Re: [ox] Noch mal zur Freien Gesellschaft
- From: Lars Strojny <lars strojny.net>
- Date: Sun, 19 Mar 2006 15:25:21 +0100
Am Samstag, den 18.03.2006, 13:59 [PHONE NUMBER REMOVED] schrieb Christoph Reuss:
Hallo Hans-Gert, Lars & Liste:
Und weiter bin ich der Meinung, dass die P/P-Trennung keine
ˆ§uˆüerliche ist, sondern jeder sich manchmal wie P/ und manchmal
wie /P verhˆ§lt. Und zwar (auch) weitgehend unbewusst.
Hans-Gert, hier muss ich dir widersprechen. Die Absurditˆ§t liegt nicht
in der Trennung, sondern der Idee, Wertvergesellschaftung individuell
auflˆsen zu wollen. Von einem ominˆsen Verhalten auf die
gesellschaftliche Struktur zu schlieˆüen und nicht anders herum, ist a)
hˆchst unmaterialistisch und b) der freudige Vorbote jeder reaktionˆ§ren
Kapitalismuskritik.
Das verstehe ich nicht. Ich meinte, dass - um mal bei Christophs
Terminologie zu bleiben - JEDER sowohl Predator als auch Producer ist,
der Riss durch die Gesellschaft also auch durch jeden Einzelnen geht und
deshalb Christophs Einteilung in GUT-Menschen (incl. er) und
SCHLECHT-Menschen (incl. ich) den Kern des Problems verpasst.
Vielleicht habe ich bisher zuwenig hervorgehoben, dass Prod und Pred primär
_Wertesysteme_ sind, die von Personen mehr oder weniger angenommen werden.
Personen, die Predator-Werte (wie z.B. Gier) stark annehmen, werden dann
umgangssprachlich Predators genannt. Also sind eigentlich nicht die
Personen ansich "gut oder böse", sondern die Wertesysteme Prod bzw. Pred.
Personen können ihre angenommenen Wertesysteme ändern, also "gut" _werden_.
Schonmal überlegt, woher eigentlich die ganze Zeit in deinem Kopf der
Kram von »gut« und »böse« rumtillt. Hast du viel Papst-TV geschaut oder
bist in den Obelix'schen Moraltopf gefallen?
Man kann natürlich darüber streiten, ob und inwieweit Werte/Eigenschaften
wie Gier "erblich" oder "angeboren" sind, aber selbst wenn sie es sind,
können die Betroffenen versuchen, diese Eigenschaften zu "zügeln", und
die Gesellschaft kann solche Eigenschaften belohnen oder eben nicht.
Nett, dass man immerhin(!) darüber streiten kann. Worüber man bei dir
immer nicht streiten kann, weil das Strohmänner o.ä. sind, ist, ob deine
Selektion überhaupt Sinn macht. Im Gestus des Deutschen an der Rampe
hebst oder senkst du den Finger, weil du davon überzeugt bist, dass der
Virus der Predatoren diese bekämpfenswert macht.
Wobei ich auch Lars' Wiederholung widersprechen muss, die Gesellschaft
"zwinge" die Predators quasi zu ihrem Verhalten. Es gibt grosse
Ermessensspielräume --umso grösser, je mächtiger diejenigen sind!--,
und wer es mit der Gier etc. übertreibt, wird sogar in einer Predator-
dominierten Gesellschaft bestraft (z.B. die Medizin-Profs, die sich
an die Tabakindustrie verkauften, oder auch gewöhnliche kleinere und
grössere Kriminelle).
Besonders die Mächtigen hätten es sehr wohl in ihrer Macht(sic!),
die gesellschaftlichen Werte in Richtung Prod zu verschieben (statt
weiter in Richtung Pred wie sie es nun tun), aber sie tun das eben
nicht, und das ist ihre Schuld, die sie nicht auf die Gesellschaft
abwälzen können!
Auch hier wieder der Klassiker. Es gibt irgendwie »die Mächtigen« und
dem entgegengestellt und externalisiert: die Gesellschaft. Sicher wirst
du Natur auch als externalisiert begreifen aber jenseits dessen,
vercheckst du einfach, dass diese Gesellschaft von der in ihr Mächtigen
nicht zu unterscheiden ist.
Natürlich wollen die Preds sich hinter der Masse verstecken, und die
"unsichtbare Hand des Marktes", die Alle zu Pred-Verhalten "zwinge",
ist ein typisches neoliberales Pred-PR-Werkzeug. Umsomehr erstaunt
mich, dass in diesem eigentlich emanzipatorischen Forum so stark dieser
neoliberalen Ideologie das Wort geredet wird -- ziemlich reaktionär, das...
Mach's doch einfach so. Wenn du die Veranstaltung hier für reaktionär
hältst, dann melde dich ab. Mit deinem schlichten Geschwätz gewinnst du
hier keinen Blumentopf.
[...]
