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[ox-de] keimform.de: Fünfschritt — methodische Quelle des Keimform-Ansatzes



http://www.keimform.de/2011/fuenfschritt-methodische-quelle-des-keimform-ansatzes/

**FÃnfschritt â methodische Quelle des Keimform-Ansatzes**

Von StefanMz

Schon lange wollte ich Ãber den ÂFÃnfschritt schreiben, der aus meiner
Sicht eine wichtige methodische Quelle des Keimform-Ansatzes darstellt,
aber keineswegs der einzige ist. Der FÃnfschritt stammt aus der
Kritischen Psychologie 
<http://de.wikipedia.org/wiki/Kritische_Psychologie> und wurde dort bei
der begrifflichen Rekonstruktion des Entstehungsprozesses des Psychischen 
entwickelt. Eine Beschreibung des FÃnfschritts gibt es bei 
grundlegung.de
<http://grundlegung.de/artikel/1-3-der-methodische-fuenfschritt/>.
Ich werde mich im folgenden an diesen Text anlehnen (und Teile
Ãbernehmen), ihn aber auf die hier bei keimform.de diskutierten Fragen
zuspitzen. In einem weiteren Artikel diskutiere ich hÃufige Fragen rund
um den Keinform-Ansatz bzw. den FÃnfschritt.

Der methodische FÃnfschritt befasst sich mit der Frage, wie in einem
betrachteten System qualitativ Neues aus einem vorherrschenden Alten
entstehen und sich schlieÃlich durchsetzen kann. Es handelt sich um ein
retrospektives Verfahren, bei dem das ÂErgebnis des
Entwicklungsprozesses bekannt ist und den Ausgangspunkt bildet, um den
Werdens- und Durchsetzungsprozess zu rekonstruieren. Folgende fÃnf
Analyseschritte sind zu gehen:

1. Schritt: Aufweis der Entwicklungsdimension und der Keimformen, die
    die qualitative Entwicklung vollziehen.
2. Schritt: Aufweis der krisenhaften VerÃnderungen des gegebenen
    Systems, die einen Druck in Richtung auf die untersuchte qualitative
    Entwicklung erzeugen.
3. Schritt: Aufweis des Funktionswechsels als erstem qualitativem
    Sprung im Entwicklungsprozess, bei dem die Keimform zur bedeutenden,
    aber noch untergeordneten Funktion wird, die noch im Dienste der
    besseren Systemerhaltung auf dieser Stufe steht.
4. Schritt: Aufweis des Dominanzwechsels als zweitem qualitativem
    Sprung im Entwicklungsprozess, bei dem die frÃher zentrale Funktion
    durch die neue, nun den gesamten Prozess der Systemerhaltung 
    bestimmende Funktion abgelÃst wird.
5. Schritt: Aufweis der Umstrukturierung und neuen Entwicklungsrichtung
    des Gesamtsystems.

Klaus Holzkamp <http://de.wikipedia.org/wiki/Klaus_Holzkamp> hat den
FÃnfschritt aus der Analyse der Entwicklung des Psychischen gewonnen.
Da der FÃnfschritt allgemein den Umschlag von QuantitÃt in QualitÃt
konkretisiert, ist er â aus meiner Sicht â bei allen dialektischen
Entwicklungsprozessen anwendbar, in denen es um die Herausbildung
von qualitativ Neuem geht. Zu den fÃnf Schritten (vgl. auch die Abb.
<http://www.keimform.de/wp-content/uploads/2011/06/methodischer-fuenfschritt.gif>
) nun einige ErlÃuterungen.

ZunÃchst geht es darum, sich klar zu machen, was analysiert werden soll
â hier gilt es drei Begriffe zu unterscheiden, die den untersuchten
Gegenstand abstecken:

* System: Was gucke ich mir an? â In unserem Fall ist das die
   Gesellschaft.
* Dimension: Was innerhalb des Systems entwickelt sich qualitativ? â
   Hier ist es die Form der Gesellschaft.
* Funktion: Welcher Aspekt der betrachteten Dimension bestimmt die
   Entwicklung? â Die Gesellschaftsform Ãndert sich qualitativ, wenn
   sich eine neue Art der gesellschaftlichen Vermittlung durchsetzt.

