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[ox] Oekonux zu Tauschringen



Liebe Leute, den folgenden Artikel hatte ich schon für das Bundestauschringtreffen 2003 geschrieben und er wurde auch in CONTRASTE abgedruckt (s.u.).

Ich wäre an eurer Meinung interessiert und weiteren Anregungen....
Uli


Aus CONTRASTE Nr. 236 (Mai 2004)
(Uli Frank)
LEBEN OHNE GELD? - TAUSCHRINGE - UMSONSTLAeDEN - FREIE
SOFTWARE - ALL-INCLUSIVE-URLAUB

Was kann das Neue an Tauschringen sein?
-----------------------------------------------------
Es geht nicht darum, das Alte neu zu verteilen,
sondern etwas NEUES in die Welt zu setzen. Heute
lohnt es sich kaum noch, Forderungen an Instanzen
wie Politik (Parteien), Staat (Kommunen),
Unternehmer, Gewerkschaften usw. zu stellen.
`Die Politik' steht unter dem "Terror der Oekonomie"
und ist dazu verurteilt, die Gesetze des Marktes
(Rentabilitaet) zu exekutieren. Wir sollten uns nicht
mehr allzu viel Muehe geben, uns kritisch oder
kaempferisch auf herrschende Strukturen einzulassen.
Das haelt uns nur auf, bindet Energien, laehmt unsere
Phantasie und frustriert unsere Motivation.
-----------------------------------------------------

Unsere Hoffnung und reale
Chance sind Menschen mit praktisch-kritischem Bewusstsein,
die sich auf vielfaeltigste Weise aus der Abhaengigkeit
und der Logik des bestehenden Systems zu befreien versuchen.
Von diesen Einzelpersonen, Gruppen, Netzen gibt
es eine relativ grosse "Bewegung" - quantitativ wahrscheinlich
wesentlich groesser als die 68-er Bewegung je
war. Allerdings: diese einzelnen "Alltags-HeldInnen"
nehmen sich untereinander kaum wahr, bekaempfen sich
teilweise sogar, verstehen sich nicht, weil sie hoechst
unterschiedliche Sprachen sprechen, und fuehlen sich gar
selber eher als Verlierer denn als Avantgarde einer neuen
Bewegung.

Es waere falsch, diese unterschiedlichen Ansaetze, Experimente,
Ideen und gesellschaftlichen Nischen-Bewohner in ein
einheitliches Konzept mit einheitlicher Gesellschaftstheorie
bringen zu wollen. Es waere aussichtslos
und kontraproduktiv. Gerade die Vielfalt und Eigenstaendigkeit
sind ja das Faszinierende daran und gleichzeitig
die notwendige Voraussetzung fuer die Entwicklung neuer
Strukturen.


Denn das ist ja gerade ein Problem der Gegenwart: Die
Zeichen einer allgemeinen Krise sind unuebersehbar
(Wirtschaftslage, Armut - Reichtum, Politikverdrossenheit,
psychischer Zustand der Leute...), waehrend kaum
Widerstand sich aeussert und keine gesellschaftliche
Alternative oder Vision existiert. Der Grund ist, dass `das
System' es geschafft hat, sich als "natuerliche" ewige
Gesetzmaessigkeit darzustellen. Dieses Image des
Unabaenderlichen laesst sich nicht dadurch kritisieren, dass
wir eine andere Natuerlichkeit, ein anderes System
dagegensetzen,
sondern dass wir uns Stueck fuer Stueck von den herrschenden
Werten befreien und uns durch Kreativitaet, Selbstgestaltung,
Selbstverantwortung, Phantasie so unabhaengig
wie moeglich machen.


Kriterium fuer "neu", zukunftsfaehig, emanzipatorisch o.ae. waere
vor allem: Die neue Loesung duerfte nicht
hinter bekannte Loesungen zurueckfallen. Und sie muesste
Entwicklungsvarianten aufgreifen, die sich bereits in der
bestehenden Gesellschaft andeuten und auf ein gewisses
oeffentliches Interesse stossen.


Geld - ein Generalschluessel?

