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[ox] ox-en-Reflexionen; Digest für die Woche vom 4.11.-11.11. 2005



Hallo,

Hier - wie auf [pox] angekündigt - wieder eine Zusammenfassung der englischen Liste.

An den Beginn stelle ich diesmal eine Bemerkung von Karel Kuhlavy:

“Hmm, nachdem ich diese Website [...] überflogen habe, hatte ich den
Eindruck, daß es lediglich eine leere Hülle zügelloser Spekulationen ist
mit bombastischen Untertiteln [...]
Warum machen 80% des Inhalts dieser Mailing-Liste den gleichen Eindruck
auf mich?
Sind die aktuellen Teilnehmer dieser Liste nicht in der Lage,
irgendetwas zu produzieren, das irgendein aktuelles Problem löst?”

Also: ab jetzt arbeite ich mit Untertiteln.


Community freier Software, freie Software-Community oder Software freier
Communities?
=======================================================================

Zu Karels Frage "Was ist eine freie Software Communitiy?" schreibt
Benjamin Mako Hill:

"Ich kann lediglich von meiner eigenen Perspektive innerhalb der Freien
Software ausgehen, da ich die Community stets als eine von Produzenten
und Nutzern angesehen habe, die dadurch aktiv sind, daß sie Bug-Reports,
Feedback, Dokumentationen einbringen oder das Projekt in irgendeiner
Weise vertreten."

Und Karels Frage, was so eine Kooperative denn eigentlich produzieren
würde, kontert Benjamin:

“Vielleicht bin ich ein bißchen döschig, aber ist die naheliegende
Antwort nicht: Freie Software?

Mako"


Mako wiederum fragt Michael Bouwens, wie er sich die Bildung von
Kooperativen aus Communities freier Software vorstelle. Michaels Antwort:

"Stell dir also mal folgende zwei Situationen vor. Das macht den
Unterschied vielleicht klarer.
Gegeben ist ein Open-Source-Projekt, mit einem Kern führender
Programmierer und einer Menge kleiner Teilnehmer.

Einige Risikokapitalisten sind interessiert. Es gibt zwei Optionen:
- einige der führenden Individualisten 'verkaufen' ihre Führung und ihre
Kenntnis des Projekts und werden reich dabei
ODER
- es wird ein kooperatives Unternehmen gebildet, so daß, falls
kommerzielles Interesse besteht, alle Mitglieder der Kooperative daran
teilhaben können, nicht nur ein paar.

Das Problem ist, auf welche Weise man verhindern kann, daß wenige die
Arbeit der Vielen ausnutzen.

Michael"

Und präzisiert das später:

"Um meine Idee der Kooperativen von Produzenten etwas klarer zu machen:

1) Einserseits haben wir die Community der Produzenten/Nutzer [...],
'verbunden' durch die GPL
2) Eine Untermenge dieser Produzenten entscheidet, 'Kooperativen' zu
bilden, um auf dem Markt agieren zu können, produziert auf freier
Software basierende Dienstleistungen; als Alternative zu
profitorientierten kooperativen Formen, die lediglich einigen Individuen
nutzen statt der ganzen Community, die ja eigentlich der Erzeuger
[des Produkts] ist.

Michel Bauwens"


Besorgniserrengende Veränderungen in der GPL 3.0
================================================

Dieses Thema startete StefanMn vor einigen Wochen; in dieser Woche geht
es - passend zur Kontroverse zwischen Franz Nahrada und ihm - um
Gegenseitigkeit bei freier Software. Seiner Meinung nach basiere die GPL
*nicht* auf Reziprozität. Er hätte keine Probleme mit einer neuen
Lizenz, die den Anbieter von Gebrauchswert dazu anhält, auch den Code zu
publizieren, der diesen Gebrauchswert transportiert. Aber das hätte
nichts zu tun zu tun mit dem Geist der GPL. [...]


Der Salat
=========

Auch der heimliche Star der Open Source Production erfährt diese Woche
wieder Aufmerksamkeit. Wichtig finde ich in diesem Zusammenhang den
Hinweis von StefanMn, es handele sich bei der Open Source Ecology nicht
zuletzt um ein neues, auf offener Produktion und Wissensteilung
basierendes _Geschäftsmodell_, was schon bei der Präsentation der
Konzeption von Marcin Jakubowski auf der 3.Oekonux-Konferenz deutlich wurde.

Nicht ganz schlüssig zu sein scheint mir allerdings die Auffassung von
Merten, Kapitalismus gehe immer dahin, wo die Produktivität maximal sei,
denn nach heutigen Forschungsergebnissen könnte genausogut die
Sichtweise zutreffen, daß der Kapitalismus den geringeren Lohnkosten
hinterherhetzt - man vergleiche hierzu das jüngst erschienene Buch
"Forces of Labor".

Auf SMn-t Feststellung, die Realität widerlege seine Vorstellungen
generell, erwidert Franz:
"Du kannst sehen, daß wir heute in wachsendem Maße mit der Omnipräsenz
von spezialisierten Maschinen und spezialisiertem Knowhow konfrontiert
sind. Dadurch gibt es immer weniger Wettbewerbsvorteile für die
Standorte. Kleine und kaum signifikante Unterschiede beginnen zu zählen.
Robert Kurz nennt das die 'irreguläre Produktion auf der Grundlage
willkürlicher Entscheidungen der finanziellen Spekulationsblase.'

