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[ox] Freies Irgendwas und Commons-Problematik



Hi!

Dem einen oder der anderen mag vielleicht noch die alte linke Zeitung
"ak" (analyse + kritik) bekannt sein. Dieser Monatszeitung habe ich
auch schon vor einiger Zeit Infos zu Oekonux geschickt, vor allem
anlässlich der Oekonux-Konferenzen. Da kam leider nie eine Reaktion
und ich hatte mich bereits damit abgefunden, dass Bewegung auf diesem
Sektor nicht Sache der "ak" ist. Passt ja, da sie sich als "Zeitung
für linke Debatte und Praxis" bezeichnet und dieses hier ja
bekanntlich - unbeschadet des emanzipatorischen Ansatzes - kein linkes
Projekt ist.

Ein wenig (angenehm) überrascht war ich dann doch, als ich in der ak
485 (18.06.2004) ein Interview mit Armin Medosch zu Freien
(Funk-)netzwerken las. Entstanden war das Interview wohl im Vorfeld
der WOS.

Das wäre alles nicht so schrecklich interessant, interessant ist aber
ein Frage-/Antwortpaar, das ich hier gerne zitieren möchte:

  ak: In einer Studie zu den Nutzungsgewohnheiten des
  Filesharing-Systems Gnutella ist zu lesen, dass der Großteil aller
  verfügbaren Dateien von nur einem Prozent der NutzerInnen angeboten
  werden, während 70 Prozent keine einzige Datei zum Download
  freigeben. Hier drängt sich der Verdacht auf, dass offene,
  kollaborative Konzepte nur funktionieren, weil einige wenige sehr
  viel in eine gemeinsame Basis einbringen, während andere sich eher
  parasitär beteiligen. Freie Netze, dem Prinzip Filesharing an diesem
  Punkt ähnlich, bauen auf das Konzept gegenseitiger Unterstützung
  auf. Du bringst in diesem Zusammenhang den Begriff "Netzwerk
  Allmende" ins Spiel, wie praxistauglich sind dessen Grundlagen?

  Armin Medosch: Ich begreife "Netzwerk Allmende" nicht als Gegebenes,
  das sich nachträglich analysieren lässt, sondern als Fragestellung,
  die es erlaubt, eben diese von dir angesprochenen Probleme zu
  thematisieren. Wie lässt sich eine Freie Ressource aufbauen und
  erhalten, ohne dem Commons-Dilemma, also der Zerstörung durch
  Übernutzung egoistischer Einzeltäter, anheim zu fallen? Welche
  Mechanismen sollten vorhanden sein, damit sich die Chance erhöht,
  dass die "tragische Selbstzerstörung der Gemeingüter" nicht
  eintritt? Lassen sich diese Mechanismen als Prinzipien vorstellen,
  die nicht von oben herab verordnet werden müssen, im Sinne von
  "Gesetzen", also von fremdbestimmten Regeln?

Nun, zur Frage der ak will ich mich nicht groß auslassen. Sie ist halt
tief verwurzelt im bürgerlichen / linken Denken von
(Tausch)gerechtigkeit. Dass das Free-Riding-Problem in solchen
Netzwerken de facto nicht zu ihrer Zerstörung führt, ist ja gerade
auch bei Freier Software offensichtlich, wo eben die NutzerInnen
keinen Beitrag leisten müssen. Eben einfach nur Nehmen. Sheen Levine
hat diese Frage ja auf unserer 2. Konferenz schon thematisiert
[http://zweite.oekonux-konferenz.de/dokumentation/texte/Levine.html].

Zu Armins Antwort - genauer zu seiner Frage - hätte ich aber einen
Antwortversuch. Liegt die Commons-Tragödie nicht genau daran, dass mit
dem herauf ziehenden Kapitalismus - immerhin haben Allmenden ja auch
jahrhundertelang funktioniert - plötzlich entfremdeter Nutzen aus den
Commons gezogen werden konnte? Dass die (egoistische Über-)nutzung
erst individuell sinnvoll wurde, als aus dieser Nutzung Geldgewinn
gezogen werden konnte? War nicht das der Punkt, wo die OHA-Systeme,
die die Allmenden ermöglicht und genutzt haben, zu schwach wurden
gegenüber den von ihnen entfremdeten Profitinteresse?

*Dieses* Problem haben Freie Irgendwas ja gerade nicht. Wo Verknappung
nicht dazu führt, dass einzelne (entfremdeten) Gewinn machen, liegt
Verknappung nicht mehr im (egoistischen) Interesse. Der Widerspruch
zwischen individuellem und kollektivem Interesse, den der Kapitalismus
wie vielleicht sonst keine Gesellschaftsform zelebriert, ist hier bei
Weitem nicht so ausgeprägt. "Free-Riding" stört nicht, wenn nicht via
Verknappung Gewinn aus einem "Paid-Riding" gezogen werden kann. Wenn
Menschen Dinge zum Zwecke ihrer eigenen Selbstentfaltung tun, dann
müssen sie dafür auch nicht entschädigt werden, dass sie es tun.

Na, soweit mal.


						Mit Freien Grüßen

						Stefan


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Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de



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