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[ox-de-raw] Re: [ox-de] Frithjof Bergmanns Freiheitsbegriff



Hallo allerseits,

war zwar schon vor einer Ewigkeit (genauer: 26 Tagen) Thema, aber
vielleicht auch meine 2ct dazu.

PS: Wär's nicht langsam Zeit, die Modeartion wieder abzustellen?

Christian Siefkes wrote:
s.mn: Hier läuft aber jemensch in eine Falle: Abwesenheit von 
Zwängen ist ja wie oben dargelegt eben kein vernünftiger
Freiheitsbegriff. Qualitativ kann's das also nicht sein. Eine
quantitative Bestimmung - soundsoviel Zwänge machen unfrei -
scheint mir müßig.

Ja, aber andersrum wird ein Schuh draus: Zwänge, Sachzwänge ebenso wie
gesetzliche, können die Freiheit der Menschen beschränken. Bergmanns
Argumentation ist ja gerade, dass die Gesellschaft Freiheit nicht
gewähren, sondern nur einschränken kann. ...

Freiheit ist m.E. - wenigstens in dem von Bergman thematisierten Sinne -
eine relationale Kategorie und stellt ein Verhältnis *innerhalb* der
menschlichen Gemeinschaft dar. Davon würde ich zunächst mal die
Diskussion um Sachzwänge trennen, insoweit sie ihre Quelle außerhalb
dieser menschlichen Gemeinschaft haben, denn die sind auf einer anderen
kausalen Ebene zu behandeln. Weiters kann ich mit "die Gesellschaft" nix
anfangen, weil dabei die andere Seite des Verhaltnisses, was ja immer
konkrete Menschen sind, aus dem Blick gerät.

Diese Einschränkungen möglichst zu reduzieren ist eine wesentliche
_Voraussetzung_ dafür, dass Menschen frei sein _können_, auch wenn es
natürlich nicht garantiert, dass sie es dann auch _sind_

Das halte ich dann für weitgehend absurd, weil es letztlich postuliert,
dass weniger Gesellschaft mehr Freiheit bedeutet.

Im Potsdamer Manifest findet sich die nette Frage "wie haben wir diese
Freiheit zu verstehen, wenn sie nicht die törichte Freiheit sein soll,
das Falsche zu tun?" Meine Antwort darauf in den CC-Thesen lautete "...
Vereinigung von Freiheit und Gleichheit in einer brüderlichen
Assoziation vernetzter, selbstbestimmt agierender Produzenten, in
welcher Gleichheit und Freiheit gerade durch Verschiedenheit der
Kompetenzen und die Fähigkeit zum Eingehen verlässlicher Bindungen
garantiert sind. In diesem Sinn bedingen sich Freiheit und Gleichheit
gegenseitig und heiligen zugleich die Würde des Menschen."

Also "Freiheit = Fähigkeit (in einem komplexen Verständnis von innerer
und äußerer Bedingtheit) zum Eingehen verlässlicher Bindungen", die von
Gesellschaft nicht nur eingeschränkt, sondern auch befördert werden kann.

(die Gesellschaft kann genauso wenig dafür sorgen, dass alle Menschen
frei sind, wie dass alle Menschen glücklich sind -- sie kann beides
nur erschwerden, und das sollte sie nicht tun).

Du scheinst Gesellschaft nur als etwas dich Behinderndes denken zu
können. In meinen Emanzipationsthesen
http://www.hg-graebe.de/EigeneTexte/e-thesen2.html heißt es dazu (du
kannst dort "Emanzipation" weitgehend durch "Freiheit" ersetzen, denn in
dem hier von mir thematisierten Verständnis ist es eine weitgehend
deckungsgleiche Problematik)

"... verbindet sich damit sowohl individuell als auch
gesellschaftsbezogen Anspruch und Herausforderung. Die hauptsächliche
individuelle Herausforderung besteht in der Aneignung und Entwicklung
von Kompetenz, um Freiräume verantwortlich zu gestalten. Die
hauptsächliche gesellschaftliche Herausforderung besteht in der
Schaffung von Freiräumen, in denen kompetente Individuen Verantwortung
übernehmen können, sowie von Bedingungen, unter denen sich Kompetenz
eigenverantwortlich reproduzieren und weiter entwickeln lässt."

Freiheit ist also nicht nur etwas, das dir die Gesellschaft geben kann,
sondern sie verlangt dafür etwas von dir. Anders, glaube ich, kann man
Freiheit gar nicht verstehen.

Ja, aber dabei entscheidest du ja doch immer selbst, dass du dich an die
Empfehlung des/der anderen hälst ...

Es geht nicht darum, *dass* du entscheiden darfst, sondern *wie* du
entscheidest.

Gleichheit (in diesem Sinne) steht also nicht zur Freiheit im
Widerspruch (wie gerne angenommen wird), sie ist vielmehr deren
Bedingung.

Ähnlich wie Freiheit ist Gleichheit erstmal ein sehr abstrakter
Begriff. Darüber hinaus ist Gleichheit sicher eine der zentralen
bürgerlichen Ideologeme und von daher mit Vorsicht zu genießen.

Siehe oben, wo ich als Quelle für Gleichheit die Andersartigkeit
ausmache. Wobei das Wechselverhältnis zwischen beiden Kategorien erst
funzt, wenn das Vorhandensein von Andersartigkeit innerhalb der
menschlichen Gemeinschaft *funktional* wichtig wird.

Viele Grüße, hgg

-- 

  Prof. Dr. Hans-Gert Graebe, Inst. Informatik, Univ. Leipzig
  Johannisgasse 26, D-04109 Leipzig, Raum 5-18	
  tel. : +49 341 97 32248
  email: graebe informatik.uni-leipzig.de
  Home Page: http://www.informatik.uni-leipzig.de/~graebe



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