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[ox] Re: [ox] Reset ox - Fragen, die gestellt werden müssen



Hi Christian,

sorry für den vielleicht etwas emotionalen Ton der folgenden Zeilen,
aber mir schwillt der Kamm wie vielleicht deiner bei einer Mail von crox.

Christian wrote:
1. Welches Ziel wünsche ich mir für Oekonux?

Das Ziel, das mir bei Aktivitäten in diese Richtung vorschwebt, ist in
http://www.freie-gesellschaft.de/wiki/Infotext ganz gut beschrieben:

"Freie-Software-Projekte wie GNU, Linux und Firefox machen es seit
Jahrzehnten vor: Menschen arbeiten aus eigenem Antrieb, ohne durch Chefs
oder die Notwendigkeit zum Geldverdienen dazu gezwungen zu sein, an einem
gemeinsamen Projekt, und stellen die Ergebnisse ihrer Arbeit allen frei
zur Verfügung, ohne eine Gegenleistung zu verlangen. [...]

Wie könnte eine Gesellschaft aussehen, die ähnliche Prinzipien auch in
Bezug auf die physische Welt anwendet, und wie kommen wir einer solchen
'Freien' Gesellschaft näher? 'Frei' soll sich hierbei nicht nur auf
Produkte beziehen (im Sinne der bei Freier Software gewährten Freiheiten),
sondern auch auf freie und selbstbestimmte Zusammenarbeit."

Ist das ein Wunschtraum oder Ergebnis einer Analyse der Realität? Wenn
letzteres, dann: wieso hat die Analyse der Realität in Texten wie der
FhG-Studie "Open Source Software: Einsatzpotenziale und
Wirtschaftlichkeit" einen so vollkommen anderen Fokus? Hat es etwas zu
bedeuten, dass Freie Software in DIESER Gesellschaft angekommen ist?

2. Welche Erwartungen habe ich an das Projekt Oekonux?

Dass es zur die Klärung dieser und verwandter Fragen beiträgt, und
idealerweise die Gesellschaft in diese Richtung voranbringt.

Ist das ein neuer Versuch, eine neue Gesellschaft als "Akt gemeinsamer
Kraftanstrengung" zu denken? Hatten wir ja schließlich im 20. Jh. schon
einmal. Wie beziehst du dich auf die dort gemachten Erfahrungen?

3. Was sehe ich für Defizite bei Oekonux?

Ich sehe mehrere, teilweise zusammenhängende Probleme:

Defizit 1 und das wohl schwerste Problem bei Oekonux scheint mir zu sein,
dass es sich zu sehr auf Freie Software und Freie Inhalte konzentriert
(die frei kopierbar sind) und deshalb nicht in der Lage ist, den Sprung zu
materiellen (= nicht-kopierbaren) Dingen zu machen (Bennis berühmte
Brötchenfrage). 

Was bedeutet das? Schließlich reden wir über die Brötchenfrage seit
Anfang an. Meinst du, dass wir nur noch intensiver denken müssen? Könnte
es nicht auch sein, dass sich die Ansätze in diesen Bereich schlicht
NICHT übertragen lassen? Dass diese Mechanismen eben nur für
"immaterielle Güter" (Quotes, weil ich anderenorts heftig gegen diesen
Begriff polemisiere) greifen?

Der Name "GPL-Gesellschaft" bringt das Problem
unfreiwillig ganz gut auf den Punkt, denn die GPL garantiert primär 2
Dinge: (a) dass das Werk nach Belieben kopiert werden kann und (b) dass es
nach Belieben verändert werden kann (und das Copyleft-Prinzip stellt dann
sicher, dass diese Rechte auch allen Nutzer/innen kopierter und geänderter
Versionen erhalten bleiben). Nun sind materielle Dinge aber weder frei
kopierbar noch beliebig veränderbar, deshalb ist die im Namen
"GPL-Gesellschaft" implizierte Hoffnung, gerade diese 2 Garantien für
sämtliche Güter einer Gesellschaft gewähren zu können, eine Illusion.

Genau. Seid ihr mit www.freie-gesellschaft.de weitergekommen? War ja
gerade in DER Frage ein Fork, oder?

Diese Defizite führen zusammen dazu, dass Oekonux mittlerweile nicht mehr
sonderlich viel zu tun hat: zu immateriellen Projekten ist das meiste
Interessante schon gesagt werden, 

In keinster Weise, im Gegenteil. Die Brücke, dass es sich bei FS um eine
spezielle Form WISSENSCHAFTLICHER Arbeit und damit zentral um
Wissenssozialisationsprozesse handelt, wurde nicht nur ignoriert,
sondern weitgehend als off topic und Abweichung von der "Lehre"
gebrandmarkt. Ich erspare mir an dieser Stelle Details.

Die ANALYTISCHE Integrationskraft von Oekonux war nie besonders groß -
ich erinnere nur an die Namen Werner Winzerling, Sabine Nuss oder
Stephan Eissler (und HGG natürlich).

Die ersten beiden Defizite führen noch zu einem 4., nämlich dass Oekonux
letztlich bei einer verkürzten Kapitalismuskritik stehen bleibt, ... 
Z.B. wenn das "Geistige Eigentum" vom "Eigentum" abgetrennt wird mit
der Behauptung, das eine wäre schlecht (und man solle deshalb diesen
Begriff meiden -- Stallman), das andere aber gut (oder zumindest ok),

Ich weiß nicht, was du an Begründungen dazu von Stallman kennst. Und
wenn es nur der Film "Revolution OS" sein sollte - dann dürftest du
wissen, WIE detailliert, genau und "real world" Stallman argumentiert.
Und das kann auch gar nicht anders sein; sonst hätte er NIE vor 20
Jahren diese visionäre Idee haben können. Als (noch etwas rohen) Text
eines Oekonuxis zum Thema empfehle ich dir "Geistiges Eigentum,
Gemeineigentum und die Eigentumsfrage. Ein Plädoyer gegen geistiges
Eigentum als Konzept", http://www.hg-graebe.de/EigeneTexte/rk-05.pdf

Zentrale These: Wenn es schon schwer ist, das Puzzle zusammenzusetzen,
wenn alle Puzzlesteine frei auf dem Tisch liegen, um wie vieles schwerer
ist es, wenn alle mit Pokerface um den Tisch sitzen und vor dem Puzzlen
um die Puzzlestücke schachern.

Ich halte momentan die inhaltlichen Defizite für bedeutsamer als
evt. Optimierungen der Form. Blog wär nicht schlecht, mehr
Real-Life-Treffen wären auch nicht schlecht, aber das ist alles
vergleichsweise unwichtig.

Defizite oder Differenzen?

HGG

-- 

  Prof. Dr. Hans-Gert Graebe, Inst. Informatik, Univ. Leipzig
  Augustusplatz, D-04109 Leipzig, Raum 5-53	
  tel. : +49 341 97 32248
  email: graebe informatik.uni-leipzig.de
  Home Page: http://www.informatik.uni-leipzig.de/~graebe

________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: http://www.oekonux.de/projekt/
Kontakt: projekt oekonux.de



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