Message 08609 [Homepage] [Navigation]
Thread: oxdeT08609 Message: 1/1 L0 [In index]
[First in Thread] [Last in Thread] [Date Next] [Date Prev]
[Next in Thread] [Prev in Thread] [Next Thread] [Prev Thread]

[ox] Zur Kritik an "Luftbuchungen der freien Softwareszene"



Hi Liste!

Vor ein paar Monaten ist in der Telepolis der Artikel "Luftbuchungen
der freien Softwareszene" von Marcus Hammerschmitt erschienen:

	http://www.telepolis.de/deutsch/inhalt/mein/17676/1.html

Ich möchte den Beitrag mit einer Kritik würdigen - wie üblich im
Zitatstil. Da er nicht so lang und relativ dicht ist, als Full-Quote.

Leider habe ich die Mail-Adresse von Marcus nicht, aber ich würde mir
natürlich wünschen, dass er davon Kenntnis nimmt und vielleicht sogar
am Diskurs teil nimmt.

Marcus Hammerschmitt wrote:
Luftbuchungen der freien Softwareszene

/Marcus Hammerschmitt/   /21.06.2004/

Der Glaube an die GPL-Gesellschaft aus dem Geiste der freien Software
ist ein religiöser

*Mit der freien Software verbinden sich große Hoffnungen. Aber je lauter
diese Hoffnungen beschworen werden, desto deutlicher wird auch, dass sie
von einer haarsträubenden Naivität getragen sind, die sich um
historische Erfahrungen und reale gesellschaftliche Machtverhältnisse
nicht im Mindesten kümmert.*

Als Vorbemerkung vielleicht: Es ist nicht so ganz klar, wer genau in
dem Artikel kritisiert wird. Mit "GPL-Gesellschaft" greift der
Untertitel eine Wortprägung aus diesem Projekt auf und auch eine
unserer Konferenz wird erwähnt. Dann wird Eben Moglen explizt genannt.
Weiter ist von einer nicht näher bezeichneten Freien-Software-Szene
die Rede.

Für mich ist diese Reihe relativ beliebig. Für Eben Moglen kann ich
natürlich überhaupt nicht reden, wiewohl mich - wie in meinem Bericht
von der WOS erwhnt - auch interessieren würde, ob sein Optimismus
irgendwie theoretisch untermauert ist und ggf. wie. Die höchst
heterogene Freie-Software-Szene ist schon gar nicht zu fassen. Ich
werde mich im Folgenden also an die in diesem Projekt entwickelten
Theoriefragmente halten und versuchen darzulegen, dass Marcus' Kritik
demgegenüber vor allem zu kurz greift.

Eben Moglen zum Beispiel hat jüngst während der Wizards of OS-Konferenz
(vgl.  _Free Society: Von der Utopie zum Alltag_ [1]) wieder
Behauptungen geäußert, die nur knapp an der Idee vorbeischrammen, die
freie Software mache unmittelbar den Weg ins Paradies frei. Enthusiasmus
in allen Ehren, aber wenn das die ideologische Marschrichtung für die
Zukunft der freien Software sein sollte, wird der Katzenjammer größer
sein als beim Platzen der Dotcom-Blase. Ein paar kritische Anmerkungen.

*Abstrakter Freiheitsidealismus und konkrete Unterdrückung*

Schon allein der inflationäre Gebrauch des Adjektivs "frei" im
Zusammenhang mit Software sollte Verdacht erregen. In unserer, der
"freien" Welt, ist alles mögliche frei. Die freiheitlich-demokratische
Grundordnung, die FPÖ so wie die freien Waldorfschulen kümmern sich alle
um ihr spezielles Konzept von Freiheit. Bei genauerer Untersuchung
bleibt in vielen Fällen wenig davon übrig.

Genau genommen sagt Marcus hier: Ich habe meinen eigenen
Freiheitsbegriff und wenn ich die anderen genauer untersuche, dann
bleibt nach *meinem* Begriff nicht mehr viel davon übrig. Nun ja...

