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[ox-de-raw] keimform.de: Open Source Jahrbuch: Das erste Kapitel



http://www.keimform.de/2007/03/25/open-source-jahrbuch-das-erste-kapitel/

Open Source Jahrbuch: Das erste Kapitel
***************************************

Von Christian, 25. März 2007, 19:44 Uhr

Der Untertitel des aktuellen Open Source Jahrbuch
[http://www.keimform.de/2007/03/21/das-neue-open-source-jahrbuch-ist-da/]
ist mir erst beim Ansehen der Print-Version aufgefallen: *Zwischen freier
Software und Gesellschaftsmodell.* "Gesellschaftsmodell" klingt ja viel
versprechend :-) -- leider allerdings ist im Buch außer dem Artikel von
Franz Nahrada und vielleicht dem von Gundolf S. Freyermuth (dazu je unten
mehr) nicht viel zu finden, was diesem Anspruch gerecht werden könnte.

Überhaupt kann ich allen, die das Buch nicht bestellen wollen oder können,
nur den Download der PDF-Version
[http://www.opensourcejahrbuch.de/download/jb2007/] empfehlen, da die
inhaltliche Gliederung des Buchs in der Online-Übersichtsseite völlig
verloren geht. Insgesamt hat das Buch 7 Kapitel, die für uns
interessantesten Artikel dürften wohl v.a. in Kapitel 1 ("Das Prinzip Open
Source") und 2 ("Open-Source-Ökonomie") zu finden.

Vorangestellt gibt es noch #Stallmans# "Warum 'Open Source' das Wesentliche
von 'Freier Software' verdeckt"
[http://www.opensourcejahrbuch.de/portal/article_show?article=osjb2007-00-02-stallman.pdf]
(leider nur das übliche, wie erwartet) und eine Replik von #Matthias
Bärwolff,# einem der Herausgeber des Jahrbuchs. Bärwolffs Artikel über "Die
ökonomischen Grenzen freier Software"
[http://www.opensourcejahrbuch.de/portal/article_show?article=osjb2007-00-03-baerwolff.pdf]
(S. 9) beginnt mit Worten:

-----
    Wenn die Freiheit des Einzelnen und die prinzipielle Unverletzlichkeit
    des Eigentums das Fundament unserer Gesellschaft bilden sollen, so
    gehört dazu zweifellos auch die Freiheit, anderen sein Eigentum oder
    Rechte daran in freundlicher Absicht weiterzugeben. Die Freiheit, von
    der Richard Stallman in seinem Artikel "Warum ‘Open Source’ das
    Wesentliche von ‘Freier Software’ verdeckt" spricht, hat also wahrlich
    nichts mit Kommunismus zu tun, sondern mit genau den bürgerlichen
    Freiheiten, die wir auch den Ackermanns dieser Welt zubilligen.
-----

Hehe -- eine explizitere Bestätigung für Sabine Nuss'
[http://copyriot.in-berlin.de/] Thesen ist wohl kaum vorstellbar ;-)

Der Artikel endet dann auch, wenig überraschend, mit dem Fazit dass "die
[kommerziell] erfolgreichsten Modelle in der Softwareindustrie Hybriden aus
Freiheit und Nicht-Freiheit sind".

Eine ähnlich beschränkt innerkapitalistische Fragestellung (wie kann man mit
Open Source/offener Innovation am besten Geld verdienen?) hat auch der
Artikel "Interaktive Wertschöpfung -- Produktion nach
Open-Source-Prinzipien"
[http://www.opensourcejahrbuch.de/portal/article_show?article=osjb2007-01-05-pillerreichwaldihl.pdf]
(S. 87) von #Frank Piller, Ralf Reichwald und Christopher Ihl.# Wobei bei
solchen "gemischten" Ansätzen sowohl die Beitragenden als auch die
Nutzer/innen letztlich "die Dummen" sind, weil die Rechte für eine
Innovation doch wieder bei der Firma landen. Aber dass einige Leute eine
Idee haben, wie sie reich werden wollen, heißt ja glücklicherweise noch
nicht, dass der Rest der Menschheit sie dabei unterstützen müsste ;-)

