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Re: [ox] Notizen zur Copyleft-Kritik von Alfred Noll



Hi Franz,

vielen Dank für deine Entgegnung und Klarstellung! Ein paar Anmerkungen 
von mir zu Punkten, wo ich meine, das wir genauer werden müssen. Und ein 
paar Fragen.

On Sunday 16 May 2004 01:14, Franz Nahrada wrote:
3. Die Copyleft-bewegung richte sich gegen die kleinen Produzenten, die
einen gewissen Urheberrechtsschutz dringend brauchen und gerade nicht
gegen die "Verwertungsmonopole", deren "Enteignung" nicht gefordert
werde. Es gebe keine "gesellschaftliche Konzeption". Woher und womit
der Autor diese Behauptung begründet ist schleierhaft. Auch warum sich
Firmen wie Microsoft und SCO dann so heftig gegen das Copyleft wehren.

Das ist ein Knackpunkt auch in der innergewerkschaftlichen Diskussion. Da 
gibt's nur die Linie "Urheberrecht/Knappheit plus Pauschalabgaben" und 
"Urheberrecht als Schutz gegen die Konzerne". Zumindest das 
kontinentaleuropäische Urheberrecht, das ein Autorenrecht ist (im 
Unterschied zum US-Copyright), ist also eine Art Kollektivrecht. Ohne ein 
kollektives Urheberrecht fällst du zurück auf die Ebene des individuellen 
Vertragsrechts. Und da sitzen die Konzerne am längeren Hebel. Das ist - 
vereinfacht gesagt - eine ähnliche Debatte wie im Tarifrecht: 
Flächen-Tarifverträge versus betriebliche Vereinbarungen.

Das ist der Hintergrund, vor dem ein Rechtsanwalt, der für seine Mandaten 
was rausholen will und dazu das Urheberrecht braucht, sowas schreibt. Das 
muss man einfach sehen.

Hier stehen einfach zwei Logiken unvereinbar gegenüber: Sozusagen die 
"gewerkschaftliche" Verteidigungslinie des "Kollektivrechte erhalten wo 
es nur geht, um die Verwertung zu erhalten" und die Linie "Entwertung 
durchsetzen, um neue Produktionsformen zu ermöglichen". Die letztere 
steht natürlich auf schwachen Füßen, eben nur dürftigen Keimform-Füßen.

4. Die Copyleft - Bewegung stehe einer "Neuformulierung des
Urheberrechts" im Sinn der Kreativen entgegen. Das stimmt allerdings:
diese Modifikation ist nicht das Anliegen der GPL.
Die politökonomische Begründung steht aber auf äußerst wackligen
Beinen: "Urheberinnen und Urheber verschenken ihre Leistung", weil die
Verwertungsgesellschaften nur Brösel abfallen lassen. Das kann stimmen
oder auch nicht: wer will schon über wahre Werte rechten, wenn es sich

rechten? vermutlich: richten

abgeleitete Revenueformen handelt?

Revenueformen kann man IMHO hier zwangslos mit Einkunftsformen übersetzen

Wir gedenken unserer uralten
Debatten um die "Informationsrente" und gratulieren allen, die es
geschafft haben, sich für ein Patent ein Zinshaus zu finanzieren:

Was ist ein Zinshaus?

gerecht ist hier gar nichts, oder alles, und wo Wirtschaft zum
Pokerspiel wird kann man entweder mitspielen oder den Laden
kritisieren. Wenn mans mit dem alten Marx hält, dann kann man sich auf
die Position stellen, daß einmal angeeignet, das Wissen eben eine
Gratisproduktivkraft IST, und es im Prinzip mit kopierbaren Produkten
jedweder menschlicher Ingenuität sich genauso verhalten kann. Der Wert

Ingenuität = Freimütigkeit

wird hier so richtig schlagend als irrationale Form kenntlich, und uns
treibt eher die Frage nach anderen Arten an seine Brötchen zu kommen.

Das ist ein sehr schwer verständlicher Absatz.

5. Wenn der Autor hingegen Kapitalismuskritisch wird, dann wiederholt
er einen alten linken Topos. "Stofflicher Reichtum jenseits der
Wertform ist unter der globalen Herrschaft des Wertgesetzes nicht zu
haben". Das ist entweder eine grandiose Tautologie oder aber ein
gewolltes Denkverbot

IMHO ist es einfach Unsinn. In der Gesellschaft wird allerorten Reichtum 
jenseits der Wertform produziert - bei Strafe des Untergangs des ganzen 
Ladens! Würde man die Reproduktion der Gattung wertförmig organisieren, 
wäre das das Ende der Gattung, denn Kinder in die Welt zu setzen und zu 
versorgen "rechnet sich nicht".