Wenn man George W. Bush glaubt, dann er ist von Beruf Freiheitskämpfer,
studentische Burschenschaften singen bei ihren Mai-Aufzügen gerne das
Lied von der Freiheit der Gedanken und sind doch eines der krassesten
Beispiele für überkommene Formen der Unfreiheit, das sich denken lässt.
Überspitzt gesagt könnte man behaupten, dass in unserer Gesellschaft
Freiheit vor allem dann beschworen wird, wenn es um das Gegenteil geht.

Nun ist Marcus in dieser Allgemeinheit natürlich völlig zuzustimmen
und auch die missbräuchliche Verwendung des Begriffs ist gang und
gäbe. Aber...

Die Anhänger der freien Software mögen es nicht wahr haben wollen, aber
die freie Software ist dabei, sich zu einem weiteren Beispiel dafür zu
entwickeln, dass sich abstrakter Freiheitsidealismus bestens mit
konkreter Unterdrückung versteht.

 ...bei der Freien Software ist der Freiheitsbegriff ja nun doch sehr
konkret umrissen. Zu allererst sind dort die vier Grundfreiheiten zu
nennen und weiterhin würde ich - als Beitrag von Oekonux - die
Selbstentfaltung der ProduzentInnen nehmen, die natürlich schon
ziemlich was mit Freiheit zu tun hat, da diese Voraussetzung für
Selbstentfaltung ist.

Wo ich mir das gerade nochmal durch den Kopf gehen lasse: Interessant
hier vielleicht, dass beide Freiheiten eben nicht das (abstrakte)
Endziel sind, sondern nur ein Mittel, um andere Ziele zu erreichen.
Einerseits den maximalen Nutzen für die NutzerInnen, andererseits die
maximale Selbstentfaltung für die ProduzentInnen. Insofern würde ich
auch von daher zurück weisen, dass es sich bei der Freien Software
i.A. und den Oekonux-Thesen im Besonderen um einen abstrakten
Freiheitsidealismus handelt.

In der Szene verwechselt man allzu oft die Risszeichnung einer Sache mit
der Sache selbst. Ich kann mich sehr gut an eine Diskussion bei Out of
this World II (vgl.  _Der Kongress diskutierte_ [2]) vor zwei Jahren
erinnern, als begeisterte Fans genau wie Moglen jetzt wieder
behaupteten, die  _GPL-Gesellschaft_ [3] stehe kurz bevor.

Mittlerweile gebe es sogar recht weit gediehene Pläne für "free cars".
Als ein skeptischer Diskussionsteilnehmer fragte, ob die
Eisenerzverhüttung und die Erdölgewinnung auch im Begriff seien, in
Gemeineigentum überzugehen, herrschte Stille. Kant hat in der "Kritik
der reinen Vernunft" gegen den ontologischen Gottesbeweis Stellung
bezogen, der behauptet, Gott sei existent, weil er denkbar sei. Er wirft
den Vertretern dieses Arguments entgegen, dass einhundert gedachte Taler
noch lange keine einhundert wirklichen Taler seien, Ähnliches gilt für
die Luftschlösser, an denen Leute wie Moglen herumkonstruieren. Das
Wichtige an der Analogie zu Kants Rede von den gedachten Talern ist,
dass Kant mit ihr einen zu Existenzaussagen geronnenen Glauben
kritisiert, der sich nicht um Tatsachen schert. Der Glaube an die
GPL-Gesellschaft aus dem Geiste der freien Software ist ein religiöser.

Wenn ich mir unsere Bemühungen um eine theoretische Fundierung ansehe
- von denen Marcus auf jeden Fall weiß -, dann finde ich das schon ein
ziemlich starkes Stück. Mit solcher Ignoranz kann ich natürlich alles
herleiten. Wenn ich die Argumentationen ausblende, die zu Schlüssen /
Überzeugungen / Handlungsweisen führen, dann ist schlicht alles Glaube
- Marcus' Weltbild genauso wie das von ihm kritisierte. Das führt aber
zu nichts. Mensch muss sich schon auf den kritisierten Gegenstand
einlassen.

