[ox-de-raw] Menschenrechtler kritisieren katastrophale Produktionsbedingungen und Ausbeutung in der High-Tech-Branche
- From: Helmuth Supik <helmuth.s gmx.li>
- Date: Tue, 13 Mar 2007 17:53:43 +0100
Tiefe Schatten auf der digitalen Welt
Menschenrechtler kritisieren katastrophale Produktionsbedingungen und
Ausbeutung in der High-Tech-Branche
Von Markus Balser
Bis tief in die Nacht brennt derzeit das Licht in den Messehallen von
Hannover. Arbeiter an einer schillernden Markenwelt zimmern
Firmenauftritte, ziehen Folien von glänzenden Logos und rücken
Flachbildschirme und Handys ins rechte Licht. Computer fürs Wohnzimmer,
winzige Musikanlagen für unterwegs: nach enttäuschenden Jahren beschwört
die Industrie zur weltgrößten IT-Messe Cebit den Aufbruch in eine
schöne, digitale Welt. Doch dem sorgsam gepflegten Hochglanzimage drohen
tiefe Kratzer. Denn anlässlich der Cebit werfen Kritiker ein Schlaglicht
auf die miserablen Produktionsbedingungen vieler internationaler
Hightech-Unternehmen.
"Digital Living" berge das Risiko, Menschenrechtsverletzungen und
Umweltprobleme zu fördern, warnt Kristina Rüter von der unabhängigen
Ratingagentur Oekom Research aus München. Angesichts eines wachsenden
Preisdrucks und immer schnellerer Zyklen in der Produktentwicklung von
Computern und Unterhaltungselektronik werde nur ein Teil der Hersteller
seiner Verantwortung gegenüber der Gesellschaft gerecht, stellt Oekom
nach einer Untersuchung von 59 IT-Konzernen fest. Viele westliche Marken
hätten ihre Produktion an Lieferanten in Niedriglohnländern wie China
und den Philippinen ausgelagert, in denen die Rechtslage für Arbeiter
miserabel sei. Nur wenige, Hewlett-Packard und Dell etwa, hätten
Zulieferer wirksam auf Mindestlöhne, maximale Arbeitszeiten und
Umweltvorgaben verpflichtet, klagt Rüter. Zwar hätten weit mehr
Unternehmen Probleme bei ihren Geschäften ausgemacht und soziale
Mindeststandards formuliert. "Meist aber existieren die nur auf dem
Papier", so Oekom. Beim Einkauf spielten sie selten eine Rolle,
Zulieferer würden nicht auf die Einhaltung der Regeln überprüft.
Hungerlöhne, Vergiftungen, 13-Stunden-Schichten - katastrophale Zustände
deckte die niederländische Menschenrechtsorganisation Stichting
Onderzoeg Multinationale Ondernemingen (Somo) in einer vom
niederländischen Außenministerium geförderten Studie auf.
Mobiltelefon-Hersteller wie Nokia und Motorola kaufen laut Somo in
großem Stil bei Firmen in Asien ein, deren Angestellte unter
menschenunwürdigen Bedingungen arbeiten müssen. Mitarbeiter in der
Produktion des Motorola-Zulieferers Hivac Startec in der chinesischen
Sonderwirtschaftszone Shenzhen bei Schanghai seien ohne Schutzkleidung
hochgiftigen Stoffen ausgesetzt gewesen, klagt Somo. Erst nach drei
Monaten und Anzeigen bei den Behörden seien die am schwersten
vergifteten Mitarbeiter ins Krankenhaus gebracht worden. Schutzlos
sollen auch Mitarbeiter des thailändischen Nokia-Zulieferers Namiki mit
giftigen Substanzen hantiert haben. Statt Atemschutz zum Schweißen und
Löten verteilte die Geschäftsführung an ihre Belegschaft Somo zufolge
jeden Tag eine Ration Milch, die den Körper reinigen sollte. Motorola
hat nach ersten Hinweisen der Niederländer seinen Zulieferer überprüfen
lassen. "Wir sind auf gravierende Probleme gestoßen", räumt ein Sprecher
ein. Der Konzern habe deshalb weltweit verbindliche Vorgaben für
Zulieferer erlassen.
Rechtsverstöße bei der Produktion von DVD-Recordern, Fernsehern, Handys
oder Laptops seien global agierenden Konzernen selten nachzuweisen, sagt
Oekom-Analystin Rüter. Lange Lieferketten von bis zu zwölf Zulieferern
erschwerten die Kontrollen. Vor allem bei Verstößen gegen Arbeitszeiten
und Mindestlöhnen sei man auf Hinweise der oft eingeschüchterten
Belegschaft angewiesen. Besonders in China reiche die Bezahlung der
Mitarbeiter oft nicht für das Nötigste. Die Firma Giant Wireless soll
Arbeitnehmern in chinesischen Fabriken 2003 einen Stundenlohn von zwölf
Cent in Dollar - umgerechnet neun Cent in Euro - stellte Somo fest.
Damit lag die Bezahlung noch unter chinesischen Mindestlöhnen. Erst nach
Protesten habe die Firma ihre Gehaltszahlungen angehoben, erklärt Somo
weiter.
Harte Kritik übt auch das Freiburger Öko-Institut an der zögerlichen
Haltung der IT-Hersteller. In den großen Absatzmärkten registriert das
Institut zwar ein steigendes Bewusstsein bei Verbrauchern für soziale
Themen. Das Angebot, zum Beispiel bei Notebooks, gebe allerdings noch
keinerlei Entscheidungshilfe für sozial nachhaltigen Konsum. Die
Industrie sei noch einige Jahre vom fairen Computer entfernt, sagt
Andreas Manhart vom Öko-Institut. Auch Oekom-Analystin Rüter ist sich
sicher: "Bis Verbraucher das digitale Leben mit gutem Gewissen genießen
könnten, bleibt einiges zu tun."
Quelle: Süddeutsche Zeitung
Nr.60, Dienstag, den 13. März 2007 , Seite 2