Unter dem ersten Aspekt wuerden sich fuer die Geld- und
Verwertungslogik folgende Kriterien ergeben: Solange
man von der oekonomischen Struktur des Tausches
ausgeht, also von der Warenfoermigkeit der Produkte, der
prinzipiellen Isolierung der (Wirtschafts-)Subjekte
voneinander, ist die `Generalware' Geld die nicht zu
ueberbietende technisch ausgereifte Loesung. Alle
Ersatzloesungen
durch unterschiedliche Geldformen, Buchungssysteme,
Spezialwaehrungen sind nicht einfacher, wirksamer und
befreiender!


Geld hat historisch eine durchaus emanzipatorische
Rolle gespielt: Es hat den Aktionsradius der Menschen
enorm vergroessert und moralische Enge aufgeloest. Als
Generalware ist Geld nichts anderes als der Schluessel zu der
Welt der Waren und warenfoermigen Dienste, ein
Generalschluessel, der alle Tueren oeffnet. In dieser Funktion
ist
Geld nicht mehr zu ueberbieten. Es kann nur alles
umstaendlicher und anstrengender werden. Unter der Bedingung
verschlossener Tueren ist Geld (am besten Welt-Geld) das
Omnipotenzmittel schlechthin.


ABER: noch einfacher waere ja, die Tueren gleich
aufzuschliessen, also die Logik zu ueberwinden, die hinter
Schluesseln und verschlossenen Tueren steht: die Logik der
Knappheit bzw. Verknappung, der privatwirtschaftlichen
Rentabilitaet, die Steuerung der (Volks-)Wirtschaft ueber
die betriebswirtschaftliche Gewinnerwartung. Das brutale
Funktionieren der Gewinnmotivation als Zuckerbrot
und Peitsche hat eine unueberbietbare Dynamik in die
Welt gesetzt.


Es waere falsch und aussichtslos, durch administrative
oder moralische Repressionen hinter diese Entwicklung
zurueck zu gehen, diese einschraenken zu wollen. Dann
gaebe es mehr Reglementierung, mehr Kontrolle, Strafen,
schlechtes Gewissen, Anstrengung usw. also eine groessere
Unfreiheit. Die neue Loesung kann also nur interessant
und erfolgreich sein, wenn ihre Qualitaet ueber die bisherigen
Strukturen hinaus geht, offen bleibt und mehr Freiheit,
Leichtigkeit und Lebensglueck verspricht.

Es gibt immerhin schon zwei interessante neue Ansaetze, die
eine gewisse oeffentliche Aufmerksamkeit bzw. Resonanz
erfahren haben und schon einen Vorgeschmack
geben koennen:

* FS (Freie Software: Linux usw- eher auf der
Produktions-Seite) und

* AI (all-inclusive - Reisekonzept - auf der
Konsumtions-Seite).

Die o.g. Beispiele erfuellen diese Bedingungen (allerdings
nur ansatzweise):

FS beweisst, dass ein hervorragendes Produkt, ganz anders
zustande kommen kann, als die Ideologie der Marktwirtschaft
behauptet. Die Produzenten stecken ihre Lebensenergie in
dieses Produkt aus Interesse an der Sache,
Spass an der Arbeit, dem Kontakt mit anderen. Es gibt
kein Geld, keine materielle Belohnung ... Trotzdem
kommt ein derart komplexes Produkt in die Welt und
kann ohne Geld von jedem genutzt, abgewandelt, weitergegeben
werden.. Das Projekt FS beweisst, dass es wirksamere und
schoenere Motivationen als das Geld gibt und
Menschen auch voellig ohne "Unternehmer" (Manager
und Kapitalbesitzer) perfekt und zuverlaessig miteinander
kooperieren koennen. Wichtig ist noch, dass es sich dabei
weder um Tausch noch um Schenken handelt. Das Produkt wird
aus Freude an der Arbeit in die Welt gesetzt. Der
Nutzer dieser Leistung ist niemand etwas schuldig er
braucht sich keinen Kopf um nichts und niemand zu machen.
Einige Menschen stellen etwas aus Liebhaberei (als
"Hobby") her, andere nutzen es. Punkt. Es gibt keinerlei
Verpflichtungen, Ansprueche, Rechnereien, Verbuchungen,
Gegengeschenke, Gegenleistungen, Ausgleichsgaben oder was
immer. Dieses Modell scheint mir eindeutig
der Geldlogik ueberlegen und damit zukunftsfaehig. Ausserdem ist
es kein Kampf-Modell: Niemand hat versucht,
z.B. Bill Gates (Microsoft) etwas streitig zu machen,
wegzunehmen.