Ich denke demgegenüber, dass wir schon einiges an theoretischen
Grundlagen liefern, die zumindest starke Hinweise dafür liefern, dass
wir vor einem Epochenbruch stehen, nach dem eine GPL-Gesellschaft eine
relativ wahrscheinliche Konstellation ist. Dieses Theoriegebäude muss
mensch natürlich nicht teilen. Wenn z.B. Produktivkraftentwicklung als
wichtiger Faktor gesellschaftlicher Entwicklung abgelehnt wird, dann
ist ein wichtiger Oekonux-Grundpfeiler weg. Dann würde ich mir aber
eine detaillierte Kritik wünschen, warum dies nicht stichhaltig ist.
Die Ergebnisse der Theoriefragmente aber einfach als Glauben zu
qualifizieren, finde ich wenig seriös.

Davon abgesehen gilt die Brötchenfrage im Detail ja durchaus als
offen. Die stärkste Antwort, die ich immer noch habe, ist halt die
Analogie zur Umstrukturierung der Gesamtgesellschaft so wie es die
bürgerliche Gesellschaft ja auch gemacht hat. In der neuen Logik
verschwinden dann die Probleme, die der alten Form geschuldet sind und
es kommen die hinzu, die der neuen Form geschuldet sind und es bleiben
die, die jenseits aller konkreter Gesellschaftsformationen existieren.

*Man kann nicht gleichzeitig den Markt anerkennen und seine Folgen leugnen*

Der Ort, an dem in unserer Gesellschaft Waren und Dienstleistungen in
Hände und Gebrauch der Konsumenten übergehen, ist der Markt.
Bekanntermaßen ist der Zugang zum Markt und die Möglichkeit, dort zu
bestehen, also zu kaufen und zu verkaufen, nicht für alle gegeben, und
für diejenigen, die dorthin vordringen, nicht in gleichem Maß. Aber
selbst wenn dem so wäre, würde die Konkurrenz der Anbieter über kurz
oder lang für Sieger und Gewinner sorgen, unabhängig von der Qualität
der angebotenen Produkte und Dienstleistungen.

Na also ganz unabhängig ist es ja nun auch im Kapitalismus nicht. Da
sorgt die Konkurrenz in funktionieren Märkten ja schon einigermaßen
für Gebrauchswert. Dass dem immanente Grenzen gesetzt sind, möchte ich
hier nicht ausführen.

In diesem Umfeld ist
Microsoft groß geworden. Man kann das bedauern oder begrüßen (ich
bedaure es), aber man kann nicht gleichzeitig den Markt anerkennen und
seine Folgen leugnen.

Nun, der Bezug auf Microsoft kommt häufiger vor und ich weiß offen
gestanden nicht so genau warum. Es geht bei Freier Software *nicht*
darum, ein Marktmonopol zu knacken - wiewohl das eine Nebenwirkung
Freier Software sein dürfte (und somit auch innerkapitalistisch
nützlich ist). Es geht bei Freier Software darum, einen neuen, Freien
Bereich zu schaffen - wofür die Existenz proprietärer Software
strukturell uninteressant ist. Sichtbar wird das bei solcher Software,
die zuerst im Freien Bereich entstanden sind. Die ganzen
Versionsverwaltung von Quellen würde ich z.B. dazu rechnen (SCCS, RCS,
CVS, Subversion), zu denen es erst später analoge proprietäre Produkte
gab.

Das Marktspiel ist gnadenlos. Wer gegen Mike Tyson boxen will, muss die
zentralen Qualitäten Mike Tysons in den Ring mitbringen.

Zweifellos.

