Message 10010 [Homepage] [Navigation]
Thread: oxdeT09973 Message: 9/24 L1 [In index]
[First in Thread] [Last in Thread] [Date Next] [Date Prev]
[Next in Thread] [Prev in Thread] [Next Thread] [Prev Thread]

Re: Antw: Re: [ox] Potsdamer Denkschrift 2005



Wolfgang Gaiswinkler schrieb:
Zu meinen die Chefs sind alle Predators und wenn die nicht da wären wäre
alles besser ist zwar verständlich aber naiv.

Du missverstehst meine Dichotomie -- Chefs sind nicht zwangsläufig Predators.
Chefs und Organisatoren können, ja _sollen_ Produzenten statt Predators sein.
Ihr "Produkt" ist dann die Dienstleistung des Organisierens -- aber immer
produktionsorientiert, nicht als Selbstzweck zur Ausbeutungs-Maximierung.
Das Resultat sind zweckmässige Entscheidungen und sinnvolle Ressourcen-
Verteilung.

Beispiel Krankenkassen:

(a) Predator-System:
Es gibt 30 Krankenkassen mit unterschiedlichsten Preisen für dieselbe
Dienstleistung (Grundversicherung).  Die einzelnen Kassen werfen viel
Geld hinaus für Werbung, da sie ja gegeneinander "konkurrieren".
Jede Kasse beschäftigt einen grossen "Wasserkopf"-Verwaltungsapparat
mit überbezahlten CEOs und Managern (viele Juristen und MBAs ohne Bezug
zum Produkt=Medizin/Versicherungsmathematik), einige Kassen machen
Rekordgewinne, die die Shareholders einstreichen.  Die Kunden müssen
jedes Jahr lange "herumplanen", ob und wohin sie wechseln können zu einer
etwas weniger teuren Krankenkasse -- allein die vielen Hin- und Her-
Hopsereien verursachen Leerlauf-Verwaltungskosten in Millionenhöhe.
Die Gewinner sind Predators (Werber, Juristen/MBAs, Shareholders)
auf Kosten der Allgemeinheit, also letztlich der Produzenten.

(b) Produzenten-System:
Es gibt 1 staatliche Krankenkasse mit sinnvollen Einheitspreisen.  Der
ganze Leerlauf-Aufwand für Werbung, 30-fach parallele "Wasserkopf"-
Verwaltungsapparate, Shareholders und Hin- und Her-Hopsereien entfällt.
Die Leitung der Krankenkasse besteht aus Ärzten und Mathematikern,
was auch zu sinnvolleren Leistungs-, Prämien- und Anreizmodellen führt.
Die Prämien sind viel tiefer als im System (a) und die Kunden
sparen sich den jährlichen Evaluations-/Wechsel-Aufwand.

Also wo werden jetzt da die Organisatoren abgeschafft?  Nur die Ausbeutung.
Resultat: Die Organisation wird viel besser und günstiger.


Das ist die interessante Frage: Wie organisieren sich Menschen wenn es über
face to face groups hinausgeht.  Metakommunikation über soziale Systeme war
historisch tabu und ist es weiten Bereichen auch heute noch. Mit deiner
Denunzierung der Organisaitonsleute als Predators strickst Du an dieser
Tabuisierung mit.

In der heutigen Kommunikations- und Mediendichte ist das "face to face"-
Prinzip auch in grossen, verteilten Gemeinschaften möglich.  Das war zu
Marx' Zeiten gar nicht so, und Marx fehlte die technische Kompetenz, eine
solche Entwicklung vorauszuahnen.  Schon deshalb sind die Marx'schen Rezepte
überholt und unbrauchbar.

Die Computertechnik des 21. Jahrhunderts ermöglicht erstmals in der
Geschichte eine überlokale Selbstorganisation der Produzenten, und damit
letztlich ihre Machtübernahme!  Da bringt es wenig, ewig über Steinzeit und
19.Jahrhundert zu debattieren.


Was zählt ist die "Lebensweise".  Also abgesehen
vom dort eh nicht möglichen grösseren Akkumulieren, welche Predator-
"Phänomene" sollen bei Jäger&Sammler-Gesellschaften gar nicht existiert
haben?

Die Logik des Akkumulierens hat nicht existiert. Ob die Logik des Raubens,
Sammelns und Wildbeutens von einer Logik des Akkumulierens bestimmt ist oder
nicht macht den Unterschied.

Umgekehrt wird ein Schuh draus:  Ob das Akkumulieren von einer Logik des
Raubens bestimmt ist oder nicht, macht den Unterschied.  Ein Bauer
"akkumuliert" im Herbst sein Gemüse auch, aber was ist daran schlecht?
Es ist sein Produkt.


Wenn die ProduzentInnen etwas erreichen wollen, müssen sie ihre sphäre der
Technik, der Mathematik und der Naturwissenschaft verlassen und sich mal
anschauen wie das die Leute die Du Predators nennst so gemacht haben in
Geschichte und Gegenwart. Die Frage von Organisation und Arbeitsteilung muß
Thema werden. Wie kann Organisation und Arbeitsteilung gemacht werden ohne
die vielen negativen entsetzlichen Auswirkungen unter denen wir heute leiden.

Richtig!  Indem Predator- durch Produzenten-Werte ersetzt werden.