Auf der Konsum-Seite nannte ich die AI-Idee: Auch
hier koenne neue Erfahrungen gemacht werden, die ueber
die Beschraenktheit der Geldlogik hinausgehen: Innerhalb des
`AI-Paradieses' koennen alle alles nutzen. Es gehoert ihnen
nichts (juristisch); aber sie koennen alles fuer
sich nutzen. Niemand ist mehr mit kassieren, bewachen,
fernhalten, anschliessen beschaeftigt. "El barman" gibt
nur noch Getraenke aus, die Kellner fuellen das freie Buffet
auf. Interessanterweise kuemmert sich niemand um die
Speise- und Getraenkekarte, die ueberall ausliegt. Man ist
ja nicht mehr mit Preisvergleichen, Nachdenken ueber
Preis-Leistungsverhaeltnisse, Sonderangebote usw. beschaeftigt.
Niemand muss in sein Portemonnaie schauen,
bevor er etwas isst oder trinkt. Jeder sucht sich das aus,
was er gerade moechte und soviel er davon moechte. Dieses
sich rapide verbreitende Urlaubskonzept ermoeglicht also
auch bereits einen Vorgeschmack auf ein Leben ohne
Geld. Es widerlegt das Vorurteil, dass "die Menschen" mit
konkretem Reichtum nicht umgehen koennen und deswegen ueber
knappes Geld diszipliniert werden muessen.


Leider sind diese beiden `Vorgeschmack-Modelle'
noch ueberdeutlich in der Geldgesellschaft verankert: Bei
der FS muessen sich saemtliche Produzenten noch auf andere
Weise versorgen, also ihren Lebensunterhalt woanders in
Geldform und durch normale Erwerbstaetigkeit verdienen. Bei AI
muss die Zeit im Paradies vorher bezahlt
werden. Also auch hier setzt die Berechtigung zum Aufenthalt
in der Neuen Welt Geld und damit anderweitige
Erwerbstaetigkeit voraus.


Bei beiden Modellen gibt es auch noch jeweils einen
anderen gravierenden Schoenheitsfehler: Die FS produziert
bisher ausschliesslich virtuelle Produkte. Zwar wird
an verschiedenen Stellen auch ueber die Uebertragbarkeit
auf materielle Gueter nachgedacht (Hardware-Design,
Fabber, OsCar). Aber hier gibt es noch keine Modelle. Bei
AI stoert die hermetische Trennung zwischen "Konsumenten" und
"Produzenten". In der Urlaubssituation wirkt
diese wie der Zustand in einer Klinik oder Pflegeanstalt:
Die einen sind bloss zum unentwegten Konsumieren
hier, die anderen zu harter Arbeit, um die Faulen zu
bedienen.


Logik von Leistung und Gegenleistung

An dieser Stelle koennte die Tauschring-Bewegung eine
wichtige Funktion uebernehmen. Immerhin wird prinzipiell in
verschiedenen Tauschringen ja tatsaechlich wenigstens ein Teil
der Reproduktion ohne Geld versucht. Das
Modell basiert in erster Linie auf einer unmittelbaren
Vergesellschaftung, direkter Kommunikation und Verhandlungen.
Die Gruppenmitglieder sind untereinander bekannt und regeln
den Austausch ueber Bekanntschaft und
die quasi-institutionelle Garantie durch den Tauschring. Hier
fliessen Erfahrungen aus der Familie, Verwandtschaft
Freundschaftsbeziehungen, Vereinen, Nachbarschaft ein.
Allerdings fehlen dabei haeufig Werte wie
Grosszuegigkeit, Vertrauen, Liebe, Verpflichtungen, die
trotz guter Absichten eher in der traditionellen Familie
entstehen.


Stattdessen bleibt die alte Logik von Leistung und
Gegenleistung in abgemilderter Form erhalten. "Ich gebe
nur, wenn du auch etwas gibst." Jeder achtet - nicht zuletzt
durch das mehr oder weniger penibel gehandhabte
Buchungs- und Berechnungssystem - genau so aengstlich darauf,
nicht zu kurz zu kommen, genau so formal
auf "Gerechtigkeit" und Aequivalenz wie in der Geld-Oekonomie.


