Message 09772 [Homepage] [Navigation]
Thread: oxdeT09753 Message: 3/22 L1 [In index]
[First in Thread] [Last in Thread] [Date Next] [Date Prev]
[Next in Thread] [Prev in Thread] [Next Thread] [Prev Thread]

Re: [ox] kreative vs. instrumentelle Macht



Hi Stefan,

Stefan Merten schrieb heute:
3 days ago Christoph Reuss wrote:
Ja, ich schätze das auch oft: Ich kann mich auch mal auf jemensch
anderes verlassen. Dazu braucht dieser jemensch dann aber auch die
entsprechende Macht.

Das ist der springende Punkt: Stimmt diese These?

Aber klar: Wenn ich darauf verlassen können will, dass Holger sich um
den Oekonux-Server kümmert, dann braucht er das Root-Passwort - aka
die Machtmittel - um das auch zu tun.

Dieser Satz zeigt m.E. ein grundlegendes Missverständnis von "Macht".
Das Root-Passwort ist ein typisches Beispiel für _delegierte_ Macht,
die aber nicht mit _echter_ Macht verwechselt werden darf:
Die echte Macht hat nämlich weiterhin derjenige, der das Passwort _gab_.
Das sieht man spätestens dann, wenn der Passwort-Nehmer das Passwort
missbraucht, um etwas zu tun, was der Passwort-Geber nicht will.
Dann wird das Passwort wieder entzogen.  Hätte der Passwort-Nehmer
_echte_ Macht, wäre der Entzug des Passwortes nicht möglich.
Das Passwort ist eben nur ein Macht_mittel_, wie Du richtig formuliert
hast, nicht die Macht selbst.

Im selben Sinne ist auch die "Macht" der Qualitätskontrolleure in
Helmut Supik's Beispiel eine Illusion -- sie ist bloss delegierte Macht
(delegiert von instrumentell Mächtigen (Arbeitgeber) an kreativ Mächtige
(Fachkräfte)), die jederzeit entzogen werden kann, durch Entlassung etc.

Mit anderen Worten:  Die Kreativen sind _nur_insoweit_ "mächtig", als
sie von den instrumentell Mächtigen für deren Ziele eingespannt werden.
Sobald sie von diesen abweichen, um ihre eigenen Ziele zu verfolgen,
verlieren sie die (temporär, als Mittel zum Zweck) an sie delegierte Macht.

Der Linux-"Ausweg" ist nun, sich aus dem Geldsystem auszuklinken, um
Macht zu erlangen -- aber diese Macht hat man eben nur innerhalb des
Linux-Elfenbeinturms.  Die Frage wäre jetzt, wie man innerhalb des
Geldsystems --vulgo: IRL-- als Entwickler zu echter Macht kommen kann.


Das Missverständnis der Macht (scheinbar nicht nur bei StefanMn, sondern
auch bei Holloway selbst) zeigt sich auch am nächsten Beispiel:

Das kann aber nicht richtig sein, denn schon an einfachen Beispielen
lässt sich zeigen, dass ein Einsatz von Macht aus einer Perspektive
ganz klar instrumentell ist, während er aus einer anderen Perspektive
den Höhepunkt der Kreativität darstellt.

Holloway hat z.B. das Beispiel mit dem Demonstrationszug gebracht, der
angeblich kreative Macht sei - also gute Macht. Ja, ist denn das auch
die Sicht der AutofahrerIn, die schnellstmöglichst zu ihrem Date will
und sich einen Sch... für die DemonstrantInnen interessiert?
Nichtsdestotrotz wird sie aber nachhaltig von den DemonstrantInnen an
ihrem Ziel gehindert. Es würde mich wundern, wenn sie das als kreativ
ansehen könnte. Die ärgert sich nämlich über die für sie überflüssige
Zwangspause.

Nun, durch die Zwangspause hat sie ja Gelegenheit, über das Anliegen der
Demonstranten nachzudenken, was sie sonst nicht tun würde -- genau dies
ist ja der Zweck einer Demo, oder?  ;-)

Eine Demo stellt aber keine echte Macht dar, denn ihre Durchführung
hängt von der Gnade der (instrumentell) Mächtigen ab: Demo-Bewilligung
oder eben Auflösung durch die Polizei.  Hätten die Demonstranten echte
Macht, dann müssten sie ja gerade nicht demonstrieren gehen.

Also ein denkbar ungeeignetes Beispiel (aka Strohmann-Argument).


Wie gesagt: Schon bei einfachen Beispielen funktioniert das Labeling
nicht mehr. Ich würde deswegen davon abraten.

Das Labeling muss nur richtig vorgenommen werden, dann funzt es schon.


Tatsächlich fällt IRL auf, dass die Mächtigen (Politiker, Richter,
Gesetzgeber, Investoren) wenig Kreativität im Schaffens-Sinne aufweisen,
während Entwickler praktisch machtlos sind.

Das Problem an dieser Herangehensweise ist, dass es nicht eigentlich
über Macht spricht, sondern über - sogenannte - Mächtige und
Ohnmächtige. Was die Ohnmächtigen machen ist dann hübsch kreativ
und die bösen Mächtigen sind natürlich gnadenlos instrumentell.

