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[ox-de] keimform.de: FAQ zum FÃnfschritt und zum Keimform-Ansatz



http://www.keimform.de/2011/faq-zum-fuenfschritt-und-zum-keimform-ansatz/

*FAQ zum FÃnfschritt und zum Keimform-Ansatz*

Von StefanMz

Nach der Darstellung des FÃnfschritts als methodisch-analytisches 
Denkwerkzeug
<http://www.keimform.de/2011/fuenfschritt-methodische-quelle-des-keimform-ansatzes/>, 
sollen nun hÃufig gestellte Fragen (FAQ) diskutiert werden. Also bitte 
erst den vorhergehenden Artikel lesen, sonst werden die Fragen und 
Antworten nicht unbedingt verstÃndlich.

Ich halte eine Diskussion um diese Fragen fÃr sehr wichtig. Ich habe 
selbst auf viele Fragen keine oder nur vorlÃufige Antworten. Und mir 
fallen oft auch jeweils zig Gegenargumente ein, die gegen meine eigenen 
Pro-Argumente sprechen. Ich hoffe, dass ich dadurch die KomplexitÃt nicht 
zu hoch schraube, wenn ich das Âmit mir diskutiere. Lest den Text als 
eine Form individueller SelbstverstÃndigung. Wenn wir daraus eine 
kollektive machen kÃnnten, wÃre das gut.

Weitere Fragen oder Kritiken an Fragen und Antworten bitte als Kommentar 
notieren. Ich nummeriere die Fragen durch, damit der Bezug einfacher 
ist. AuÃerdem bilde ich thematische Abschnitte in der Hoffnung die 
Ãbersicht zu vergrÃÃern.

*A. Zum FÃnfschritt selbst*

1. Wie kann man Keimformen erkennen?

Da der FÃnfschritt ein retrospektives Verfahren der Analyse ist, kann 
man streng genommen die Keimform, die schlieÃlich zu einer qualitativ 
neuen Entwicklung fÃhrte, erst im Nachhinein bestimmen. Befindet man sich 
selbst als Forschende_r mitten in der Entwicklung, kann man die 
Eigenschaft fÃr Realprozesse vermuten und dafÃr Hinweise sammeln. Solche 
Hinweise zeigen sich vor allem im dritten Schritt: Dehnt sich die 
Keimform aus? Ist sie gleichzeitig inkompatibel zum Alten und nÃtzlich 
fÃr das Alte? Etc.

2. Wie kann man eine Nicht-Keimform erkennen?

Im Prinzip gilt das vorher gesagte. WÃhrend man bei der Keimform im 
dritten Schritt nie sicher sein kann, ob sie nicht doch in der alten 
Logik aufgeht und damit verschwindet (also doch kompatibel ist), ist 
eben jenes Aufgehen in der alten Logik ein deutlicher Beleg dafÃr, dass 
man sich im Keimform-Charakter der untersuchten Sache geirrt hat.

3. Handelt es sich um genau eine Keimform oder kÃnnen es auch mehrere 
sein?

Im Fokus der Analyse steht nicht eine konkrete ÂSacheÂ, etwa dies oder 
jenes Projekt, sondern die Funktion, die die untersuchte ÂSache 
erfÃllt. Insofern handelt es sich um eine Keimform, die bei vielen 
unterschiedlichen Realsachverhalten sichtbar werden kann. Oder um es 
philosophisch zu formulieren: Handelt es sich um ein neues Wesen, so 
erscheint dies in vielfÃltiger Form. Ist der Unterschied zur alten Logik 
unwesentlich, so zeigen auch irgendwann die damit verbundenen 
Erscheinungen ihre KompatiblitÃt mit dem Alten.

Alltagssprachlich verschwimmt der Unterschied zwischen Sache und 
Funktion. Dann ist es auch kein Problem, von Keimformen in der Mehrzahl 
zu reden, auch wenn es um eine Funktion geht. Dazu siehe unten im 
Abschnitt B.