China hat demonstriert, wie schnell die Veränderung in dieser Welt vor
sich gehen kann, wenn man nur rücksichtslos genug ist. Es ist bereits
eine Globale Virtuelle Fabrik aufgetaucht, deren Komponenten jederzeit
dorthin wandern können, wo ihnen jemand bessere Konditionen bietet.

Das ist keine Frage der Zentralisation oder Dezentralisation. Es gibt
virtuell keinen einzigen Ort auf der Erde, wo der Kapitalismus die
'wirklichen Kosten der Produktion' bezahlt. Das kann laut Definition
auch gar nicht sein.

Franz"

Darauf bezieht sich auch Michael Bouwens, der dazu - bezugnehmend auf
Mertens Aussagen - meint:

"Was du hier sagst, stimmt in einem gewissen Grade. Der Kapitalismus
bevorzugt die globale Konzentration, allerdings in der Weise, daß er die
Natur und die Kosten 'fairer' sozialer Reproduktion als externe Kosten
betrachtet. Wenn du solche Protokolle anwenden würdest, die die Ökonomie
zwingen, die wahren Kosten zu berücksichtigen, hättest du vermutlich
wesentlich mehr Lokalisierung, als das heute der Fall ist. Und
technische Entwicklungen in der Rechentechnik zeigen, daß
'Distribution', und nicht Konzentration der Ressourcen, mehr und mehr
sinnvoll ist in mehr und mehr Bereichen.

Michel"


Mit alternativen Tauschsystemen vorwärts zur GPL-Sozietät?
==========================================================

Merten zu Magius, dessen Modell "Herren ohne Knechte" ermöglichen soll
mittels freien Kredits für alle (ähnlich der "Volksbank" von Proudhon)
in einer Währung, die kontinuierlich ihren Wert verliert (demurrage) und
daher nicht akkumulierbar, "privatisierbar" ist. "Erleichterter
Austausch an Stelle eines Lagers der Werte könnte Geld als öffentliches
Mittel neu definieren.", so Magius.

SMn:
"Du unterstellst stillschweigend, daß sich diese beiden Funktionen von Geld
voneinander trennen lassen. Ich nehme an, daß diese Funktionen
ineinander verflochten sind, so daß sie sich nicht trennen lassen, ohne
die ganze Sache nutzlos zu machen.

Es ist z.B. in einem auf Austausch [präziser: vollständigem
Äquivalententausch, SMa] basierendem System absolut notwendig, gefrorene
Arbeit /Wert/ zu akkumulieren in Mitteln des Austausches, um in der Lage
zu sein, größere Unternehmen zu starten wie Gebäude oder große
Produktionsfabriken."
Was in mir natürlich unwillkürlich die Frage aufkeimen läßt: wie kommen
wir dann zu unseren automatisierten Produktionsanlagen?

Und schließlich wundert sich Karel Kuhlavy in seiner trockenen
böhmischen Art über den Begriff "GPL-Society". "Wie kann ich
feststellen, ob eine Gesellschaft X den Anforderungen der GPL genügt?"

SMn:
"GPL-Sozietät ist ein Begriff, der in Oekonux geprägt wurde. Es ist der
Name für eine Gesellschaft, die auf den Prinzipien der freien Software
basiert und die GPL ist ein wohlbekanntes Symbol für diese Prinzipien.

Dieser Name wurde von Anbeginn an kritisiert. [...] Dieser Begriff ist
jedenfalls besser, als jede andere Bezeichnung, weil er Fragen wie deine
provoziert und die Leute vom Begriff an sich nicht die geringste Idee
haben, was er bedeuten soll, so daß er auch nicht falsch interpretiert
werden kann.

Nimm ein Gegenbeispiel, den Begriff 'Globale Dörfer', den FranzN geprägt
hat. Meiner Meinung nach ist das ein wirklich schlechter Begriff, weil
ungeachtet dessen, was FranzN damit verbindet, jeder unwillkürlich
sowohl eine Vorstellung davon hat, was ein Dorf ist als auch davon, was
global bedeutet. Ich würde mir zum Beispiel die Zerstörung von Städten
darunter vorstellen - da das nun mal keine Dörfer sind -, was das ganze
moderne Leben kaputtmachen würde."

Worauf Franz reagiert:

"GlobalVillage steht nicht für einen Gesellschaftsentwurf. Ich nutze es
oft auch bewußt im Plural, weil es nur als ein Netzwerk von Dörfern (und
Städten) existieren kann.
Franz."


Im Kontext sowohl der “alternativen Tauschsysteme”, als auch der “neuen
ökonomischen Systeme zu Herstellung freier Produkte” schreibt Michael
Bouwens zu Merten:

“Ich würde auch dein blindes Vertrauen in totale Automatisierung in
Frage stellen. In der Tat ist Arbeit an sich nicht per se entfremdend.
Viele Bauern würden, hätten sie die Wahl, Bauern bleiben, und möchten
mit organischen Dingen arbeiten und in ihren Gemeinschaften und Familien
leben. Würdest Du sagen, daß total automatisierter Landbau dem
vorzuziehen ist?”