Nun gehtâs los mit den fÃnf Schritten. Wir nehmen an, dass die
commons-basierte Peer-Produktion (kurze Begriffsdefinition hier und
lÃngerer Artikel hier) die Keimform reprÃsentiert. Hier nutzen wir das
retrospektive Verfahren, um eine mÃgliche Entwicklung in der Zukunft zu
untersuchen. Wir versetzen uns gedanklich an die Stelle des
abgeschlossenen Transformationsprozesses, um die fÃnf Schritte dorthin
zu rekonstruieren. Die Probleme, die mÃglicherweise damit verbunden
sind, werden in einem folgenden separaten Artikel diskutiert.

**1. Keimform**

Im Unterschied zur Vorstellung eines Keims, der alle Anlagen bereits
enthÃlt und sie nur noch entfalten muss, weist der Begriff der Keimform
darauf hin, dass die identifizierte neue Funktion nur der Form nach eine
neue QualitÃt reprÃsentiert, nicht aber selbst schon diese neue QualitÃt
ist. Erst im weiteren Entwicklungsprozess, in dem die Keimform selbst
qualitativ verÃndert wird, kann sie schlieÃlich ihre spezifische
FunktionalitÃt entfalten, mit der sie sich als neue bestimmende Funktion
durchsetzt.

*Konkret heiÃt das:* Die commons-basierte Peer-Produktion ist nicht 
schon selbst das Neue, sondern das Neue an ihr ist die 
bedÃrfnisorientierte, personal-konkrete Vermittlung zwischen Peers (auch 
kurz Selbstentfaltung genannt). Diese neue Form der Vermittlung â hier 
noch projektbezogen â geht als neue Funktion in die Entwicklung ein.

**2. Krise**

Nur wenn die betrachtete Dimension im analysierten System mit ihrer
alten Funktionslogik nicht mehr dauerhaft fÃr die Aufrechterhaltung der
SystemintegritÃt sorgen kann, das System also in eine Krise gerÃt, kann
die Keimform aus ihrer Nischenrolle heraustreten. Ursachen fÃr solche
Krisen kÃnnen sowohl von auÃen wie auch von innen kommen. VerÃnderungen
der AuÃenbedingungen des Systems und auch die eigene Entwicklung des
Systems kÃnnen zu einem inneren Entwicklungswiderspruch fÃhren. Ein
innerer Widerspruch zwischen den KapazitÃten des Systems und verÃnderten
Bedingungen kann durch Entwicklung aufgehoben werden. Ãberschreitet das
Ausmaà der VerÃnderung der Bedingungen die KapazitÃten des Systems mit
ÂEntwicklung zu reagieren, kann es zum Kollaps des Systems kommen. Das
andere Extrem ist die Stagnation als Fall der Abwesenheit von
WidersprÃchen. FÃr den hier betrachteten Entwicklungsschritt ist jene
Widerspruchskonstellation bedeutsam, in der der Keimform eine neue
Bedeutung zur LÃsung der WidersprÃche zukommt.

*Konkret heiÃt das:* Die globale gesellschaftliche Vermittlung im
Kapitalismus Ãber Ware, Markt und Geld hat die Menschheit in eine
krisenhafte Situation gefÃhrt. Die multiplen Krisen â von
Peak-Everything bis zur Verwertungskrise â lassen sich nicht mehr
innerhalb der alten Vermittlungsformen lÃsen, und auch ein qualitativ
neuer Krisenaufschub durch Etablierung eines neuen Verwertungsregimes
ist nicht in Sicht (auch nicht als ÂGreen New DealÂ). Gleichzeitig ist
das alte System mit seiner Logik nicht am Ende in dem Sinne, dass es
einfach aufhÃrt sich zu reproduzieren oder schlagartig zusammenbricht,
sondern es ist eine Phase des schrittweisen Zerfalls und Aufbrauchens
der bislang akkumulierten Systemressourcen eingetreten.