4. Was genau ist mit ÂFunktion gemeint?

Ein frÃherer Streit drehte sich um die Frage, ob nur die Freie Software 
Keimform-Charakter habe oder auch anderes. An diesem Beispiel kann man 
den Unterschied von Sache (Gegenstand) und Funktion erklÃren. Nicht die 
Freie Software als solche ist die Keimform, sondern die neue Funktion 
der gesellschaftlichen Vermittlung jenseits der Waren- und Wertform, die 
sie erstmals in die Welt gesetzt hat, macht ihren Keimform-Charakter 
aus. Heute sehen wir, dass diese Funktion auch in anderen Bereichen 
(Wissen, Kultur, Design, Hardware, allg. stoffliche GÃter) entstand und 
entsteht, weshalb es auch sinnvoll war, den neuen Ãbergreifenden Begriff 
der commons-basierten Peer-Produktion zu finden.

Wenn man sich diesen Unterschied von der Sache selbst und der Funktion, 
die sie realisiert, klar macht, dann wird auch deutlich, das sich mit 
groÃer Wahrscheinlichkeit die Sache im Zuge der Entwicklung durch die 
fÃnf Schritte hindurch verÃndern wird. Es ist ein bedeutender 
Unterschied, ob sich eine neue Funktion auf alter Grundlage herausbildet 
oder sich auf ihrer eigenen Grundlage entfaltet. Als Beispiel kann man 
sich die Herausbildung des Kapitalismus anschauen. Die Manufaktur war 
die frÃhkapitalitische Produktion auf feudaler Grundlage 
(Funktionswechsel), wÃhrend die industrielle Produktion der 
durchgesetzte Kapitalismus (Dominanzwechsel) auf seiner eigenen 
Grundlage ist.

5. Was ist mit doppelter FunktionalitÃt gemeint?

Der Begriff der doppelten FunktionalitÃt taucht gelegentlich beim 
Funktionswechsel auf. Damit ist angesprochen, dass die neue Funktion 
sich noch nicht auf ihrer eigenen Grundlage, sondern noch auf alter 
Grundlage entwickelt und daher zwei Kriterien gleichzeitig erfÃllen 
muss. Erstens muss sie funktional, also nÃtzlich fÃr die alte Logik 
sein. Sie kann nur von den Ressourcen des Alten leben, da sie ja noch 
nicht in der Lage ist, ihre eigenen Ressourcen (einschlieÃlich der 
Mittel) herzustellen. Gleichzeitig muss sie zweitens â sofern es 
tatsÃchlich eine Keimform eines Neuen sein soll â inkompatibel zur 
Reproduktionslogik des Alten sein, sich also im Kern anders entwickeln. 
Geht sie im Alten auf, war die Differenz zur alten Logik nur eine 
quantitative oder graduelle und keine qualitative. Es handelte sich dann 
doch nicht um eine Keimform, sondern nur um eine bezÃglich der alten 
Logik immanente Innovation.

Kritiken, die beklagen, dass eine Keimform vom Alten verwendet werde, 
haben den Aspekt der notwendigen doppelten FunktionalitÃt nicht 
verstanden. Eine Forderung nach dem Âganz anderenÂ, das Âsofort zu 
realisieren sei, ist insofern abstrakt, als sie nicht erklÃren kann, 
woher denn das Âganz andere kommen soll.

6. Handelt es sich bei den fÃnf Schritten um eine strikte zeitliche 
Reihenfolge?

Nein. GrundsÃtzlich ist der FÃnfschritt ein logisches 
Entwicklungsmodell, kein zeitliches. Allerdings ist auch kein beliebiges 
Vertauschen von Schritten mÃglich, da es â eben: logische â 
AbhÃngigkeiten gibt. So kann der Dominanzwechsel logisch nicht vor dem 
Funktionswechsel stattfinden etc. Die ersten drei Schritte Keimform, 
Krise und Funktionswechsel kÃnnen sich hingegen zeitlich durchdringen, 
insbesondere wenn man sich klar macht, dass sich eine neue Funktion an 
vielen verschiedenen GegenstÃnden (Sachen) zeigt, die unterschiedliche 
StÃnde der Herausbildung der neuen Funktion haben kÃnnen (vgl. Frage 4).

