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[ox] Last exit hallucination



Last exit hallucination
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Welterklärung statt Kritik

Bei der Theorie der Predatoren vs. Produzenten handelt es sich um ein
Welterklärungsmodell unter vielen. Seine Konkurrenten sind auch nicht
schlecht positioniert am Markt des Unsinns: Christentum, Islam,
esoterischer Unsinn aller Coleur, der Leninismus und die schrullige
Liebe zu den Illuminaten sind seine Geschwister in Geist und Struktur.
In der Struktur haben all jene Modelle gemeinsam, dass sie davon
ausgehen, den Opfern respektive »Rezipienten« ihrer Bemühungen die Welt
erklären zu wollen. Die Richtung ist geklärt: der Aufklärer erklärt's
dem Dummen.


Antisemitische Struktur

Als klassisches Ersatzphänomen für Kritik entwickelte sich mit dem
Aufstieg der warenproduzierenden Gesellschaft ein virulenter
Antisemitismus, der sich immer wieder an realen oder halluzinierten
Juden gewalttätig verging. Er ist als Reflex auf die Moderne zu sehen,
denn er lässt gesellschaftliche Struktur in falscher Konkretisierung zu
sich kommen. So unverständlicher gesellschaftliche Prozesse werden und
umso abstrakter die prägenden Beziehungen zwischen Menschen sich
gestalten, umso mehr drängt es das Subjekt nach Simplizität und
Ursprünglichkeit. Die Höhle sei schöner als der Wohnblock, der König
schöner als das Wertverhältnis. Diesem Bedürfnis nach Simplizität
entspricht die P/P-Theorie vollkommen: sie reduziert ein
gesellschaftliches Verhältnis - nämlich das des Werts - auf individuelle
Charakterschwächen. Sie nimmt an, die Beseitigung einzelner Personen,
beseitige jene Missstände, die in der Theorie den Personen angelastet
werden.


»Wer Predator ist, bestimme ich«

Dabei fällt die Theorie selbst gegen ihre Konkurrenz auf dem Markt des
Wahns zurück: sie vermittelt noch nicht einmal Kriterien dafür, wer zur
einen, wer zu anderen Gruppe zu zählen sei. Rechtssicherheit ist ihr
also vollkommen gleich. Vielmehr ist die Denunziation die Praxis zur
Bestimmung des Objekts. An dem Schnittpunkt von Denunziation und Glauben
findet sich das Gefährliche dieses Irrsinns: wer Predator ist, bestimmt
der Prophet, wer Producer bleiben möchte, hat sich gefälligst der
Definition zu fügen. Als Ketzer gilt, wer widerspricht oder die
Dichotomie für grundfalsch hält. Jener Ketzer muss, so vermittelt sich
das Weltbild seinen Protagonisten, automatisch ein Predator sein. Eine
andere Erklärung für den Widerspruch ist nicht zu geben. Die
Geschlossenheit dieses Systems ist zugleich seine Gefahr: Es geht nicht
um Standpunkte, die zu verhandeln seien, sondern ausschließlich um
Glauben.


Personalisierung

Die Liebe zum Konkreten und das Unverständnis gegenüber dem Abstrakten
findet sein Opfer im Tauschmittelbesitzer, den sie mal mehr, mal weniger
genau zu enttarnen glaubt. Der Millionenbauer oder auch der
Rechtsanwalt: alles finstere Gestalten mit unlauteren Absichten und
ausgeprägten, charakterlichen Dispositionen. Aber auch ein Hobby kann
schon ausreichend sein, um dem Predator zu werden. Warum sich jene
»charakterliche Missbildung«, um im Vernichtungssprech des PP-Gesülzes
zu bleiben, zeitigen, muss unerklärt bleiben.


»It's just a struct, ignore the values«

Wie im Absatz zu Antisemitismus und Welterklärung ausgeführt, erfüllt
die Ideologie die Liebe zum Konkreten. Dem Millionenbauer kann
körperlich zugesetzt werden, wenn die Dinge schlecht laufen, der
Rechtsanwalt taugt im Stile des ehrwürdigen »Winkeladvokaten« gar
wunderbar als Feindbild. 
Die zentrale Erkenntnis, dass eine Gesellschaft anhand ihrer Struktur zu
kritisieren sei, vergisst das P/P-Theorem, weil sie - wiederum aufgrund
ihrer Struktur - nichts über sie wissen kann.


Kritik vs. Erklärung

Welt erklären zu wollen, heißt die Richtung der Kommunikation Voraus zu
setzen. Wer den Stein der Weisen hat, braucht ihn nur zu teilen, wer ihn
als klassizistische Idee verwirft, macht sich hingegen nicht auf die
Suche nach einem solch abgedrehten Konzept. Hier zeigt sich die
fundamentale Unterscheidung zwischen Kritik und Belehrung: muss Kritik,
wenn sie auf der Erkenntnis individueller Erfahrung beharrt, freilich
ohne sich positivistisch zu wenden, auch immer Selbstkritik sein, so ist
Belehrung »one-way«: sie kennt nur die Antwort. Meist ohne zu wissen,
was denn eine Frage ist.
Und: das Verquere Theorem ist nicht zu retten. Von ihm ist nichts
abzuspalten, schon gar keine Wahrheit.

Gruß, Lars
-- 
      "Kriterium des Wahren ist nicht seine unmittelbare
          Kommunizierbarkeit an jedermann"
         -- Theodor Wiesengrund Adorno, aus: »Negative Dialektik«

name: Lars H. Strojny      web: http://strojny.net 
street: Engelsstraße 23    blog: http://usrportage.de
city: D-51103 Köln         mail/jabber: lars strojny.net
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