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[ox] Re: [chox] Text- versus Software-Lizensierung (was: Fragen über Fragen)



Tag, Holger!

Am Sonntag 16 Oktober 2005 03:31 schrieb Holger Weiss:
* Thomas U. Grüttmüller <sloyment gmx.net> [2005-10-13 00:33]:
* Die Texte, um die es geht, sind mehr oder weniger unbedeutend und
könnten in ein paar Stunden von jedem neu geschrieben werden. Schlimmer
ist aber, daß die Wikipedia, die größte Sammlung freier Texte, für ein
Oekonux-Wiki ohne GFDL nicht zur Verfügung steht (nicht schlimm für die
Wikipedia, aber schlimm fürs Oekonux-Wiki).

Karl sagte es auch schon: Wozu sollte es gut sein, Wikipedia-Inhalt
einfach zu kopieren? Wenn ich einen Wikipedia-Artikel verbessern oder
ergaenzen moechte, tue ich das in der Wikipedia. Wenn ich etwas anderes
produziere, moechte ich die Wikipedia hoechstens zitieren und verlinken.
Dein Punkt wuerde mir hoechstens einleuchten, wenn es darum ginge, aus
irgendeinem Grund eine weitere Enzyklopaedie zu erstellen.

Es macht vielleicht nicht viel Sinn, komplette Texte von einem Wiki ins 
nächste zu kopieren, wohl aber einzelne Absätze -- wörtlich oder verändert. 
Das geht mit dem Zitatrecht nicht sinnvoll.

Es wurde einigen Leuten klar daß die GFDL nicht wirklich für Wikis
und extrem kollaboratives Arbeiten geeignet ist.

...eine völlige Ablehnung von Copyleft-Lizenzen, also genau das Gegenteil
von der bisherigen Euphorie. Die GFDL ist also nicht für Wikis geeignet?
Dann hat es die Wikipedia die ganze Zeit falsch gemacht. Und die GPL
taugt dann wohl auch nicht für Programme? OK, dann kann man ja als
Konsequenz fast die gesamte freie Software einstampfen und Oekonux gleich
mit.

Das wuerde ich gelassener sehen, weil die Lizenzfrage fuer den Erfolg
von freiem Inhalt m.E. nicht so zentral ist, wie Du es hier darstellst.
Auch wenn GPL-Fans manchmal das Gegenteil suggerieren, ist ja ein
nennenswerter Teil der groesseren freien Software-Pakete gar nicht
GPL-lizensiert. Der Copyleft-Hebel ist manchmal hilfreich und manchmal
aergerlich, aber ich denke, er entscheidet im Normalfall nicht darueber,
wie freie Inhalte gegenueber der proprietaeren Konkurrenz abschneiden.
Daher koennte ich weder Copyleft-Euphorie noch "voellige Ablehnung"
nachvollziehen und finde es durchaus okay, nicht tagein, tagaus die
juristischen Details von Lizenzen durchzukauen.

Alle erfolgreichen Projekte (GNU, Debian, Wikipedia usw.) nehmen die 
rechtlichen Aspekte sehr ernst! Genau dies ist nämlich der Punkt, wo freie 
Software (incl. freie Literatur) angreifbar ist (siehe SCO vs. Linux).

Ob nun ein Projekt eine Lizenz mit oder ohne Copyleft verwendet, ist 
nebensächlich. Wichtig ist, daß überhaupt eine freie Lizenz verwendet wird 
und daß Beiträge ohne oder mit fragwürdiger Lizenz oder mit nicht erfüllbaren 
(z.B. widersprüchlichen) Bedingungen nicht angenommen werden.

Im Fall von Texten kommt bei mir noch ein ganz anderer Punkt hinzu,
naemlich dass ich hier ehrlich gesagt noch gar nicht wirklich den
eigentlichen Witz von freier Lizensierung verstanden habe, sei es mit
Copyleft oder ohne.

Der wichtigste Punkt ist die freie Kopierbarkeit und Weiterverbreitbarkeit 
(ohne Änderung). Dieser Punkt fehlt bei den meisten proprietären Texten, was 
zur Folge hat, daß man Exemplare nur gegen Bezahlung oder gar nicht erhält. 
Auch bei Texten, die kostenlos im Internet zugänglich sind, ist dieser Punkt 
wichtig, denn der Rechteinhaber könnte sie jederzeit von seinem Server 
nehmen, und dann wären sie eben nicht mehr zugänglich.

Dieses Recht auf Kopieren und Verbreiten ohne Änderung reicht aber nicht aus. 
Es ermöglicht z.B. nicht die Kürzung, weil das bereits eine Änderung ist. 
Also bleibt, wenn man von einem 300-Seiten-Werk nur drei Seiten braucht, 
wieder nur der umständliche Weg über das Zitatrecht, und dafür ist die 
zitierte Menge dann eventuell doch schon zu viel.