*B. Zur commons-basierten Peer-Produktion in der Ãbergangsphase*

7. Unternehmen verdienen Geld mit commons-basierter Peer-Produktion, 
spricht das nicht gegen ihren Keimform-Charakter?

Nein. Unternehmen nutzen Ergebnisse der commons-basierten Peer-
Produktion aus, um Geld zu verdienen. Da gibtâs vielfÃltige Methoden, um 
das zu erreichen. Beliebt ist die Kombination von einem Âfreien Gut mit 
einem knappen Add-on, das dann im Bundle verkauft wird. Entscheidend ist 
die Frage: Handelt es sich um ein AusnutzungsverhÃltnis, bei dem die 
Peer-Produktion im Kern erhalten und damit vom Unternehmen getrennt 
bleibt oder nicht. Vgl. dazu auch Frage 5 zur doppelten FunktionalitÃt.

8. Was ist, wenn Peer-Projekte selbst ihre Produkte verkaufen?

Dann betreten sie den Ãbergangsbereich zu einem normalen Unternehmen. 
Wird aus dem Peer-Projekt ein am Markt tÃtiges Unternehmen, dann lÃst 
sich der Peer-Charakter schrittweise in dem MaÃe auf, wie das Projekt am 
Markt erfolgreich ist und nach dessen Imperativen arbeitet. Denn dann 
steht der Markterfolg und nicht mehr die BedÃrfnisbefriedigung im 
Mittelpunkt. Das kann passieren, muss aber nicht. Es ist eine 
Entscheidung der Beteiligten.

9. Peer-Projekte oder mindestens die Beteiligten brauchen Geld. Spricht 
das nicht gegen ihren Keimform-Charakter?

Nein. Die abstrakte Frage ÂIst Geld im Spiel taugt nicht als 
Entscheidungskriterium. Es ist klar, dass wir (direkt oder indirekt) 
alle unter den gegebenen dominanten Bedingungen Geld brauchen, um uns 
selbst und die Projekte zu finanzieren. Die Frage ist, auf welche Art und 
Weise dieser Geldbedarf gedeckt wird. Wenn der Geldbedarf mit den 
Ergebnissen der Peer-Produktion selbst erreicht werden soll, besteht die 
Gefahr, dass die BedÃrfnisorientierung in eine Geldorientierung 
umschlÃgt. DafÃr gibt es unzÃhlige Beispiele, insbesondere im Bereich 
der traditionellen Alternativ-Ãkonomie. Siehe auch die vorhergehende 
Frage.

Gleichwohl ist eine Orientierung auf Demonetarisierung 
<http://demonetize.it/> eine hilfreiche und sinnvolle, weil sie dafÃr 
sensibilisiert, wo monetÃre Logiken eindringen kÃnnen oder wo wir sie 
bewusst heraushalten wollen.

10. Viele Projekte haben gar kein Bewusstsein von den hier aufgeworfenen 
Fragen.

Das stimmt, aber die Orientierung an den eigenen BedÃrfnissen bietet 
einen ganz guten Kompass. Wenn dann noch mindestens intuitiv erfasst 
wird, dass die eigene BedÃrfnisbefriedigung von der der anderen abhÃngt 
(und umgekehrt), dann bekommt so ein Projekt schon eine gute Grundlage. 
Erstaunlicher Weise geschieht dies relativ hÃufig. Einen Automatismus 
kann man daraus dennoch nicht ableiten.

Das vorgestellte FÃnfschritt-Modell mag dazu betragen, ein grÃÃeres 
Bewusstsein Ãber das eigene Handeln und seine WidersprÃche zu bekommen.

11. Unternehmen haben schon immer die Commons ausgebeutet, daran ist 
nichts neues.

Das stimmt. Man kann die Geschichte des Kapitalismus als eine 
fortwÃhrende Einhegung der Commons beschreiben. Das Neue kann man aus 
der Perspektive der Ausnutzung jedoch nicht erkennen. Dazu muss man die 
Perspektive der handelnden Menschen einnehmen.

*C. Zur Freien Gesellschaft und ihren Entfaltungsbedingungen*

12. Handelt es sich denn nur um eine Funktion? MÃssen sich nicht 
eigentlich viele gesellschaftliche Funktionen verÃndern?

Zweimal ja, ohne Widerspruch. Wie das? FÃr eine Antwort muss ich etwas 
ausholen.