**3. Funktionswechsel**

Die Keimform tritt aus ihrer untergeordneten und randstÃndigen Bedeutung
heraus und gewinnt eine qualitativ neue Funktion fÃr den gesamten
Systemprozess. Holzkamp betont die Bedeutung des Funktionswechsels
(Zitate aus: Klaus Holzkamp, Grundlegeung der Psychologie, Fankfurt/M.
1983):

    ÂVon grÃÃter Wichtigkeit ist dabei, daà bei dem qualitativen Sprung
   durch Funktionswechsel die dialektische Negation nur im Bereich einer 
   â der bestimmenden Funktion der frÃheren Stufe noch untergeordneten
   â Partialfunktion erfolgt, quasi im Dienste der besseren 
   Systemerhaltung auf dieser Stufe steht, daà also die qualitativ 
   spezifische Funktion hier noch nicht fÃr den Gesamtprozeà bestimmend 
   geworden ist (79).

Dies geschieht erst im nÃchsten Schritt. Zur Betonung der positiven
Funktion fÃr den noch nach alter Logik ablaufenden Systemprozess ist die
gleichzeitige InkompatibiltÃt der nun qualitativ spezifischen Funktion
mit der bestehenden bestimmenden Funktion hinzuzufÃgen. Nur wenn die
neue Funktion nicht nur als bloÃe Erweiterung der SystemkapazitÃt
innerhalb der alten Logik in Anspruch genommen und damit absorbiert
werden kann, sondern ihre EigenstÃndigkeit und Spezifik behauptet, die
sie im dritten Schritt erlangt hat, kann es zum zweiten qualitativen
Sprung kommen.

*Konkret heiÃt das:* Die commons-basierte Peer-Produktion hat eine
positive Funktion fÃr den Kapitalismus und bleibt gleichzeitig gegenÃber
der dominanten Vermittlungsform inkompatibel. Die positive Funktion
besteht in der faktischen Kostenentlastung aufgrund der partiellen
Entwertung, die durch Peer-Projekte geschieht. Unternehmen kÃnnen die
partielle Entwertung ausnutzen und z.B. Softwarekosten sparen,
KreativtÃt ausnutzen, Service mit freiem Gut verbunden verkaufen etc.
Gleichzeitig bleibt die Peer-Produktion inkompatibel zur alten
Systemlogik, weil sie im Kern eine neue Produktionsweise darstellt.
Statt getrennt und privat ist die Produktion a priori gemeinschaftlich
organisiert, statt Verwertung und Profit sind die BedÃrfnisse der
Antrieb zur Produktion. Notwendige TÃtigkeiten werden nicht verrechnet
und getauscht, sondern nach individuellen MÃglichkeiten beigetragen.
Etc. Noch allerdings sind die schwach vernetzten Projekte auf
funktionierende AuÃenbeziehungen zur dominanten Markt- und
Geldvermittlung angewiesen. Commons-basierte Peer-Produktion
funktioniert nicht ohne Geld.

**4. Dominanzwechsel**

Die neue Funktion setzt sich durch und lÃst die alte Weise die
SystemintegritÃt aufrecht zu erhalten ab. Damit verschwindet die alte
Funktion (zunÃchst) nicht, sondern im VerhÃltnis zur neuen dominanten
Funktion tritt die alte als vormals bestimmende Funktion zurÃck. Der
Dominanzwechsel setzt notwendig den Funktionswechsel voraus. Es ist
niemals so, dass neue Funktionen