Wer Microsoft
im Rahmen unserer Gesellschaftsordnung Paroli bieten will, muss nach den
Regeln spielen, nach denen Microsoft groß geworden ist, sich verhalten
wie Microsoft, und, von kosmetischen Unterschieden abgesehen, auch
aussehen wie Microsoft.

Ja.

Die Marktführer unter den Leuten, die Linux in
ihren "Distributionen" (das heißt in vermarktbarer Form) unters Volk
bringen, haben das längst begriffen.

Auch dem würde ich mit Abstrichen zustimmen. Die Abstriche bestehen
darin, dass die Distributoren und viele andere Markt-Player rund um
Freie Software erkannt haben, dass Freie Software nach einer anderen
Logik entsteht und sie die Kuh besser nicht schlachten sollten, wenn
sie sie noch melken wollen. Caldera/SCO ist in dieser Hinsicht wohl
der bekannteste Ausreißer.

Ich würde aber darauf hinweisen, dass die Rolle der Distributoren aus
meiner Sicht langsam zurück geht. Am augenfälligsten wird dies mit dem
Erfolg der (Debian-basierten) Knoppix aber auch RedHats Rückzug aus
dem Endkundengeschäft. Ich sehe für die Zukunft kein grundsätzliches
Hindernis, dass Debian - und Fedora - als Freie Distribution die
Stellung einnehmen, die heute RedHat und Novell/SuSE haben.

Davon abgesehen ist Marcus mit der Argumentationslinie auf dem völlig
falschen Dampfer. Es geht eben *nicht* darum, zu Mike Tyson in den
Ring zu steigen. Es geht darum - um im Bild zu bleiben - die
Beleuchtung des Rings auszuknipsen oder - besser noch - Mike Tyson im
Ring versauern zu lassen.

Die Community offenbar noch nicht. Sie glaubt immer noch, dass ihr
schönes Spielzeug von allein die größten Wunderdinge vollbringt,

Nun immerhin ist dieses "schöne Spielzeug" zu einer ganzen Menge ganz
konkretem Nutzen in der Lage.

Davon abgesehen geht von allein in der Gesellschaft eigentlich gar
nichts.

während
es ihnen nicht nur vom Staat aus der Hand genommen wird ( vgl.  _Die
Arbeit der E-Hippies_ [4]),

Ich erinnere mich dunkel an diesen Artikel und IIRC war das
Kernargument das, dass Freie-Software-EntwicklerInnen nützliche
Idioten sind, die unbezahlte Arbeit tun. Das ist nun auch nicht sehr
originell und ist halt nur dann ein Argument, wenn mensch nicht bereit
ist, das Glaubenssystem(sic!) Kapitalimus denkend, handelnd und
fühlend hinter sich zu lassen.

sondern vor allem von denen, die daraus
einen Markenartikel machen. Das Microsoft-Monopol wird bald
verschwinden? Keine Sorge, es findet sich schon ein anderes.

Und wenn es ein Debian-Monopol wäre, dann wäre es strukturell eben
etwas völlig anderes.

Von der Konsumentenseite her sieht es nicht besser aus. Sich mit den
Innereien von Betriebssystemen zu beschäftigen ist ein Luxus, den sich
die meisten Menschen weder leisten können noch wollen, unter anderem
deswegen, weil sie aufgrund von Lohnabhängigkeit oder anderen
limitierenden Faktoren keine Gelegenheit dazu haben. Zu dem Zeitpunkt,
da ein marktförmig gemodeltes Linux mit Windows ernsthaft konkurrieren
kann, wird es Windows nicht nur bis auf Feinheiten gleichen - so wie die
Firmen, die es verkaufen, Microsoft gleichen werden.

Diese Aussage unterschlägt, dass die Produktion Freier Software eben
unter ganz anderen Bedingungen funktioniert. Sie ist eben eine
gebrauchswertorientierte. Auch wenn Distributoren und deren Beiträge
natürlich auch tauschwertbasiert sind, so dürften sie bei dem Gros der
Freien Software doch eine relativ untergeordnete Rolle spielen.