- abgesehen davon daß auch das Copyright nicht die
Herrschaft des Wertgesetzes, sondern dessen Modifikation signalisiert,

Ja, es ist eine Kollektiv-Regelung.

s.o.. Die Kennzeichnung des Copyleft als "kollektiven Verzicht auf
Urheberrechte" ist einseitig und daher falsch: genau genommen müßte es
umgekehrt heißen, daß der lebendigen Arbeit eben alle Urheberrechte zur
Verfügung stehen. Das Copyleft ist empathisch gesprochen der Pakt, den
die lebendige Arbeit mit sich selbst schließt!
(Das ist keine Formulierung die im
oekonux-Bereich viele Freunde hätte, aber ich halte sie dennoch für den
Begriff der Sache.) Es ermöglicht den Produzenten einen unmittelbaren
Zugriff auf immer mehr gesellschaftliche Produktivvkraft. Spätestens an
diesem Punkt beginne ich mich über die Position von Noll zu ärgern, die
genau diese Seite ignoriert. Und spätestens hier wird klar, wie wichtig
es ist, klarzustellen, daß die politische Ökonomie des Kapitals sich
immer weiter von der kooperativen Ökonomie der Arbeit abspaltet, bis
hin zu dem Punkt daß heute schon die Repräsentanten dieser 2 Ökonomien
wie Konkurrenten einander gegenübertreten.

Wobei die "kooperative Ökonomie der Arbeit" (die weder Ökonomie ist, noch 
über Arbeit funktioniert - den Streit mal ausgeklammert) einen schwachen 
Stand hat. Daran können auch Rechtsanwälte nichts verdienen. Oder?

6. Mein Ärger nimmt immer mehr zu. Die sechste These scheint richtig
anzufangen: "Es ist ...eine Behauptung...daß die "Entwertung" von
Originalen (diese Kennzeichnung ist genaugenommen falsch, aber das
schenk ich mir jetzt fürs erste)) schon zu einer sozial und politisch
relevanten Verallgemeinerung des darin vergegenständlichten Wissens
führen würde. Woher die Zuversicht?" (AN)  Genau, denke ich mir.
Deswegen braucht es auch neue Formen der Kooperation und
Vergesellschaftung, der Zuarbeit im Kreislauf, sodaß die potentielle
Wertfreiheit der assoziierten Arbeit auch tatsächlich zum Tragen kommt.
Genau damit und mit den darin enthaltenen Imperativen, Bedingungen,
Hindernissen und Problemen beschäftigt sich Oekonux, und genau deswegen
sagen wir nicht daß irgendeine "mission accomplished" wäre. Stattdessen
kommt folgender Hammer: "In vielerlei Fällen ist es (ob wir´s
kritisieren oder nicht) gerade die Zurichtung des Wissens zur
marktgängigen Ware, die die Verbreitung des Wissens unter gegebenen 
Bedingungen überhaupt erst ermöglicht. Das nimmt der global
veranstalteten  Enteignung von Wissen, Können, Kultur und Kreativität
nichts von ihrer  Anrüchigkeit - weist aber darauf hin, dass in vielen
Fällen "Reichtum" erst als  solcher erkannt und sozial verträglich
genutzt werden kann, wenn er in einem  entsprechenden
"Transaktionsraum" positioniert wird." In meinem Artikel "welchen
Reichtum" habe ich beschrieben, wie genau das Gegenteil zunehmend der
Fall ist. Der "Transaktionsraum" Markt ist voller Produkte, die
überhaupt nur durch die "Enteignung von Wissen, Können, Kultur und
Kreativität" möglich geworden sind. Darüber wird zu streiten sein, aber
auch um die apodiktische Logik, mit der hier eine sich assoziierende
und im Kreislauf schließende Kette von wertfreien Produktionsakten als
Möglichkeit prinzipiell negiert wird.

Der Gurnd ist die Verwechslung von Reichtum mit Wert (bzw. deren 
unzulässige Identifizierung).

7. Wenn wir uns drüber verständigen könnten, daß die "Weitergabe des
Urheberrechts" kein individueller Vorgang, sondern eine sich per GPL
herstellende komplementäre soziale Aktion ist, dann wäre ja noch
Hoffnung, daß wir auf der Oekonux-Konferenz einen anständigen Dialog
zusammenkriegen; zur Vorstellung, daß "der Ruf nach Besteuerung der
kommerziellen Nutzer und zweck- und personengebundener Transfer dieser
Gelder"... angebracht wäre,

Nichts anderes will DRM (digital rights management).

warte ich jedenfalls schon gespannt auf die
Position der "Streifzüge". Die Illusion oder das Quidproquo, ein
Gelingen der Verwertung (Besteuerung!) zu fordern um gerade damit die
Bedingungen ihrer Abschaffung zu befördern, ist jedenfalls nicht so
leicht totzukriegen.

Über ein Nebeneinander von Verwertungslogik und Freiheit, von Entfremdung 
und Selbstentfaltung, ist jedoch unumgänglich nachzudenken. Darum geht's 
unter anderem in unserem Konferenzbeitrag - am lebenden Beispiel.

Ciao,
Stefan

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