Sehr viel spannender ist #Gundolf S. Freyermuths# umfangreicher Essay
"Offene Geheimnisse -- Die Ausbildung der Open-Source-Praxis im 20.
Jahrhundert"
[http://www.opensourcejahrbuch.de/portal/article_show?article=osjb2007-01-02-freyermuth.pdf]
(S. 17). Freyermuth liefert eine interessante
Interpretation der Geschichte des PCs und des Internets, in der er klar
macht, dass es eben meist nicht kommerzielle Interessen waren, die diese
Entwicklungen vorangetrieben haben, sondern Bastler und Technikbegeisterte,
denen es zunächst um den Gebrauchs-
[http://www.freie-gesellschaft.de/wiki/Gebrauchswert] und nicht um den
Tauschwert [http://www.freie-gesellschaft.de/wiki/Tauschwert] ihrer
Innovationen ging. Die kommerziellen Player, so dominant sie später auch
erscheinen mögen, sind erst im Nachhinein auf den Zug aufgesprungen, oder
die Bastler bemerken im Lauf der Zeit, dass sie mit ihren Ideen eben auch
Geld verdienen können, und dadurch verändert sich ihre Perspektive.

Freyermuth vertritt auch eine beschränkte Form der Keimform-These, denn er
weist darauf hin, dass neue Produktionsmethoden, die zunächst in den
jeweils neuartigsten Branchen entwickelt und erprobt werden (wie eben heute
die Open-Source-Praktiken in der Softwareentwicklung) später oft zur
insgesamt dominierenden Produktionsweise aufsteigen. Zudem charakterisiert
er sechs Innovationen, die er in den Praktiken der Freien
Softwareentwickler und "Hacker"
[http://www.freie-gesellschaft.de/wiki/Hackerethik] sieht:

1. Selbstermächtigung der Nutzer
2. Nutzergetriebene Evolution offener Standards
3. Produktionsgemeinschaft der Gleichen
4. Geistiges Gemeineigentum
5. Vernetztes Wissensarbeiten
6. Konkurrierende Kollaboration

Während sich Freyermuth mit der Vergangenheit beschäftigt, geht es #Franz
Nahrada# um die Zukunft. In seinem Artikel "Piazze telematiche, Video
Bridges, Open Coops -- der mühsame Weg zu den Globalen Dörfern"
[http://www.opensourcejahrbuch.de/portal/article_show?article=osjb2007-01-06-nahrada.pdf]
(S. 103) stellt er die Frage, wie die Produktionsweise freie Software auf
materielle Güter ausgedehnt werden kann. Seine Antwort, die "Idee der
Globalen Dörfer" finde ich allerdings nach wie vor nicht so ganz
überzeugend. In dem Text wirft er noch alle möglichen Zutaten -- wie
Telelearning, Handwerk in vernetzten Kleinbetrieben, Produktion in
niedrigen Stückzahlen, intelligentes öko-logisches Design -- in den
Pott. Ob aus diesem Mischmasch ein schmackhafter Eintopf werden kann? Ich
habe da so meine Zweifel... Aber dass dank Franz diese Frage in dem
Jahrbuch überhaupt gestellt wird, ist schon mal erfreulich :-)

Ein weiterer interessanter Artikel aus dem 1. Kapitel ist "Pharmaforschung
mit Open-Source-Methoden"
[http://www.opensourcejahrbuch.de/portal/article_show?article=osjb2007-01-04-hope.pdf]
(S. 73) von #Janet Hope,# in dem die Autorin Ansätze zur Entwicklung von
Arzneimitteln gemäß Open-Source-Prinzipien beschreibt und diskutiert. Ein
immens wichtiger Bereich, wo das Versagen der kapitalistischen
Produktionsweise besonders deutlich ist, weil Armutskrankheiten, die v.a.
in der Dritten Welt auftreten, in der heutigen Pharmaforschung --  mangels
zahlungskräftiger Patienten -- weitgehend vernachlässigt werden. Hopes
Artikel macht allerdings klar, wie schwierig die Integration offener
Modelle sein kann, wenn man die Pharmagiganten trotzdem ins Boot holen
will.

Soweit für heute zum Kapitel 1 ("Das Prinzip Open Source"). Demnächst will
ich mir noch Kapitel 2 ("Open-Source-Ökonomie") vornehmen...

-- 
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	-- Jungle World, 25.5.2005



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