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[ox-de] dezentrale arbeitswerttheorie



[1  <text/plain; iso-8859-1 (quoted-printable)>]
Hallo Hans-Gert,

ich hab lange mit einer antwort gezoegert, da ich 
versuchte, deinem text irgendwie etwas abgewinnen 
zu koennen. Das ist mir misslungen. Ich aeussere 
mich  polemisch.

Ich fang mit einer "technischen" sache an.

Mit nebenlaeufigkeit hat dein text nichts, rein 
gar nichts zu tun, auch wenn du es einleitend 
behauptest. Ein bipartiter graph ist lediglich 
das strukturelle geruest, in dem etwas 
nebenlaeufig ablaufen kann. (Meine email, wonach 
wir den gleichen begriff von nebenlaeufigkeit 
haetten, war vorschnell. Ich hab nicht geahnt, 
dass du bei dem bipartiten graph auf halbem wege 
stehen bleibst und mit dem begriff der 
nebenlaeufigkeit nur kokettierst, statt dich auf 
den informatischen fachbegriff zu beziehen.) Wenn 
dann die diversen stellen in deinem graph 
synchron schalten ("dass zu gewissen Taktzeiten t 
= 0, 1, . . . ge- und verkauft wird"), so ist das 
blanker hohn auf Petri und auf nebenlaeufigkeit. 
Einer von Petris ausgangspunkten war Einsteins 
kritik an der gleichzeitigkeit, ausgeloest durch 
die konstante lichtgeschwindigkeit. Somit ist in 
jedem system die signal- und auch die 
transportgeschwindigkeit endlich mit der 
konsequenz, dass gleichzeitigkeit nicht 
herstellbar ist (aber sehr wohl ein "nachkegel" 
besteht, dessen ereignisse durch diejenigen in 
einem "vorkegel" beeinflussbar sind.)

Ich glaube kaum, dass du dein eigenes kaufen und 
verkaufen zu gewissen taktzeiten t = 0, 1, . . . 
erledigst. Das zeigt, wie realitaetsfern dein 
modell und die errechnete loesung sind.

Vor wenigen jahren hab ich solche zu gewissen 
taktzeiten kollektiv und synchron schaltende 
systeme in einem gespraech mit Petri als 
"faschistischen gleichschritt" bezeichnet, worauf 
er mir zustimmte. (Er erzaehlte mir noch ein 
scharfes beispiel aus seiner flakhelferzeit.)

Wobei ich jetzt beim politisch-ideologischen bin, zb. bei deiner 6. these:

"Im Gegensatz zu Marx, insb. (MEW 23, S. 207/208) 
gehe ich davon aus, dass auch unternehmerische 
Taetigkeit Quelle von Wert ist. Es stellt sich 
heraus, dass in einer solchen Rechnung der 
Wertanteil, welchen unternehmerische Taetigkeit 
eintraegt, gerade das ist, was Marx als Mehrwert 
bezeichnet."

Und bei deiner 7. these:

"Andererseits gehe ich mit [11] davon aus, dass 
Lohnarbeit keine Ware ist, sondern ein 
Verdingungsverhaeltnis, und somit die 
Grundannahme in (MEW 23, S. 200) nicht zu halten 
ist. ... ein Verhaeltnis innerhalb der 
menschlichen Gattung ..."

Nun wieder mein kommentar:

"was Marx als Mehrwert bezeichnet": Andere vor 
Marx haben diesen begriff, was mehr ist als eine 
blosse bezeichnung, auch schon verwendet. Als 
"bezeichner" wird er beliebig - wie in deinem 
text.