Stefan Merten:
“Wo liegt das Problem mit total automatisiertem organischem Landbau? Ist
eine organische Pflanze irgendwie besser, wenn menschliche Augen sie
betrachtet haben, bevor sie in den Kochtopf wandert? Für mich jedenfalls
nicht.

*Das* - der total automatisierte organische Landbau - ist in der Tat
etwas, was wir, denke ich, anstreben sollten, wenn wir über
Landwirtschaft in der GPL-Gesellschaft nachdenken.”

Hierauf antwortet Michael Bouwens:
"Eine Pflanze ist auf einem gewissen Niveau, und das ist kein
Mystizismus, sondern ein erforschtes Phänomen, ein 'fühlender'
Organismus, welcher auf Pflege reagiert. Es sind keine 'Objekte, die in
irgendeinem Prozess automatisiert werden können. Besser gesagt, das
geht, aber das hat seinen Preis. Hast Du je biodynamische Produkte
probiert und mit der faden Kost verglichen, die von automatischen Farmen
stammt? Ich weiß auf alle Fälle, daß in Belgien wohlschmeckende Früchte
praktisch vom Markt verschwunden sind und genieße sehr die
nicht-automatisiertes Früchte, die man hier in Thailand noch auf lokalen
Märkten findet.

Ich finde, diese Sache mit der totalen Automatisierung ist ein Prdukt
der Fortschrittsideologie des 19. Jahrhunderts <g>
Bauern möchten sich um ihre Pflanzen und Tiere kümmern, wenn du ihnen
die Freiheit dazu gibst. "

Und Magius, der Betreiber von www.socialforge.org, meint dazu:
"Meiner Meinung nach haben wir alle Probleme, einander zu verstehen. Oh
Mann, wir haben doch gleiche Ziele und reden über dieselben Begriffe,
aber wir können einander nicht verstehen auf Grund unterschiedlicher
politischer Kulturen (und mein schwaches Englisch trägt eine Menge dazu
bei).

Es dreht sich alles um das Kozept der Arbeit. Automatischer organischer
Landbau wird Arbeit als Strapaze 'abschaffen', niemand wird mehr
'gezwungen' sein, zu arbeiten, um zu überleben (denselben Zweck, die
Abschaffung dieser Art von Arbeit, haben die Vorschläge zum
Basiseinkommen). Eine andere Form der Arbeit ist die nach Bouwens. Das
ist die freiwillige menschliche Aktivität, die Genugtuung, etwas zu tun...

Ich sehe ein mögliches Szenario... Massenproduktion von Nahrungsmitteln
mittels automatischer Farmen und 'für den Genuß' Erzeugung von
Lebensmitten mit manueller Arbeit heheheh"

-------

Es gab in dieser Woche ferner ziemlich umfassende Beiträge zur
p2p-Problematik, ein gewichtiges Thema “Personal/impersonal,
concrete/abstract” mit umfangreichen Beiträgen von Merten, Meretz und
Bouwens, einige Bemerkungen zur Thematik “Marken, Knappheit und anderer
Spuk”, zu Open-Access und einiges zur OHA-Frage, womit ich die heutige
Zusammenfassung abschließen möchte:


Experten und Entscheidungen
===========================

Auch zu dieser Frage gibt es eine Kontroverse zwischen FranzN und StefanMn:

SMn: "Hinsichtlich Gleichheit bei kollektiven Entscheidungen bin ich ein
wenig skeptisch. *Richtige* Gleichheit würde voraussetzen, daß jeder im
jeweiligen Thema Experte ist. Das ist natürlich unmöglich und auch
nichts, was ich mir wünschen würde. Da bleibt uns eigentlich nur eine
Art partieller Gleichheit."

FN: "Die amerikanischen Indianer haben dieses Problem gelöst durch das
Angebot verschiedener Perspektiven und dabei entdeckt, daß die
Perpektive jedes Einzelnen wichtig sein kann. Natürlich haben die auch
mit 'Chefs' gearbeitet, die die acht prinzipiellen Perspektiven für
jedes Problem im Medizinschild [?] festhalten.
[siehe auch http://www.fastcompany.com/online/01/rainbow.html]

Das Problem ist, daß ein Einzelner gar nicht die Auswirkungen einer
Entscheidung in einem sozialen System ermessen kann, so ist jedenfalls
meine Erfahrung. Jede Perspektive die du einnimmst, erzeugt irgendwo
Blindheit. Das sollten wir für die kommende große OHA (Organisation,
Herrschaft, Anarchie)-Debatte vor Augen haben...

Franz"


Die vollständigen Rohübersetzungen, u.a. mit einer ausführlichen
Wiedergabe der Debatten zu p2p und Automatisierung, kommen dann aufs
partielle Wiki oder so.


Viele Grüße

  Stefan






________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: http://www.oekonux.de/projekt/
Kontakt: projekt oekonux.de



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