Strukturelle Gewalt läuft nicht ins Leere.
Wow, mich freut, du hast mal etwas von struktureller Gewalt gehört.
Nicht schlecht. Wobei das doch ganz klar dem widerspricht, was du dir
sonst zusammen phantasierst. Denn: strukturelle Gewalt ist, wie der
Begriff schon sagt, jene Gewalt, die sich strukturell artikuliert. Also
nix mit personalisierter Herrschaft und so, mein Lieber.
Falls jemand mal versucht, neu "rechtsfreie Räume" zu schaffen, dann
beeilen sich die Preds, diese Räume wieder zu schliessen.
Aus Boshaftigkeit selbstverständlich. Wobei natürlich die Frage ist,
warum die Preds die überhaupt zulassen, wenn sie so schlau, böse und
gemein sind, dass sie die immer wieder schließen können.
So wie mit
DRM etc. Allerdings ist das nur nötig, wo die "rechtsfreien Räume" dem
Pred-Machtmonopol gefährlich werden. Wo dies (noch) nicht der Fall ist,
drücken die Preds gerne mal ein Auge zu, sowas macht sich ja ganz gut als
Potemkin'scher Freiraum, damit die Leute _glauben_ sie seien frei...
(das Spehr'sche Ghetto und die Lessig'sche "Freie Lizenz" lassen grüssen)
Aber spätestens wenn's um die Wurst geht, werden die Ghettos zerstört.
Darum ist das eine Sackgasse. Die Predator-Macht muss gebrochen werden,
um das zu verhindern.
Ich sehe schon, wie der Schaum trieft. Leider, leider Christoph,
scheinst du den Unterschied zwischen Revolution und Progrom nicht zu
verstehen. Denn auf zweiteres laufen deine feuchten Träume hinaus.
[...]
Allende kam ja nicht per Revolution dran, sondern wurde durch eine beseitigt.
Also unpassendes Beispiel, das eher meine Thesen stützt.
Sweet. Trotzdem lässt sich doch von einer Revolution reden, da das
entscheidende Kriterium (»Umsturz«) eindeutig zutrifft.
Es geht mir darum aufzuzeigen, dass es ˆºberhaupt nicht um gut vs. bˆse
geht, sondern darum, welche Verkehrsordnung gilt. Moral (als gut vs.
bˆse) ist nur Produkt dieser Struktur. Mein Lieblingsbeispiel dazu ist,
dass beispielsweise jener Unternehmer als moralisch gut bewertet wird,
der eine mˆglichst groˆüe Summe seines Gewinns wieder in den Markt
zurˆºckfˆºhrt, also neu investiert und jener als bˆse, der seinen Gewinn
mit Yacht, hˆºbschen Frauen und Lotterleben ˆºber die Runden bringt.
Wieso -- mit "Yacht, hübschen Frauen und Lotterleben" fliesst das Geld doch
_auch_ wieder in den Markt zurück...
Aber es findet Wertvernichtung statt, was gesellschaftlich sanktioniert
ist (»Heuschrecke« oder in Cs Abwandlung: Predator).
[...]
Mit dem letzten Satz hat Lars die "unsichtbare Hand" selber ad absurdum
geführt -- Antisemiten ist demnach nicht böse, sondern blosse Opfer der
Umstände welche sie zum Antisemitismus "zwingen".
Nein, Antisemitismus ist eine Krisenideologie, die immer dann akut wird
(sieht man ja bei dir), wenn die Vergesellschaftung unverstanden bleibt.
Und: es geht überhaupt nicht Schuld, das ist ein christlicher Terminus.
Es geht maximal um Verantwortung.
Einen grosszügigeren
Freibrief könnte man denen wohl nicht ausstellen! 8-(
Und à propos Antisemitismus: Die "Logik" von StefanS und AndreasFH, das
Postulat "Raffer sind böse" sei antisemitisch, ist _selbst_ antisemitisch!
Denn ihre Schlussfolgerung impliziert, alle Juden seien Raffer!
Und im Kindergarten wurde dir immer das Schäufelchen weggenommen. Du
hast recht, sie wäre dann antisemitisch, wenn es keine historische Hetze
gegen Juden als Raffer gegeben hätte. Das ist ja auch mal noch so ne
spannende Frage: wurden 1933 alle Deutschen auf einmal Preds und warum
wurden aus ihnen Preds? Oder sind in der PP-Ideologie (aka »falsches
Bewusstsein«) die Deutschen Opfer?
Gruß, Lars
P.S.: Grundsätzlich stimme ich zu, dass ich vom Maintainer erwarten
würde, hier mal dazwischen zu funken. Solange das nicht geschieht, kann
ich diesen Unsinn aber auch nicht unwidersprochen lassen.
--
"Kriterium des Wahren ist nicht seine unmittelbare
Kommunizierbarkeit an jedermann"
-- Theodor Wiesengrund Adorno, aus: »Negative Dialektik«
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