Mehdorn wird deiner 6. these sofort zustimmen, 
indem er lange den lokfuehrern einen eigenen 
tarifvertrag und lohnsteigerungen um bis zu 31 % 
verweigert hat, sich selbst aber in den 
vergangenen jahren durchaus solche steigerungen 
hat genehmigen lassen, bei einem etwa 100-fach 
hoeheren niveau. Hiernach handeln die lokfuehrer 
streikend verantwortungslos, da sie nur auf ihr 
beduernis bedacht sind und diesem zu liebe alles 
stehn und liegen lassen. Mehdorn hingegen haelt 
mit einem notfahrplan voll dagegen, damit die 
bahn trotz eines streiks fremder beduerfnisse 
gemaess rollen kann. Eigentlich muesste Mehdorn 
mehr als das tausendfache eines lokfuehrers 
verdienen. Schliesslich laesst ein lokfuehrer nur 
eine lok fahren, Mehdorn jedoch tausende. Die 
macht der agentien, ueber die Mehdorn gebietet, 
ist sichtbar groesser, etwa so: "ein hirn fuer 
tausend haende" (Goethe: Faust II)!

Die erklaerung einiger konzernbetriebsraete aus 
diesen tagen, wonach ihre chefs die hohen 
managergehaelter wegen ihrer "erfolge" durchaus 
verdienten, liegt ebenso auf dieser linie.

Das ist nur eine "harmlose" folge deiner 
darstellungen. Ansonsten liegt deine 6. these 
ganz im ursprung des begriffs "faschismus": fasce 
(ital.) buendnis zwischen unternehmern und 
arbeitnehmern, wie es von Mussolini verstanden 
und brachial durchgesetzt wurde. (Damit 
unterstelle ich dir beileibe nicht, faschismus zu 
wollen, ganz im gegenteil!) Fasce bezeichnete in 
Italien zunaechst verbaende, buende innerhalb 
einer klasse. Mussolini machte daraus bewusst und 
auf verwirrung setzend das klassenuebergreifende 
"buendnis".

Ich scheue mich nicht, in faschistischer 
literatur zu lesen. Das schaerft den sinn fuer 
"ideologisches glatteis". Ich zitiere mal, damit 
die naehe deiner 6. these zum faschismus (oder 
zumindest zu weit rechtskonservativer ideologie) 
sichtbar wird:

"I. ....Die 3 grundgedanken des gesetzes sind:
1. Die bestimmung der gemeinschaft aller im 
betrieb arbeitenden ohne ruecksicht auf ihre 
stellung, d.h. der betriebsgemeinschaft als die 
grundlage aller arbeitsrechtlichen gestaltung und 
damit die betonung der schicksalsmaessigen 
verbundenheit von unternehmern und arbeitern, die 
alle nur diener an einem werke sind. Fuer den 
gedanken eines klassengegensatzes ist in der 
neuen arbeitsverfassung kein raum. .2 ..., 3. ... 
II. Die betriebsgemeinschaft. 1. Ausgangspunkt 
aller arbeitsrechtlichen gestaltung ist die 
betriebsgemeinschaft, d.h. die gemeinschaft aller 
im betriebe taetigen. ... 2. Diese 
betriebsgemeinschaft, die unternehmer und 
arbeiter wie angestellte umfasst, ist die 
grundlage unserer sozialordnung schlechthin. ... 
Innerhalb dieser gemeinschaft gibt es nur 
glieder, zwischen denen wohl spannungszustaende, 
aber nicht die grundsaetzlichen und allein 
bestimmenden gegensaetzlichkeiten in der 
frueheren auffassung des klassenkampfgedankens 
bestehen koennen." ((Hueck, Nipperdey, Dietz: 
Gesetz zur ordnung der nationalen arbeit (AOG), 
kommentar. Berlin 1939. s. 21.)

"§2 ...so hat ... der ...wandel unseres 
arbeitsverfassungsrechtes auch das 
einzelarbeitsverhaeltnis in seinem wesen von 
grund auf geaendert und gewandelt. Fuer die 
auffassung des arbeitsverhaeltnisses als eines 
schuldrechtlichen vertrages ist schlechterdings 
kein raum mehr. ...Das einzelarbeitsverhaeltnis 
ist ein personenrechtliches verhaeltnis 
schlechthin, eine gemeinschaft zwischen dem 
unternehmer und dem einzelnen beschaeftigten." 
(aaO, s.48) ("schuldrechtlicher vertrag" bedeutet 
den verkauf der arbeitskraft als ware. W.G.)

