Message 12613 [Homepage] [Navigation]
Thread: oxdeT12613 Message: 1/1 L0 [In index]
[First in Thread] [Last in Thread] [Date Next] [Date Prev]
[Next in Thread] [Prev in Thread] [Next Thread] [Prev Thread]

[ox-de] keimform.de: Gorz überUniversalgüter



http://www.keimform.de/2007/06/19/gorz-ueber-universalgueter/

Gorz über Universalgüter

Von StefanMz, 19. Juni 2007, 11:22 Uhr

André Gorz hat mit »Wissen, Wert und Kapital. Zur Kritik der 
Wissensökonomie« (Rotpunktverlag 2004)
[http://www.rotpunktverlag.ch/cgibib/germinal_shop.exe/VOLL?titel_id=12528&caller=rotpunkt]
ein wichtiges Buch geschrieben, dass im wesentlichen in die gleiche 
Richtung zu argumentieren sucht, auf die es mir ankommt. Gorz 
unterscheidet Universalgüter und Allgemeingüter terminologisch noch 
nicht, inhaltlich ist die folgende Passage jedoch klar:

    »Der Begriff des Wertes im ökonomischen Sinne als Tauschwert lässt
    sich nur auf Waren anwenden, das heißt auf Güter und für
    Dienstleistungen, die im Hinblick auf ihren Tausch produziert
    wurden. Was nicht durch menschliche Arbeit produziert ist sowie a
    fortiori was nicht produzierbar oder nicht tauschbar oder nicht für
    den Tausch bestimmt ist, hat keinen ökonomischen Wert. Das gilt …
    ebenso für Allgemeingüter die, wie etwa überliefertes Kulturgut,
    weder geteilt noch gegen andere ausgetauscht werden können. … (Sie)
    können allerdings beschlagnahmt werden. Es genügt, ihre
    Zugangsmöglichkeiten zu privatisieren, um Zugangsrechte erheben zu
    können. Auf diese Weise werden Allgemeingüter in Scheinwaren
    verwandelt, die den Verkäufern der Zugangsrechte eine Rente
    verschaffen.« (S. 33)

An dieser Stelle möchte ich die Diskussion zum Beitrag »Universalgüter«
[http://www.keimform.de/2007/06/17/universalgueter/] mit Christian 
fortsetzen, der fragt 
[http://www.keimform.de/2007/06/17/universalgueter/#comment-7807]:

    »Inwiefern wird MS Windows “von vornherein gesellschaftlich
    produziert”, die Brötchen dagegen nicht?«

Die Frage bezog sich auf die Aussage, dass Universalgüter von vornherein 
gesellschaftliche Güter und somit (ökonomisch) wertlos sind. Eine gute 
Frage, deren Antwort mir nicht leicht fällt, weil die Bedeutungen der 
Begriffe “gesellschaftlich” und (als Gegenstück) “privat” nicht 
feststehen, sondern changieren. Mal sehn.

Zunächst zeigt meine Kennzeichnung als “von vornherein gesellschaftlich 
produziert” den eindeutigen Fall an, etwa den von Freier Software. 
Proprietäre Software wird — im Unterschied zu Freier Software — nicht 
von vornherein gesellschaftlich produziert, sondern 
gewissermaßen “notgedrungen” oder “paradoxerweise” trotz privater Form. 
Das macht die Einsicht zugegeben ziemlich schwer bzw. es gibt gute 
Gründe, das Paradoxon für Schein und die Einsicht für Einfalt zu halten 
— wer das denkt, irrt natürlich;-)

Weder MS-Irgendwas noch die Brötchen werden also “von vornherein 
gesellschaftlich produziert”. Wäre das der Fall, müssten sich die 
ungesellschaftlichen Produkte nicht auf dem Markt treffen und ihren 
Werthändel treiben, gäbs also keine zirkulative Vergesellschaftung ex 
post, sondern alles wäre “unmittelbar gesellschaftlich”, einsichtig und 
klar, kurz: Dann hätten wir den Kommunismus.

Die These ist, dass zum Beispiel Microsoft trotzdem, obwohl es nicht so 
aussieht, gesellschaftliche Arbeit privatisiert und nicht, wie es 
normal wäre, private Arbeit gesellschaftliche Verhältnisse herstellen 
lässt (via Tausch). Hier ist folglich das Verhältnis von Privatheit und 
Gesellschaftlichkeit verkehrt: Während konventionelle Güter durch 
Privatproduzenten hergestellt werden und in der Zirkulation ihre 
Gesellschaftlichkeit bewähren müssen (denn dann und nur dann sind sie 
Waren), werden Universalgüter durch (privatisierte) gesellschaftliche 
Arbeit produziert und müssen in der Zirkulation ihre Privatheit bzw. 
Exklusivität, also ihre äußerliche Warenform simulieren, damit sie als 
Bezahlgut akzeptiert werden und erfolgreich Geld transferieren.