Menschen stellen ihre Lebensbedingungen gesellschaftlich her. Dabei 
gehen sie historisch verschiedene Formen der sozialen Vermittlung ein. 
Mit ÂVermittlung ist gemeint, wie die Gesellschaft organisiert ist, 
damit das, was die einen produzieren und die anderen brauchen, zusammen 
kommt. Plus die Meta-TÃtigkeiten und Strukturen, die notwendig sind, 
damit die Vermittlung als solche funktioniert. Das waren historisch z.B. 
Herrscher und Subherrscher mit ihren Exekutoren (Tributeintreibern 
etc.). Dazu kamen die Ideologie-Produzenten, die die personale 
Herrschaft als einzig realistische Vermittlungsform legitimierten (v.a. 
Kirche). Heute bei getrennter Privatproduktion sind es Tausch, Markt und 
Geld, Ãber die die Vermittlung lÃuft, sowie der Staat, der Meta-Aufgaben 
absichert und rechtfertigt. Dazu kommen auch hier wieder die Ideologie-
Lieferanten, die das alles als einzig realistische Vermittlungsform 
legitimieren.

Die gesellschaftliche Vermittlung, also die Art und Weise wie produziert 
und verteilt wird, ist die zentrale Funktion jeder Gesellschaft. Wenn 
sich diese qualitativ Ãndert, Ãndert sich nahzu alles in der 
Gesellschaft. Deswegen die Rede von einer Funktion. Diese Funktion ist 
jedoch so allgemein gefasst, dass auch tatsÃchlich sehr viele andere 
gesellschaftliche Teilfunktionen von dieser bestimmt werden bzw. diese 
(mit) bestimmen.

13. Wird mit der ZentralitÃt der gesellschaftlichen Vermittlung nicht 
der alte Haupt-Neben-Widerspruch wiederholt?

Nein. Die alte Haupt-Neben-Debatte entstand, weil ein partieller 
gesellschaftlicher Widerspruch (der zwischen Arbeit und Kapital) in den 
Mittelpunkt gestellt wurde. Dem mussten dann, nach teilweise aufwÃndigen 
Interventionen unberÃcksichtigter Gruppen, weitere partielle 
WidersprÃche hinzugefÃgt werden. Die immer lÃnger werdende Kette der 
Addtionen litt darunter, dass das Gemeinsame im Unterschiedenen nicht 
gefunden werden konnte (auÃer in einer abstrakt-allgemeinen Fassung als 
ÂHerrschaftÂ).

Die implizite These ist also, dass die Art der gesellschaftlichen 
Vermittlung das Ãbergreifende Allgemeine ist. Die Einzel-WidersprÃche 
zeigen sich dann als Momente des Ãbergreifenden, nicht bloà als Teile 
eines unzusammenhÃngenden Ganzen. Dass die gesellschaftliche 
(Meta-)Vermittlung nicht nur Ãber die Ãkonomie, sondern auch Ãber 
Sexismus, Rassismus, Homophobie, Antiseminismus etc. organisiert wird 
und sich organisiert, ist â so finde ich â auch anschaulich gut 
nachvollziehbar. Das bedeutet implizit auch, erstens, dass sich auf all 
diesen Widerspruchsfeldern Keimformen (als divergente Erscheinungen der 
neuen gesellschaftlichen Vermittlungsfunktion) zeigen sollten. Und 
zweitens bedeutet es, dass beim Aufbau einer neuen Form der 
gesellschaftlichen Vermittlung all jene frÃher als Nebensache 
abgetrennten WidersprÃche unmittelbar zur Geltung kommen und nach 
LÃsung/BerÃcksichtigung verlangen. Das wÃre zu ÃberprÃfen.

14. Nebenfrage: Was war nochmal gleich der Unterschied der Begriffskombis 
Moment/Ganzes und Teile/Ganzes?

Das Ganze ist das additive VerhÃltnis seiner Teile, bei dem die Teile 
als getrennte Einzelne bestehen bleiben. Die Teile haben keinen 
notwendigen inhaltlichen Bezug zum Ganzen. Ich kann zum Beispiel neue 
Gruppen von Teilen bilden und zu neuen Ganzen addieren, die 
ZusammengehÃrigkeit definiere ich mehr oder weniger willkÃrlich.

