassen, sind die täglich
besichtigbaren Anzeichen dafür.

Ich baue da nicht mehr drauf. Auch dafür ist die DDR doch ein schönes
Beispiel. In fast allen Statistiken zum Lebensstandart oder zur
Leistungsfähigkeit der Volkswirtschaft war die DDR im oberen Drittel zu
finden. Waren die Menschen damit zufrieden?

Das ist wahr. Auch die KubanerInnen klagen wohl ganz gern, obwohl es
ihnen im Vergleich zu den (meisten) Nachbarn in der Karibik recht gut
geht.

Man kann nun mal nur das
ernten was man vorher angebaut hat. Und auch zum wachsen braucht es eine
gewisse Zeit. Aber genau das ist nicht in den Köpfen der Menschen
angekommen.

Nun, eine alte projekt-anarchistische Parole war immer, dass die
Menschen die Beispiele funktionieren sehen müssen. Freie Software
strahlt in dieser Beziehung so hell, wie kein anarchistisches Projekt
jemals ;-) .

Entscheidend ist jetzt, dass es in die richtige Richtung geht. Ich
denke, wir arbeiten daran. Wenn du denkst, dass du das mit anderen
Mitteln besser unterstützen kannst: Go ahead!

Wieso? Ich schreibe und lese hier nicht aus Langeweile, sondern weil ich
den Ansatz für gut halte.

So war's nicht gemeint :-) . War nur eine Aufforderung zu einer
Verbesserung :-) . Lass' uns dran bleiben!

Allerdings bin ich der Meinung, einige Dinge
werden zu optimistisch gesehen

Ach wo ;-) ;-) .

und über einiges wurde noch gar nicht
nachgedacht.

Sogar über vieles. Na, die Welt ist eben recht komplex ;-) .

Da man auch aus Fehlern lernen kann, habe ich mal die DDR
ins Spiel gebracht. Je mehr ich aber darüber nachdenke und je mehr ich
darüber lese, um so weniger Fehler finde ich in dem Gesamtsystem und um
so verständlicher werden mir die getroffenen Entscheidungen.

Ja, wenn die innere Logik erst klar ist, dann wird vieles
nachvollziehbarer. Aber die innere Logik ist ja gerade das, was wir
ändern wollen - oder?

Es muss
aber Fehler im System gegeben haben, ansonsten würde doch die DDR noch
existieren, oder?

Fakt ist, dass der Realsozialismus relativ zum Kapitalismus nicht (so
lange) überlebt hat. Kerngrund ist m.E., dass der Staatssozialismus ab
einem bestimmten Punkt der Produktivkraftentwicklung schlicht
schlechter in der Wertverwertung war. Die mikroelektronische
Revolution dürfte hier der Moment gewesen sein, wo dieser Punkt
endgültig erreicht war.

Ich denke, dass der Übergang DDR => BRD zwei entscheidende
Unterschiede zu einem Übergang Kapitalismus => GPL-Gesellschaft hat.

Einerseits wurde von dem wohl nicht unverbreitet verhassten Staat die
BRD als schrecklich dargestellt. In einer einfachen Anti-Haltung - der
Feind meines Feindes ist mein Freund - konnte so der Westen zu einem
Paradies hochstilisiert werden. Noch dazu, weil er das ja auch nach
Kräften unterstützt hat - wir erinnern uns z.B. an das Begrüßungsgeld.

Die Ursache dieses Problems liegt in den Köpfen der Menschen. Ich habe
vor kurzem für eine Bekannte einen Rechner installiert. Die hat mir
einen sehr lustigen Wunschzettel dazu geschrieben. Unter anderem war da
zu lesen: "-Windows XP (Kein Linux!), Office XP, ..., CD's und
Registrierungsnummern bitte mitgeben". Also bin ich in den nächsten
Elektronikmarkt und habe mich mal nach den Preisen erkundigt. Die 508,-
Euro haben sie dann doch von den Vorteilen von Linux überzeugt. ;-)
Nachdem sie einige Tage mit KDE, OpenOffice usw. gearbeitet hat, musste
sie auch zugeben, dass sie mit dem Rechner genauso arbeiten kann wie mit
einem auf dem Windows installiert ist.

Du sagst es selbst: Wenn eine Ideologie die Wirklichkeit immer
schlechter abbildet, dann verliert sie auch an Glaubwürdigkeit.

Vielleicht so herum: Was ist eigentlich genau dein Anliegen?

Oekonux bezieht sich vor allem auf einen Teil (freie Software) und
versucht den auf alle anderen gesellschaftlichen Probleme zu übertragen.
Das kann meiner Meinung nach nicht funktionieren.

Nun, ich betone immer, dass Oekonux die *Prinzipien* der Entwicklung
Freier Software betrachtet. Das ist mehr als Freie Software an sich.
Und genauso wie in der englischen Textilindustrie des Frühkapitalismus
die Prinzipien des Kapitalismus in der Keimform betrachtet werden
konnten, so kann analog auch in den Prinzipien, die aus der
Beobachtung Freier Software gewonnen werden, eine Keimform für die
GPL-Gesellschaft gewonnen werden.

Es wäre aber verfehlt, von der Keimform zu verlangen, dass sie alles
erklären kann. Das konnte die frühe Textilindustrie nicht und das kann
die Freie Software nicht. Aber als Basis für Extrapolationen sind
frühe Textilindustrie und Freie Software bzw. die aus ihnen gewonnene
Theorie gleichermaßen geeignet.

Die Staaten des real
existierenden Sozialismus waren da erheblich weiter und haben
Lösungsansätze für fast alle gesellschaftlichen Probleme entwickelt.

In der Tat. Das konnten sie, weil sie sich auf eine bereits voll
entwickelte Form - nämlich die Arbeitsgesellschaft - bezogen haben.
Dass sie eben genau das getan haben - und nicht etwa darüber hinaus
gegangen sind - wäre ja die (wertkritische) Kritik am Realsozialismus.

Diese Ansätze kann ich heute nachvollziehen und ich wüsste nicht, wie
man es anders machen kann. Trotzdem sind sie gescheitert.

Vergiss nicht, dass die Rahmenbedingungen ganz anders waren als sie es
für eine GPL-Gesellschaft sein werden. Es sind eben nicht irgendwelche
randständigen Staaten wie Russland, die im Grunde auf die Revolution
in den Metropolen warten müssten. Wenn die GPL-Gesellschaft sich
irgendwo durchsetzen wird, dann wird sie es vielmehr in den heutigen
Metropolen tun - der (Kern-)EU und den USA. Dort eben, wo die
Bedingungen am weitesten heran gereift sind.

Oh, jetzt habe ich mich aber weit aus dem Fenster gelehnt ;-) .


						Mit Freien Grüßen

						Stefan
_________________________________________
Unread: 224 [ox], 285 [ox-en], 294 [chox]

________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de



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