Da, wo diese genaue Berechnungslogik aufgelockert
oder bewusst abgelehnt wird, wie im Tauschring Wuppertal
z.B., tritt an diese Stelle eher ein moralischer Druck,
nicht zu nehmen ohne zu geben, nichts und niemand etwas
schuldig zu bleiben. Hier wird der emotionale und
kommunikative Aufwand umso hoeher. Staendig muss ich
die anderen in meine Gedankenwelt einbeziehen, meine
Beziehungen zu den anderen staendig reflektieren. Abgesehen
von diesem erhoehten Aufwand, der viele Mitglieder
schon zum Rueckzug aus Tauschringen veranlasst haben
wird, liesse sich diese "Freundschaftsloesung" gar nicht
verallgemeinern. Auf der Ebene einer hoch arbeitsteiligen
international eingebundenen Gesellschaft liesse sich
dieses Modell schon technisch nicht realisieren.


Auch hier erweist sich die "alte" Geldlogik als praktisch
deutlich ueberlegen. Was daran so faszinierend ist,
ist ja gerade der entlastende Mechanismus, der mich von
tausend Gedanken ueber das Funktionieren der Wirtschaft
befreit. Ich brauche nicht zu wissen, woher die Waren
kommen, wer sie unter welchen Bedingungen produzierte, was
sich irgendjemand dabei dachte, wie der Produzent oder
Verkaeufer mich sieht und ich ihn... Ich verlasse
mich darauf, dass das System mit oder ohne meine Beteiligung
funktioniert. Ich kann aktiv werden oder auch
nicht. Keinerlei Verantwortung fuer das Ganze lastet auf
meinen Schultern. Nach dem Kauf oder Verkauf ist jede
Verbindung zum oekonomischen Gesamtmodell oder zu
einzelnen Akteuren wieder vollstaendig geloescht.

Dieser Automatismus, diese kognitive und moralische
Entlastung, dass das System von mir, meinen Emotionen
und Handlungen unabhaengig bleibt, gilt es als Fortschritt zu
bewahren (besser in der Hegelschen Sprache
"auf zu heben" in der dreifachen Bedeutung: negieren,
bewahren, auf eine hoehere Stufe bringen).


Genau diese Entlastung ist in den genannten Beispielen FS und
AI ebenfalls vorhanden - sogar noch verbessert um den
fehlenden Aspekt der Rechnerei und Vergleicherei. Ich kann
wirklich ganz bei meinen eigenen Beduerfnissen bleiben und
voellig frei auf andere zugehen,
also meine Beziehungen voellig unabhaengig von der Oekonomie,
also meiner eigenen Reproduktions-Frage gestalten.


Die FS-Produkte sind ohne Fremdbestimmung aus eigenem Antrieb
von Leuten in die Welt gesetzt worden, die
ihren Spass, ihre Befriedigung hatten und nichts dafuer
von mir erwarten. Frei KANN ich Kontakt zu ihnen aufnehmen
ohne Verpflichtung (was auch relativ haeufig geschieht;
Anfragen, User-Groups, Treffen). Je groessere Teile der
Oekonomie nach diesem Muster organisiert waeren,
desto groesser waere der Fortschritt ueber die Geldlogik hinaus.


Bei AI bin ich ebenfalls von allem entlastet, was mich
Zeit und Lebenskraft kostet (Preisvergleiche, Konkurrenz).
Ich erlebe das wunderbare Gefuehl, ganz von meinen
Beduerfnissen ausgehen zu koennen, einfach nehmen, aus der
Fuelle auswaehlen zu duerfen - sogar ohne
staendig an Gegenleistungen denken zu muessen. Im Gegensatz
dazu sind und bleiben Tauschringe haeufig nur
eine Notloesung, eine Reaktion auf knappes Geld.

Was/wohin muesste es gehen, wenn sie
eine Avantgarde-Funktion uebernehmen wuerden?