Das Ãbergreifende (auch Ganzes genannt) besteht dergestalt aus seinen 
Momenten, dass die Momente jedes fÃr sich auch das Ganze sind. Ganzes 
und Momente enthalten sich wechselseitig. Am Ganzen erscheinen immer 
auch seine Momente, und die Momente zeigen auch immer das Ganze. Da 
Ganzes und Momente sich hier wechselseitig inhaltlich bestimmen, kann 
ich keine willkÃrliche Neugruppierung vornehmen und neue 
ZusammengehÃrigkeiten definieren, sondern nur die inhaltlich bestehenden, 
objektiven ZusammengehÃrigkeiten erkennen.

15. Was ist mit der Machtfrage?

Welche Machtfrage? Es gibt nicht nur eine Machtfrage, sondern entlang 
der oben diskutierten Widerspruchsfelder sehr viele Machtfragen. 
Implizit ist aber auch hier wieder gesagt, dass der Fokus aller 
Machtfragen der des Aufbaus von Handlungsmacht bei der praktischen 
Durchsetzung einer neuen Form der gesellschaftlichen Vermittlung ist, 
also einer neuen Art und Weise die gesellschaftlichen Lebensbedingungen 
herzustellen. Auf diese Weise werden faktisch alte Machtstrukturen auÃer 
Kraft gesetzt, die ihre LegitimitÃt daher bezogen, dass sie die 
Lebensbedingungen auf alte Weise herstellten (mit allen Verwerfungen, 
die schlieÃlich zur Krise fÃhrten).

Dabei ist nicht ausgeschlossen, dass alte Eliten aus alter Logik 
resultierende Macht mobilisieren, um die neue Handlungsmacht zu bedrohen 
oder zu (zer-)stÃren. Dies kann partiell auch erfolgreich sein, doch 
wenn die alte Systemlogik tatsÃchlich nicht mehr in der Lage ist, fÃr 
den Systemerhalt zu sorgen, so schwinden auch LegitimitÃt und 
Machtmittel des Alten. Und wenn dann die neue Systemlogik tatsÃchlich in 
der Lage ist, eine neue Art und Weise der Produktion der 
gesellschaftlichen Lebensbedingungen durchzusetzen (im Dominanzwechsel), 
dann ist der neue Prozess auch nicht mehr aufzuhalten (etwa durch 
Gewalt). Als Analogie kann man etwa die Ãberwindung des Mubarak-Regimes 
in Ãgypten nehmen (nur dass es hier nicht um eine neue Produktionsweise 
ging).

Entscheidender Punkt ist hierbei: Das VerhÃltnis von Machtfrage und 
neuer gesellschaftlicher Produktionsweise kann nicht umgedreht werden!

16. Aber ist nicht der Staat entscheidendes Zentrum der Macht? Was 
passiert damit?

Wenn die Funktion, die der Staat so wie wir ihn kennen, nicht mehr 
gebraucht wird â nÃmlich die gesellschaftlichen WidersprÃche zu 
vermitteln, die aus der Produktionsweise selbst als unvermittelbar 
ausgestoÃen werden â, dann wird diese Form von Staat verschwinden und 
mit ihm die ZentralitÃt von (exekutiven) Machtmitteln.

Andere Aspekte des Staats wie etwa organisatorische, planerische und 
infrastrukturelle Funktionen werden entsprechend der durchgesetzten 
neuen Imperative (BedÃrfnisbefriedigung statt Verwertung) entweder als 
unbrauchbar ersetzt oder als halbwegs brauchbar umgewandelt. Dabei gehen 
solche Instanzen zurÃck in die gesellschaftliche Vermittlung, weil in 
einer Freien Gesellschaft organisatorische, planerische, 
infrastrukturbezogene Prozesse Momente der gesellschaftlichen 
Vermittlung sind und nicht von ihr getrennt in einer eigenen SphÃre und 
Logik laufen. Sich dabei herausbildende Instanzen sind also genau wie 
alle anderen produktiven Prozesse commons-basierte Peer-Produktion, nur 
das hier die Produkte dann Konzepte, PlÃne oder sonstige Meta-
Konzeptionen sind, die gesellschaftlich gebraucht werden.

