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Re: [ox] Noch mal zur Freien Gesellschaft



Benjamin Teuber schrieb:

Ich hab inzwischen mal "Free Culture" gelesen, darum greife ich
Christophs Seitenhiebe gleich auf in der Hoffnung, dass etwas
Konstruktives daraus entsteht...

"Das Recht muss der Technik die Schranken setzen, nicht umgekehrt!"
Das ist auch das Motto von Lessig, wenn man mal die Orwell-Pudding-
Fassade wegkratzt...
  

Also mit "Orwell-Pudding" kann ich erstmal so gar nix anfangen...
Der obigen Aussage würde ich aber eindeutig widersprechen. Lessig ist
zwar kein Anarchist und glaubt deshalb an ein notwendiges
Rechtssystem. Trotzdem ist seine Hauptforderung, dass das Recht sich
immer sinnvoll an die technische Entwicklung anzupassen hat, was
meistens einen Rückzug bedeutet.

Ein schönes Beispiel ist z.B., dass das amerikanische Grundstücksrecht
den Besitzern vor der Erfindung des Flugzeugs zusätzlich zum Land den
Besitz des gesamten Luftraums darüber bis zu den Sternen (an
Erdrotation dachte wohl keiner..) zusicherte. Als dann die ersten
Prozesse begannen, kippte ein Verfassungsrichter das Gesetz, weil es
seit dieser technischen Neuerung "dem gesunden Menschenverstand
widerspreche" - Punkt. So hätten Teile der
"Geistiges-Eigentum"-Geschichte seit der digitalen Kopie auch
behandelt werden sollen...


Eine Sache fand ich sehr diskussionswürdig, und zwar geht es um die GPL:

Ich habe diese bisher immer als Hack betrachtet mit dem Ziel, das
"geistige Eigentum" gegen sich selbst zu richten.
Nun schreibt Lessig aber, dass die GPL ein Produktionsprinzip schützt
und dabei sogar auf das Urheberrecht angewiesen ist.

Gäbe es in einem kapitalistischen System gar kein Urheberrecht, würden
Unternehmen die quelloffenen Projekte einfach assimilieren und
weiterentwickeln, ihre eigenen Sachen aber geheimhalten - hört sich
für mich auch nicht so klasse an...

Daraus ergeben sich für mich drei Fragen, die ich gleich für mich
mitbeantworten möchte. Vielleicht hat ja noch jemand andere Antworten
(bessere Fragen die dazu passen)...


1. Müssen wir doch den Kapitalismus abschaffen?


Hm, müssen? Es gibt viele Formen und Varianten. Gut am Kapitalismus ist
der Markt (Proudhon gegen Marx), so er denn gelingt, meist nicht, weil
alles Kapitel zu Oligopolen/ Monopolen strebt und damit den Markt
abschafft, also das Positive aufhebt (derzeitig durch das Energiekartell
eindrucksvoll realisiert).

Ja und nein, z.B. würde ich niemals Menschen das freie Tauschen
verbieten wollen - allein dadurch bliebe es immer irgendwo
kapitalistisch. Aber vielleicht kann man es trotzdem schaffen, dass
der Tausch (insb. gegen diese komischen Scheinchen) weniger das
alleinherrschende Paradigma ist.


2. Brauchen wir dann immer ein Mindestmaß an "geistigem Eigentum"?


An Verantwortlichkeit und Nutzungsrechten ja. Klauen und Schmarotzen ist
ein schlechtes (generelles) Moral-, Wirtschafts- und
Gesellschaftsprinzip. Es hat keine realiter Chance.

Ich würde sagen nein.


3. Wie kriegen wir Menschen dann dazu, ihr Wissen nicht geheimzuhalten
um damit Profit zu machen? Oder bei nicht kompilierten Dingen: Wie
kriegen wir Leute dazu, sich mit Kultur/Forschung/etc. zu beschäftigen
wenn sie damit "nix verdienen können"?


Gar nicht, weil so blöde kaum einer  auf Dauer ist, daß er seine
Leistung einfach so verschenkt und damit seine Existenzsicherung in
Frage oder zur Disposition stellt.

Einige tun das ja jetzt schon aus Selbstentfaltungstrieb - aber dann
halt immer nur in der Freizeit, neben herkömmlichen Arbeitsformen
(oder sie sind arbeitslos, aber das ist ein anderes Thema [?]).
Ich würde in Richtung Kulturflatrate gehen in der Hoffnung, die beiden
Prinzipien

     "Jeder soll für gute veröffentlichte Ideen (Musik usw.) belohnt
werden; je besser desto mehr soll er dafür kriegen"

und

    "Alles veröffentlichte Wissen soll für alle frei zugänglich und
erweiterbar sein"

unter einen Hut zu bringen. Das stell ich mir so vor:
Es gibt eine allgemeine Steuer für Kultur/Forschung usw. - ob die in
die Mehrwertsteuer oder sonstwohin einfließt sollen andere entscheiden.
Es gibt eine Art "Patentamt", wo jeder seine Veröffentlichungen
kostenlos anmelden kann. Abgeleitete Werke werden mit Link zum
Original registriert.
Nun kommt der schwierige (ungelöste) Teil: Über die Menge der
abgeleiteten Werke, Votings, Downloadraten und Gewichtungen nach
Sparte (vllt entscheidet man dass Energieforschung Vorrang vor XY hat)
wird jeder Veröffentlichung ein Punktwert zugerechnet. Aus diesem und
der Gesamtmenge der Einnahmen wird dann eine Vergütung berechnet (das
ganze kann nichtlinear sein).

Das zentrale Problem sind natürlich die Punktzuteilungsparameter und
die Frage, wer diese entscheidet. Dafür müsste man ein selbstregelndes
System mit den gewünschten Eigentschaften entwickeln - mit einer
Dynamik die irgendwo zwischen denen von Demokratie und Kapitalismus
liegt...

Soviel erstmal von mir,

Benjamin


P.S.

Mein Pointer auf die Lessig-Kritik ganz am Anfang der Debatten blieb
bis heute
undiskutiert, stattdessen hatte die Liste viel Zeit für Strohmann- und
Schimpftiraden gegen P/P...
  

Nein, die Liste hatte einfach versucht dir klarzumachen, dass P/P nix
neues ist, sondern lediglich eine schwarz/weiß Überspitzung von dem
was eh alle wissen...

Rudolf Sponsel, Erlangen


________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: http://www.oekonux.de/projekt/
Kontakt: projekt oekonux.de



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