Davon abgesehen sind Freie Projekte eben auch ganz anders strukturiert
als Firmen. In Firmen spielen eben Faktoren wie Hierarchien und
Abteilungsgrenzen, Politik und Marketing eine Rolle, die es in dieser
Form bei Freier Software nicht gibt. Auch dies trägt m.E. wesentlich
zur höheren Qualität bei, die sich eben am je technisch Richtigen
orientiert.

Das selbst aus dem Internet gezogene und in Eigenarbeit
zurechtgeschnitzte Linux wird dann in etwa denselben Stellenwert und
dieselbe revolutionäre Bedeutung haben, wie die selbstgedrehte Zigarette
für die Tabakindustrie.

Das ist einfach nicht die Alternative.

Aber natürlich erst, nachdem Microsoft und seine
"freien Konkurrenten" den Mythos von Freiheit, Abenteuer und
Selbstbestimmung, für den die freie Software einst gestanden ist,

Jetzt weiß ich nicht, in wieviel Freien-Software-Projekten Marcus
beteiligt ist, so dass er das beurteilen kann, aber Freiheit von o.g.
vom Produkt entfremdeten Zwängen gibt es da durchaus flächendeckend.
Und sind solcherlei Zwänge weg, ist Selbstbestimmung die einzig
mögliche Konsequenz.

bis
zum Letzten werbetechnisch ausgepresst haben. Das würde Microsoft nie
tun? In der Not  _frisst_ [5] der Teufel Fliegen.

Dass Marcus Microsoft in Not sieht, merken wir uns hier mal. Ich
denke, dass Marcus und Microsoft da auch überein stimmen.

Wenn IBM Mythos und
Know-How der freien Software für seine Zwecke appropriieren kann, kann
Microsoft das schon  _lange_ [6].

Na ja. Es gibt schon einen heftigen Unterschied zwischen IBM und
Microsoft: IBM lebt nicht vom Verkauf von Software während dies das
einzige Geschäft von Microsoft ist. Würde Microsoft wirklich so auf
den Freie-Software-Zug aufspringen, wie es IBM tut - d.h. die Quellen
unter GPL stellen -, dann wäre ihr zentrales Geschäftsmodell - nämlich
die künstliche Verknappung digitaler Güter - dahin. Das ist bei IBM
anders.

*Das Grenzkosten-Argument*

Ein Musterbeispiel für die Unredlichkeit, mit der Gurus der Szene wie
Moglen operieren, ist sein  _Gebrauch_ [7] des Begriffs "Grenzkosten":

------------------------------------------------------------------------
 Worum es jetzt geht, sind Produkte, die keinerlei Grenzkosten
verursachen: Die millionste Kopie einer bestimmte Software kostet
genauso viel wie die erste. Wenn man diese Software einmal hergestellt
hat, kann sie jeder haben.
//


Es mag ja sein, dass die freie Software den mathematischen
 _Abstraktionen_ [8] des ökonomischen  _Marginalismus_ [9] bis ins
Detail entspricht. Nur leider sind es Abstraktionen, die mit der
Realität wenig zu tun haben. Selbstverständlich verursachen Herstellung,
Bereithaltung, Vertrieb und Gebrauch freier Software reale Kosten, und
zwar Datei für Datei, Download für Download, Session für Session.

Richtig. Aber diese Kosten gehen in den allgemeinen Kosten für die
Infrastruktur faktisch unter. Um einen Vergleich mit der
Autoproduktion zu machen: Wäre die Nutzung der öffentlichen
Transportwege für die einzelnen Bauteile der größte Kostenfaktor für
ein Auto, so würden deren Kosten ebenso in den allgemeinen Kosten für
die Infrastruktur untergehen. Tun sie aber nicht und ich denke der
strukturelle Unterschied ist nun wirklich offensichtlich.

