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Re: [ox-de] Oekonux Kritik auf http://marx101.blogspot.com/



Hi Franz!

4 days ago Franz Nahrada wrote:
Folgendes fand ich im Weblog einer Seite von der man 30 Jahre lang
verleichsweise wenig gehört hat, der Konstanzer Wertformanalyse. Obs auch
wirklich von dort ist weiß ich allerdings nicht. Interessant zu lesen ist
es jedenfalls.  Der Autor greift die Unterscheidung zwischen einfach und
doppelt freier Software zunächst *an*, um sie im nächsten Schritt selber
positiv *auf*zugreifen. Dabei zeigt er tatsächlich ein paar theoretische
Leerstellen auf.

(Die unsägliche Formatierung im Weblog http://marx101.blogspot.com/ mit
den reinvermantschten Fussnoten macht das Lesen des Aufsatzes allerdings
nicht gerade leicht, aber hier sind mal zentrale Zitate:)

Danke für das Forwarding. Ich geb' gerne meinen Senf dazu.

"Bislang galt: Freie Software wird ausschließlich in 'Nischen'
kapitalistischer Vergesellschaftung geschaffen (Uni, private
Selbstausbeutung), die ohne die kapitalistische Lohnarbeit nicht
existieren würden. Zu Beginn der Entstehung von Freier Software war dies
tatsächlich so. Inzwischen gibt es jedoch eine Reihe von sog. Global
Players (IBM, Sun Microsystems, Intel, etc.) welche EntwicklerInnen
hauptberuflich für die Produktion Freier Software beschäftigen. Neben den
bereits erwähnten Vorteilen bedeutet es für diese Firmen auch, dass wenn
sie sich an der Entwicklung eines selbständigen freien Softwareprojekts
beteiligen, sie einen Fuß in der Tür dieses Projekts haben und sowohl die
Entwicklungsrichtung mitbestimmen als auch von der Arbeit der Community
profitieren können.

Das Profitding ist ja nur das klassische "der Kaptialismus darf von
der Keimform nicht profitieren oder es ist keine Keimform". Das
widerspricht nicht nur dem Inhalt des Expansionsschritts_ im
Fünfschritt sondern heißt letzlich, dass sich das Neue nur im
Outer-Space entwickeln kann - was m.E. top-unrealistisch ist.

.. _Expansionsschritts: http://www.oekonux.org/texts/GermFormTheory.html#expansion-step-the-germ-form-becomes-an-important-dimension

Die Beteiligung großer Software-Konzerne an Freier
Software hat einen vergleichbaren strategischen Stellenwert wie die
Mitarbeit derselben Konzerne in Standardisierungsgremien." (13)

Hier kann ich glaube ich ein paar Wahrnehmungen beitragen.

Fakt ist, dass nicht nur große, klassische Firmen OpenSource auch mit
Manpower unterstützen. Das tun auch kleinere. Ob sie davon wirklich
immer profitieren ist dabei m.E. durchaus eine offene Frage.
Jedenfalls hat es z.B. Sun nicht geholfen eigentständig zu bleiben...

Freie-Software-Entwickler berichten umgekehrt, dass die Logik Freier
Software und die Community in solchen Modellen tendenziell Einzug in
die Unternehmen hält. Ich denke, dass das stimmen kann - entscheidend
ist, welche Rolle die Firma und welche die Community spielt.

Der Punkt mit den Standardisierungsgremien ist nicht schlecht.
Allerdings gibt es in Standardisierungsgremien durchaus auch die
Notwendigkeit, z.B. mit Patentansprüchen umgehen zu müssen - so
geschehen vor nicht allzu langer Zeit im W3C zum Thema M$-Patente.
*Das* ist allerdings etwas, was bei einem Freie-Software-Projekt kein
Thema sein dürfte...