Versuche mit geldlosen Lebensbedingungen ueber einen
laengeren Zeitraum hinaus werden z.Zt. in einigen Grosskommunen
gemacht (Niederkaufungen, Longo Mai,
Waltershausen, z.T. ZEGG). Nach "aussen" (Geldlogik)
werden Gelder fuer die Lebensmittel erwirtschaftet durch
Erwerbstaetigkeit einzelner Kommunarden oder durch
den Verkauf von gemeinsam erbrachten Waren und
Dienstleistungen (Catering, Kinderbetreuung, Seminare,
Bioprodukte, Handwerks-Leistungen und Produkte). Innerhalb
der Kommune gibt es kein Geld mehr, keine Warenwirtschaft,
Abrechnungen, Tausch usw. (Wer neu eintritt, gibt sein ganzen
Vermoegen und seine Einkuenfte an
die Gemeinschaft ab). Der Nachteil hier ist, dass diese
Modelle ein starkes Zusammengehoerigkeitsgefuehl voraussetzen
und entwickeln. Es wird sehr viel diskutiert, beraten,
verwaltet, gearbeitet, also ein hoher Integrations- und
Entscheidungsfindungs-Aufwand betrieben (Gruppendynamik).
Dadurch ergeben sich eine starke Abgrenzung
nach aussen und eine hohe Verbindlichkeit nach innen:
klosteraehnliche Strukturen. Vielen Menschen ist die
Einstiegsbarriere und das staendig erforderliche hohe Niveau
an Engagement zu hoch.


Ein Beitrag der Tauschring-Bewegung ...

koennte sein, innerhalb der Geldlogik/Kapitalismus zahlreiche
und vielfaeltige Raeume, Kreise, Netze mit einer niedrigeren
Eintritts-Schwelle zu entwickeln, in denen neue Erfahrungen
ohne so hohe Ansprueche wie bei Kommunen moeglich sind.


Wenn TR-Erfahrene ihre Faehigkeiten in dieser Richtung zur
Verfuegung stellen wuerden (und dabei fuer neue
Impulse offen blieben) um PAUSCHAL-Strukturen (z.B.
"PAUSCH-Ringe") zu schaffen in denen es KEINEN
Tausch mehr zu geben brauchte, waere das ein Schritt in
die Richtung freier Konsum- und Nutzer-Gemeinschaften,
experimentell, vielfaeltig, offen: mit freiem Zugang
zu allem, was da ist, gemeinsamer Produktion von Guetern zur
freien Entnahme.


Es lohnt nicht, eine neue Wirtschaftsordnung fuer die
Zukunft heute schon am Reissbrett zu entwerfen. Es lohnt
nur mit Experimenten unter einer begrenzten Fragestellung und
mit begrenzter Reichweite anzufangen. Die Vernetzung solcher
Versuche und der offene Austausch ihrer
Ergebnisse kann uns gesellschaftlich weiterbringen. Unter
diesem Aspekt sind Experimente mit lokalen/regionalen
Waehrungen, anderen Geldformen durchaus sinnvoll.
Es waere verfrueht - und damit falsch, DAS richtige Modell
installieren zu wollen.

Es waere schon viel damit gewonnen, Vorurteile, die unser
jetziges System stuetzen, praktisch zu widerlegen. Dafuer
sollten Tauschringe das lebendige Selbstbewusstsein
von Experimentatoren entwickeln, sich als Avantgarde
betrachten, um nicht mutlos zu werden. Es geht nicht um
alles oder nichts, sondern um Beitraege, Bausteine, Module.
Unser Beitrag soll dazu ermuntern, aufkommende
Frustrationen in der Tauschring-Bewegung nicht politizistisch
mit Forderungen an "die Politik" zu kompensieren.

Wie kann also die Dominanz der
Geld-Logik relativiert werden?

Heidemarie Schwermer ("die Frau, die ohne Geld lebt",
siehe auch CONTRASTE Nr. 235) hat ja radikal die Geldlogik
fuer sich ausser Kraft gesetzt und durch ein Netz von
begeisterten, interessierten, gleichgesinnten Leuten ersetzt.
Sie begann damit, um sich herum konzentrische
Kreise von Geldfreiheit zu ziehen und dafuer Mitspieler zu
gewinnen, die sie staendig erweitert. Dieses Experiment
erfordert sicher als Pioniertat viel Kraft. Man braucht
Selbstbewusstsein, Disziplin und Durchhaltevermoegen. Man
muss auch auf gewohnte leichte Zugriffe auf den
gesellschaftlichen Reichtum verzichten. Neue Erfahrung z.B.:
Nicht immer alles im Griff haben, nicht `Herr' sein muessen
(maennliche Logik), keine juristisch durchsetzbaren
Ansprueche aufbauen, Kontrolle aufgeben. Statt dessen
sich abhaengig, verletzlich machen, dadurch immer wieder
ueberrascht, beschenkt, begeistert werden, Zuwendung bekommen
ohne immer zu rechnen und zu vergleichen.