Im Fall von Software liegt unittelbar auf der Hand, 
dass es viele Vorteile hat, wenn Aenderungen durch jeden und nicht nur
durch den urspruenglichen Produzenten vorgenommen werden koennen. Diese
Vorteile ergeben sich zum Teil schon durch die Verfuegbarkeit von
Quellcode, also nicht erst durch freie Lizensierung: Auch proprietaere
Software kann durch den Nutzer angepasst werden und eventuelle Bugfixes
oder Verbesserungen koennen an den Produzenten zurueckfliessen, sobald
der Nutzer Quellcode-Zugriff hat. Darueber hinaus kann sich der Nutzer
durch das Lesen des Quellcodes Wissen aneignen, das er anderweitig
verwenden kann, ohne dabei illegal zu handeln, solange er den Code nicht
direkt kopiert (oder Patente verletzt). Diese Vorteile sind im Fall von
Text automatisch gegeben, sobald er irgendwie verfuegbar ist, weil es
hier keine Differenz von Quellcode und uebersetztem Ergebnis gibt.

Die Anforderung der GNU Free Software Definition, den Aufbau zu studieren zu 
dürfen, kann bei einfachen Texten ohne viel Markup auch ohne Verfügbarkeit 
des Quellcodes erfüllt sein. Von daher möchte ich auf diesem Punkt nicht groß 
herumreiten.

Darueber hinaus gibt es im Fall von Software natuerlich Moeglichkeiten,
die sich nicht schon durch Quellcode-Zugriff, sondern erst durch freie
Lizensierung ergeben, vor allem die direkte Wiederverwendbarkeit von
Code fuer andere Projekte.

Aha!

Auch dies ist im Fall von Text bis zu einem 
gewissen Grad auch ohne freie Lizensierung moeglich, insbesondere ist
die inhaltliche Weiterentwicklung eines irgendwie verfuegbaren Textes
durch Zitat und Referenzierung i.A. kein Problem.

Auf Programme übertragen ist das vergleichbar mit dem Laden von proprietären 
DLL-Dateien über wine. Das Ergebnis ist aber nicht frei, und vor allem hängt 
seine Brauchbarkeit von der Verfügbarkeit der proprietären Anteile ab. 

Wenn in der Wikipedia in einem Artikel weiterführende Literatur angeführt ist, 
so darf sich der Nutzer diese im nächsten Buchhandel kaufen, um darin lesen 
zu können. Das ist allenfalls eine Notlösung.

Der einzige Vorteil, 
den freie Lizensierung hier noch bietet, ist, dass tatsaechlich Kopien
moeglich sind, die ueber Zitate hinaus gehen.

Ja.

Nun sind solche Kopien im 
Normalfall aber doch sinnlos, sofern der kopierte Inhalt sowieso schon
verfuegbar ist. Als Beispiel habe ich oben nochmal Karls Punkt bezuegl.
der Kopie von Wikipedia-Inhalten wiederholt.

Daß die Wikimedia Foundation die Wikipedia auf ihren Servern verfügbar macht, 
ist nett. Aber die Wikipedia ist gerade wegen ihrer Lizenz nicht an diese 
Strukturen gebunden. Sie darf auch außerhalb verbreitet und bearbeitet 
werden. Also würden nach einem eventuellen Zusammenbruch der 
Wikimedia-Strukturen die Inhalte auf Mirror-Servern überleben, und jeder 
hätte das Recht, ein neues Bearbeitungs-System zu starten, z.B. via P2P. 

Nun will ich nicht ausschliessen, dass es Faelle geben mag, wo Kopien,
die ueber Zitate hinaus gehen, als Grundlage fuer Weiterentwicklungen
dienen koennen. Bei kollaborativ erstellten Texten kann man sich z.B.
Forks vorstellen; bei der Wikipedia gab's das ja auch schon. Bei solchen
Projekten sehe ich also durchaus den Sinn von freien Lizenzen.

OK.

Ansonsten 
ist die Differenz zwischen freiem und nicht-freiem Inhalt im Fall von
Text i.A. aber doch deutlich unbedeutender, als im Fall von Code, oder?

Diese Einschätzung finde ich fatal und im Hinblick auf das Oekonux-Thema nicht 
besonders konstruktiv. Aber inzwischen habe ich da eh keine großen 
Erwartungen mehr... :o( 


Tschüß,
Thomas }:o{#
--
Der Text dieser Mail (abzüglich Zitate) ist gemeinfrei (Pubic Domain).
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Organisation: http://www.oekonux.de/projekt/
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