Dass das so “verkehrt” ist, hat mit der gegenständlichen Spezifik der 
Güter und den sozialen und rechtlichen Verhältnissen zu tun, die diese 
erzeugen. Konventionalgüter sind “singuläre Güter” (dazu zählen auch 
bestimmte Dienstleistungen, klar können auch die wertproduktiv sein — 
anderes Thema) und Universalgüter sind (potenziell) “ubiquitäre Güter”. 
Ihre Verbeitung ist nur durch die verfügbaren Träger limitiert, was in 
praxi eine real wichtige Grenze darstellt. Singuläre Güter müssen 
getauscht werden, um ihre Gesellschaftlichkeit zu bewähren, potenziell 
ubiquitäre Güter müssen ihre Exklusivität behaupten, um Geld 
anzuziehen. Singuläre Güter werden auch real getauscht, ein 
Händewechsel findet statt. Universalgüter werden weder hingegeben, noch 
getauscht, noch ausgeliehen, sondern nur die Nutzung wird erlaubt. 
Insofern ist eine Verwandtschaft mit dem vorbürgerlichen Lehnswesen, 
die Franz Nahrada einbrachte 
[http://www.opentheory.org/kampfumdiewarenform/text.phtml#10.1], 
augenfällig — nur dass hier nicht die Sache, sondern nur die 
Nutzungserlaubnis “übertragen” wird. Unversalgüter sind mithin keine 
Waren.

Eigentlich ist *jede* Produktion schon immer gesellschaftlich. Im 
Kapitalismus findet die gesellschaftliche Produktion im Gesamt jedoch 
in Form voneinander unabhängiger Privatarbeiten statt. Eigentlich 
unterscheiden sich also Microsoft und Bäckerei nicht: Beidesmal sind 
Form und Aneignung privat, die Produktion aber Teil gesellschaftlicher 
Produktion. Der Charakter der Arbeiten unterscheidet sich jedoch sehr 
wohl, weil sich diese auf unterschiedliche Güter bezieht und 
unterschiedliche soziale Beziehungen erzeugt. Die Arbeiten bei 
Microsoft beziehen sich auf Universalgüter, auf universelle, potenziell 
ubiquitäre Güter, die nicht getauscht werden, also nicht Waren sind, 
sondern deren Nutzungserlaubnis mehr oder weniger restriktiv erteilt 
wird. Siehe das Gorz-Zitat. Der Charakter der Arbeiten ist allgemeiner 
Natur, weil diese allgemeine Güter erzeugen. Die Arbeiten in der 
Bäckerei beziehen sich auf die wiederholte Anwendung abstrakter Arbeit 
zur stetigen Erzeugung immer neuer Backwaren, die getauscht werden 
(müssen), wodurch das exklusive Eigentum an dem gebackenen 
Gebrauchswert auf einen Käufer übergeht.

Also: Allgemeine Arbeit erzeugt Universalgüter, unmittelbar verausgabte 
abstrakte Arbeit erzeugt Singulargüter. Aber unterscheidet sich die 
Arbeit in der Schwitzbude Microsoft von der Schwitzbude in einer 
Bäckerei, ist nicht beides anstrengend, ist nicht beides Verausgabung 
gesellschaftlich notwendiger Arbeit, um die Güter in die Welt zu 
bringen? Die Qualität dieser Frage entspricht in etwa der Frage, ob es 
denn überhaupt einen Unterschied zwischen den genannten Gütern gäbe, wo 
man im Laden doch sehen könne, dass MS-Irgendwas x kostet und das 
Backgut y kostet. — Das ist die erscheinende Oberfläche, das ist der 
verdinglichte Blick, der in der Naturalform der Güter selbst den Wert 
erkennen will, statt ihn als gesellschaftliches Verhältnis zu 
begreifen.