Wenn manche die neuen Institutionen dann auch wieder ÂStaat nennen 
wollen, so ist das nurmehr eine terminologische Frage und keine 
inhaltliche mehr. Ein Streit um das Wort ist mÃÃig, um die inhaltlichen 
gesellschaftlichen Funktionen sollte es gehen.

17. HÃngt das Erkennen einer Keimform nicht davon ab, welche Vorstellung 
man von einer zukÃnftigen Gesellschaft hat?

Ja. Der Keimform-Ansatz funktioniert ja fiktiv-retrospektiv. Gedanklich 
setzen wir uns in die zukÃnftige Gesellschaft und fragen uns, wie diese 
entstehen konnte und was frÃher einmal die Keimform war. Damit ist es 
notwendig, einige Rahmenbestimmungen der neuen Gesellschaft zu 
entwickeln.

Ausgehend von der Identifizierung der zentralen FunktionalitÃt der 
gesellschaftlichen Vermittlung kann man im Ausschlussverfahren vorgehen 
und Ãberlegen, was es alles nicht sein kann, das die neue Funktion 
ausmacht. Wenn man das tut, dann kommt man â ich kÃrze jetzt ab â auf 
die menschlichen BedÃrfnisse und damit auf die Menschen selbst als 
zentraler Vermittlungsinstanz. Die Menschen stellen selbst die Formen 
der Vermittlung her, und der MaÃstab dafÃr sind ihre BedÃrfnisse (siehe 
dazu auch Frage 18 zur Produktivkraftenwicklung).

Was den ersten Teil dieser Aussage betrifft, so war das genau besehen 
schon immer so, dass die Menschen die Vermittlung ÂmachenÂ, doch was den 
MaÃstab betrifft, so waren es (bis heute) immer dritte Personen, 
Instanzen oder Logiken, die den MaÃstab setzten und setzen. Also 
entweder der personale Herrscher (ÂEs gilt, was ich sageÂ) oder die 
unpersonale Verwertungslogik (ÂEs gilt, was sich rechnetÂ). Die eigenen 
BedÃrfnisse waren immer erst in zweiter Linie dran: Erst den Zehnten 
abliefern, dann das eigene Produkt verzehren; erst Geld verdienen, dann 
konsumieren.

In einer Freien Gesellschaft gibt es diese Indirektionen (Umwege) nicht 
mehr. Das wiederum setzt voraus, dass die Menschen frei sind, und zwar 
alle. Diese Freiheit kann folglich keine partielle sein, sondern nur 
eine allgemeine. Es ist also nicht mehr mÃglich, dass die 
BedÃrfnisbefriedigung der einen die Nicht-Befriedigung der anderen 
bedeutet. Im Gegenteil: Die BedÃrfnisbefriedigung der Individuen sind 
reziprok voneinander dergestalt abhÃngig, dass niemand ausgeschlossen 
wird. â Soweit die Kurzfassung zu dieser Frage (siehe auch vorherige 
Frage zum Staat).

18. Wie geht die Produktivkraftentwicklung in die Ãberlegungen ein?

Sie ist in die Ãberlegungen eingegangen, allerdings vielleicht nicht so 
sichtbar. Dazu muss man sich den Begriff der Produktivkraftentwicklung 
klar machen. Hierbei handelt es sich nicht, wie oft verkÃrzend 
angenommen, nur um eine Technikentwicklung, sondern der Begriff 
Produktivkraftentwicklung fasst das VerhÃltnis von tÃtigen Menschen, den 
ÃuÃeren Naturbedingungen und den eingesetzten Mitteln. Man kann nun 
zeigen, dass die groÃen Epochen der Menschheit jeweils durch einen 
Aspekt die Produktivkraftentwicklung bestimmt waren bzw. sind. In den 
agrarischen Gesellschaften war es zunÃchst der Naturaspekt 
(Bodenbearbeitung), im Kapitalismus der Mittelaspekt (Industrie), und in 
der Freien Gesellschaft â so die Annahme â kommt dann der dritte Aspekt 
zum tragen: die Entfaltung des Menschen als Selbstzweck. Diese ÃbergÃnge 
kann man jeweils mit dem FÃnfschritt begreifen (das machen wir ja gerade 
hier fÃr den Ãbergang zur Freien Gesellschaft).