Das bedeutet, dass diejenigen auf der Abnehmerseite, die diese Kosten
nicht aufbringen können, davon ausgeschlossen sein werden, und dass
diejenigen auf der Anbieterseite das Spiel gewinnen, die in Herstellung
und Vertrieb die besagten Kosten am cleversten vermeiden. Das heißt:
ihre Mitarbeiter am effektivsten ausbeuten, die Kunden am geschicktesten
über den Tisch ziehen, am nachhaltigsten öffentliche Unterstützung in
Form von direkten und indirekten Subventionen mobilisieren. Sie sollten
auch in der Lage sein, ihre Mitbewerber zu vernichten und folgenlos
Gesetze zu umgehen oder zu brechen, die sie bei ihrem fröhlichen Tun
behindern. Klingt das bekannt?

Ja. Nur ist es für Freie Software nicht nötig, da die wirklich
kostenträchtige Leistung - die Freie Software selbst - ohnehin
kostenlos zur Verfügung steht. Das ist bei Autos eben erst dann so,
wenn die AutoarbeiterInnen nur noch zwecks Selbstentfaltung (von den
Robotern) Autos montieren (lassen).

Die Luftbuchungen der freien Softwareszene erinnern beklemmend an andere
Projekte zur ansatzweisen Gesellschaftsveränderung, die schon immer
chancenlos waren, wie zum Beispiel die ökologische Landwirtschaft,
Ersatzgeldexperimente und Tauschringe, Reformpädagogik und anderes. All
diesen Bemühungen ist gemein, dass sie grundlegende gesellschaftliche
Machtverhältnisse und ihre Ursachen leugnen, um daran zu scheitern. Sie
beruhen auf einem Inseldenken, auf der Vorstellung, man könne sofort und
ohne grundsätzliche Veränderung der entscheidenden Umstände Oasen des
Guten in einer zu Recht verabscheuten Wüste des Schlechten schaffen. Da
sie sich außerstande sehen, das Klima zu ändern, wird das Wasser nie
reichen.

Für die genannten Projekte gebe ich Marcus vollkommen recht. Der
entscheidende Unterschied ist eben, dass sie niemals die
kapitalistische Sphäre verlassen haben. Freie Software tut dies auf
einem auch für den Kapitalimus eminent wichtigen Gebiet. Na ja, die
Keimformthese eben, geboren aus der Produktivkraftentwicklung.

*Enteignung und Zerschlagung Microsofts?*

Über die Qualität der Ansätze an sich sagt das noch wenig, sie reicht
vom absolut Niederträchtigen bis zum partiell Unterstützenswerten. Und
es bedeutet natürlich nicht, dass die freie Software als Ganzes nichts
taugt und am besten sofort aufgegeben würde. Sie wird schöne Lösungen
finden für Probleme, für die sich Firmen wie Microsoft nicht
interessieren.

Wenn die Freie-Software-Bewegung nur dafür Lösungen finden würde, dann
würde Marcus' Microsoft wohl kaum in Not sehen. Tut er aber - s.o.

Sie wird Helden hervorbringen. Sie wird verblüffend sein.
Nur wird sie nicht die Heils- und Erlösungswirkung entfalten, die ihr
Apostel wie Moglen unbedingt andichten wollen.

Die unmittelbare politische Forderung aus der Erkenntnis, dass die
Revolution qua freier Software ausfallen wird, wäre natürlich die nach
der Enteignung und Zerschlagung Microsofts.

Mir ist niemensch bekannt, der solchen Unsinn von sich gibt. Qua
Freier Software kann es keinen Revolution geben - wie soll das gehen?
Eine fundamentale gesellschaftliche Änderung auf Grund der in Freier
Software keimförmig vorgeführten Prinzipien ist aber eine ganz andere
Frage.

Davon abgesehen finde ich die Forderung nach Enteignung und
Zerschlagung Microsofts in Marcus' Argumentation noch viel
hanebüchener. Warum soll das eine Forderung sein, wenn Freie Software
doch schon seiner Projektion nach von ganz alleine Wunder vollbringen
kann?

