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[ox] heise online: EU-Parlament beerdigt Softwarepatentrichtlinie



Diese Meldung aus dem heise online-Newsticker wurde Ihnen von "Stefan
Merten <smerten oekonux.de>" gesandt. Wir weisen darauf hin, dass die
Absenderangabe nicht verifiziert ist. Sollten Sie Zweifel an der
Authentizität des Absenders haben, ignorieren Sie diese E-Mail bitte. 
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Na, das ist doch was :-) .
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06.07.2005 12:52

EU-Parlament beerdigt Softwarepatentrichtlinie

Mit überwältigender Mehrheit haben die EU-Abgeordneten nach der
kontroversen Debatte[1] am gestrigen Dienstag nunmehr am heutigen
Mittwochmittag in ihrer Plenarsitzung in Straßburg dem Vorschlag des
EU-Rates für eine Richtlinie zur Patentierbarkeit
"computerimplementierter Erfindungen" abgelehnt. 648 von 680
abgegebenen Stimmen votierten für einen entsprechenden Antrag, der von
mehreren Fraktionen unterstützt worden war. Nur 14 Parlamentarier
stimmten gegen die vorzeitige Beerdigung der Richtlinie, 18 enthielten
sich. Insgesamt gingen 680 der 732 Abgeordneten zur Wahl, was für die
Bedeutung des früheren Randthemas der Wirtschaftspolitik spricht.

Berichterstatter Michel Rocard hatte im Vorfeld der Abstimmung von der
"gemeinsamen Wut" der Parlamentarier "gegen die unmögliche
Vorgehensweise der Kommission und des Rates" gewettert. Es sein ein
"totaler Sarkasmus uns gegenüber", dass beide Institutionen die
Empfehlungen der Abgeordneten aus 1. Lesung komplett missachtet hätten.
Die Abweisung ist für ihn ein Signal, dass das Problem der
Softwarepatentierung noch nicht "reif" ist. Er sieht darin auch eine
Botschaft an das Europäische Patentamt, seine Regeln auf diesem Gebiet
zu überdenken.

Die EU-Kommission will nun prüfen, ob sie einen weiteren Vorschlag für
eine EU-Richtlinie macht -- sollte sie dies, wie im Vorfeld eigentlich
bereits angekündigt, nicht tun, wäre die Patent-Richtlinie endgültig
gescheitert, da es dann kein Vermittlungsverfahren und keine weitere
Beratungen im Parlament gibt. Von einigen Seiten war bereits zu hören,
nun wäre ein ganz neuer, grundlegender	Anlauf für ein europaweites,
einheitliches Patentsystem ntowendig.

Florian Müller, der für Firmen wie 1&1, MySQL oder Materna vergangene
Woche noch einmal in den Lobbykampf eingriff, zeigt sich zufrieden mit
dem Ergebnis: "Es wäre schwer gewesen, die vom Bundesgerichtshof
vorgegebenen engen Grenzen der Patentierbarkeit von Software EU-weit
durchzusetzen", weiß er. Mit der Zurückweisung, die einen "Albtraum"
und die Verbreitung falscher Informationen über die angebliche
Verhinderung von Softwarepatenten durch die Richtlinie beende, werde
zumindest eine Verschlechterung des rechtlichen Rahmens verhindert.
Skeptischer zeigt sich Axel Metzger vom Institut für Rechtsfragen[2]
der Freien und Open Source Software: Das Scheitern der Richtlinie sei
zwar ein Sieg für die Demokratie in Europa. Es belege "die Macht des
Europäischen Parlaments und der öffentlichen Meinung." In der Sache
spricht Metzger aber von einem Phyrrussieg: "Die Patentämter und
Gerichte der Mitgliedstaaten sind nun weiterhin frei, ihren Kurs der
vorsichtigen, aber steten Ausweitung der Patentierbarkeit
fortzusetzen."

Einig sind sich die Softwarepatentgegner, dass die weite
Patentierungspraxis des Europäischen Patentamtes[3] (EPA) nun dringend
auf den Prüfstand muss. "Das EPA muss sofort dazu aufgefordert werden,
auf Basis des Europäischen Patentübereinkommens die Vergabe von
Softwarepatenten zu stoppen", fordert Georg Greve, Präsident der Free
Software Foundation Europe[4]. Die Grundlinien des internationalen
Vertrags sehen vor, dass auf Software "als solche" keine
Monopolansprüche gewährt werden dürfen. Das EPA hat diese Regel sehr
offen interpretiert und bereits geschätzte 30.000 Patente auf
"computerimplementierte Erfindungen" erteilt. Darunter sind sehr
allgemeine Verfahren wie das Ablegen von Artikeln in einen virtuellen
Warenkorb oder das Zahlen mit Kreditkarte in einem Webshop[5], über
deren "technischen Charakter" und Innovationskraft sich trefflich
streiten lässt.