Die jeweils vorher entfalteten Aspekte verschwinden nicht, sondern 
(siehe den fÃnften Schritt der Umstrukturierung) werden zu einem 
untergeordneten Moment der Gesamtentwicklung. Zum Beispiel ist die 
kapitalistische Industriegesellschaft nicht mehr durch ihre 
Agrarproduktion bestimmt, sondern umgekehrt: Die frÃhere Form der 
Agrarproduktion hat sich auf die industrielle Produktionsweise hin 
umstrukturiert. Entsprechend wird auch die industrielle Produktionsweise 
mit der Freien Gesellschaft nicht verschwinden, aber zum untergeordneten 
Moment der Gesamtentwicklung herabsinken und entsprechend der neuen 
Produktionsweise umstrukturiert (dito dann ebenfalls und nochmals die 
Agrarproduktion). Da das bestimmende Moment der Freien Gesellschaft die 
Selbstentfaltung des Menschen ist und die gesellschaftliche Vermittlung 
grundsÃtzlich bedÃrfnisorientiert erfolgt, stehen nicht mehr die 
ÂMittelÂ, sondern das ÂSoziale im Fokus der Entwicklung.

Heute sich auf die ÂMittel zu fokussieren und zu erwarten, dass Âvon 
dort die Befreiungsimpulse kommen, geht demnach fehl. Die 
entscheidenden qualitativen Entwicklungsschritte entstehen im 
ÂSozialenÂ, dies allerdings nicht getrennt von den Mitteln. Es ist also 
umgekehrt auch nicht sinnvoll, sich bloà auf das ÂSoziale zu 
beschrÃnken und allein dort die VerÃnderung voranzutreiben (wie das etwa 
esoterische AnsÃtze versuchen). Dies ist auch deswegen wichtig zu 
verstehen, weil es die ÂMittel selbst sind, die Gegenstand und damit 
Mittel der gesellschaftlichen Vermittlung sind. Gesellschaftliche 
Vermittlung ist also nicht bloà auf ÂKommunikation zu reduzieren, 
sondern es geht immer darum, wie wir unsere Lebensbedingungen und die 
dafÃr benÃtigten Dinge herstellen. DarÃber, Ãber die Mittel, wird 
kommuniziert und gehandelt.

Zum Vergleich: Heute liegt der Primat der gesellschaftlichen 
Kommunikation beim Wert (in Gestalt der Ware), also der Frage, ob sich 
das, was gemacht wird, auch rechnet. Im Kapitalismus bestimmt damit ein 
Drittes die gesellschaftliche Vermittlung, wÃhrend es in einer Freien 
Gesellschaft die BedÃrfnisse der Menschen (kurz: die Menschen selbst) 
sind, die die Vermittlung bestimmen. Diese BedÃrfnisse erscheinen in den 
Mitteln, die wir fÃr unsere BedÃrfnisbefriedigung herstellen. Daher sind 
die Mittel fÃr die gesellschaftliche Vermittlung so bedeutsam.

Es sollte deutlich geworden sein, dass ÂMittel hier umfassend 
verstanden werden. Es geht also nicht nur um Mittel zur Produktion von 
neuen Mitteln, den Produktionsmitteln, sondern allgemein um jegliche 
Mittel, also auch nichtstoffliche (etwa: soziale), die wir entsprechend 
unserer BedÃrfnisse in die Welt setzen wollen. Anders gesagt: Die 
gewohnte Trennung unterschiedlicher Mittelarten â etwa Produktionsmttel 
und Konsumtionsmittel â wird schrittweise verschwinden und das Soziale 
wird selbst zum Mittel, da in der Freien Gesellschaft die Menschen die 
Hauptproduktivkraft sind und sich ihre Mittel (im umfassenden Sinne) 
nach ihrem MaÃstab (und keinem anderen, fremden) gestalten. Sie 
erschaffen sich selbst als gesellschaftlichen Menschen in der 
menschlichen Gesellschaft.

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