Nahezu alle Probleme, die
mit Windows zusammenhängen, könnten durch einen Übergang des Quellcodes
in Gemeineigentum gelöst werden.

Ja. Und wahrscheinlich würde es ähnlich gehen wie bei Netscape
Navigator und Mozilla: Nach einigen Jahren wäre die alte Code-Basis
vollständig ersetzt.

Der Firma die Möglichkeit zu nehmen,
mit ihren finanziellen Ressourcen auf die eine oder andere Weise durch
die Hintertür wieder ihre alte Macht zu erlangen, wäre die passende
Begleitmaßnahme. Utopisch? Sicher.

Microsoft hat keine Macht über Freie Software. Das einzige, was ich da
als reale Gefahr sehe, sind Software-Patente. Aber hier ist zumindest
mir auch noch kein realer Fall bekannt.

Und es gibt in diesem Land ja einen guten Präzedenzfall für das
Scheitern einer Kampagne, die etwas ansatzweise  _Ähnliches_ [10]
wollte: "Enteignet Springer".

Der Versuch der APO, das Macht- und Meinungsmonopol der Springer-Presse
zu brechen, musste scheitern. Aber er setzte wenigstens an einer echten
Ursache an. Das noch viel nachhaltigere Scheitern einer Insellösung
gegen die Springerpresse kann an der Geschichte der taz beobachtet
werden. Wenn nicht eine völlige Neupositionierung der freien
Softwareszene zustande kommen sollte, kann sie sich die Zukunft ihrer
Projekte an der Gegenwart der taz anschauen: dasselbe noch einmal in
rot-grün (vgl.  _Im Seichten kann man nicht ertrinken_ [11]).

Da die Forderung schon Quatsch ist, muss ich auf diese Analogie nicht
eingehen.

Oder sie könnte Peter Bichsel lesen. Der Schweizer Autor schrieb 1975
einen sehr klarsichtigen Text ^1 <lit.html#l1> , in der er die
Windmühlenkämpfe von Schweizer Modernisten gegen die bürgerliche
Ästhetik der Fünfziger Jahre und für moderne Kunst nachzeichnet.

------------------------------------------------------------------------
  Die Fronten waren klar. Ein Nierentisch oder helle Eschenmöbel
genügten als Ausweis für unsere Seite - ein Schritt in eine Wohnung, und
man wusste, ob man sich bei Freund oder Feind befand. Wer für Picasso
war, hatte unser Vertrauen, unabhängig davon, woher sein Geld für den
Picasso kam; viel Geld übrig zu haben für Kunst galt als humanitär.
Hitler war gegen moderne Kunst, das wussten wir, und insofern kamen
unsere Gegner in ein schiefes Licht, und unser Kampf erschien uns
politisch - wir hatten den Dreh gefunden, die Weit zu verändern, und
sahen das Elend der Welt in einer großen Aargauer Möbelfirma und ihr
Heil in Bauhaus, Beton und Flachdach. Nun sitzen wir auf einem Stapel
alter Modern-Jazz-Platten, sind betrogen und wissen nicht einmal, von
wem. Es sind keine Schuldigen zu finden, so gern ich auch das jemandem
in die Schuhe schieben möchte. Dahinter lag nun offensichtlich - und
Marxisten mögen das mit Recht bezweifeln - nicht die geringste Absicht.
Kunst ist was Bürgerliches, und wir haben mit unsern nächtelangen
erhitzten Diskussionen das Geschäft der Bürgerlichen betrieben. Mit
bürgerlicher Unterstützung vermeintlich gegen den Bürger gekämpft, unter
dem Arm Ortegas ?Aufstand der Massen" als Dienstreglement.
//


Wenn man wollte, könnte man die Stimmigkeit der Analogie bis in feine
Verästelungen hinein nachweisen (vor allem im Zusammenhang mit der
diagnostizierten "Bürgerlichkeit"), aber sie ist ja auch so deutlich
genug. Zum Zeitpunkt, da Bichsel den Katzenjammer seiner Generation so
unnachahmlich beschrieb, bestand die große Aargauer Möbelfirma noch,
gegen die sich die ästhetische Revolte von damals gerichtet hatte.