Ich habe nicht in schwarz und weiss gemalt ("wenig", "praktisch") --
natürlich gibt es Graustufen, aber das ändert nichts daran, dass es
2 gegensätzliche Pole gibt (kreativ / instrumentell) und dieses
Spektrum auffällig mit realer Macht korreliert.

Die Mächtigen sind eigentlich nur "kreativ" darin, wie man anderen das
Geld aus der Tasche ziehen kann.  Leider entsteht allein dadurch nichts
Konstruktives, nur Krieg und Elend.

Ich verstehe eigentlich nicht, was aus Entwickler-Sicht gegen
diese Beobachtung spricht.  Wer diesen Zusammenhang bestreitet,
spielt das Spiel der Mächtigen / Nicht-Entwickler.


Das halte ich für dem Thema absolut inadäquat. Das Phänomen der Macht
kommt hier nur in einer ganz bestimmten, sehr eingeschränkten
Perspektive in den Blick und die ist auch noch ideologisch verbrämt -
mit dem Mythos der Ohnmächtigen.

Um es mal an einem Beispiel zu verdeutlichen: Wollen wir verstehen,
was Geld ist, dann macht es nur sehr eingeschränkt Sinn sich über
reiche und arme Leute zu unterhalten. Bei einer solchen Perspektive
wird das Wesen des Geldes, sein Begriff überhaupt nicht sichtbar. Dazu
muss mensch vielmehr an das Thema Geld *komplett* anders ran gehen.

Umgekehrt wird ein Schuh draus:  Wollen wir verstehen, was Menschen
(Mehrzahl: Gesellschaft) sind, dann macht es nur sehr eingeschränkt Sinn
sich über Abstraktionen wie Geld oder Macht zu unterhalten.  Bei einer
solchen Perspektive wird das Wesen der Menschen, ihr Begriff überhaupt
nicht sichtbar.  Geld und Macht sind bloss Abstraktionen und sollten
in der Analyse kein Selbstzweck sein.


M.E. ist die Frage, die hinter all diesen Debatten steht die: Wann ist
der Einsatz von Macht legitim? Die Holloway'schen Labels machen es
sich da einfach - wie ausgeführt. Leider trägt das aber - wie
ebenfalls ausgeführt - nicht sehr weit.

Aber das Beispiel zeigt auch schon, in welche Richtung eine Antwort
gehen müsste: Der Zusammenhang mit den Zielen eines Machteinsatzes ist
nicht vernachlässigbar. Habe ich die Ziele eines Machteinsatzes vor
Augen, dann kann ich eher sagen, ob er im Hinblick auf diese Ziele
legitim ist oder nicht.

Macht wird dazu eingesetzt, Macht zu zementieren.


Sprechen wir über (Handlungs)ziele, so müssen wir aber immer auch
soziale Entitäten bedenken, die nicht nur Einzelne sind: Gruppen von
Menschen, die gemeinsam gemeinsame Ziele verfolgen.

Wobei die Einteilung Entwickler/Nichtentwickler orthogal zu den Gruppen ist.


Machteinsatz
innerhalb solcher Gruppen kann m.E. genau dann legitim sein, wenn er
den Zielen der Gruppe dient.

Und wann ist Machteinsatz _zwischen_ Gruppen legitim ?


Sprechen wir über einen solchen Machtbegriff sind wir zwar die
einfachen Parolen los, einem Erkenntnisgewinn sind wir aber m.E.
deutlich näher. Ein solcher Machtbegriff ist auch unabhängig von jeder
bestimmten Gesellschaftsform - er funktioniert sogar in einer
Gesellschaft, in der alle exakt gleichmächtig sind.

Um eine "Gesellschaft, in der alle exakt gleichmächtig sind" zu
erreichen, müsste man den Nicht-Entwicklern Macht wegnehmen und
den Entwicklern mehr Macht geben.  Genau dies ist das Ziel der
kreativ/instrumentell-Dichotomie!


Wie sollten also gemäss Holloway die kreativ Mächtigen "die Welt
verändern", solange instrumentell Mächtige --Nicht-Entwickler--
über die Entwicklung und die Ressourcen bestimmen ?

Die richtige Frage wäre m.E.: Wie können wir es erreichen, dass die
Ziele verfolgt werden, die wir für richtig halten?

Garnicht, solange die Nicht-Entwickler das Machtmonopol haben.


Leider sind die
Antworten darauf nicht so einfach und das Schwierigste an diesem Satz
ist wohl das "wir".

Das "wir" ist die Entwickler-Komponente von allen.  Der eine hat mehr,
der andere weniger...


Und die Frage, welcher Machteinsatz jetzt gerade
der zielführendste ist, ist damit nicht mal angeschnitten.

Wie gesagt, Macht sollte kein Selbstzweck sein, es geht um die Sache
(bei den Entwicklern jedenfalls) -- gerade das ist übrigens ein gutes
Unterscheidungskriterium gegenüber den Nicht-Entwicklern, denen es
um ihre Macht geht statt um die Sache.

Gruss,
Christoph




________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: http://www.oekonux.de/projekt/
Kontakt: projekt oekonux.de



[English translation]
Thread: oxdeT09753 Message: 3/22 L1 [In index]
Message 09772 [Homepage] [Navigation]