"Das Schalten und Walten des Europäischen Patentamtes ohne
übergeordnete Kontrolle muss beendet werden", bläst Johannes Sommer,
Mitgründer der Initiative Unternehmer gegen Softwarepatente[6] ins
gleiche Horn. Ein Dorn im Auge ist ihm auch die Ankündigung der
EVP-Schattenberichterstatterin Piia-Noora Kauppi, kleine und mittlere
Unternehmen (KMU) im Patentwettlauf der Großen besser stellen zu
wollen. "Das wäre unsinnig", befindet Sommer und fragt sich, "wann die
Leute endlich verstehen, dass KMU überhaupt keine Patente für
Softwarelösungen wollen." Andernfalls müssten Entwickler
Verwertungsrechte in Form von Lizenzen erwerben, die sie momentan durch
das Urheberrecht bei Eigenentwicklungen automatisch besitzen.

Auch Hartmut Pilch, Vorstand des Fördervereins für Freie
Informationelle Infrastruktur (FFII[7]) will nun "auf der nationalen
Ebene weiter den Druck auf das Europäische Patentamt verstärken." Die
von der Behörde verursachten Probleme "arbeiten für uns", gibt sich der
Softwarepatentgegner optimistisch. Die "wirtschaftliche Mehrheit[8]" ,
die laut FFII keine breite Monopolansprüche auf Computerprogramm will,
werde sich immer weiter "ihrer Kraft bewusst werden", während die
"Patentbeamten bald nicht mehr Herren des Verfahrens" seien. In diesem
Stadium werde die Zeit für eine erneute Einigung auf der europäischen
Ebene reif sein.

Die Parlamentarier reagierten mit dem Ziehen der Notbremse auch auf
eine "Lobbyfehde ohne Beispiel", die der heutigen Entscheidung
voranging, wie der CSU-Abgeordnete Joachim Wuermeling sagt. Befürworter
und Gegner der Ratsversion hatten sich in den vergangenen drei Monaten
eine teilweise unter die Gürtellinie und mit gezinkten Karten spielende
Kampagne[9] geliefert. Beide Seiten hatten mit dem Verlust von
Millionen von Arbeitsplätzen und dem Aus für die innovative
Hightech-Wirtschaft Europas argumentiert -- die einen aus der
Perspektive der patentfreudigen Großindustrie, die anderen aus der
Sichtweise des auf das Urheberrecht als Schutz von Programmcode
setzenden Mittelstands.

Die Lobbyschlacht dauerte bis zur gestrigen Debatte im Rahmen der 2.
Lesung unvermindert an: Früh wurden die Abgeordneten beim Betreten des
Parlamentsgebäudes bereits von heftig gestikulierenden Demonstranten
aus dem FFII-Umfeld in gelben T-Shirts und der Aufschrift "Power to the
Parliament -- No Softwarepatents" begrüßt. Die Campaign for Creativity,
die mit ihrer intransparenten Unterstützerschar für breite
Softwarepatente die Aufmerksamkeit von Lobby-Watchdogs auf sich
zog[10], hatte dagegen eine kleine Jacht mit dem Plakat "Stimmen Sie
für die Richtlinie: Patente = Europäische Innovation" unter dem
Flussübergang postiert, der die Sitzungs- und Arbeitsgebäude des
Parlaments verbindet. Rasch mieteten die FFII-Anhänger daraufhin eine
Reihe Kajaks, auf denen sie Transparente mit dem Motto "Softwarepatente
töten die Innovation" neben dem Motorboot zur Schau stellten. Nicht
alle Abgeordneten goutierten die Aktion: der CDU-Abgeordnete Werner
Langen bezeichnete sie als "Erpressungsversuch" und beschimpfte
Softwarepatentgegner als "Handlanger" asiatischer und amerikanischer
Wirtschaftsinteressen. Zu den stärksten Befürwortern der Ratslinie
hatten aber Konzerne wie die Business Software Alliance (BSA) gehört,
die US-Größen wie IBM, Intel oder Microsoft vertritt und seit längerem
beim Schutz "geistigen Eigentums" an einem Import des US-amerikanischen
Rechtssystems in der EU arbeitet.

Zu den Auseinandersetzungen um Softwarepatente in Europa und die
EU-Richtlinie zur Patentierbarkeit "computerimplementierter
Erfindungen" siehe den Artikel auf c't aktuell (mit Linkliste zu den
wichtigsten Artikeln aus der Berichterstattung auf heise online und zu
den aktuellen Meldungen):

Der Streit um Softwarepatente in Europa[11]

(Stefan Krempl) /
 (jk[12]/c't)

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  [7] http://ffii.org/
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