Nun gibt es eben zwei entscheidende Unterschiede: Einerseits hat Kunst
mit Produktivkraftentwicklung bestenfalls am Rande was zu tun. Wer
natürlich die Argumentationslinie mit der Produktivkraftentwicklung
nicht teilt und glaubt, der Kapitalimus könne auf einem beliebigen
Gebiet nachhaltig aufgehoben werden, der sieht diesen Unterschied
natürlich nicht.

Wer nicht an solche Beliebigkeit glaubt, die müsste andere Felder
angeben, für die das dann gilt. Die Produktivkraftentwicklung ist
m.E. zumindest rund um den Kapitalimus ein zentrales Element
gesellschaftlicher Entwicklung und *auf diesem Gebiet* ist Freie
Software überlegen.

Andererseits hört sich obiges doch auch sehr nach einer Anti-Bewegung
an, die die Linke schon sehr lange kennzeichnet. Dass diese
Anti-Bewegungen eben keine Aufhebungsbewegungen sein können - und
mittlerweile schneller zusammen brechen, als sie entstehen (Hartz
IV...) - halte zumindest ich aber für gegegeben. Die
Freie-Software-Bewegung ist aber nicht in diesem Sinne eine
Anti-Bewegung - egal wie lange Marcus das zu suggerieren versucht.

Ob
Microsoft als Firma ein genau so großes Stehvermögen hat, wird sich
zeigen. Die Prognosen für das System Microsoft sind leider ausgezeichnet
- und daran ist auch die Blauäugigkeit seiner Gegner schuld.

Nun, ich sehe nicht, wo - in Marcus' Lesart - weniger Blauäugigkeit
nützlich wäre. Wenn ich Marcus richtig verstehe, dann meint er, dass
Freie Software Microsoft nicht besiegen *kann*, weil Microsoft
strukturell schlauer / mächtiger ist. Dann ist Blauäugigkeit aber auch
egal.

Quintessenz: Auch diese Kritik - sofern sie sich auf dieses Projekt
bezieht - finde ich äußerst dünn. Liebe KritikerInnen: Könntet ihr
euch mal mehr Mühe geben? Danke.


						Mit Freien Grüßen

						Stefan


Literaturangaben

^*1* ) "Die ästhetische Revolution" in: Peter Bichsel, Geschichten zur
falschen Zeit, Sammlung Luchterhand 1981, S. 24 - 26

*Links*

[1] http://www.heise.de/tp/deutsch/special/wos/17636/1.html
[2] http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/konf/12662/1.html
[3] http://www.oekonux.de/texte/zukunft/inhalt.html
[4] http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/mein/16590/1.html
[5] http://www.golem.de/0404/30688.html
[6] http://www.netzeitung.de/internet/282886.html
[7] http://www.netzeitung.de/voiceofgermany/290701.html
[8] http://www.net-lexikon.de/Grenzkosten.html
[9]
http://www.unister.de/Unister/wissen/sf_lexikon/ausgabe_stichwort9170_17.html
[10]
http://www.aberhallo.de/lexikon/index.php/Bild-Zeitung#Enteignet_Springer%21_%26ndash%3B_BILD_und_die_Studentenunruhen
[11] http://www.heise.de/tp/deutsch/special/med/17220/1.html

Telepolis Artikel-URL:
http://www.telepolis.de/deutsch/inhalt/mein/17676/1.html

------------------------------------------------------------------------
Copyright © 1996-2004. All Rights Reserved. Alle Rechte vorbehalten
Heise Zeitschriften Verlag, Hannover


________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de



[English translation]
Thread: oxdeT08609 Message: 1/1 L0 [In index]
Message 08609 [Homepage] [Navigation]