Organisation und Arbeitsteilung ist ein eigenes "Handwerk". das sind eigene
Professionen die man nicht einfach voluntaristisch einer Produktionslogik
unterordnen kann.

Ich behaupte: Diese Professionen lassen sich sowohl mit Predator- als auch
mit Produzenten-Logik betreiben.  Siehe Krankenkassen-Beispiel oben.


Mit der Denunzierung der Leute die sich mit diesen Dingen beschäftigen als
Predator arbeitest Du mit an der Bewahrung dieser Kompetenzen mitz
Organisation umzugehen als Geheimwissen.

Diese Berufe sind heute stark in der Hand von Predators.  Indem ich die
Dichotomie aufzeige, weise ich den Weg zu einem Wechsel hin zu Produzenten.
Wer die Dichotomie bestreitet, verhindert diesen Wechsel.


Dieser Ansatz wird uns nicht helfen, den "Laden" zu verstehen, den Laden
zu übernehmen, den Laden umzubauen oder einen neuen Laden zu bauen.

Doch, genau dieser Ansatz ermöglicht das.  Mit "Räubern" lässt sich kein
"Laden" betreiben -- egal wieviel Kosmetik und Schönrederei eingesetzt wird.
Das ist nicht nachhaltig -- irgendwann ist ausgeplündert, und dann?


Was ist an Predators, an Ausbeutung gut?

Die "Ausbeutung" der JägerInnen und SammlerInnen mit der Ausbeutung in
modernen arbeitsteiligen Gesellschaften gleichzusetzen ist eben zu
simplifiziert. Natürlich gibt es da eine Verbindung. Die Kompetenzen
eines Raubritters knüpfen an jägerischen Kompetenzen an.

Du hast die Frage nicht beantwortet.  Aber nach dem oben gesagten nehme ich
an, Du meinst das Positive an Predators sei das "Organisieren" der Produzenten.
Das ist eben genau falsch -- die Produzenten könnten sich viel sinnvoller
_selbst_ organisieren.  Predators sind nicht nur überflüssig, sondern
verhindern aktiv eine sinnvolle Organisation und Ressourcen-Einteilung.
Weil es den Predators nicht um die Sache geht, sondern um ihre Prestige- und
Gier-Maximierung.


Dir sind die Predators in der historischen Erscheinungsform Jäger und
Sammler nicht sympathisch? Das wundert mich sehr. Hast Du bei den
Westernfilmen wirklich immer auf der Seite der Viehzüchter und ihrer
Büttel der Cowboys gestanden oder hast Du dich nicht doch mit Indianern
identifiziert?

Wer sein Geschichtsbild aus Westernfilmen bezieht, mit dem ist wirklich
schwer zu diskutieren...  Indianer betrieben durchaus Ackerbau -- oder
woher glaubst Du haben wir die Kartoffeln, den Mais und die Tomaten?

Die Kolonialisierung Amerikas ist ein beeindruckendes Anschauungsbeispiel,
wie schlimm sich Predator-Herrschaft (gegenüber Produzenten-Herrschaft)
auswirkt:  Wären damals Produzenten an der Macht gewesen, dann hätte
man die ausgeklügelten, nachhaltigen Anbaumethoden der Indianer übernommen
und konstruktiv kombiniert mit europäischen Entwicklungen.  Stattdessen
wurde brutal verdrängt und ersetzt, was zu den heutigen Umweltzerstörungen,
Bodenerosion, Nährstoffmängeln und letztlich auch Fehlernährung geführt hat.
Auch der Genozid an den Indianern ist der rücksichtslosen Predator-"Logik"
der Imperialisten anzulasten.  So sind die Predators: Krieg und Zerstörung
statt Frieden und konstruktive Kooperation.  Was daran sympathisch sein
soll (ausser für Predators selbst), ist mir ein Rätsel.


Bei der "Bewertung" von Jäger und Sammlergesellschaften reicht das Spektrum
von Karl May Romantik bis zu mehr oder weniger soliden Daten. So gibt es
Studien dass in Gegenden mit halbwegs brauchbaren Klima sich die Leute nur
sehr wenige Stunden des Tages damit beschäftigen mußten zu "arbeiten" der
Rest war Ruhe, Kultur, Spiel, Sozialleben. Ein schöner Gegensatz zur
Schufterei eines Ackerbauern.

Gegen die Schufterei haben wir ja heute Maschinen -- entwickelt von
Produzenten.  "Ruhe, Kultur, Spiel, Sozialleben"?  Siehe oben...


Ob man diesen Befunden trauen kann ist die Frage. Evident scheint mir zu
sein: unser Blick ist da wohl sehr von unserern Projektionen getrübt.

Trifft zumindest auf Dich zu, ja.  ;-)
Ich werde mich hüten, meine Produzenten-Werte auf Predators zu projizieren...

Gruss,
Christoph


P.S.: Quoting-Probleme hin oder her, es wäre sinnvoll, Deine Postings mit
      Deinem Namen zu signieren und nicht mit meinem...



________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: http://www.oekonux.de/projekt/
Kontakt: projekt oekonux.de



[English translation]
Thread: oxdeT09973 Message: 9/24 L1 [In index]
Message 10010 [Homepage] [Navigation]