"Gerade in ihren entwickeltesten Bereichen werden die Potenziale immer
wieder durch Produktionsverhältnisse begrenzt, die teilweise
anachronistisch wirken. Im Bereich der Informationstechnologien scheint
selbst das Kapital zu der Einsicht zu gelangen, dass neue Formen der
dezentral vernetzten Zusammenarbeit wie sie durch Informationstechnologien
ermöglicht werden, profitabler sind als traditionelle Formen entfremdeter
Arbeit unter den Prämissen des Ausschlusses und der Arbeitsteilung, selbst
wenn damit Teilautonomie und Selbstorganisation Einzug in die
Arbeitsorganisation halten. Die Modelle zur Arbeitsorganisation in
Softwareprojekten wie bspw. SCRUM, Extreme Programming oder Agile
Softwareentwicklung füllen die Seiten der Managementliteratur zumindest
für den Sektor der Informationswirtschaft und lösen hinsichtlich ihres
Hypes ältere toyotistische Managementmodelle, die zuerst in der
Automobilproduktion Verwendung fanden, wie Lean Production,
Just-in-time-Produktion, etc. ab bzw. entwickeln sie weiter. " (14)

Es ist zwar richtig, dass bspw. Scrum weniger toyotistisch ist als das
klassische Wasserfallmodell. Aber als Insider kann ich nur sagen, dass
der agile Ansatz letzlich nur das Eingeständnis ist, dass Software
nicht wie ein Haus gebaut werden kann [#]_. Und mit den richtigen
Methoden lassen sich auch besser und zuverlässiger Profite machen und
- wie ich aus eigener Erfahrung weiß - das Arbeitsverhältnis als
solches wird dadurch keineswegs in Frage gestellt. Schließlich
arbeitet man auch in einem Scrum-basierten Projekt für Geld - auch
wenn's vielleicht mehr Spaß macht. 

.. [#] Und bei Licht betrachtet können höchstens absolute
       Standardhäuser wie ein Haus gebaut werden...

Ich lese diese Entwicklung aber eher dahingehend, dass die Entwicklung
der Produktivkräfte auf einer gewissen Ebene eben neue Methoden
erfordert, die der Selbstentfaltung halt schon mehr Raum lassen
müssen.

"Teile dieser periodisierenden Abfolge von fünf qualitativen
Entwicklungschritten erinnern entfernt an das gramscianische
Hegemoniekonzept, mit dem Machtgewinnungs- und -ausübungsformen zwischen
Staaten, Gruppen von Staaten und Gruppen innerhalb von Staaten (z.B.
zwischen herrschenden und subalternen Klassen) analysiert werden,

Nun habe ich Gramci nur mal in einem Vortrag kennen gelernt, aber mein
Verständnis war, dass es bei Gramci vor allem um eine kulturelle
Hegemonie ging, die es innerhalb des Kapitalismus zu erringen gilt.
Bei Peer Production wird aber die Axt an die Wurzeln gelegt: Es geht
um ein neues System von Produktivkraft! Das finde ich doch deutlich
fundamentaler. Und es bezieht sich auch zunächst mal nicht auf
Kapitalismus. Peer Production könnte auch ein anderes System von
Produktivkraft ablösen.

ohne
jedoch die Flexibilität des Hegemoniebegriffs zu erreichen oder die
Menschen und ihre Handlungsfähigkeit im gleichen Ausmaß in den Mittelpunkt
zu stellen. Immerhin kann mit der Keimformthese aber ein dialektisches
Nebeneinander unterschiedlicher und widersprüchlicher Produktionsweisen
innerhalb einer Gesellschaft beschrieben werden und somit das Problem
vermieden werden, das Kurz wie folgt beschreibt: Die angebliche Blindheit
des Marxismus für die 'Frage des Übergangs, der praktischen
Transformationsbewegung, des berühmten 'Herankommens' an eine
nicht-wertförmige Reproduktion' (Kurz 1997).

Yep.