"Aber der grundsaetzliche fehler dieser zeit 
(Weimarer republik, W. G.) lag darin, dass die 
verbaende nicht von dem geist gemeinschaftlicher 
zusammenarbeit der unternehmer, arbeiter und 
angestellten erfuellt waren - der gedanke der 
arbeitsgemeinschaft von 1918 wurde leider allzu 
rasch fallen gelassen - dass sie ihre aufgabe 
nicht vor allem darin sahen, einen gerechten 
ausgleich zu finden, um dann alle kraefte zum 
gemeinsamen besten zusammenzufassen, sondern dass 
sie sich immer wieder als gegner 
gegenueberstanden, dass der gedanke des 
arbeitskampfes, mindestens als letzter 
moeglichkeit, eine entscheidende rolle spielte 
und dass die klassenkampfidee das arbeitsleben 
weithin beherrschte. ... Die nationale revolution 
hat wiederum eine ganz entscheidende wendung in 
der gestaltung des arbeitsrechts gebracht. ...
Das entscheidende ziel, zu dem alle massnahmen 
hinfuehren sollen, ist die ueberwindung des 
klassenkampfgedankens durch echten 
gemeinschaftsgeist (hervorhebung im orig., W. 
G.). ... Ziel ist also die echte gemeinschaft von 
unternehmern, arbeitern und angestellten. Sie ist 
aber auf die dauer nur moeglich auf der grundlage 
eines gerechten interessenausgleichs." (Alfred 
Hueck: Deutsches arbeitsrecht : ein grundriss. 
Berlin 1938, s. 30-32)

Zu deiner 7. these:

"Die aeltere auffasssung, wie sie namentlich in 
der vorkriegszeit (vor 1914, W. G.) massgebend 
war und insbesondere auch dem BGB zugrundeliegt, 
erblickte im arbeitsvertrag einen 
schuldrechtlichen austauschvertrag. Der 
arbeitnehmer verpflichtete sich zur leistung von 
diensten, der arbeitgeber versprach dafuer eine 
verguetung. Das arbeitsverhaeltnis als 
rechtsverhaeltnis war das aus diesem vertrag 
entspringende schuldverhaeltnis. ... Darin ist 
heute ein grundsaetzlicher wandel eingetreten. Im 
mittelpunkt des arbeitsverhaeltnisses steht heute 
der gemeinschaftsgedanke (hervorhebuung im orig. 
W. G.). In der ueberwiegenden mehrzahl der faelle 
wird die arbeit im betrieb geleistet. Der 
arbeiter oder angestellte tritt deshalb in die 
betriebsgemeinschaft ein. Das 
einzelarbeitsverhaeltnis verwirklicht sich im 
rahmen der betriebsgemeinschaft und erhaelt durch 
die im AOG fuer die betriebsgemeinschaft 
aufgestellten grundsaetze ueber die beiderseitige 
treuepflicht und die soziale ehre sein gepraege. 
Damit ist auch das einzelarbeitsverhaeltnis als 
gemeinschaftsverhaeltnis charakterisiert, es ist 
persoenliche gemeinschaft zwischen dem einzelnen 
gefolgsschaftsmitglied und dem unternehmer, die 
eingegliedert ist in die groessere gemeinschaft 
des ganzen betriebes." (aaO, s. 65, 66)

"Ein letzter faktor fuer die bestimmung der 
arbeitsbedingungen ist das direktionsrecht des 
unternehmers. Wie frueher betont, ist fuer das 
arbeitsrechtliche arbeitsverhaeltnis die 
gehorsamspflicht des beschaeftigten 
charakteristisch." (aaO, s. 81)

Notabene: Stalin aeusserte in "Oekonomische 
probleme im sozialismus der UdSSR" 1952, dass in 
der UdSSR die arbeitskraft keine ware mehr sei.