    Âschon bei ihrem ersten Vorkommen fÃr die Systemerhaltung bestimmend
   sein kÃnnen, sondern [sie sind] zunÃchst nur zusÃtzliche
   âspezialisierteâ LeistungsmÃglichkeiten eines in âkonservativerâ 
   Weise auf der alten Stufe sich erhaltenden Systemsâ Wenn es hier 
   dennoch zum QualitÃtsumschlag der Gesamtentwicklung kommen kann, dann 
   deswegen, weil der Ãbergang zur neuen Entwicklungsstufe sich nicht 
   auf einer einzelnen Dimension vollzieht, sondern die Umkehrung des 
   VerhÃltnisses zweier fÃr sich kontinuierlich verÃnderter Dimensionen 
   darstellt. Eine solche Umkehrung des VerhÃltnisses zwischen 
   bestimmender und nachgeordneter Funktion als Dominanzwechsel ist, 
   obwohl sich beide Funktionen in der Entwicklung kontinuierlich darauf 
   zu bewegen, selbst nicht kontinuierlich, sondern ein punktuelles 
   Umkippen. (80)

Der Dominanzwechsel ist also ein VerhÃltnisumkehrung: Das, was frÃher
die alte Funktion geleistet hat, Ãbernimmt nun die neue Funktion. Das
System wird nun auf neue Weise erhalten. Damit verÃndert es sich auch.

*Konkret heiÃt das:* Der Kapitalismus ist nicht mehr in der Lage, die
(Welt-)Gesellschaft zu erhalten. In allen Bereichen werden alte
Funktionen, die Ãber Markt und Geld vermittelt waren, zunehmend durch
die commons-basierte Peer-Produktion abgelÃst. Diese hat ein Niveau an
Vernetzungsdichte erreicht, das zu einer eigenstÃndigen, wechselseitigen
Input-Versorgung und bedÃrfnisorientierten Output-Nutzung fÃhrt.
Getrennte Privatproduktion mit anschlieÃender Marktvermittlung Ãber Geld
ist nun auch praktisch nicht mehr erforderlich. Nur in Randbereichen
spielen die alten Formen noch eine gewisse Rolle.

**5. Umstrukturierung**

Die Entwicklungsrichtung, Struktur und Funktionslogik des neuen
Gesamtsystems Ãndern sich. Dabei geht es nun darum zu zeigen,

    Âwelche Ãlteren Dimensionen im neuen Zusammenhang funktionslos
   werden, als auch, wie sich die Funktion frÃherer Dimensionen neu
   bestimmt, und wie sich unter der neuen Leitfunktion spezifische
   strukturelle und funktionale Differenzierungen in der weiteren
   Entwicklung ergeben (80).

Das wiederum kann ein neuer Ausgangspunkt eines weiteren qualitativen
Entwicklungszyklus werden, womit sich das erreichte neue
Entwicklungsniveau zur ersten Stufe im neuen Zyklus wird.

*Konkret heiÃt das:* Da die neue Produktionsweise bedÃrfnisgetrieben
ist, die alte jedoch verwertungsorientiert war, werden nun auch 
inhaltlich schrittweise alle Bereiche der Gesellschaft von einem Umbau
durchdrungen. Was nicht mehr gewollt wird, wird zurÃckgebaut, was
gewÃnscht wird, wird aufgebaut. Neue Institutionen entstehen, die die
notwendige kommunikative Vermittlung konfligierender BedÃrfnisse
vermitteln. Im Unterschied zur alten Produktionsweise geschieht die
Vermittlung jedoch nicht im nachhinein, sondern sind der Produktion
vorgelagert. Objektive Grenzen (Rohstoffe etc.) kÃnnen in diesen
Vermittlungsprozess a priori mit einbezogen werden. Die individuelle
Entfaltung aller ist nicht mehr nur potenziell, sondern auch tatsÃchlich
Ziel der gesellschaftlichen Entwicklung. Die Geschichte der Entwicklung,
bei der die Menschen ihre Lebensbedingungen bewusst selbst herstellen,
beginnt, die Vorgeschichte, bei der dies Âhinter dem RÃcken der
Menschen geschah, endet. Neue WidersprÃche entstehen â ein mÃglicher
neuer qualitativer Entwicklungszyklus beginnt.

(Fortsetzung als FAQ folgt)

-- 
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