Während Kurz es in seinem Artikel von 1997 noch nicht gelingt, zu
entwickeln, wie die 'Mikroelektronik als universelle Rationalisierungs-
und Kommunikationstechnologie' (ebda.) die Transformation zu einer neuen
Gesellschaft befördern kann, meinen Meretz und Merten beinahe ein
Jahrzehnt später in dem Entwicklungsmodell für Freie Software eine
gesellschaftliche Form gefunden zu haben, die die kapitalistische
Produktionsweise in Frage stellt, sich in ihr zur Reife entwickelt und
darüberhinaus das Potenzial besitzt, das Zeitalter einer kommunistischen
Produktionsweise einzuläuten. Mit Hintergrundwissen aus der Informatik,
Erfahrungen aus der Praxis der Freien Softwareentwicklung und einem Schuss
utopischen Voluntarismus gelingt es ihnen, die bei Kurz noch vorhandene
Lücke zu schließen und mit einem konkreten Fallbeispiel einer Keimform auf
dem letzten Stand der Produktivkraftentwickung im hochtechnologischen
Kapitalismus zu argumentieren. " (20(21)

Yep! Da kennt sich jemand wirklich gut aus!

"Fazit Die These der nicht Warenförmigkeit Freier Software und die These
der Keimform einer nichtkapitalistischen Produktionsweise, lässt sich bei
näherem Hinschauen nur mit diversen Kunstgriffen aufrecht erhalten. Die
mannigfaltigen, von den Vertretern dieser These erkannten
Erscheinungsformen der Verwertbarkeit von Freier Software im Rahmen der
kapitalistischen Produktionsweise werden von ihnen oft als
Ausnahmeerscheinungen abgetan. So werden die meisten (GPL-artigen) Open
Source Varianten von vorneherein aus der These ausgeklammert und selbst
bei der Freien Software, bei der alle Voraussetzungen wie freie
Verfügbarkeit, freie Quellen, freie Änderbarkeit und freie Verteilbarkeit
erfüllt sind, müssen sie noch unterscheiden zwischen 'einfach freier
Software' (Software, die unter Lohnarbeitsverhältnissen entwickelt wird)
und 'doppelt freier Software' (die in der Freizeit und unter Bedingungen
freier Selbstentfaltung zustande kommt) um die These aufrecht zu erhalten.

Das verstehe ich nicht so richtig. Ob für ein Produkt Lohnarbeit
aufgebracht wird oder nicht heißt ja zunächst mal nichts über seine
Warenförmigkeit - oder?

Nicht abgestritten aber vernachlässigt wird die Unsitte der
Doppellizensierung, also der bemerkenswerten Ausbeutung der
unentgeltlichen Arbeit der Open Source Community durch die
Privatwirtschaft und deren Verwertungsinteressen.

"Vernachlässigt" bedeutet ja, dass es eine andere, richtigere
Sichtweise gäbe. Außer dem oben schon erwähnten "der Kaptialismus darf
von der Keimform nicht profitieren oder es ist keine Keimform" wüsste
ich nicht was - und dazu hatte ich mich schon geäußert.

Das emanzipatorische
Potenzial des Ideals der Freien Softwareentwicklung soll hier nicht in
Frage gestellt werden sondern kritisch die vielfältigen Wege aufgezeigt
werden, wie Freie Software immer besser in die kapitalistische
Produktionsweise integriert wird und keine reale Gefahr für das System des
Kapitalismus mehr darstellt. Man könnte auch, um im Bild der Keimformthese
(Mertez/Merten 2005: 303ff.) zu bleiben, sagen, dass wenn die Keimform
theoretisch zwei Richtungen einschlagen kann, so liegt die 'Integration in
das Alte' sprich in die kapitalistische Produktionsweise immer näher und
unterstreicht die These von Marx, dass für den Kapitalismus 'sämtliche
gesellschaftlichen Verhältnisse fortwährend zu revolutionieren' geradezu
eine Existenzbedingung ist (MEW 4: 465). Dass es noch möglich ist, den Weg
aus der Restauration des Alten herauszugehen, soll dabei jedoch nicht
ausgeschlossen werden." (24)

Das ist natürlich die Kernfrage. Aber ich muss zugeben, dass ich seit
1999 hier wenig dazu gelernt habe: Als *radikale* und *erfolgreiche*
Infragestellung von Kernelementen kapitalistischer *Produktion* sehe
ich nach wie vor ein Riesenpotential in Peer Production, das hin zu
einer wünschbaren Gesellschaft führen kann.


						Grüße

						Stefan
________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: http://www.oekonux.de/projekt/
Kontakt: projekt oekonux.de



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