Die autoren, die ich hier zitierte, haben es alle 
drei in der BRD zu etwas gebracht. Nipperdey 
wurde der 1. praesident des 
bundesarbeitsgerichts. Seine restriktive 
handhabung des streikrechts bestimmt noch heute 
die wirklichkeit in der BRD, zuletzt an den 
juristischen verrenkungen beim lokfuehrerstreik 
sichtbar! Hueck war prof fuer arbeitsrecht und 
gab weiterhin sein altes opus, leicht 
entnazifiziert, zum arbeitsrecht heraus und 
lehrte arbeitsrecht und "versaute" viele junge 
studenten, die dann spaeter als arbeitgeber zu 
reuessieren trachteten. (Ich hatte mal so einen, 
der ins schwaermen geriet, als ich in einer 
besprechung aus dem angegeben werk sarkastisch 
zitierte.) Dietz kommentierte das 
betriebsverfassungsgesetz - restriktiv 
selbstredend.

Das suessliche geschwafel, das die drei in 
faschistischer zeit von sich gaben, diente auch 
dazu, die schreie der gequaelten zu uebertoenen.

Erschreckend fuer mich ansonsten, was du aus 
Marxschen schriften machst, wenn du zb. 
behauptest: "in welchem Wert, Wertform, 
Wertausdruck und Wertgroeße weitgehend synonym" 
charakterisiert werden. Oder deine schlampige 
formulierung "dass lohnarbeit keine ware ist", in 
der du unterstellst, Marx haette die lohnarbeit 
als ware bezeichnet. Es handelte sich um die 
arbeitskraft, was begrifflich ein unterschied. 
(Anfangs hat Marx dies begrifflich noch nicht so 
klar herausgearbeitet.) Es gibt weitere solche 
stellen, wo du viertel-saetze zitierst, mit 
eigenen worten zu einem Marx sinnentstellenden 
satz vervollstaendigst, den so geschaffenen 
unsinn als original-Marx unterstellst und Marx 
sodann pruegelst. Die methode hatte ich schon 
kritisiert, als ich mich mit dir ueber den 
aehnlichen stil von Ruben stritt. Ich distanziere 
mich nachdruecklich von solchem stil, den z.b. 
auch Lenin in seiner polemik gegenueber Mach im 
empiriokritizismus praktizierte (vgl. meinen 
entsprechenden aufsatz).

Dein grundmodell ist in meiner sicht eine mixtur 
aus idealisierter mittelalterlicher zunftstruktur 
und Adam Smith. An einigen stellen ist der bezug 
auf Smith unmittelbar zu sehen, z.b.  die ersten 
beiden saetze auf s.4 unter der ueberschrift "Das 
Netz der Beziehungen zwischen den Produzenten". 
Du transportierst dabei Smith'sche fehlurteile. 
Was das idealisierte mittelalter anbetrifft, so 
hatte es der deutsche faschismus auch damit zu 
tun. Die SS gab ca. 1940 eine wissenschaftliche 
untersuchung ueber "das deutsche handwerk im 
spiegel der reichsgesetzgebung" in auftrag. 
Nachdem das ideale, klassenharmonische bild, wie 
es z.b. im AOG gezeichnet wurde, fuer das spaete 
mittelalter nicht herauskam, sondern 
klassenkampf, blieb das ergebnis bis ca. 1947 
ungedruckt (vorwort in H. Proesler: Das deutsche 
...)

Die ideologische sosse, die du in dem text 
verbreitest, ist fuer das mathematische modell 
unerheblich, macht es aber unleserlich. Darum 
sind dessen aspekte, die moeglicherweise einen 
gedanklichen fortschritt bringen, kaum 
herauszufinden.

Viele gruesse

wolf
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Wolf Goehring            e-mail: wolf.goehring online.de
(ehedem Fraunhofer AiS, GMD AiS)
Hoholzstrasse 77         phone : [PHONE NUMBER REMOVED](0228)430803
D-53229 Bonn, Germany   
http://www.wolf-goehring.de

Buchempfehlung fuer starke Nerven:

Murat Kurnaz: Fuenf Jahre meines Lebens.
               Ein Bericht aus Guantanamo
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[2  <text/html; iso-8859-1 (quoted-printable)>]

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Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: http://www.oekonux.de/projekt/
Kontakt: projekt oekonux.de



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