Genauso mit den Arbeiten: In der Naturalform der Arbeiten wird ihr 
Charakter — produktiv/unproduktiv, abstrakt/universell — nicht zu 
finden sein. Der Charakter der Arbeit ergibt sich einzig aus ihrem 
Verhältnis zu den sie erzeugenden Gütern und sozialen Beziehungen, 
denn “Arbeit im Kapitalismus” ist selbst ein gesellschaftliches 
Verhältnis und keine überhistorische Seinsbestimmung des Menschen. Mehr 
noch, genauer wird es umgekehrt: “Arbeit” in der 
spezifisch-historischen Form konstituiert das spezifische 
gesellschaftliche Vermittlungsverhältnis. Das bedeutet, dass durch 
Universalgüter erzeugende allgemeine Arbeit qualitativ andere 
gesellschaftliche Vermittlungsverhältnisse produziert werden, als durch 
jene konventionelle Güter produzierende Lohnarbeit. Und genau das ist — 
wie dargelegt — auch der Fall: Die sozialen, rechtlichen und 
praktischen Verhältnisse unterscheiden sich trotz Unterordnung unter 
die Warenform gravierend von konventionellen Gütern.

Statt also die Differenzen und Ungereimtheiten wegzutricksen (etwa: 
Tausch finde doch statt, nur halt eins gegen viele und mit open end), 
geht es darum die Bruchstellen zum Ausgangspunkt einer Differenzierung 
in der Analyse zu machen. Damit wird Marx nicht aufgegeben, sondern 
Marx entsprochen. Aber es ist natürlich wie bei jeder theoretischen 
Annäherung eine Frage der Perspektive und der Begriffe: Aus meiner 
Perspektive einer aktualisierten Analyse erscheint es mir 
unverständlich, wie man noch an der alter Kategorialität festhalten 
kann und diverse Klimmzüge einbaut, wo doch die Realität längst anderes 
zeigt. Umgekehrt weiss ich ganz genau, dass die von mir dargestellte 
veränderte Sichtweise auf Befremden stößt, weil sie nicht nur 
unvertraut, sondern in der eigenen Blickweise entsprechend “ungereimt” 
erscheint. Was hier also konkurriert, sind nicht Einzelargumente, 
sondern Kategroriensysteme. Diese sind nicht auf der 
Einzelargumentebene belegbar oder widerlegbar — man muss sie schon als 
Ganzes gedanklich bewegen und bewerten. Wie, das bleibt letztlich jedem 
selbst überlassen.

So. Ganz am Schluss habe ich aber noch eine schlichte Antwort parat, die 
ich jedoch bewusst hintan stelle. Die schlichte Antwort wäre, dass der 
Wissensanteil bei allen Produkten gesellschaftlicher Natur ist und 
somit wertlos. Bei (proprietärer) Software beträgt dieser Anteil 90%, 
bei Brötchen 30% (keine Ahnung, Zahlen nur zur Illustration). Hierin 
eingeschlossen ist die Unterscheidung von Schaffung neuen Wissens 
(wertunproduktiv) und Anwendung vorhandenen Wissens in der 
Warenproduktion (wertproduktiv). Softwareentwicklung ist im 
wesentlichen Schaffung und Vergegenständlichung neuen Wissens (in 
Softwareform), Brötchenproduktion ist im wesentlichen Anwendung von 
vorhandenem Wissen. Neues Wissen wird durch allgemeine Arbeit 
geschaffen, vorhandenes Wissen wird durch konkrete Arbeit angewendet.

Guckt man sich die Softwareentwicklung an, dann findet man auch auf 
Oberfläche der konkreten Tätigkeiten den gesellschaftlichen Charakter 
wieder: Die Arbeiten sind nicht nur indirekt über den Markt oder 
vertragliche Kooperationsbeziehungen miteinander verbunden, sondern 
weltweit auch personal-konkret. Auch die Entwickler proprietärer 
Software tumeln sich in den Foren, auch die proprietären Firmen haben 
die Potenzen “eigener” Communities erkannt und insbesondere Software 
ist ein Produkt, dass von Feedbacks und der Mitentwicklung durch 
AnwenderInnen lebt. Dieser Drang zur konkreten Vergesellschaftung auf 
der Ebene der Produktion und nicht erst der Zirkulation wird natürlich 
durch die Notwendigheit zur Exklusion zwecks Warensimulation 
gleichzeitig begrenzt. Genau deswegen ist das Inklusionsmodell Freier 
Software die angemessenere Produktionsweise für gesellschaftliche 
Güter.

-- 
Start here: www.meretz.de
________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: http://www.oekonux.de/projekt/
Kontakt: projekt oekonux.de



[English translation]
Thread: oxdeT12613 Message: 1/1 L0 [In index]
Message 12613 [Homepage] [Navigation]