Ein Nachteil ist aus meiner Sicht: Der oekonomische
Automatismus der Geldlogik wird durch einen hohen
kommunikativen Aufwand ersetzt. Strukturen muessen
staendig neu geschaffen, lebendig gehalten oder umgeaendert
werden. Der Aufwand reduziert sich zwar in dem Masse, in dem
sich diese Strukturen etablieren; trotzdem
bleibt alles labiler. Ausserdem: zwar entfaellt der zeitliche
und emotionale Aufwand fuer die Geldbeschaffung; allerdings
bleibt der Tauschgedanke (das Aequivalenz-Prinzip) in der
Pflege des persoenlichen Beziehungsgeflechts
in abgewandelter Form irgendwie erhalten: der "Fluss
von Geben und Nehmen" soll stimmen. Also bin ich staendig mit
dem Vergleich meiner Beduerfnisse und Leistungen mit denen der
anderen beschaeftigt. Das ist zwar eine
andere Qualitaet als die knallharte Geldlogik, kommt mir
aber auch (emotional/psychisch) sehr anstrengend vor.


Von den AI-Erfahrungen ausgehend koennte man Pauschal-Modelle
entwickeln. Sie lassen sich praktisch jederzeit und ueberall
innerhalb der bestehenden Oekonomie
verwirklichen, schaffen aber die Moeglichkeit, diese Oekonomie
spielerisch und zeitweilig zu verlassen: Das heisst:
Pauschal-Strukturen (= frei nehmen und nutzen in einem
definierten Raum) in immer weiter sich ausdehnenden Kreisen
versuchen. Experimente zur Abschaffung
oder Relativierung der Geldlogik organisieren.
Aequivalenz-(Wert-)denken
in Leistung und Gegenleistung, den
Standpunkt des egoistischen Wirtschaftssubjekts (des
Kaeufers/Verkaeufers) verlassen. Darauf achten, dass solche
Logik ausser Kraft geraet an kleinen Stellen des Alltags
(Selbstaehnlichkeit des Systems: Jeder Schritt von
Selbstentfaltung/ Autonomie veraendert das ganze System),
zum Beispiel mit Umsonstlaeden.


Von der herrlichen Erfahrung AI ausgehend, wo einem
juristisch nichts gehoert, aber alles frei nutzbar
- also fuer MICH vorhanden ist, koennte man z.B. in den
Tauschringen beginnen, solche Gelegenheiten zu organisieren
(Biohoefe Ò Obstkisten-Abonnement: gut fuer den
Produzenten, gut fuer den Verbraucher. Gute Produkte,
Club-/Abonnement-Modell).


Vielleicht sind die interessantesten Ansaetze heute eher
bei Einzelpersonen zu entdecken- oder kleinen formellen
oder informellen Gruppen, die sich ueber ihre praktische
Kritik der Verwertungslogik gar nicht (richtig) im klaren
sind, kein entsprechendes (Selbst-)Bewusstsein entwickelt
haben und noch gar nicht darauf gekommen, sich
darueber mit anderen auszutauschen.


Es gibt auch Leute, die bewusst ihre Arbeitszeit reduzieren,
auf bestimmte Aufdringlichkeiten unserer Wirtschaft
verzichten - z.B. Fernsehen, Auto Ò, die unspektakulaer neue
Wohnformen ausprobieren (Oekosiedlungen,
Wohn-, Hausgemeinschaften), die Veranstaltungen,
Treffpunkte organisieren, Selbsthilfe-Gruppen,
Interessengemeinschaften, Initiativen gruenden helfen usw.).


Ausserdem gibt es offensichtlich eine Menge
kuenstlerisch-kultureller Initiativen vielfaeltigster Art (z.B.
Die evolutionaeren Zellen in Frankfurt, die neulich ein
Preisausschreiben fuer "selbstbeauftragtes Gestalten von
Gesellschaft" veranstalteten, das Buero fuer integrative Kunst
Nuernberg/Erfurt, Otium in Bremen usw.). Fast automatisch
kommen
diese Initiativen und ExperimentatorInnen frueher oder
spaeter an die Grenzen der Geld- und Verwertungslogik.
Vielleicht koennten Tauschringe dazu beitragen, diese
Grenzen bewusst zu ueberschreiten, Modelle zu erarbeiten
und zur Verfuegung zu stellen.

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Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de



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